Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. familienhafte Mithilfe. Pflege von Angehörigen. Pflegeverhältnis

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung zwischen versicherungspflichtiger Beschäftigung und familienhafter Mithilfe bei der Pflege von Angehörigen.

 

Orientierungssatz

1. Wird dem im Haushalt des Betriebsinhabers lebenden und im Betriebe tätigen Verwandten nur freier Unterhalt einschließlich eines geringfügigen Taschengeldes gewährt und stellen diese Bezüge keinen Gegenwert für die Arbeit dar, so wird man das Vorliegen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses verneinen können. Dagegen ist die Zahlung verhältnismäßig nicht geringfügiger laufender Bezüge, insbesondere in Höhe des ortsüblichen oder des tariflichen Lohnes, ein wesentliches Merkmal für das Bestehen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses. Ein wichtiger Anhalt ist auch die steuerliche Behandlung (vgl BSG 29.3.1962 3 RK 83/59 = BSGE 17, 1, 3 ff).

2. Zu den unverzichtbaren Mindestanforderungen für die Anerkennung eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses unter Angehörigen gehört, daß die Bezüge für die erbrachte Dienstleistung trotz gewisser Zugeständnisse an den Angehörigen noch den Charakter einer Gegenleistung für geleistete Arbeit haben und sie über einen etwa gewährten freien Unterhalt, ein Taschengeld oder eine Anerkennung für Gefälligkeiten hinausgehen.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1945-03-17; RVO § 165 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1970-12-21; AVG § 2 Abs 1 Nr 1; AFG § 168 Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 28.02.1985; Aktenzeichen VI KRBf 33/83)

SG Hamburg (Entscheidung vom 23.08.1983; Aktenzeichen 21 KR 199/81)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin vom 1. Juli 1981 bis zum 7. Februar 1983 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu ihrer Mutter gestanden hat.

Die 1933 geborene Klägerin war seit Februar 1955 als medizinisch- technische Assistentin versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Zum 31. Dezember 1978 wurde ihr aus betrieblichen Gründen gekündigt. Sie pflegte ihre 1898 geborene, schwerkranke und pflegebedürftige Mutter bis zu deren Tod am 7. Februar 1983; die Angaben des angefochtenen Urteils darüber, ob die Klägerin die Pflege schon während ihrer Berufstätigkeit ausgeübt (so Seite 10) oder sie erst nach deren Ende übernommen hat (so Seite 2), sind unklar. Die Klägerin lebte mit ihrem Lebensgefährten in dessen Haus, in dem er eine andere Wohnung an die Mutter der Klägerin vermietet hatte. Die Mutter bezog eine Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung von zuletzt 482,40 DM monatlich, eine Kriegshinterbliebenenrente vom Versorgungsamt von zuletzt 716 DM monatlich und Kriegsopferfürsorge vom Bezirkssozialamt von zuletzt 822 DM monatlich. Die Leistung des Bezirkssozialamts setzte sich zusammen aus einem pauschalen Pflegegeld nach § 69 Abs 4 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), einem Zuschuß nach § 69 Abs 2 BSHG in Höhe der Beträge, die die Klägerin für die freiwillige Fortsetzung ihrer Rentenversicherung aufwandte (zuletzt 259 DM monatlich) und einem Krankheitskostenzuschuß nach § 23 BSHG iVm § 27a des Bundesversorgungsgesetzes. Die vom Bezirkssozialamt gezahlten Beträge erhielt die Klägerin von ihrer Mutter, und zwar nach einer Bemerkung im Tatbestand des angefochtenen Urteils "als Entgelt für die geleistete Pflege".

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 20. Februar 1980 unter Aufhebung eines früheren, anders lautenden Bescheides fest, die Klägerin stehe aufgrund der Pflege ihrer erkrankten Mutter zu dieser in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Unter dem 15. Mai 1981 schrieb sie der Klägerin jedoch, sie könne an dieser Beurteilung im Hinblick auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. August 1980 - 7 RAr 106/79 - nicht mehr festhalten und gebe Gelegenheit zur Äußerung. Mit Bescheid vom 16. Juli 1981 stellte die Beklagte das Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung zum 30. Juni 1981 fest und hob ihre "hierzu ergangenen Verwaltungsakte" mit Wirkung vom 1. Juli 1981 auf. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. September 1981, Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. August 1983, Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Hamburg vom 28. Februar 1985).

Das LSG hat zur Begründung seines Urteils im wesentlichen ausgeführt: Das Pflegeverhältnis erfülle nicht die Merkmale eines versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Es sei unwahrscheinlich, daß die Mutter Arbeitgeberin habe sein wollen und sie überhaupt Veranlassung gehabt habe, das familiäre Verhältnis zu ihrer Tochter in ein Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten umzuwandeln. Nach dem Klagevortrag und der Lebenserfahrung sei vielmehr davon auszugehen, daß sie sich der Rolle einer Arbeitgeberin nicht bewußt gewesen sei. Die Meldung des Haushalts beim Arbeitsamt, beim Finanzamt und bei der Unfallversicherung, das Ausstellen einer Lohnsteuerkarte und das Abführen von Rentenversicherungsbeiträgen reichten nicht aus, ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu begründen. Nach der Natur der Sache sei die Klägerin zwar nach Ort, Zeit und Dauer ihrer Pflegetätigkeit in den Haushalt ihrer Mutter eingegliedert gewesen. Einem umfassenden Weisungsrecht habe sie aber nicht unterlegen. Es entspreche nicht dem Wesen der Kranken- oder gar der Altenpflege, daß der Pfleger auf Weisung des Pfleglings tätig werde. Ein Leidender sei in aller Regel auch nicht in der Lage, vernünftige Weisungen zur Ausgestaltung der Pflege zu erteilen, während andererseits die Klägerin selbst aufgrund ihrer früheren Tätigkeit über das erforderliche Fachwissen verfügt habe. Die Klägerin sei ferner schon familienrechtlich zu Pflegeleistungen verpflichtet gewesen. Es sei auch nicht erkennbar, warum die Pflege, die schon vor 1979 und damals nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages geleistet worden sei, später auf die Ebene vertraglicher Beziehungen gehoben worden sein solle. Dieses widerspreche auch den normalen Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern und wirke gekünstelt. Die Klägerin habe für ihre Tätigkeit, bei der sie zuletzt Tag und Nacht im Einsatz gewesen sei, kein adäquates Gehalt bekommen. Sie habe monatlich nur 700 DM erhalten, von denen ihr nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge nur etwa 390 DM netto und damit weniger als der Sozialhilfesatz verblieben seien. Die Mutter habe hinsichtlich der Entlohnung auch keine Disposition getroffen; vielmehr seien die Zahlungen des Sozialamts einfach an die Klägerin weitergeleitet worden. Schließlich habe die Klägerin im Verhinderungsfall eine Ersatzkraft stellen müssen, die von ihr besorgten Ersatzkräfte hätten wöchentlich 1.000 DM erhalten. Allenfalls komme ein Dienstvertragsverhältnis als selbständige Pflegekraft, nicht aber eine abhängige Beschäftigung in Betracht.

Die Klägerin hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt und macht im wesentlichen geltend: Das LSG habe die Voraussetzungen für ein unter Verwandten bestehendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis verkannt; es habe zu strenge Anforderungen gestellt. Für ein Arbeitsverhältnis spreche: Der von ihrem (der Klägerin) getrennte Haushalt der Mutter sei dem Arbeitsamt, der Unfallversicherung und dem Finanzamt gemeldet gewesen, das eine Betriebsprüfung ohne Beanstandung vorgenommen habe. Sie (die Klägerin) habe eine Lohnsteuerkarte besessen, für sie sei regelmäßig Lohnsteuer abgeführt und 1980 der Lohnsteuerjahresausgleich durchgeführt worden. Eine etwa an ihrer Stelle eingestellte Krankenschwester wäre abhängig Beschäftigte gewesen, und jede Pflegeperson habe sich nach den Wünschen ihrer Mutter richten müssen. Das LSG habe die Verwandtschaft zu Unrecht als Argument gegen ein Beschäftigungsverhältnis verwendet. Daß sich in der Pflege der Mutter vom 1. Januar 1979 an nichts geändert habe, treffe nicht zu. Damals sei sie nämlich aus ihrer früheren Beschäftigung ausgeschieden und habe allein die Pflege ihrer Mutter übernommen. Auch stehe die Höhe des gezahlten Entgelts der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen. Der Lohn könne frei vereinbart und dabei auf die Familie Rücksicht genommen werden. Außerdem habe sie (die Klägerin) ihre Mutter nicht "rund um die Uhr" zu betreuen brauchen, sondern auch den eigenen Haushalt und den ihres Lebensgefährten versorgen können. Ihrem Lohn seien schließlich kostenlose Wohnung und Beköstigung wertmäßig hinzuzurechnen. Das vergleichsweise hohe Entgelt einer Aushilfskraft könne nicht herangezogen werden. Die Klägerin hat einen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 8. November 1979 in Fotokopie vorgelegt. Darin ist eine Petition, mit der sie sich an den Bundestag gewandt hat, dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung als Material überwiesen worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. Februar 1985 und des Sozialgerichts Hamburg vom 23. August 1983 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1981 aufzuheben und festzustellen, daß sie (die Klägerin) auch in der Zeit vom 1. Juli 1981 bis zum 7. Februar 1983 in einem versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu ihrer Mutter gestanden hat.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend. Die Beklagte trägt noch vor: Die von der Klägerin angeführten Tatsachen seien zwar Indizien für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, aber nicht allein entscheidend. Insgesamt gesehen wirke die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses gekünstelt. Ein Vergleich zu einer fremden Pflegekraft könne nicht gezogen werden, weil bei ihr anders als bei der Klägerin die Tätigkeit vornehmlich durch vertragliche Vereinbarungen und nicht (auch) durch familiäre Bande geprägt werde. Auch von Familienfremden würden Pflegetätigkeiten sogar manchmal unentgeltlich und aus freien Stücken erbracht. Ein wichtiger Anhalt für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sei dagegen die Zahlung "verhältnismäßig nicht geringfügiger laufender Bezüge", insbesondere in Höhe des ortsüblichen oder tariflichen Lohnes; daran fehle es aber hier.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung an das LSG begründet. Die bisherigen Ausführungen des LSG reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Juli 1981 das Ende des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin bei ihrer Mutter zum 30. Juni 1981 festgestellt. Gleichzeitig hat sie die "hierzu ergangenen Verwaltungsakte" mit Wirkung vom 1. Juli 1981 aufgehoben. Damit war der Bescheid vom 20. Februar 1980 gemeint, in dem die Beklagte unter Aufhebung eines früheren Bescheides festgestellt hatte, daß für die Klägerin aufgrund eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zu ihrer Mutter Versicherungs- und Beitragspflicht bestehe.

Ob die Beklagte mit dem Bescheid vom 16. Juli 1981 den früheren Bescheid vom 20. Februar 1980 aufheben durfte, richtet sich nach Art 1 §§ 44 bis 49 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) vom 18. August 1980 (BGBl I S 1469). Diese Regelung ist gemäß Art II § 40 Abs 2 Satz 1 SGB 10 erstmals anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt aufgehoben wird, wie das hier im Bescheid vom 16. Juli 1981 geschehen ist. Dies gilt nach Satz 2 auch dann, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist. Ausgenommen von der Anwendung des neuen Rechts sind gemäß Satz 3 lediglich solche Verwaltungsakte in der Sozialversicherung, die bereits bestandskräftig waren und bei denen auch nach § 1744 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor dem 1. Januar 1981 geltenden Fassung (RVO aF) eine neue Prüfung nicht vorgenommen werden konnte. Für den Bescheid vom 20. Februar 1980 traf das nicht zu. Er war zwar vor dem 1. Januar 1981 bestandskräftig geworden, gehörte aber nicht zu den in ihrem Bestand besonders geschützten und nur unter den Voraussetzungen des § 1744 RVO aF überprüfbaren Verwaltungsakten. Denn diese Vorschrift bezog sich grundsätzlich nur auf Leistungsbescheide, allenfalls noch auf Bescheide mit leistungsähnlichem Inhalt wie über die Vormerkung einer Versicherungszeit oder über die Eintragung in eine Versicherungskarte (vgl zuletzt und mwN BSGE 56, 165, 167; 58, 49, 50). Bescheide, in denen über die Versicherungs- und Beitragspflicht entschieden worden war, waren nicht nach § 1744 RVO aF privilegiert. Sie waren vielmehr nach den damals noch anzuwendenden allgemeinen (ungeschriebenen) Grundsätzen des Verwaltungsrechts aufhebbar.

Die Beklagte hat mit ihrem Bescheid vom 16. Juli 1981 den früheren Bescheid (vom 20. Februar 1980) mit Wirkung vom 1. Juli 1981 "aufgehoben". Sie wollte diesen Bescheid damit erkennbar nach Art I § 45 SGB 10 von dem genannten Zeitpunkt an zurücknehmen. Ob das zulässig war, richtet sich in erster Linie danach, ob der Bescheid vom 20. Februar 1980 rechtswidrig war. Dies hängt davon ab, ob die Klägerin bei ihrer Mutter in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis stand, das Versicherungspflicht in der Krankenversicherung (§ 165 Abs 1 Nr 2 RVO) und in der Rentenversicherung der Angestellten (§ 2 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-) sowie Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (§ 168 Abs 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG-) begründete. Bedenken dagegen bestehen hier vor allem deswegen, weil es sich auch um eine nicht versicherungs- und beitragspflichtige familienhafte Mithilfe gehandelt haben kann.

Die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und familienhafter Mithilfe hängt nach der Rechtsprechung des BSG von den gesamten Umständen des Einzelfalles ab. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wird anzunehmen sein, wenn der Beschäftigte auf die Verwertung seiner Arbeitskraft angewiesen ist, er in den Betrieb nach Art eines Arbeitnehmers eingegliedert und dementsprechend dem Weisungsrecht des Betriebsinhabers - wenn auch in abgeschwächter Form - unterworfen ist und schließlich für seine Mitarbeit Arbeitsentgelt bezieht. Für die Feststellung, ob die dem mitarbeitenden Verwandten gewährten Leistungen Entgelt - dh einen Gegenwert - für die geleistete Arbeit darstellen, ist insbesondere die Höhe der gewährten Leistungen (Geld- und Sachbezüge) sowie ihr Verhältnis zu Umfang und Art der im Betrieb verrichteten Tätigkeit von Bedeutung. Wird dem im Haushalt des Betriebsinhabers lebenden und im Betriebe tätigen Verwandten nur freier Unterhalt einschließlich eines geringfügigen Taschengeldes gewährt und stellen diese Bezüge keinen Gegenwert für die Arbeit dar, so wird man das Vorliegen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses verneinen können. Dagegen ist die Zahlung verhältnismäßig nicht geringfügiger laufender Bezüge, insbesondere in Höhe des ortsüblichen oder des tariflichen Lohnes, ein wesentliches Merkmal für das Bestehen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses. Ein wichtiger Anhalt ist auch die steuerliche Behandlung. (Zum Ganzen: BSGE 3, 30, 40; ferner BSGE 17, 1, 3 ff; auch BSGE 12, 153, 156).

Die insoweit für die Abgrenzung wesentlichen Merkmale sind mit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs - Allgemeine Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) vom 23. Dezember 1976 (BGBl I S 3845) nicht näher konkretisiert worden. § 7 Abs 1 SGB 4 bestimmt lediglich, daß unter einer Beschäftigung "die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis" zu verstehen ist. Die Unterscheidung ist daher weiterhin anhand der erwähnten Grundsätze vorzunehmen. Sie stößt in der Praxis vor allem deswegen auf Schwierigkeiten, weil teilweise in der Familie schon gesetzliche Dienstleistungspflichten bestehen (vgl § 1619 BGB, früher § 1617 BGB) und auch in entgeltlichen Beschäftigungsverhältnissen unter Angehörigen vielfach auf die familiäre Beziehung Rücksicht genommen wird, etwa hinsichtlich der Ausübung des Weisungsrechts, bei der Arbeitszeit oder bei der Höhe der Entlohnung. Deswegen kann jedoch nicht auf gewisse Mindestanforderungen an ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis auch unter Angehörigen verzichtet werden. Sonst würden entgeltliche Beschäftigungsverhältnisse unter ihnen in einer dem Gesetz nicht mehr entsprechenden Weise lediglich fingiert. Das würde auch Mißbräuchen Vorschub leisten. Zu den unverzichtbaren Mindestanforderungen gehört, wie sich bereits aus der dargelegten Rechtsprechung ergibt, daß die Bezüge für die erbrachte Dienstleistung trotz gewisser Zugeständnisse an den Angehörigen noch den Charakter einer Gegenleistung für geleistete Arbeit haben und sie über einen etwa gewährten freien Unterhalt, ein Taschengeld oder eine Anerkennung für Gefälligkeiten hinausgehen. So hat der erkennende Senat auch neuerdings in einem Urteil, in dem es - wenn auch in anderem Zusammenhang - ebenfalls darum ging, die Mindestanforderungen an eine versicherungspflichtige Beschäftigung zu bestimmen, in Art und Umfang der für die Arbeitsleistung erbrachten Gegenleistung das wichtigste Unterscheidungsmerkmal gesehen (BSGE 58, 67, 70 f).

Hiervon ist auch auszugehen, wenn es Pflegeverhältnisse unter Angehörigen zu beurteilen gilt. Die Äußerung des Petitionsausschusses des Bundestages zu der Petition der Klägerin - Pet (600) -8-8231-27764 - (BT-Drucks 8/3278 S 2, Sammelübersicht, Gründe vom 17. Oktober 1979, Prot. Nr. 8/69) ist hiermit vereinbar. Darin heißt es, schon das geltende Recht biete die Möglichkeit, das Pflegeverhältnis so zu gestalten, daß es der Versicherungspflicht unterliege. Dieses hält auch der Senat für zulässig und möglich, sofern die erwähnten Mindestanforderungen an ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis erfüllt werden. Von ihnen kann die Rechtsprechung weder im Hinblick auf "die auch aus der Eingabe ersichtlichen vielfachen Unklarheiten oder Schwierigkeiten", wegen deren schon der Petitionsausschuß (aaO) eine gesetzliche Regelung für wünschenswert gehalten hat, noch deswegen absehen, weil der sozialversicherungsrechtliche Schutz von Pflegepersonen sozialpolitisch wünschenswert ist. Hier eine Regelung zu treffen, ist vielmehr Sache des Gesetzgebers (so schon der 7. Senat in seinem Urteil vom 14. August 1980 - 7 RAr 106/79 -), der dazu verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten hat. Die weitere Behandlung der verschiedenen Entwürfe zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (BT-Drucks 10/2609, BR-Drucks 81/86, BR-Drucks 137/86, BR-Drucks 138/86, BR-Drucks 270/86) bietet hierzu Anlaß und Gelegenheit. Die Bundesregierung hält in ihrem Entwurf, der selbst eine entsprechende Regelung allerdings noch nicht vorsieht, im Anschluß an ihren Bericht zu Fragen der Pflegebedürftigkeit (BT-Drucks 10/1943, S 15 oben links) für verbesserungsbedürftig "auch die soziale Sicherung der Pflegepersonen, die - in der Mehrzahl Frauen - eine Erwerbstätigkeit unterbrechen, aufgeben oder überhaupt nicht aufnehmen und sich uU jahrelang der häuslichen Pflege ihrer Angehörigen widmen. Insbesondere ist die Alterssicherung dieser Pflegepersonen derzeit unbefriedigend" (BR-Drucks 270/86, S 20).

Ob das LSG bei der hier erforderlichen Abgrenzung zwischen einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und einer familienhaften Mithilfe in rechtlicher Hinsicht von den dargelegten Grundsätzen ausgegangen ist, vermochte der Senat dem angefochtenen Urteil nicht mit hinreichender Gewißheit zu entnehmen. Die darin eingangs der Entscheidungsgründe zitierte Rechtsprechung des BSG betrifft nicht diese Unterscheidung, sondern die zwischen einer abhängigen Beschäftigung und einer selbständigen Tätigkeit. Manche Formulierungen des angefochtenen Urteils könnten auch darauf hindeuten, daß das LSG bei Pflegeverhältnissen unter nahen Angehörigen von einer gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechenden Vermutung ausgegangen ist. Eine solche besteht jedoch nicht. Auch ist bei den Ausführungen zur Weisungsbefugnis des Arbeitgebers möglicherweise nicht genügend berücksichtigt worden, daß seine Weisungen nicht in Einzelheiten zu gehen brauchen, zumal wenn nur der Arbeitnehmer, nicht aber auch der Arbeitgeber über die Sachkunde verfügt, die für die Verrichtung der Dienste erforderlich ist. Ob die Mutter der Klägerin nicht mehr in der Lage war, ein Beschäftigungsverhältnis zu begründen, läßt das Urteil mangels konkreter Angaben zu ihrem Gesundheitszustand nicht erkennen.

Der Senat hat aus diesen Gründen das Urteil des LSG aufgehoben, damit das LSG den gesamten Sachverhalt umfassend neu rechtlich würdigt; dieses ist dem Revisionsgericht im vorliegenden Verfahren nicht möglich, weil dazu noch tatsächliche Feststellungen fehlen. Seiner neuen Entscheidung wird das LSG stärker als bisher konkrete Tatsachen zugrunde legen müssen, die entweder bereits feststehen oder noch festzustellen sind. Diese können durch Ausführungen allgemeiner Art, die sich in erheblichem Umfang auf die Annahme von Wahrscheinlichkeiten, die Natur der Sache, die Lebenserfahrung oder das "Wesen" der Alten- und Krankenpflege berufen, nicht ersetzt werden. Insbesondere wird das LSG zu der, wie dargelegt, bedeutsamen Frage der Entlohnung widerspruchsfreie und präzisere Feststellungen treffen müssen. Bisher heißt es in diesem Zusammenhang, die Klägerin habe die vom Sozialamt gezahlten Beträge von ihrer Mutter als Entgelt erhalten; andererseits wird in den Entscheidungsgründen von einem Aufwendungsersatz gesprochen, den die Mutter vom Sozialhilfeträger erhalten und zusammen mit ihrem Pflegegeld an die Klägerin lediglich weitergeleitet habe, ohne eine eigene Vermögensposition zu treffen. Als Zahlungen des Bezirkssozialamts werden im Tatbestand (Seite 2/3 des Urteils) zuletzt 822 DM monatlich angegeben. In den Entscheidungsgründen wird - anscheinend im Anschluß an den Vortrag der Klägerin im Prozeß (Seite 4 oben des Urteils) - davon ausgegangen, sie habe monatlich 700 DM erhalten, wovon ihr nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge nur etwa 390 DM netto verblieben seien (Seite 11 des Urteils). Hierzu leuchtet nicht ohne weiteres ein, warum die im Verhältnis zum Entgelt hohen Sozialversicherungsbeiträge, bei denen es sich wohl nur um freiwillige Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung gehandelt haben kann, einem etwa gezahlten Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen sein sollten. Das LSG hat auch nicht festgestellt, welches Entgelt an eine fremde Pflegekraft zu zahlen gewesen wäre. Hierauf läßt die Zahlung von 1.000 DM wöchentlich an Aushilfskräfte nicht zuverlässig schließen. Erst wenn dieses bekannt ist, wozu auch der erforderliche Pflegeaufwand zu ermitteln wäre, kann abschließend beurteilt werden, ob die Klägerin eine Gegenleistung (in Geld und etwa auch in Form von Sachbezügen) erhalten hat, die noch als für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausreichendes Arbeitsentgelt angesehen werden könnte.

Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, daß der frühere Bescheid rechtswidrig war, wird es auch prüfen müssen, ob die übrigen Voraussetzungen für eine Rücknahme mit Wirkung vom 1. Juli 1981 vorlagen.

Abschließend wird das LSG - auch hinsichtlich des Revisionsverfahrens - zu entscheiden haben, ob die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten zu erstatten haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1662597

NJW 1988, 843

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