Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitgeber - Beitragspflicht - Entstehen - Zahlungspflicht - Gesamtsozialversicherungsbeitrag - Lohnminderung - Vertragsstrafe nach Arbeitsvertrag - Arbeitnehmer - Verwirkung - Anspruch auf Arbeitsentgelt

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Einzugsstelle kann vom Arbeitgeber Beiträge auch auf Arbeitsentgelt fordern, das der Arbeitnehmer wegen einer nach Entstehen der Beitragsforderung verwirkten, nach dem Arbeitsvertrag zu einer Lohnminderung führenden Vertragsstrafe nicht vom Arbeitgeber verlangen kann (Fortführung von BSG vom 30.8.1994 - 12 RK 59/92 = BSGE 75, 61 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5).

 

Normenkette

AFG § 102; RVO § 160; BGB § 472; AFG § 179; BGB § 614; SGB IV § 8; AFG § 169a; RVO § 1228 Nr. 4; BGB § 611 Abs. 1, § 339 S. 1; SGB IV § 14 Abs. 1, § 22 Abs. 1, § 23 Abs. 1; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1; AFG § 168 Abs. 1 S. 1; BGB § 325 Abs. 1 S. 3, § 323 Abs. 1 S. 2; RVO § 1385 Abs. 3 Buchst. a; AFG § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB V § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 19.01.1994; Aktenzeichen L 4 Kr 50/92)

SG Hannover (Entscheidung vom 06.01.1992; Aktenzeichen S 11 Kr 214/90)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für eine bei ihr beschäftigt gewesene Arbeitnehmerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu entrichten hat.

Die Klägerin, die aufgrund behördlicher Erlaubnis gewerbsmäßig die Überlassung von Personal an Dritte betreibt, schloß am 13. März 1990 mit Melanie-Carmen Meyer (im folgenden: Versicherte) einen formularmäßigen Arbeitsvertrag. Danach sollte die Versicherte, beginnend am 15. März 1990, Arbeiten als Helferin übernehmen. Der Bruttolohn betrug 9 DM pro Stunde bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden. Er war monatlich nachträglich bis spätestens zum 21. eines jeden Monats zu zahlen. Nach § 3 Abs 6 des Vertrages verpflichtete sich die Versicherte, bei Arbeitsverhinderung der Klägerin unter Angabe von Gründen unverzüglich, möglichst fernmündlich, Meldung zu machen. Bei schuldhafter Verletzung dieser Mitteilungspflicht war sie nach § 4 Abs 1 des Vertrages zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet; darüber hinaus minderte sich ihr Lohn in Höhe von drei Brutto-Tagesverdiensten. Ähnliche Folgen traten nach § 4 Abs 2 des Vertrages ein, wenn die Versicherte die Arbeit rechtswidrig und schuldhaft verlassen oder nicht aufnehmen sollte. Am 15. März 1990 nahm die Versicherte die vereinbarte Beschäftigung auf und arbeitete an diesem Tage 7,5 Stunden. An den folgenden Tagen erschien sie ohne Mitteilung von Gründen nicht zur Arbeit und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos zum 31. März 1990. Die Klägerin kürzte unter Bezugnahme auf § 4 Abs 1 des Vertrages den Lohn der Versicherten und meldete der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Wuppertal für sie ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt von 1 DM. Auf Nachfrage teilte sie der AOK mit, die Versicherte habe gegen ihre vertragliche Verpflichtung verstoßen, die Arbeitsverhinderung morgens in der Zeit zwischen 8 Uhr und 8.30 Uhr unter Angabe von Gründen der Klägerin mitzuteilen. Mit Bescheid vom 15. August 1990 und Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1990 setzte die AOK Wuppertal die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Versicherte auf 24,84 DM fest (Krankenversicherung 9,32 DM, Rentenversicherung 12,62 DM, Bundesanstalt für Arbeit ≪BA≫ 2,90 DM). Diesen Beiträgen legte sie den vereinbarten Stundenlohn von 9 DM und die am 15. März 1990 von der Versicherten erbrachte Arbeitsleistung von 7,5 Stunden, insgesamt also ein Arbeitsentgelt von 67,50 DM zugrunde. Für die Bemessung der Beiträge sei unerheblich, daß der Versicherten wegen eines Fehlverhaltens der Lohn tatsächlich nicht ausgezahlt worden sei.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiladung der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz (Beigeladene zu 1), der BA (Beigeladene zu 2) und der Versicherten (Beigeladene zu 3) die Klage mit Urteil vom 6. Januar 1992 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 19. Januar 1994 zurückgewiesen. Mit der Verrichtung der versicherungspflichtigen Beschäftigung durch die Versicherte seien die Beitragsansprüche entstanden. Eine nach diesem Entstehen vorgenommene Lohnminderung wirke sich auf die Beitragsbemessung nicht aus. Die AOK Wuppertal ist mit Wirkung vom 1. April 1994 mit anderen rheinischen Ortskrankenkassen zur AOK Rheinland, der jetzigen Beklagten, vereinigt worden.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 22 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV), des § 5 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), des § 1227 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 168 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) iVm den §§ 7 und 14 SGB IV.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 19. Januar 1994 und das Urteil des SG vom 6. Januar

1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. August 1990 in der Gestalt

des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 1990 aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt und zur Sache nicht Stellung genommen. Die Beigeladene zu 3) hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, ist der angefochtene Beitragsbescheid rechtmäßig.

Dieser Bescheid bezieht sich auf die Beschäftigung der Versicherten durch die Klägerin am 15. März 1990. An diesem Tage war die Versicherte aufgrund des Arbeitsvertrages gegen Entgelt beschäftigt und folglich mit Eintritt in die Beschäftigung (§ 186 Abs 1 SGB V), dh mit Arbeitsaufnahme, in der Krankenversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V) und in der Rentenversicherung (§ 1227 Satz 1 Nr 1 RVO) versicherungspflichtig sowie zur BA beitragspflichtig (§ 168 Abs 1 Satz 1 AFG). Der Versicherungs- und Beitragspflicht stand nicht entgegen, daß die Versicherte nur an einem Tag für die Klägerin arbeitete. Insbesondere handelte es sich weder um eine versicherungsfreie geringfügige Beschäftigung iS von § 8 SGB IV iVm § 7 SGB V und § 1228 Nr 4 RVO noch um eine beitragsfreie kurzzeitige Beschäftigung iS des § 102 iVm § 169a AFG; denn der Arbeitsvertrag war auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, so daß nach der für die Versicherungs- und Beitragspflicht maßgebenden vorausschauenden Betrachtungsweise bei Eintritt in die Beschäftigung davon ausgegangen werden mußte, daß das Arbeitsentgelt und die Arbeitszeit die in den genannten Vorschriften enthaltenen Grenzen überschreiten würden (vgl BSGE 58, 67, 71, 72 = SozR 2200 § 165 Nr 79). Die Revision bezweifelt auch nicht das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund der eintägigen Beschäftigung der Versicherten. Die Klägerin hat selbst die Lohnminderung so vorgenommen, daß nicht der gesamte Lohn entfiel, sondern daß ein Rest an Arbeitsentgelt in Höhe von 1 DM verblieb und damit die Entgeltlichkeit der Beschäftigung zum Ausdruck kam. Aufgrund der Versicherungs- und Beitragspflicht stand der Versicherten das Recht zu, in der Krankenversicherung bei Eintritt des Versicherungsfalles die jeweils gesetzlich vorgesehenen Leistungen zu beanspruchen; in der Renten- und Arbeitslosenversicherung konnten für sie Anwartschaften auf Leistungen entstehen. Da diese Systeme grundsätzlich beitragsfinanziert sind, ist die aufgrund einer Beschäftigung bestehende Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung und die Beitragspflicht zur BA in der Regel für die gesamte Dauer der betreffenden Beschäftigung mit der Pflicht zur Zahlung von Beiträgen verknüpft. Vorschriften, die hiervon abweichend zu einem anderen Ergebnis führen (zB § 192 SGB V), sind im vorliegenden Fall für die am 15. März 1990 bestehende Versicherung nicht erfüllt.

Als Arbeitgeberin der Versicherten war die Klägerin verpflichtet, gemäß § 28e SGB IV die entsprechenden Beiträge zu entrichten. Die Berechnung der Beiträge richtete sich in der Krankenversicherung nach § 226 Abs 1 Satz 1 SGB V, nach dessen hier allein in Betracht kommender Nr 1 das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung der Beitragsbemessung zugrunde gelegt wird. In der Rentenversicherung war nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden § 1385 Abs 3 Buchst a RVO das Bruttoarbeitsentgelt maßgebend. Der Bemessung der Beiträge zur BA liegt § 175 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG in der seit dem 1. Januar 1989 geltenden Fassung iVm § 168 AFG zugrunde. Danach ist für den beitragspflichtigen Arbeitnehmer Beitragsbemessungsgrundlage das Arbeitsentgelt aus einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung. Arbeitsentgelt sind nach dem seit dem 1. Juli 1977 geltenden § 14 Abs 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

Nach § 22 Abs 1 SGB IV, der gemäß § 179 AFG auch für die Beiträge zur BA gilt, entstehen die Beitragsansprüche der Versicherungsträger, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies war hier der Fall, weil am 15. März 1990 eine versicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigung gegen Entgelt tatsächlich ausgeübt wurde. Die Höhe des Beitragsanspruchs richtete sich nicht nur danach, welche Einnahmen die Versicherte aus ihrer Beschäftigung tatsächlich erhielt, sondern darüber hinaus auch nach den Einnahmen, die sie zwar nicht erhielt, die ihr aber für den genannten Tag von der Klägerin geschuldet wurden.

Die Entstehung der Beitragsansprüche hängt nicht davon ab, ob das geschuldete Arbeitsentgelt gezahlt wurde, es dem Arbeitnehmer also zugeflossen ist. Dies galt zwar zum Teil nicht für die Zeit zwischen 1944 und 1977, in der das steuerliche Zuflußprinzip Eingang ins Beitragsrecht gefunden hatte. Jedenfalls für die Zeit nach dem Inkrafttreten des SGB IV und der damit verbundenen Abkehr vom Zuflußprinzip im Beitragsrecht ist es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für das Entstehen der jeweiligen Beitragsansprüche nicht notwendig, daß der Arbeitgeber das geschuldete Arbeitsentgelt auch gezahlt hat (vgl hierzu BSGE 75, 61, 65, 66 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5 mwN). Hierfür ist insbesondere entscheidend, daß die Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung sowie die Beitragspflicht zur BA schon am Tage der Aufnahme der Beschäftigung gegen Entgelt und nicht erst mit dessen tatsächlichen Zahlung beginnen; ferner, daß nach § 23 Abs 1 SGB IV Beiträge unabhängig von der Zahlung oder der Fälligkeit des Arbeitsentgelts fällig werden (vgl BSGE 75 aaO).

Ein Anspruch der Versicherten auf Vergütung ist nach § 611 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) iVm dem Arbeitsvertrag jedenfalls in Höhe von 67,50 DM, nämlich des Betrages entstanden, der der Beitragsbemessung zugrunde gelegt worden ist. Die Versicherte hat diesen Anspruch nicht dadurch verloren, daß sie nach dem 15. März 1990 die von ihr geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbracht hat. Auch wenn man annimmt, daß die Klägerin diese Nichtleistung nicht zu vertreten hat, liegt darin nur ein teilweises, nicht ein völliges Unmöglichwerden der von der Versicherten zu erbringenden Arbeitsleistung. Die aber führt nicht zum völligen Verlust des Gegenanspruchs, sondern nur zu dessen Herabsetzung im Verhältnis des Wertes der gesamten geschuldeten zur wirklich erbrachten Arbeitsleistung (§ 323 Abs 1 iVm § 472 sowie § 325 Abs 1 Satz 3 BGB). Hieraus folgt, daß die Versicherte den Anspruch auf Vergütung für die 7,5 am 15. März 1990 geleisteten Arbeitsstunden in Höhe von 67,50 (7,5 x 9 DM) nicht wegen ihres anschließenden Fernbleibens von der Arbeit verloren hat.

War somit ein - wenn auch noch nicht fälliger - Lohnanspruch in Höhe von 67,50 DM entstanden, war auch mit der Ausübung der Beschäftigung am 15. März 1990 ein auf diesem Betrag beruhender Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entstanden. Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin eine Lohnminderung vorgenommen hat. Die Klägerin hat nach den Feststellungen des LSG diese auf § 4 Abs 1 iVm § 3 Abs 6 des Arbeitsvertrages gestützt, wonach bei schuldhafter Verletzung der Pflicht, bei Arbeitsverhinderung unter Angabe von Gründen dem Arbeitgeber Mitteilung zu machen, neben der Schadensersatzpflicht eine Lohnminderung in Höhe von drei Brutto-Tagesverdiensten eintritt. Somit trat die Lohnminderung bei Verletzung einer Nebenpflicht durch den Arbeitnehmer ein, ohne daß ein Schaden nachgewiesen zu werden brauchte. Die in § 4 Abs 1 des Arbeitsvertrages neben der Schadensersatzpflicht vorgesehene Lohnminderung bei Verletzung der Mitteilungspflicht stellt rechtlich eine Vertragsstrafe iS des § 339 Satz 1 BGB dar. Im vorliegenden Fall ist zwar bei Verwirkung der Vertragsstrafe nicht ausdrücklich die Zahlung einer Geldsumme, sondern eine Lohnminderung vorgesehen. Damit wird der vertraglichen Abrede aber nicht der Charakter der Vertragsstrafe genommen. Es steht den Vertragsparteien grundsätzlich frei zu vereinbaren, wie bei Verwirkung einer Vertragsstrafe zu verfahren ist, ob also - wie hier - der Anspruch auf rückständigen Lohn in Höhe der Vertragsstrafe erlischt oder ob eine selbständige Forderung entsteht, mit der gegen den Lohnanspruch aufgerechnet werden kann. Die Gestaltung der Abwicklung einer verwirkten Vertragsstrafe hat aber keinen Einfluß auf den Rechtscharakter der Vertragsstrafe selbst (vgl Staudinger-Richardi, BGB, Komm, 12. Aufl 1993, § 611 RdNr 754).

Die Vereinbarung von Vertragsstrafen ist im Arbeitsvertrag grundsätzlich zulässig, sofern sie nicht gegen zwingende Rechtsvorschriften verstoßen (vgl BAG AP Nr 12 und Nr 14 zu § 339 BGB; BAG EzA Nr 8 zu § 339 BGB). Ob insoweit die in § 4 Abs 1 des Arbeitsvertrages getroffene Abrede mit § 134 Abs 1 der Gewerbeordnung (Verbot der Lohnminderung über durchschnittlichen Wochenlohn hinaus) und mit § 394 BGB (Aufrechnungsverbot bei nicht pfändbaren Bezügen; vgl Staudinger-Richardi aaO) vereinbar ist, ist zweifelhaft. Weiterhin ist wegen § 340 Abs 2 BGB fraglich, ob vereinbart werden durfte, daß der Arbeitgeber die Vertragsstrafe neben dem vollen Schadensersatz fordern darf (vgl BGHZ 63, 256, 258 ff). Ferner kann mangels entsprechender Feststellungen nicht beurteilt werden, ob die Versicherte ihre Mitteilungspflicht schuldhaft nicht erfüllt hat.

Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, § 4 Abs 1 des Arbeitsvertrages sei rechtmäßig und die Versicherte habe schuldhaft ihre Mitteilungspflicht verletzt, ist damit die von der Beklagten geltend gemachte Beitragsforderung nicht erloschen. Diese ist, nachdem der Vergütungsanspruch bereits mit Abschluß des Arbeitsvertrages entstanden und die geschuldete Gegenleistung für 7,5 Stunden erbracht worden ist, mit der Beschäftigung am 15. März 1990 entstanden. Dagegen lag der Zeitpunkt des pflichtwidrigen Unterlassens, durch das die Vertragsstrafe verwirkt wurde, später. Der für Verwirkung der Vertragsstrafe iS des § 339 BGB maßgebende Zeitpunkt ist der, zu dem der Schuldner in Verzug kommt. Ist die Erfüllung der mit einer Vertragsstrafe bewehrten Verpflichtung - wie hier der Mitteilungspflicht - infolge Verschuldens des Schuldners unmöglich geworden, ist der Zeitpunkt des Unmöglichwerdens - anstelle des Verzuges - der für Verwirkung der Vertragsstrafe maßgebende Zeitpunkt (BGH LM Nr 2 zu § 339 BGB). Im vorliegenden Fall steht nicht fest, wann es der Versicherten unmöglich geworden ist, die Mitteilung über ihre Abwesenheit zu machen. Jedenfalls konnte die Versicherte ihre Verhinderung noch am Morgen des 16. März 1990 vor Beginn der vereinbarten Arbeitszeit anzeigen, so daß die Unmöglichkeit, ihre Mitteilungspflicht zu erfüllen, erst an diesem Tage eintrat.

Tritt aber - wie hier - die Verwirkung einer Vertragsstrafe erst ein, nachdem der Beitragsanspruch schon entstanden ist, kann sie dessen Bestehen und Höhe nicht mehr beeinflussen. Das gilt auch dann, wenn § 4 Abs 1 des Arbeitsvertrages dahingehend auszulegen ist, daß bei Verwirkung der Vertragsstrafe der Lohnanspruch rückwirkend gemindert wird. Die Beitragsforderung ist eine öffentlich-rechtliche Forderung, die insbesondere hinsichtlich ihres Entstehens (§ 22 SGB IV) und ihrer Fälligkeit (§ 23 SGB IV) dem öffentlichen Recht unterliegt. Demgegenüber unterliegt der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgelt dem bürgerlichen Recht, und zwar hinsichtlich des Entstehens dem § 611 Abs 1 BGB und hinsichtlich seiner Fälligkeit dem § 614 BGB. Die genannten öffentlich-rechtlichen Regelungen weichen erheblich von den zivilrechtlichen ab. Hinzu kommt, daß der Entgeltanspruch wegen der im Zivilrecht bestehenden Vertragsfreiheit weitgehend einzelvertraglichen oder tariflichen Abreden unterliegt, während die Beitragsforderung nicht abdingbar ist. Diese Unterschiede schließen es aus, daß eine verwirkte Vertragsstrafe, die zu einer Lohnkürzung führt, sich ohne gesetzliche Grundlage auch auf die öffentlich-rechtliche Beitragsforderung auswirkt. Würde man, wie dies die Revision im Ergebnis verlangt, Gegenforderungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis oder anderen privatrechtlichen Forderungen den Vorrang vor den öffentlich-rechtlichen Beitragsansprüchen einräumen, würde dies letztlich zu der Folge führen, daß ein Arbeitnehmer aufgrund der Beschäftigung zwar gegen die Risiken von Krankheit, Invalidität, Alter und Arbeitslosigkeit versichert ist, daß hierfür Beiträge aber nicht gezahlt werden. Solches würde die Versichertengemeinschaft unangemessen belasten.

Eine Verbindung zwischen dem Entgeltanspruch des Arbeitnehmers und der Beitragsforderung der Einzugsstelle besteht allerdings insofern, als der Eintritt der Versicherungspflicht von der Aufnahme eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses und, soweit Entgeltgrenzen bestehen, auch von der Höhe des Entgelts abhängt. Unter diesen Umständen haben es die Parteien von Arbeitsverträgen und die Tarifparteien in der Hand, durch Vereinbarung der Höhe des Entgelts den Eintritt der öffentlich-rechtlichen Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses mit entsprechenden Beitragsforderungen der Einzugsstelle auszulösen. Ist dieses jedoch einmal geschehen, so können sie das Versicherungsverhältnis in seiner öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung durch ein späteres Verhalten für die Vergangenheit nicht mehr beeinflussen (vgl BSGE 75, 61, 66, 67 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5).

Soweit sich die Klägerin auf das Urteil des BSG vom 28. Februar 1967 (BSGE 26, 120 = SozR Nr 20 zu § 160 RVO - Rückzahlklausel bei Weihnachtsgeld) beruft, ist diese Entscheidung für den jetzigen Rechtszustand schon deshalb nicht maßgebend, als sie lange vor Inkrafttreten des SGB IV (1. Juli 1977) und mithin zu einer Zeit ergangen ist, als das Zuflußprinzip im Beitragsrecht noch galt. Im übrigen ist der Entgeltanspruch im vorliegenden Fall - anders als in dem genannten Urteil - nicht unter einer Bedingung entstanden. Auch bezieht sich eine arbeitsrechtlich zulässige Rückzahlungsklausel bei Weihnachtsgeld auf eine zusätzlich zum regelmäßigen Arbeitsentgelt gewährte Einmalzahlung. Selbst wenn sich eine solche unter einer auflösenden Bedingung geleistete Einmalzahlung auch nach heutigem Recht auf die Höhe des Beitragsanspruchs auswirken sollte, kann daraus weder geschlossen werden, daß regelmäßig zu zahlendes Arbeitsentgelt unter entsprechenden Bedingungen gezahlt werden darf, noch, daß bei Eintritt der Bedingung eine darauf entstandene Beitragsforderung entfällt.

Da der Bescheid auch im übrigen rechtmäßig ist, war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE 78, 224-229 (Leitsatz 1 und Gründe)

BSGE, 224

NWB 1997, 5

RegNr, 22513 (BSG-Intern)

AuB 1996, 345-347 (Leitsatz 1 und Gründe)

DOK 1997, 545 (Leitsatz)

USK, 9620 (Leitsatz 1 und Gründe)

WzS 1997, 152 (Kurzwiedergabe)

WzS 1997, 281 (Leitsatz 1 und Gründe)

ZAP, EN-Nr 64/97 (red. Leitsatz)

AuA 1996, 433

AuA 1996, 433 (Kurzwiedergabe)

DBlR 4312a, AFG/§ 175 (Gründe)

Die Beiträge Beilage 1997, 21-26 (Leitsatz 1 und Gründe)

EzS, 50/302 (Gründe)

HVBG-INFO 1997, 291, 295-298 (Leitsatz 1 und Gründe)

MDR 1996, 1268-1269 (Leitsatz und Gründe)

NZA-RR 1997, 152 (Leitsatz 1)

RV 1996, 176 (Kurzwiedergabe)

SGb 1997, 130-132 (Leitsatz 1 und Gründe)

SozR 3-2200 § 1385, Nr 3 (Leitsatz)

SozR 3-2400 § 22, Nr 1 (Leitsatz)

SozR 3-2500 § 226, Nr 2 (Leitsatz 1 und Gründe)

SozSich 1996, 438 (Kurzwiedergabe)

SozVers 1997, 138-140 (Gründe)

ZfS 1997, 24-27 (Leitsatz 1 und Gründe)

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