Leitsatz (amtlich)

1. Die Übertragung von Anordnungsrecht (AFG § 39) auf den Verwaltungsrat der BA ist mit dem GG vereinbar (Anschluß an BSG 1973-01-30 7 RAr 29/72 = BSGE 35, 164, 166).

2. Der in AFG § 39 eingeräumte Regelungsspielraum überschreitet im Bereich von Fortbildung und Umschulung nicht die vom GG gezogenen Grenzen.

3. AFuU § 3 Abs 2 (Fassung: 1969-12-18) verstößt nicht gegen Vorschriften des AFG und des GG.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die der BA in AFG § 39 erteilte Ermächtigung zum Erlaß von satzungsrechtlichen Anordnungen, die der Ausführung des Gesetzes dienen, ist nicht verfassungswidrig (Bestätigung von BSG 1973-01-30 7 RAr 29/72 = Dienstbl BA C AFG § 40 (Nr 1705a).

2. AFuU § 3 Abs 2 S 2, wonach eine Umschulung in der Regel nur nach einer vorangegangenen Berufstätigkeit von mehr als drei Jahren gefordert werden kann, hält sich im Rahmen des AFG § 39 (Bestätigung von BSG 1973-06-05 7 RAr 67/72 = Dienstbl BA C AFG § 41 (Nr 1721a).

 

Normenkette

GG Art. 80 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1949-05-23, Art. 70 Fassung: 1949-05-23, Art. 74 Nr. 12 Fassung: 1969-05-12, Nr. 13 Fassung: 1969-05-12, Art. 12 Abs. 1 Fassung: 1968-06-24, Art. 9 Abs. 3 Fassung: 1968-06-24; AFG § 39 S. 2 Fassung: 1969-06-25, § 47 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 3 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1969-12-18, § 6 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1969-12-18

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. September 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Förderung seines Studiums an der Pädagogischen Hochschule K.

Der Kläger (geboren 1946) war von Beruf Büromaschinenmechaniker. In diesem Beruf hat er nach Abschluß einer dreieinhalbjährigen Lehre von Oktober 1968 bis März 1970 gearbeitet. Ab 1. April 1970 begann er ein Studium an der Pädagogischen Hochschule in K mit dem Ziel, Volksschullehrer zu werden.

Der Antrag des Klägers vom 29. November 1971, dieses Studium als Umschulungsmaßnahme zu fördern, wurde von der Beklagten abgelehnt. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Kiel durch Urteil vom 16. November 1972 den Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Das LSG hat dazu ausgeführt: Eine Förderung sei ausgeschlossen, weil die Volksschullehrerausbildung die nach § 47 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 3 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 18. Dezember 1969 - AFuU 1969 - (ANBA 1970, 85) zu beachtende Höchstgrenze von drei Jahren überschreite. Allerdings umfasse das Studium selbst nur sechs Semester, also drei Jahre. Hierdurch sei aber das nach § 47 Abs. 1 AFG anzustrebende Ziel, nämlich der Übergang in eine andere geeignete berufliche Tätigkeit noch nicht erreicht. Der Beruf des Volksschullehrers könne erst dann ausgeübt werden, wenn außerdem die vorgeschriebene Zeit praktischer Tätigkeit abgeschlossen sei (BSGE 37, 223).

Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er trägt vor, § 47 Abs. 3 Satz 2 AFG sehe lediglich "in der Regel" eine Beschränkung der Förderung auf Umschulungsmaßnahmen vor, die nicht länger als zwei Jahre dauern. Hieraus sei zu folgern, daß Ausnahmen zulässig seien. Ein solcher Ausnahmefall sei das Volksschullehrerstudium, weil dieser Beruf durch kürzere Ausbildungsmaßnahmen nicht erreicht werden könne und er - der Kläger - in seinem bisherigen Beruf von Arbeitslosigkeit bedroht sei. Die unterrichtspraktische Tätigkeit nach dem Examen an der Hochschule habe bei der Beurteilung völlig außer Betracht zu bleiben, weil in Schleswig-Holstein für Volksschullehrer ein Vorbereitungsdienst überhaupt nicht und eine zweite Staatsprüfung nur für diejenigen vorgeschrieben sei, die die Übernahme in das Beamtenverhältnis anstrebten. Abgesehen davon sei es aber auch zulässig, das Förderungsbegehren auf einen Teil einer Maßnahme zu beschränken und damit die zeitlichen Höchstgrenzen zu wahren. Die weitergehenden Vorschriften des § 6 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AFuU 1969 seien unbeachtlich. § 39 AFG, der die Rechtsgrundlage für den Erlaß der AFuU 1969 durch die Beklagte bilde, sei nichtig, weil er mit dem Grundgesetz (GG) nicht in Einklang stehe. Der Gesetzgeber sei nicht befugt gewesen, die Festlegung von Förderungsvoraussetzungen an die Beklagte zu delegieren.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des LSG aufzuheben, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen und die Beklagte auf die Anschlußberufung des Klägers unter Änderung des Urteils des SG zu verpflichten, das Pädagogische Studium des Klägers nach dem AFG zu fördern,

hilfsweise,

das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vorzulegen, ob § 39 AFG und die auf dieser Grundlage erlassene AFuU 1969 mit den Art. 80, 70, 74 Nr. 12 und 13, 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG vereinbar sind.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, sein Studium an der Pädagogischen Hochschule zu fördern.

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß eine Förderung nur in Betracht kommen kann, wenn das Studium des Klägers die Voraussetzungen einer förderungsfähigen Umschulungsmaßnahme (§ 47 AFG) erfüllt.

Als Ausbildung kann das Studium des Klägers schon deshalb nicht gefördert werden, weil nach § 40 AFG hierzu stets nur die erste, zu einem Abschluß führende berufliche Bildungsmaßnahme zu rechnen ist. Alle späteren Schritte zur weiteren beruflichen Bildung sind entweder Fortbildung (§ 41 AFG) oder Umschulung i. S. des § 47 AFG (BSG SozR 4100 § 40 Nr. 1; § 41 Nr. 11 und 13). Für die Unterscheidung dieser beiden Bildungsmaßnahmen ist wesentlich, ob die in dem bisherigen Beruf erlernten Fertigkeiten in den angestrebten Beruf inhaltlich mit übernommen werden (Fortbildung) oder ob diese Fertigkeiten entweder nicht oder nur unwesentlich für die "andere geeignete berufliche Tätigkeit" im Sinne des § 47 Abs. 1 AFG Bedeutung haben (Umschulung), insoweit also ein Beruf mit neuem Inhalt erlernt wird (BSG SozR 4100 § 41 Nr. 11). Unter Beachtung dieser Grundsätze ist das Volksschullehrerstudium für den Kläger eine Maßnahme der Umschulung. Die Kenntnisse und Fertigkeiten aus dem bisherigen Beruf des Büromaschinenmechanikers können - wenn überhaupt - allenfalls in geringfügigem Umfang für den angestrebten Beruf des Volksschullehrers Bedeutung gewinnen. Dieser Beruf wird entscheidend nicht durch technische Qualifikationen, sondern durch die pädagogische Aufgabe geprägt (BSG SozR 4100 § 43 Nr. 9).

Die Voraussetzungen für die Förderung des vom Kläger als Umschulungsmaßnahme durchlaufenen Volksschullehrerstudiums an der Pädagogischen Hochschule K liegen indes nicht vor. Wie die Beklagte mit Recht ausgeführt hat, fehlt es bereits an der in § 3 Abs. 2 Satz 2 AFuU 1969 vorgeschriebenen Voraussetzung einer vorgängigen beruflichen Tätigkeit von in der Regel drei Jahren. Der Kläger hat nach den unangefochtenen und das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) im Anschluß an seine Lehre lediglich eineinhalb Jahre in seinem Beruf gearbeitet. Die Lehrzeit kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht als berufliche Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden. Die Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 2 AFuU 1969 soll den Arbeitsuchenden veranlassen, zunächst eine angemessene Zeit in seinem erlernten Beruf zu arbeiten, damit er die bestehenden Berufschancen eingehend kennenlernt und sachgerecht ausschöpft. Erst wenn die hierbei gewonnene Erfahrung ergibt, daß die Sicherung oder Verbesserung der beruflichen Beweglichkeit den Übergang in eine andere geeignete berufliche Tätigkeit erfordert (§ 47 AFG), soll ihm der Zugang zu Förderungsmitteln für die Durchführung einer Umschulungsmaßnahme eröffnet werden. Lehrzeiten sind jedoch nicht geeignet, den Zweck zu erfüllen, dem Arbeitsuchenden jene Berufserfahrung zu vermitteln, die er benötigt, um seine Berufs- und Fortkommenschancen in dem von ihm zunächst gewählten Beruf im Hinblick auf einen etwa erforderlichen Berufswechsel sachgerecht beurteilen zu können (BSG SozR 4460 § 3 Nr. 4). Darüber hinaus würde bei der Anrechnung von Berufsausbildungszeiten die Möglichkeit eröffnet, nach einer - evtl. sogar verkürzten - Ausbildung und allein durch diese Zugang zu Förderungsmitteln zu erhalten, die diejenigen einer Ausbildungsförderung nach § 40 AFG erheblich übersteigen (BSGE 36, 48, 51).

Da bereits die nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AFuU 1969 notwendige vorberufliche Mindesttätigkeit hier nicht vorliegt, braucht nicht mehr entschieden zu werden, ob eine Förderung des Klägers auch deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Umschulungsmaßnahme die nach § 47 Abs. 3 Satz 2 AFG i. V. m. § 39 AFG und § 6 Abs. 1 Satz 3 AFuU 1969 zu beachtende Höchstgrenze von drei Jahren überschreitet, wie das LSG angenommen hat.

Entgegen der Auffassung der Revision ist die der Beklagten in § 39 AFG erteilte Ermächtigung zum Erlaß von satzungsrechtlichen Anordnungen, die der Ausführung des Gesetzes dienen, nicht verfassungswidrig. Das hat der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits früher in seinem Urteil vom 30. Januar 1973 - 7 RAr 29/72 - entschieden (BSGE 35, 164, 166). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen besteht für den erkennenden Senat kein Anlaß. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in mehreren Entscheidungen anerkannt, daß der Gesetzgeber berechtigt ist, öffentlichen Anstalten und Körperschaften Satzungsbefugnis zu übertragen. Es hat ferner entschieden, daß die Übertragung von Satzungsgewalt nicht an die Grenzen des Art. 80 Abs. 1 GG gebunden ist (BVerfG 12, 319, 325; 19, 253, 266, 267; 33, 125, 156, 157). Es hat dies damit begründet, daß das Bedürfnis nach Zügelung einer Exekutive, die versucht sein könnte, praktisch effiziente Regelungen auf Kosten der Freiheit der Bürger durchzusetzen, im Bereich des Art. 80 GG ungleich größer sei als bei der Setzung autonomen Satzungsrechts. Darüber hinaus werde das Prinzip der autonomen Selbstverwaltung, das ebenfalls im demokratischen Prinzip wurzele, nicht ernst genug genommen, wenn man den Selbstverwaltungskörperschaften zu starke Fesseln anlege. Es sei gerade der Sinn der Selbstverwaltung, die in gesellschaftlichen Gruppen lebendigen Kräfte und ihren Sachverstand für die Findung "richtigen" Rechts zu nutzen (BVerfGE 33, 125, 157 u. 159).

Das BVerfG hat allerdings auch darauf hingewiesen, daß die grundgesetzliche Ordnung der Verleihung und Ausübung von Satzungsgewalt bestimmte Grenzen setzt. Eine solche Grenze sieht das BVerfG in den Prinzipien des Rechtsstaats und der Demokratie. Der Gesetzgeber darf sich danach seiner Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig entäußern und seinen Einfluß auf den Inhalt der von den körperschaftlichen Organen zu erlassenden Normen nicht gänzlich preisgeben (BVerfGE 33, 158). Wo die Grenze für Satzungsbefugnisse im übrigen liegt, ist nach den besonderen Verhältnissen des betreffenden Lebensbereichs und der Bedeutung der in Betracht kommenden Regelungen zu bestimmen (BVerfGE 33, 157 u. 160). Je empfindlicher der einzelne betroffen wird, je intensiver eine auf Dauer angelegte Lebensentscheidung und das Interesse der Allgemeinheit berührt werden, desto deutlicher muß die gesetzliche Ermächtigung der Satzungsbefugnis Grenzen setzen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist § 39 AFG im Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorschriften über die berufliche Umschulung nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hat im AFG die wesentlichen Grundsätze für die Förderung beruflicher Umschulung festgelegt. Für die hier interessierende Abgrenzung des förderungsberechtigten Personenkreises nach dem Umfang der jeweils voraufgegangenen Berufstätigkeit enthält das Gesetz allerdings keinen unmittelbaren Anhalt. Aus dem erkennbaren Zweck der Umschulung, dem Arbeitnehmer einen Berufswechsel zu ermöglichen, wenn der bisherige Beruf nicht mehr seiner Neigung entspricht oder aufgrund der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes ihm keine hinreichende Sicherheit mehr bietet (§ 36 AFG i. V. m. § 47 Abs. 1 AFG), ist jedoch eine enge Begrenzung des Regelungsspielraums zu entnehmen. Zugleich ergibt sich daraus, daß eine Regelung, wie sie hier getroffen wurde, den gesetzlichen Auftrag nicht verändert, sondern lediglich konkretisiert. Es ist keine Benachteiligung der Ausübung des Rechts der freien Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG), wenn verlangt wird, daß derjenige, der für eine Umschulung Förderungsmittel in Anspruch nehmen will, in der Regel zunächst erst einmal die Möglichkeiten des bisherigen Berufs durch eine nicht nur kurzfristige Tätigkeit in diesem Beruf feststellt. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 AFuU 1969 hält sich damit nicht nur im Rahmen des Auftrags nach § 39 AFG (so BSG 36, 48, 51) und des Art. 12 Abs. 1 GG, sondern auch in den Grenzen, die die Verfassung für die Ausübung von Satzungsbefugnissen setzt.

Ebensowenig läßt sich aus der Zusammensetzung des Verwaltungsrats der Beklagten ein Anhalt für verfassungsrechtliche Bedenken herleiten. Der Verwaltungsrat besteht je zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer, die von den Gewerkschaften benannt werden, der Arbeitgeber, die von den Arbeitgeberverbänden benannt werden, und der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die von der Bundesregierung, dem Bundesrat und den Spitzenvereinigungen der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften entsandt werden (§ 192 Abs. 1 i. V. m. § 195 AFG). Ein Zusammenwirken dieser von unterschiedlichen Interessen getragenen Verbände und Institutionen, die zudem ein hohes Maß an Sachkunde in sich vereinigen, stellt sicher, daß hier keine der beteiligten Gruppen Regelungen durchsetzen kann, die sich auf Kosten der Bürger allein an dem Streben nach Effizienz oder der Durchsetzung bestimmter Vorstellungen orientieren. Die Voraussetzungen, die das BVerfG für die Zulässigkeit von Satzungsgewalt außerhalb der Grenzen des Art. 80 GG anführt, sind damit auch hier erfüllt.

Hinzu kommt, daß die zur Mitwirkung im Verwaltungsrat berufenen Verbände und Institutionen durch grundgesetzlichen Auftrag zur (autonomen) Rechtsetzung und damit auch zur Sicherung der Demokratie besonders verfassungsrechtlich legitimiert sind. Den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden (und damit auch den im Verwaltungsrat vertretenen öffentlichen Körperschaften in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber) ist durch Art. 9 Abs. 3 GG die Tarifautonomie gewährleistet, d. h. das Recht eingeräumt, durch autonome Rechtsetzung die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln (vgl. BVerfGE 19, 303, 312 f). Dies hat auch in anderem Zusammenhang dazu geführt, daß den Koalitionen oder Vertretern bestimmter Arbeitgeber- oder Arbeitnehmergruppen die Befugnis eingeräumt worden ist, im Bereich des Arbeitslebens auch für Nichtmitglieder verbindliche Regelungen zu treffen. Mit dem Institut der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen (AVE) nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) wird den Tarifpartnern das Recht eingeräumt, Arbeitsbedingungen verbindlich auch für nichtorganisierte Arbeitnehmer und Arbeitgeber festzulegen. Nach § 19 des Heimarbeitergesetzes (HAG) vom 14. März 1951 (BGBl I S. 191) kann der aus Vertretern der Auftraggeber und der Heimarbeiter sowie einem Unparteiischen besetzte Heimarbeiterausschuß Entgelte und sonstige Arbeitsbedingungen für alle Auftraggeber und Heimarbeiter verbindlich festlegen.

Beide Formen der Rechtsetzung sind verfassungsrechtlich aus der weitgehenden Zurücknahme staatlicher Regelungsmacht in Art. 9 Abs. 3 GG und der darin liegenden Anerkennung nicht vom Bundestag oder den in Art. 80 GG legitimierten Verordnungsgebern erlassenen besonderen Rechtsregeln abgesichert (BVerfGE 34, 307, 317, 319 f; BAG AP Nr. 13 zu § 5 TVG).

In diese Tendenz der Verfassung, die Regelung von Fragen des Arbeitslebens den mit einem besonderen Maß an Sachkunde und Sachnähe ausgestatteten sozialen Kräften zu überlassen und die staatliche Einflußnahme auf Genehmigung und andere Formen der Mitwirkung bei Inkraftsetzung der Normen zu beschränken, fügt sich auch § 39 i. V. m. § 191 Abs. 4 und 5 AFG zwanglos ein. Auch bei der Sicherung der Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit durch Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenversicherung und berufliche Bildungsförderung geht es stets um die unmittelbaren Belange des Arbeitslebens, die wahrzunehmen eine seit Jahrzehnten allgemein anerkannte Aufgabe der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ist. Wenn nun der Staat, nachdem er selbst diese Aufgabe übernommen hat, die Mitwirkung der Sozialpartner in die ebenfalls traditionell bewährte Form der Beteiligung an der Selbstverwaltung überleitet, so ist er hierzu durch den den Sozialpartnern in Art. 9 Abs. 3 GG eröffneten Freiraum für autonome Regelungen befugt und entspricht damit gleichzeitig dem Gedanken der Demokratie (Art. 20 GG). Der Wirkungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht beschränkt auf die Regelung von Lohn und sonstigen Arbeitsbedingungen im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dieser engere Kreis der Arbeitsbedingungen war den Tarifpartnern schon vor Erlaß der Weimarer Reichsverfassung (WRV) nach § 152 der Gewerbeordnung ("Lohn- und Arbeitsbedingungen") eröffnet. Durch Art. 159 WRV wurde der geschützte Wirkungsbereich der Koalitionen auf "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" erweitert. Es bestand und besteht Einigkeit darüber, daß diese Neufassung, die der des Art. 9 Abs. 3 GG wörtlich entspricht, nunmehr alle arbeitsrechtlichen und sozial-politischen Interessen der Koalierten umfaßt (vgl. Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, 1930, Bd. III S. 398; Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 8. Aufl., 1930, Art. 159 Anm. 3; Dietz in Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. III/1 S. 422 oben). Da für die Abgrenzung im einzelnen vor allem die historische Entwicklung von Bedeutung ist (BVerfGE 19, 303, 313 ff), müssen auch die heute der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zugewiesenen Aufgaben zu den in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Wirtschaftsbedingungen gerechnet werden. Die Sozialpartner haben sich traditionell diesen Aufgaben gestellt und sind im Rahmen der Selbstverwaltung hieran beteiligt worden (vgl. Drewes, Die Gewerkschaften in der Verwaltungsordnung - 1958 - S. 25 ff, insbes. S. 30 f; Walther Bogs RdA 1956, 1, 6; ferner Programm der Deutschen Gewerkvereine von 1907, abgedr. bei Hartmann, 50 Jahre Deutsche Gewerkvereine 1918, S. 25; Erkelenz, Arbeiterkatechismus, 1908, S. 105 ff (Bildung), 114 ff (Arbeitsnachweise), 132 ff (Arbeitslosenunterstützung); Geschäftsbericht der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände über das Geschäftsjahr 1913, Berlin 1914, S. 6 ff und 34 ff; Bericht über die Tagung der Arbeitgebernachweise vom 21. Juni 1917 in Berlin, Berlin 1917; Denkschrift der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände vom März 1918, abgedr. bei Leckebusch, Entstehung und Wandlungen der Zielsetzungen, der Struktur und Wirkungen von Arbeitgeberverbänden, Berlin 1966, Anhang 9; vgl. auch Draeger-Buchwitz-Schönefelder, AVAVG S. 3 ff).

Ohne daß hier erörtert werden muß, wie weit der Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG und damit der absolute Schutz vor Eingriffen des Gesetzgebers geht, läßt sich aus der historischen Entwicklung jedenfalls folgern, daß die Regelungen, die im Rahmen des AFG zu treffen sind, sich in dem Feld bewegen, welches der Gesetzgeber den Sozialpartnern zur autonomen Regelung eröffnen kann. Dies gilt besonders dann, wenn der Regelungsfreiraum bereits durch eine eingehende gesetzliche Strukturierung, wie im Bereich der Förderung von Fortbildung und Umschulung weitgehend gebunden ist.

Bundesregierung, Bundesrat (Landesregierungen) und Gemeindeverbände (Gemeinden) sind darüberhinaus nicht nur als Arbeitgeber, sondern als Träger von Aufgaben, insbesondere der Arbeitslosenhilfe, der Sozialhilfe und der beruflichen Bildung, in das Normsetzungsverfahren nach § 39 AFG einbezogen. Ihre Beteiligung ist auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Es bestehen keine Bedenken, wenn der Gesetzgeber diese durch Art. 80 und 28 GG als Normgeber legitimierten Kräfte in den Grenzen vorgegebener eingehender gesetzlicher Regelungen und mit den Einschränkungen, die sich aus der Mitwirkung der anderen im Verwaltungsrat vertretenen Gruppen ergeben, zum Satzungsgeber einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft bestellt. Das gilt um so mehr, als die zu erlassenden Normen nicht nur Aufgabenbereiche betreffen, die eng mit den eigenen Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden verflochten sind, sondern die auch vor Erlaß der einschlägigen Vorschriften des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) und des AFG zu einem erheblichen Teil von ihnen selbst wahrzunehmen waren.

Nach allem kann somit die Revision des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1647939

BSGE, 193

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