Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Unterhaltsgeld unter Berücksichtigung einer kurz vor Maßnahmebeginn abgeschlossenen Tariferhöhung zu gewähren hat, obwohl die tarifliche Erhöhung bei der letzten vor Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis vorgenommenen Abrechnung noch nicht berücksichtigt war.

Der 1951 geborene Kläger, der 1969 seine Lehre als Anwaltsgehilfe abgeschlossen hatte, stand zuletzt von Mitte 1973 bis 5. April 1974 beim Arbeitsamt Brühl als Angestellter in Diensten der Beklagten. Vom 1. April 1974 bis 31. März 1976 besuchte er einen Lehrgang der Wirtschaftsfachschule der Akademie für praktische Betriebswirtschaft in Köln mit dem von ihm angestrebten Ziel des staatlich geprüften Betriebswirtes. In der Zeit vom 1. bis 5. April 1974 hatte der Kläger bei der Beklagten Urlaub.

Im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Beschäftigungsverhältnis, am 5. April 1974, war das Gehalt des Klägers für den Monat März 1974 in Höhe von 1.331,48 DM abgerechnet. Die am 28. März 1974 zwischen den zuständigen Tarifvertragsparteien mit Wirkung vom 1. Januar 1974 zustande gekommene Erhöhung des Gehalts war bei der Abrechnung noch nicht berücksichtigt. Die für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1974 aufgrund der Tariferhöhung zustehende Nachzahlung wurde am 9. April 1974 errechnet und auf das Konto des Klägers überwiesen. Auf seinen Antrag vom 11. März 1974, mit dem der Kläger die Förderung der Teilnahme an dem Lehrgang der Wirtschaftsfachschule begehrte, bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 15. Mai 1974 ab 6. April 1974 Unterhaltsgeld nach einem Bemessungsentgelt von 1.331,48 DM, dem Entgelt, das dem alten Tarif entsprach. Am 29. Mai 1974 übersandte der Kläger dem Arbeitsamt eine Bescheinigung seines früheren Arbeitgebers vom 21. Mai 1974, in der als Gehalt im letzten abgerechneten Monat Februar die Summe von 1.489,12 DM aufgeführt war, dem Gehalt, das sich aus dem neuen Tarif ergab. Er bat, das Unterhaltsgeld entsprechend neu zu berechnen. Die Beklagte erwiderte darauf, daß die nachgereichte Bescheinigung nicht berücksichtigt werden könne, da das höhere Gehalt bei Beginn der Maßnahme noch nicht abgerechnet gewesen sei (Bescheid vom 4. Juni 1974; Widerspruchsbescheid vom 22. November 1974).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, bei der Berechnung der Höhe des Unterhaltsgeldes des Klägers ein Gehalt von 1.489,12 DM zugrunde zu legen (Urteil vom 11. September 1975). Mit Bescheid vom 26. November 1975 hat die Beklagte das Unterhaltsgeld des Klägers neu bemessen. Sie hat die für die Zeit vom 28. März 1974 bis 31. März 1974 im Wege der nachträglichen Vertragserfüllung gezahlten Gehaltsteile bei der Berechnung des Unterhaltsgeldes berücksichtigt. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 7. Juli 1976 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt:

Gezahlt und abgerechnet sei im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Beschäftigungsverhältnis am 5. April 1974 das Gehalt für den Monat März 1974 gewesen, und zwar in der nach dem alten Tarif berechneten Höhe. Hinsichtlich des Erhöhungsbetrages vom 1. Januar bis 31. März 1974 und des Gehalts für die Zeit vom 1. bis 5. April 1974 sei die Abrechnung am 9. April 1974 vorgenommen worden. Bei einer lediglich am Wortlaut ausgerichteten Auslegung des Gesetzes, nach dem das am Tage des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechnete Entgelt zugrunde zu legen sei, müßte der Beklagten in ihrer Unterhaltsgeldberechnung zugestimmt werden. Das Unterhaltsgeld habe aber Lohnersatzfunktion. Es müßte deshalb gewährleistet sein, daß sich seine Höhe nach dem zuletzt vor Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses erzielten Arbeitseinkommen bemesse. An dieser Auffassung halte das Gericht jedenfalls für diejenigen Fälle fest, in denen, wie hier, die letzte, eine Tariferhöhung berücksichtigende Gehaltszahlung zwar nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, aber beträchtliche Zeit vor dem das Unterhaltsgeld bewilligenden Erstbescheid vorgenommen sei und einer Berücksichtigung dieser Abrechnung durch die Verwaltung nichts im Wege gestanden hätte.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 44 Abs. 2 Satz 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der ursprünglichen Fassung, § 112 Abs. 3 AFG. Sie ist der Auffassung, daß Tariferhöhungen, die zwar vor Eintritt des Versicherungsfalles beschlossen worden, aber noch nicht abgerechnet worden seien, bei der Bemessung des Unterhaltsgeldes nicht berücksichtigt werden könnten.

Sie beantragt sinngemäß,das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11. September 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung einer Gehaltserhöhung bei der Bemessung seines Unterhaltsgeldes, die zu der Zeit noch nicht abgerechnet war, als er aus seinem Beschäftigungsverhältnis ausschied. Abgerechnet war nach den Feststellungen des LSG am 5. April 1974, als der Kläger sein Beschäftigungsverhältnis beendete, das Gehalt des Klägers für den Monat März 1974 in der Höhe, wie es nach dem Rechtszustand vor der Änderung des Tarifvertrages am 28. März 1974 zu berechnen gewesen war. Nach diesem abgerechneten Gehalt war das Unterhaltsgeld des Klägers zu bemessen.

Nach § 44 Abs. 2 S. 3 AFG in der Fassung, die für den 1974 beschiedenen und zu bescheidenden Fall anzuwenden ist, in Verbindung mit § 112 Abs. 3 AFG richtet sich die Höhe des Unterhaltsgeldes nach dem Bemessungszeitraum, der die letzten, am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt zwanzig Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume einschließt, und zwar der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs. Indem § 112 Abs. 3 AFG den Bemessungszeitraum festlegt, bestimmt er, welches Gehalt der Berechnung des Arbeitslosengeldes bzw. des Unterhaltsgeldes zugrunde zu legen ist. Es ist danach das Arbeitsentgelt zu berücksichtigten, das dem Arbeitnehmer nach dem vor seinem Ausscheiden bestehenden Gehaltsanspruch zu zahlen war (vgl. Urteil des BSG vom 23. Februar 1977 - 12 RAr 79/76). Nach dem Wortlaut des Gesetzes wird auf die "abgerechneten" Lohnabrechnungszeiträume abgestellt. Der Berechnung wird daher nur dasjenige Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, das abgerechnet worden ist.

Mit dieser Regelung verfolgt das Gesetz das Ziel, auf der einen Seite die Lohnersatzleistung (also das Arbeitslosengeld oder das Unterhaltsgeld) an einem Lohnniveau auszurichten, das zeitnah festgestellt ist, also unmittelbar vor Beginn der Leistungen gegolten hat, das auf der anderen Seite aber auch eine rasche und einfache Feststellung der Leistungshöhe schon bei Ausscheiden des Anspruchstellers aus seinem Beschäftigungsverhältnis ermöglicht (vgl. Urteil des BSG vom 31. August 1976 - 12 RAr 57/74). Indem der Gesetzgeber prinzipiell das Gehalt des letzten am Tage des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Lohnabrechnungszeitraumes als maßgebend kennzeichnet, - hat er dafür Sorge zu tragen, daß der letzte auf Arbeitseinkommen gegründete Lebensstandard des Arbeitnehmers als der Maßstab für die zu gewährenden Leistungen gilt. Zugunsten des Bestrebens, bei Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis sofort eine endgültige Feststellung des Arbeitslosengeldes oder des Unterhaltsgeldes vornehmen zu können, hat es der Gesetzgeber jedoch für gerechtfertigt gehalten, jene Teile des Arbeitseinkommens zu vernachlässigen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgerechnet worden sind. Vielmehr hat er es für ausreichend angesehen, von jenem Stand des Arbeitseinkommens auszugehen, der bereits in die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erteilte Lohnabrechnung eingegangen war.

Wie das BSG bereits im Urteil vom 21. Juni 1977 (7 RAr 88/75) unter Darlegung der Entstehungsgeschichte des § 112 Abs. 3 AFG und im Vergleich mit anderen sozialrechtlichen Vorschriften ausgeführt hat, ist diese Regelung vom Gesetzgeber bewußt vorgenommen worden, so daß nicht von einer "planwidrigen Unvollständigkeit", also einer Lücke des Gesetzes ausgegangen werden kann, die es dem Gericht gestatten würde, abweichend vom Wortlaut des Gesetzes auch eine Gehaltshöhe zu berücksichtigen, die beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis noch nicht abgerechnet war.

Der seinem Wortlaut und Sinn entsprechend angewandte § 112 Abs. 3 AFG führt dazu, daß rückwirkende tarifliche Einkommensverbesserungen, also Einkommensverbesserungen, die nach Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis rückwirkend vereinbart worden sind, bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes und des Unterhaltsgeldes nicht zu berücksichtigen sind (vgl. BSG vom 31. August 1976 - 12/7 RAr 57/74 und BSG vom 23. Februar 1977 - 12 RAr 79/76). Die Wort- und sinngerechte Auslegung des § 112 Abs. 3 AFG hat aber auch zur Folge, daß eine tarifliche Lohnerhöhung, die zwar vor dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis vereinbart worden ist, sich aber in der letzten vor dem Ausscheiden vorgenommenen Abrechnung nicht mehr niedergeschlagen hat, nicht zu berücksichtigen ist. Andernfalls wäre nicht gewährleistet, daß die Beklagte unmittelbar nach dem Ausscheiden des Anspruchstellers aus dem Beschäftigungsverhältnis über den geltend gemachten Leistungsanspruch endgültig entscheiden kann. Ein Abstellen darauf , wann im Einzelfall von der Beklagten das Arbeitslosengeld oder das Unterhaltsgeld festgesetzt worden ist, wie das LSG es für richtig hält, findet im Wortlaut des Gesetzes der wie dargelegt vom Gesetzgeber bewußt gewählt worden ist, keine Stütze.

Es trifft auch nicht zu, daß, wie der Kläger meint, dieses Verständnis des § 112 Abs. 3 AFG auch falsche Lohnabrechnungen als Grundlage der Arbeitslosengeld- oder Unterhaltsgeldberechnung gelten lassen müsse. § 112 Abs. 3 AFG bestimmt das für die Berechnung entscheidende Gehalt, indem er den Zeitraum festlegt, nach dem sich die Berechnung auszurichten hat. Das für diesen abgerechneten Zeitraum geltende Gehaltsniveau ist maßgebend. Maßgebend bleibt es, da es abgerechnet ist, auch wenn es falsch abgerechnet ist, jedoch nicht in der fehlerhaft berechneten Höhe sondern in der richtigen. Nur in diesem Fall kann (und muß) eine doppelte Berechnung des Arbeitslosengeldes oder des Unterhaltsgeldes durch die Beklagte erforderlich werden. Von der falschen Abrechnung durch den Arbeitgeber ist jedoch der Fall zu unterscheiden, in dem zwar noch vor dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis eine Tariferhöhung vereinbart worden ist, die letzte Abrechnung diese Erhöhung aber nicht mehr berücksichtigt hat. Als falsch könnte die Abrechnung in diesem Fall nur dann bezeichnet werden, wenn die neue Gehaltshöhe nach der Abrechnungsorganisation des betreffenden Arbeitgebers schon zu berücksichtigen war, tatsächlich jedoch, etwa aus Versehen, nicht beachtet worden ist. Konnte die Abrechnung auf die neue Tariflage nicht eingehen, etwa weil der Arbeitgeber nach seiner Organisation nicht so rasch auf die neue Situation reagieren konnte, dann ist die Abrechnung, weil sie sich bewußt an der alten Tariflage ausrichtet, richtig. Das neue Gehalt ist dann noch nicht in die Abrechnung einbezogen.

Im vorliegenden Falle konnte die Gehaltserhöhung, die der Kläger berücksichtigt sehen möchte , schon deshalb nicht in die vor dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis vorgenommene Abrechnung aufgenommen werden, weil der Tarifvertrag, der die Gehaltserhöhung brachte, nach der letzten vor dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis vorgenommenen Gehaltsabrechnung zustande kam (letzte Abrechnung vor dem Ausscheiden: Mitte März, Abschluß des Tarifvertrages am 28. März). Das Unterhaltsgeld des Klägers war demnach nach dem alten Tariflohn zu berechnen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Beklagte gleichzeitig der Arbeitgeber des Klägers war. Es kann dahinstehen, ob bei Personenidentität zwischen Leistungsträger und Arbeitgeber es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn der Leistungsträger auch dann die Berechnung an dem letzten vor dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Gehalt vornehmen würde, wenn er selbst schuldhaft die letzte Gehaltsabrechnung zu spät vorgenommen hätte. Denn für eine schuldhaft von der Beklagten verursachte Verspätung der Gehaltsabrechnung des Klägers spricht hier nichts. Der Kläger hat auch nichts in dieser Richtung vorgetragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518744

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