Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragspflicht. zugeflossenes Arbeitsentgelt. Zuflußtheorie

 

Leitsatz (redaktionell)

Soweit ein arbeitsgerichtlicher Vergleich streitige Ansprüche regelt, ist der Vergleich grundsätzlich auch für die Beurteilung der Beitragspflicht maßgebend. Gibt der Arbeitnehmer dagegen einen unstreitigen Entgeltanspruch auf und macht der Arbeitgeber dafür seinerseits einen (streitigen oder unstreitigen) Anspruch nicht mehr geltend, so wird damit der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers auf andere Weise erfüllt. Es sind deshalb auch von dem auf diese Weise zugeflossenen Arbeitsentgelt Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten.

 

Orientierungssatz

1. Sozialversicherungsbeiträge können nur für Arbeitsentgelt erhoben werden, das dem Arbeitnehmer "zufließt", so daß keine Beiträge zu entrichten sind, wenn das Arbeitsentgelt zwar geschuldet wird, der Arbeitgeber es aber nicht zahlt und der Arbeitnehmer es auch nicht fordert (vergleiche BSG vom 1964-11-25 3 RK 32/60 = BSGE 22, 106 zu einem Fall untertariflicher Bezahlung). Das gleiche gilt für den Fall, daß ein zunächst entstandener Entgeltanspruch infolge später eintretender Ereignisse (zB Versäumung tariflicher Ausschlußfristen, Verwirkung, Erlaß) wieder entfällt, (und auch nicht freiwillig "erfüllt" wird), dem Arbeitnehmer also nichts "zufließt".

2. Im Einzelfall kann sich aus den besonderen Umständen, die einem Vergleichsabschluß vorausgegangen sind, ergeben, daß die streitige Entgeltforderung sehr wohl als bestehend anerkannt worden ist, aber nur deshalb nicht im Vergleich erscheint, weil sie gegen eine andere Forderung des Arbeitgebers aufgerechnet wird oder wegen einer sonstigen Gegenleistung nicht mehr geltend gemacht worden ist. In solchen Fällen ist die Forderung auf Arbeitsentgelt nicht entfallen, sondern auf andere Weise erfüllt worden. Ist aber der Entgeltanspruch nicht untergegangen, sondern lediglich auf andere Weise erfüllt worden, so hat dies auf das Bestehen des Beitragsanspruchs keinerlei Einfluß.

 

Normenkette

RVO § 160 Abs. 1 Fassung 1941-07-01; SGB IV § 14 Abs. 1 Fassung 1976-12-23

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 10.05.1979; Aktenzeichen L 5 K 55/78)

SG Speyer (Entscheidung vom 30.10.1978; Aktenzeichen S 9 K 78/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Beiträge zur Sozialversicherung für den Beigeladenen zu 1) auch für einen nicht ausgezahlten Teil des Lohnes entrichten muß, wenn in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses festgelegt ist, daß keine Arbeitsentgeltansprüche mehr bestehen.

Der Beigeladene zu 1) war bei der Klägerin als Kraftfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Am Samstag, dem 8.Januar 1977, erklärte er gegenüber einem leitenden Herrn der Klägerin, daß er am folgenden Montag (dem 10. Januar 1977), nicht zur Arbeit kommen könne, weil er seine Frau ins Krankenhaus bringen müsse. Ihm wurde jedoch mitgeteilt, daß er dennoch am Montag kommen müsse, weil er unbedingt einen Lastzug fahren müsse.

Am Montag, dem 10. Januar 1977, erschien der Kläger jedoch nicht zur Arbeit, sondern meldete sich krank. Hierüber wurde eine Bescheinigung des behandelnden Arztes am 10. Januar 1977 vorgelegt und vertrauensärztliche Gutachten am 14. und 18. Januar 1977 erstellt, die die Arbeitsunfähigkeit bestätigten.

Die Klägerin bezweifelte jedoch die Arbeitsunfähigkeit und verweigerte die Lohnfortzahlung. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis am 14. Januar 1977 fristlos.

Die Beklagte zahlte daraufhin für die Zeit ab 10. Januar 1977 Krankengeld in Höhe von insgesamt 500,-- DM. Von diesem Betrag entfielen 165,50 DM auf die Zeit bis zur fristlosen Kündigung (14. Januar 1977).

Der Beigeladene zu 1) erhob gegen die Kündigung Klage beim Arbeitsgericht. Die Beklagte erhob ebenfalls Klage, mit der sie den nach § 182 Abs 10 der Reichsversicherungsordnung (RVO) übergegangenen Lohnfortzahlungsanspruch des Klägers geltend machte.

Die Kündigungsschutzklage endete am 10. Februar 1977 mit einem Vergleich, in dem bestimmt wurde, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers am 14. Januar 1977 einverständlich geendet hat, weil dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht zumutbar war. Ferner wurde festgelegt, daß aus dem Arbeitsverhältnis gegenseitig keinerlei Forderungen mehr bestehen, gleichgültig aus welchem Rechtsgrund. In dem von der Beklagten angestrengten Verfahren über den Anspruch auf Lohnfortzahlung wurde am gleichen Tag ebenfalls ein Vergleich geschlossen, in dem sich die damalige Beklagte (Klägerin dieses Revisionsverfahrens) verpflichtete, an die damalige Klägerin (Beklagte dieses Revisionsverfahrens) 165,50 DM zu zahlen. Es handelt sich dabei um den Betrag des Krankengeldes für die Zeit vom 10. bis 14. Januar 1977. In beiden Verfahren hatte die Arbeitgeberin das Bestehen eines Lohnfortzahlungsanspruches zunächst bestritten und Schadensersatzforderungen in erheblicher Höhe wegen der Beschädigung eines Lastwagens zur Aufrechnung gestellt.

Auf entsprechende Aufforderung der Beklagten teilte die Klägerin in einer Beitragsnachweisung vom 21. März 1977 mit, daß der wöchentliche Verdienst des Beigeladenen zu 1) 419,15 DM betragen habe. Daraus ergab sich für die Woche vom 10. bis 14. Januar 1977 ein Gesamtsozialversicherungsbeitrag von 140,84 DM. Diesen Betrag forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid vom 21. Juni 1977.

Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 3. November 1977; Urteil des Sozialgerichts -SG- Speyer vom 30. Oktober 1978; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Rheinland-Pfalz vom 10. Mai 1979).

Das LSG hat festgestellt, daß dem Beigeladenen zu 1) aufgrund des in dem Kündigungsschutzprozeß geschlossenen Vergleichs vom 10. Februar 1977 gegenüber der Klägerin ein unstreitiger Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts für die Zeit von Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 10. Januar 1977 bis zur einvernehmlichen Beendigung am 14. Januar 1977 mindestens in der Höhe von 419,15 DM zugestanden habe. Unerheblich sei, daß der Kläger in diesem Vergleich seinen Anspruch (soweit er nicht auf die AOK übergegangen war) aufgegeben habe. Dieser Erlaß sei nicht nach § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unwirksam (BAG BB 1976, 1417). Der Kläger müsse sich danach so behandeln lassen, als wenn er den Lohn tatsächlich erhalten habe. Der Entstehung der Beitragsschuld stehe auch nicht die vergleichsweise Erledigung der von der Beklagten gegen die Klägerin erhobenen Leistungsklage entgegen. Mit der Zahlung der Vergleichssumme von 165,50 DM habe denknotwendig nur die von der Beklagten geltend gemachte Forderung auf Ersatz des auf sie übergegangenen Lohnes, keinesfalls aber der Anspruch auf Sozialversicherungsbeiträge abgegolten werden können und sollen.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß Lohn, auf den der Arbeitnehmer wirksam verzichtet habe, nicht der Beitragsberechnung zugrunde gelegt werden könne. Aus den Vergleichen vom 10. Februar 1977 ergebe sich, daß der Beigeladene zu 1) wirksam auf seinen unstreitig damals bestehenden Lohnanspruch verzichtet habe, soweit er nicht auf die AOK übergegangen sei. Es sei deshalb lediglich der übergegangene Teil des Lohnanspruchs in Höhe von 165,50 DM bestehen geblieben. Folglich könne auch nur von diesem Betrag der Beitrag errechnet werden.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des LSG und des SG sowie den

Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 1977

in der Gestalt des Widerspruchsbescheides

vom 3. November 1977 aufzuheben,

hilfsweise die Urteile des SG und des LSG und die

angefochtenen Bescheide dahin abzuändern, daß die

Beklagte verurteilt wird, den

Gesamtsozialversicherungsbeitrag lediglich aus einem

Nettobetrag von 165,50 DM zu erheben.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 2) und 3) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin ist verpflichtet, Beiträge für den Beigeladenen zu 1) hinsichtlich des gesamten Lohnes für die Zeit vom 10. bis 14. Januar 1977 zu zahlen.

Der Klägerin ist allerdings insoweit Recht zu geben, als Beiträge - von bestimmten, hier nicht zu erörternden Ausnahmen abgesehen - nur für Arbeitsentgelt erhoben werden können, das dem Arbeitnehmer "zufließt", so daß keine Beiträge zu entrichten sind, wenn das Arbeitsentgelt zwar geschuldet wird, der Arbeitgeber es aber nicht zahlt und der Arbeitnehmer es auch nicht fordert (vgl BSGE 22, 106 zu einem Fall untertariflicher Bezahlung). Das gleiche gilt für den Fall, daß ein zunächst entstandener Entgeltanspruch infolge später eintretender Ereignisse (zB Versäumung tariflicher Ausschlußfristen, Verwirkung, Erlaß) wieder entfällt (und auch nicht freiwillig "erfüllt" wird), dem Arbeitnehmer also nichts "zufließt".

Daß grundsätzlich nur zugeflossenes Arbeitsentgelt beitragspflichtig ist, ergab sich vor Erlaß des SGB IV ohne weiteres aus der Koppelung des Beitragsrechts an das Steuerrecht durch den gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN II 281) und der Beschränkung der Lohnsteuerpflicht auf das dem Arbeitnehmer zugeflossene Arbeitsentgelt (vgl zB BSGE 22, 106). Für den Rechtszustand nach dem SGB IV gilt aber nichts anderes. In den §§ 14, 17 SGB IV ist zwar die Bindung an das Steuerrecht gelockert worden. § 14 SGB IV läßt aber eindeutig erkennen, daß grundsätzlich nur dann Beitragspflicht besteht, wenn Arbeitsentgelt "erzielt", dh tatsächlich gezahlt wird (vgl Merten in Gemeinschaftskommentar zum SGB IV, § 14 RdNr 50 f). In jedem Fall muß es sich um "Einnahmen" handeln, auf die dann auch in der Regel - sofern nämlich keine freiwillige Zahlung erfolgt - ein Rechtsanspruch besteht.

Zu den Gründen, die zum Wegfall eines solchen Anspruchs auf Arbeitsentgelt und damit im allgemeinen zugleich zum Wegfall der Beitragspflicht führen, kann auch ein arbeitsgerichtlicher Vergleich gehören, wenn darin bestimmt wird, daß ein bisher streitig gewesener Anspruch nicht besteht. Der Vergleich schafft - wie ein Urteil - bei streitigen Ansprüchen Klarheit darüber, ob die Ansprüche bestehen oder nicht. Ansprüche, die im Vergleich in dem Sinne geregelt werden, daß sie nicht (mehr) geltend gemacht werden können, sind deshalb - zumindest wenn ihr Bestehen bisher streitig gewesen war - so anzusehen, als ob sie von Anfang an nicht bestanden haben. Gleiches würde für einen vergleichsweisen Erlaß von Ansprüchen gelten, der auch bei Lohnfortzahlungsansprüchen grundsätzlich zulässig ist (BAG AP Nrn 1 und 2 zu § 9 Lohnfortzahlungsgesetz).

Im Einzelfall kann sich allerdings aus besonderen Umständen, die dem Vergleichsabschluß vorausgegangen sind, ergeben, daß die streitige Entgeltforderung sehr wohl als bestehend anerkannt worden ist, aber nur deshalb nicht im Vergleich erscheint, weil sie gegen eine andere (streitige oder nicht streitige) Forderung des Arbeitgebers aufgerechnet oder wegen einer sonstigen Gegenleistung nicht mehr geltend gemacht worden ist. In solchen Fällen ist die Forderung auf Arbeitsentgelt nicht entfallen, sondern auf andere Weise erfüllt worden.

So ist es auch im vorliegenden Fall. Nach den Feststellungen des LSG, die die Klägerin mit der Revision nicht nur nicht angegriffen, sondern sogar ausdrücklich in ihrer Richtigkeit bestätigt hat, war zwischen den Parteien des arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits unstreitig, daß dem damaligen Kläger (dem Beigeladenen zu 1) dieses Verfahrens) ein Lohnfortzahlungsanspruch für die Zeit vom 10. bis 14. Januar 1977 zustand. Wenn ein solcher - unstreitig bestehender - Anspruch im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs wegen zu befürchtender oder bereits erhobener Gegenforderungen aufgegeben wird, so liegt darin kein einseitiger Verzicht (iS eines unentgeltlichen Erlasses) und auch kein gegenseitiges Nachgeben im Hinblick auf eine streitige Forderung, sondern die Vereinbarung, daß der unstreitige Lohnanspruch durch Aufrechnung mit dem vom Arbeitgeber angedrohten oder erhobenen Schadensersatzanspruch erfüllt wird. Ist aber der Anspruch nicht untergegangen, sondern lediglich auf andere Weise erfüllt worden, so hat dies auf das Bestehen des Beitragsanspruchs keinerlei Einfluß.

Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1982, 302

NJW 1982, 302-303 (LT1)

RegNr, 8926

DAngVers 1981, 370-372 (LT1)

Das Beitragsrecht Meuer IV § 14, 2 (LT1)

EEK, I/700

USK, 80262 (LT1)

DBlR 2668a, (ST1)

Die Beiträge 1981, 242-244 (LT1)

EzS, 50/60

SGb 1981, 275-276 (LT1)

SozR 2100 § 14, Nr 7 (LT1)

SozSich 1981, RsprNr 3593 (LT1)

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