Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegeunfall. innerer Zusammenhang. Unterbrechung. Medikamentenkauf

 

Leitsatz (amtlich)

Unterbricht die Versicherte den Weg zur Arbeitsstätte, um vor Arbeitsantritt in einer nahegelegenen Apotheke Kopfschmerztabletten gegen unerwartet aufgetretene Kopfschmerzen zu erwerben und so ihre Arbeitsfähigkeit zu sichern, so unterliegt sie auf diesem Weg dem Unfallversicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO.

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

RVO § 550 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 20.03.1996; Aktenzeichen L 3 U 210/94)

SG Speyer (Entscheidung vom 25.08.1994; Aktenzeichen S 12 U 110/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. März 1996 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin wegen der Folgen des Unfalls vom 24. April 1991 zu entschädigen.

Die Klägerin ist als Verwaltungsangestellte bei der Kreisverwaltung B. … beschäftigt. Am Morgen des 24. April 1991 fuhr sie mit ihrem PKW zur Arbeitsstelle, wo sie ihn auf dem Parkplatz der Kreisverwaltung abstellte. Da sie an diesem Tag bereits mit Kopfschmerzen aufgestanden war, ging sie vor Arbeitsantritt zur nächstgelegenen Apotheke, die etwa 300 m in entgegengesetzter Richtung zur Kreisverwaltung liegt und kaufte dort ua Kopfschmerztabletten ein. Auf dem Rückweg zur Kreisverwaltung rutschte die Klägerin auf regennasser Straße aus und fiel auf das rechte Knie, wobei sie sich einen Kniescheibenbruch zuzog.

Der Beklagte lehnte es ab, den Unfall zu entschädigen, weil er sich auf dem Rückweg von einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit der dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Vorbereitungshandlung des Medikamenteneinkaufs ereignet habe (Bescheid vom 28. Oktober 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 1. April 1993).

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, das Ereignis vom 24. April 1991 als Arbeitsunfall zu entschädigen (Urteil vom 25. August 1994). Die Klägerin habe die Apotheke mit dem Ziel aufgesucht, die Arbeitsfähigkeit durch das Besorgen und Einnehmen entsprechender Medikamente zu erhalten. Dieser Beweggrund sei der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der Weg zur Beschaffung der für die versicherte Tätigkeit unumgänglich erforderlichen Medikamente stehe im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Angesichts der nicht regelmäßig auftretenden Kopfschmerzen habe es sich bei der Besorgung der betreffenden Medikamente auch nicht um eine gewohnheitsmäßige, dem persönlichen Lebensbereich der Klägerin zuzurechnende Verrichtung gehandelt.

Dagegen hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen (Urteil vom 20. März 1996). Es hat im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe sich im Unfallzeitpunkt auf einem unversicherten Abweg befunden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, daß die Klägerin die Apotheke aufgesucht habe, um Medikamente zu kaufen, damit sie ihre Arbeit überhaupt aufnehmen habe können.

Es habe sich dabei um dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnende Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit gehandelt. Die Maßnahme zur Erhaltung der Gesundheit sei nicht während, sondern vor Aufnahme der Betriebstätigkeit erfolgt. Es habe sich dabei um Vorbereitungshandlungen zur Aufnahme der versicherten Tätigkeit gehandelt, die grundsätzlich nicht dem Versicherungsschutz unterliegen. Schließlich sei der Fall auch nicht mit der vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fallgestaltung der vergessenen, aber für die Betriebstätigkeit erforderlichen Brille (BSG SozR 2200 § 550 Nr 25) vergleichbar. Hinzukomme, daß keine Anhaltspunkte dafür erkennbar seien, daß die Klägerin ohne die Einnahme der Medikamente ihre Arbeit überhaupt nicht, auch nicht erkennbar eingeschränkt, verrichten konnte. Daß sie zumindest in gewissem Umfang ihrer Arbeit auch ohne die Medikamente hätte nachgehen können, sei zum einen dadurch belegt, daß sie – trotz bereits vorhandener Beschwerden – den Weg zur Arbeit zurückgelegt habe. Zum anderen habe sie gegenüber dem Beklagten selbst angegeben, sie hätte nicht gewußt, ob sie ohne Medikamente den Arbeitstag „überstanden” hätte. Damit sei der Weg zur Apotheke aber eher vergleichbar mit dem Weg zum Besorgen vom Lebensmitteln vor Antritt der versicherten Tätigkeit als einem Weg zum Holen der vergessenen Brille.

Mit der – vom LSG – zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Der Weg zur Apotheke habe im inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gestanden, da sie ohne diese Medikamente ihre Arbeit nicht hätte ausüben können. Ohne die Medikamente hätte sie sich dienstunfähig melden müssen. Im übrigen liege der Fall so, wie der vom BSG entschiedene Fall der vergessenen Brille.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. März 1996 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 25. August 1994 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Aufgrund der bisher vom LSG getroffenen Feststellungen läßt sich nicht bestimmen, ob die Klägerin am 24. April 1991 auf dem Rückweg von der Apotheke zur Arbeitsstelle einen vom Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.

Der erhobene Entschädigungsanspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der von der Klägerin geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ≪UVEV≫, § 212 SGB VII).

Nach § 550 Abs 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Voraussetzung ist, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, im inneren (sachlichen) Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges dazu bestimmt ist, der Aufnahme der versicherten Tätigkeit wesentlich zu dienen (BSGE 58, 76, 77; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 14; BSG Urteil vom 12. Juni 1990 – 2 RU 58/89 – USK 90 150). Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist daher wertend zu entscheiden, ob das Handeln der Versicherten zur versicherten Tätigkeit oder wie hier zum Weg zur Arbeitsstätte gehört (BSGE 58, 76, 77; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 1 und Nr 14). Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz der Versicherten, so wie sie insbesondere durch objektive Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4 mwN). Fehlt es an einem inneren Zusammenhang in diesem Sinne, scheidet ein Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf der selben Strecke ereignet, die die Versicherte auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (BSG Urteil vom 12. Juni 1990 – 2 RU 58/89 – HV-INFO 1990, 2064; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4, jeweils mwN).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG befand sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht auf dem direkten Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte. Die Klägerin hatte ihren PKW, mit dem sie zu ihrer Arbeitsstätte bei der Kreisverwaltung gefahren war, auf dem Parkplatz der Kreisverwaltung abgestellt, war dann aber nicht zu ihrem Arbeitsplatz, sondern noch vor Arbeitsantritt zu einer in entgegengesetzter Richtung zur Kreisverwaltung gelegenen Apotheke gegangen, um ua Kopfschmerztabletten zu kaufen. Auf dem Rückweg zur Arbeitsstelle ereignete sich der Unfall bevor die Klägerin wieder ihre übliche direkte Wegstrecke zur Kreisverwaltung erreicht hatte.

Der Weg von der Apotheke zur Arbeitsstätte kann rechtlich nicht als Weg vom sog dritten Ort gewertet werden, von dem der Wegeunfallversicherungsschutz erst beginnt (BSGE 62, 113, 115; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 5). Die Annahme eines anderen Ausgangspunktes für den Weg als die Wohnung käme nur dann in Betracht, wenn an einem dritten Ort ein so erheblicher Aufenthalt eingeschoben wird, daß der vorangegangene Weg und der weitere Weg zum Ort der Tätigkeit jeder für sich bei natürlicher Betrachtungsweise selbständige Bedeutung erlangen. Hieran fehlt es bei dem relativ kurzfristigen Aufenthalt der Klägerin in der Apotheke. Der erkennende Senat hat nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles einen Aufenthalt von etwa ein bis zwei Stunden als erheblich angesehen (BSGE 22, 60; BSGE 62, 113, 115; s auch Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, Bd 3, Stand: Januar 1997, § 8 RdNr 195; Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 2, Unfallversicherungsrecht, § 33 RdNrn 65 bis 70).

Die Klägerin ist damit vom direkten Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte abgewichen, indem sie die Apotheke aufsuchte und damit eine der Arbeitsstätte entgegengesetzte Richtung ansteuerte. Durch den Einschub dieses nicht in Zielrichtung zu einem Grenzpunkt iS des § 550 RVO führenden Weges wurde zwar der Weg nach dem Ort der Tätigkeit unterbrochen. Hinsichtlich des Versicherungsschutzes während der Unterbrechung ist zu unterscheiden, ob die Unterbrechung einer Verrichtung dient, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, oder ob sie wesentlich allein aus privaten Gründen erfolgt. Im ersteren Falle besteht Versicherungsschutz auch während der Unterbrechung (BSGE 43, 113, 114; 74, 159, 161; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 550 RVO RdNr 5). Dient die Unterbrechung dagegen privaten Verrichtungen, so unterscheidet die ständige Rechtsprechung zwischen erheblichen und unerheblichen Unterbrechungen, und zwar sowohl in Fällen, in denen ein nicht in Zielrichtung zu einem Grenzpunkt iS des § 550 RVO führender Weg eingeschoben wird, als auch in Fällen einer Unterbrechung ohne Verlassen der Wegstrecke. Während einer privaten Verrichtungen dienenden erheblichen Unterbrechung des Weges besteht kein Versicherungsschutz (BSGE 20, 219, 221; 43, 113, 115).

Bei dem Weg von dem Parkplatz vor dem Dienstgebäude der Klägerin zum Medikamentenkauf und zurück handelt es sich – wie das LSG zutreffend entschieden hat – nicht nur um eine geringfügige Unterbrechung im Sinne der Rechtsprechung des BSG (s ua BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 14; Schulin aaO RdNr 97; Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 240).

Vorliegend kommt es somit darauf an, ob die Unterbrechung wesentlich einer Verrichtung zu dienen bestimmt war, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit der Klägerin stand. Dies wäre der Fall, wenn die Klägerin aus betriebsbedingten Gründen vom üblichen direkten Weg zu ihrer Arbeitsstätte abgewichen wäre. In diesem Fall wäre ein mit der Tätigkeit zusammenhängender Weg deshalb gegeben, weil der Betriebstätigkeit entspringende Beweggründe die Wahl des Weges maßgeblich beeinflußt und so eine rechtlich wesentliche Verknüpfung mit der versicherten Tätigkeit herbeigeführt haben.

Die Klägerin begab sich am Unfalltag zur Apotheke, um dort ua Tabletten gegen die aufgetretenen Kopfschmerzen zu kaufen.

Das Besorgen von Kopfschmerztabletten zählt zu den Maßnahmen der Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit (BSG Urteil vom 26. Juni 1970 – 2 RU 113/68 – USK 70105). Diese sind wie zahlreiche andere sonstige vorbereitende Verrichtungen (zB die Besorgung von Nahrungsmitteln ≪BSG SozR 2200 § 550 Nr 24≫) grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich des Versicherten und nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Dies gilt auch für den Versicherungsschutz nach § 550 RVO auf dem Wege nach oder von dem Ort der Tätigkeit. Hier handelt es sich in den meisten Fällen um Verrichtungen, die zwar der Aufnahme der Betriebstätigkeit vorangehen, der Betriebsarbeit aber zu fern stehen, als das sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Sphäre, die in § 550 RVO auf die Wege nach oder von dem Ort der Tätigkeit erstreckt ist, zuzurechnen wären (BSG SozR 2200 § 550 Nr 39; s auch BSG SozR 2200 § 548 Nrn 2 und 31; Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 171: Gesundheitliche Betreuung mwN). So stehen zB grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz Grippeschutzimpfungen (BSG SozR 2200 § 548 Nr 2), ärztliche Behandlung (BSGE 62, 113), Verrichtungen zur Erhaltung der Fahrbereitschaft eines Kraftfahrzeugs wie zB das Tanken (BSG SozR 2200 § 550 Nr 39), die Veranlassung einer Reparatur (BSG Urteil vom 26. Juni 1985 – 2 RU 50/84 – USK 85224), die Ummeldung eines Kraftfahrzeugs (BSG USK 84118). Allen diesen Handlungen ist gemeinsam, daß sie zugleich auch mittelbar der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis dienen und vielfach hierfür sogar unentbehrlich sind (vgl Krasney in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 2 Unfallversicherungsrecht, § 8 RdNr 56; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens aaO).

Auch bei derartigen Verrichtungen wurde aber von der Rechtsprechung ein Versicherungsschutz bejaht, wenn die Gesamtumstände dafür sprachen, das unfallbringende Verhalten dem nach den Regeln der gesetzlichen Unfallversicherung geschützten Bereich zuzurechnen (zB plötzlich eintretende Krankheit während einer Geschäftsreise, BSG Urteil vom 26. Juni 1970 – 2 RU 113/68 – USK 70105; s auch unvorhergesehene notwendige Reparatur eines Kraftfahrzeuges, BSGE 16, 245; unvorhergesehenes notwendiges Tanken eines Kraftfahrzeuges, BSG SozR 2200 § 550 Nr 39; SozR 3-2200 § 548 Nr 23; unerwartet für die Weiterfahrt erforderliches Schneeräumen, BSG Urteil vom 28. Juni 1988 – 2 RU 14/88 – HV-INFO 1988 S 1718; Holen der in der Wohnung vergessenen Brille, BSG SozR 2200 § 550 Nr 25; bzw der Zahnvollprothese, BSG Urteil vom 26. Mai 1977 – 2 RU 97/75 – USK 77139; Holen des vergessenen Spindschlüssels, BSG SozR Nr 11 zu § 243 RVO aF; BSG Urteil vom 19. Oktober 1982 – 2 RU 52/81 –). So wurde der Versicherungsschutz beim Aufsuchen eines Arztes oder beim Holen von Medikamenten während der Dienstzeit bejaht, wenn diese Verrichtungen dazu dienten, um trotz einer während der Dienstzeit aufgetretenen Gesundheitsstörung weiterhin betriebliche Arbeiten verrichten zu können (s ua BSG SozR 2200 § 548 Nr 31; LSG NRW E-LSG/U 014; RVA EuM 42, 385, 386; OLG Wien SSV 24, 36). Das BSG hat den Versicherungsschutz jedoch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht davon abhängig gemacht, daß die gesundheitliche Betreuung als Voraussetzung für das Weiterarbeiten im Betrieb erst während der betrieblichen Tätigkeit erforderlich wurde. Gleiches gilt vielmehr, wenn die gesundheitliche Störung unmittelbar vor Beginn der betrieblichen Tätigkeit auftritt oder einen so starken Grad erreicht, daß für die beabsichtigte Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit der Kauf von Medikamenten erforderlich wird. Es macht nach der Auffassung des Senats unfallversicherungsrechtlich keinen Unterschied, ob erst die Arbeitsstätte aufgesucht und danach die Medikamente erforderlich und gekauft werden oder ob sie aufgrund der Beschwerden schon unmittelbar vor der Arbeitsaufnahme notwendig und beschafft wurden (vgl ebenso zum Tanken eines Fahrzeuges vor Antritt der Fahrt nach oder von dem Ort der Tätigkeit LSG Baden-Württemberg Breithaupt 1961, 226; zum Wintereinbruch und Schneeräumen BSG VersR 1970, 900, 901; BSG Urteil vom 28. Juni 1988 – 2 RU 14/88-, Öster OGH SSV-NF 3/148; zum Anlegen von Winterreifen Öster OGH SSV-NF 9/57; Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 213). In diesen Fällen wurde ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bejaht. Der Versicherungsschutz ist dabei nicht auf Wege zur und von der Werksambulanz beschränkt. Auch das auf dieser Fallgestaltung beruhende Urteil des Senats vom 26. Mai 1977 (SozR 2200 § 548 Nr 31) enthält keine entsprechende Einschränkung, jedenfalls würde der Senat sie nicht aufrechterhalten. Die Rechtsfortbildung in diesem Urteil bezog sich darauf, daß beim Aufsuchen der Werksambulanz der Versicherungsschutz nicht mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes endet, in dem sich die Werksambulanz befindet. Dabei kommt es nicht auf eine rückschauende Betrachtungsweise an (Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens aaO). Das BSG hat auch schon immer die Auffassung vertreten, daß die Beantwortung der Frage, ob ein Verhalten versichertem Tun zugerechnet werden kann, maßgebend von den subjektiven Vorstellungen des Versicherten abhängig ist, betriebsdienlich tätig zu sein, wenn diese Meinung in den objektiven Verhältnissen eine ausreichende Stütze findet (BSG SozR 2200 § 550 Nr 39; SozR 3-2200 § 550 Nrn 4, 6, 14; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens aaO).

Die Klägerin stand somit dann am 24. April 1991 auf dem Weg nach und von der Apotheke unter Versicherungsschutz, wenn sie am Morgen dieses Tages starke Kopfschmerzen verspürte und Medikamente gegen Kopfschmerzen und Kreislaufbeschwerden kaufen wollte und dies wesentlich dazu dienen sollte, das Befinden der Klägerin zu bessern, um ihr auf diese Weise die Aufnahme der versicherten Tätigkeit zu ermöglichen sowie die Weiterarbeit sicherzustellen. Dieses Verhalten reichte dann auch über das persönliche Interesse an der Wiedererlangung der eigenen Gesundheit hinaus und stellte wesentlich auf das konkrete betriebliche Interesse der Erhaltung der Arbeitskraft und der Reduzierung von Arbeitszeitausfällen ab (BSG SozR Nr 1 zu § 548 RVO). Die Klägerin mußte in diesem Fall befürchten, ohne Medikamente ihre Arbeit nicht aufnehmen bzw nicht über die gesamte Arbeitsschicht fortsetzen zu können. Der Kauf der Kopfschmerztabletten war dann auch eine geeignete Maßnahme, dies zu verhindern.

Ob diese tatsächlichen Voraussetzungen für den Versicherungsschutz der Klägerin im Unfallzeitpunkt erfüllt waren, vermag der Senat den bisherigen – aufgrund der abweichenden Rechtsauffassung des Berufungsgerichts getroffenen – tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen. Im Tatbestand des Urteils ist lediglich festgestellt, daß die Klägerin den Weg zum Ort der Tätigkeit unterbrach, um sich Kopfschmerztabletten zu kaufen. Dies reicht, wie aufgezeigt, für eine abschließende Entscheidung des Senats nicht aus. In den Entscheidungsgründen heißt es eingangs: „Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Klägerin die Apotheke aufsuchte, um Medikamente zu kaufen, damit sie ihre Arbeit überhaupt aufnehmen konnte”. Dies könnte als tatsächliche Feststellung gewertet werden und würde nach der Rechtsauffassung des Senats für einen Versicherungsschutz der Klägerin sprechen. Später ist das LSG aber von der Auffassung ausgegangen, dem Versicherungsschutz stehe entgegen, wenn die Klägerin bereits vor der Arbeitsaufnahme starke Kopfschmerzen verspürt habe. Diese Rechtsauffassung teilt der Senat nicht, wie bereits dargelegt. Vor allem hat das LSG weiter ausgeführt: „Denn – anders als bei damaligen Versicherten – sind vorliegend keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß die Klägerin ohne die Einnahme der Medikamente ihre Arbeit überhaupt nicht, auch nicht eingeschränkt, verrichten konnte”. Es ist jedoch nicht ausreichend ersichtlich, auf welche tatsächlichen Feststellungen das LSG seine vom SG abweichende Auffassung stützt. Das Berufungsgericht hat zB keine Zeugen vernommen und auch keine Stellungnahme des behandelnden Arztes der Klägerin eingeholt. Aus der unumstrittenen relativ kurzen Fahrt der Klägerin zu ihrer Dienststelle und aus dem Gang zur Apotheke kann allein nicht geschlossen werden, die Klägerin hätte zwangsläufig trotz der Kopfschmerzen ihre Arbeit an diesem Tag ohne Medikamente verrichten können.

Die nach der dargelegten Rechtsprechung des Senats erforderlichen Feststellungen, ob die Klägerin nicht schon an länger andauernden – zB chronischen – Kopfschmerzen litt und sich deshalb im Rahmen einer laufenden Versorgung mit Kopfschmerztabletten auch an diesem Tag ihre Kopfschmerztabletten kaufen mußte, sondern jedenfalls hinsichtlich des Ausmaßes ihrer Kopfschmerzen am Unfalltag unerwartet so starke Kopfschmerzen verspürte, daß sie für die Aufnahme und Durchführung ihrer versicherten Tätigkeit Medikamente bedurfte oder wenigstens davon ausgehen konnte, sie wesentlich auch für ihre versicherte Tätigkeit jederzeit zur Verfügung haben zu müssen, wird das LSG im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel noch zu treffen und im Rahmen seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten zu befinden haben.

 

Fundstellen

NJW 1997, 3046

AuA 1998, 255

SozR 3-2200 § 550, Nr.16

SozSi 1998, 116

SozSi 1998, 77

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge