Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.12.1995; Aktenzeichen L 7 Ar 142/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Dezember 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Im Streit ist die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 11. Januar bis 25. April 1993.

Der 1964 geborene Kläger war bis 2. Januar 1993 bei einer Tief- und Straßenbaufirma als Polier beschäftigt. Er hatte bereits im November 1992 beim Arbeitsamt (ArbA) beantragt, die Teilnahme an einem am 11. Januar 1993 beginnenden, bis 23. April 1993 dauernden Vorbereitungskurs für die Meisterprüfung zum Straßenbaumeister zu fördern. Nachdem die Beklagte den Kläger bereits Mitte Dezember darüber informiert hatte, daß eine Förderung nicht in Betracht komme, lehnte sie mit bestandskräftigem Bescheid (vom 26. Februar 1993) die Gewährung von Leistungen zur Förderung der beruflichen Bildung ab, weil der Kläger schon früher gefördert worden sei und die vom Gesetz geforderte Dauer einer Zwischenbeschäftigung seit Ende der letzten Förderung nicht aufweisen könne (§ 42 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫). Der Kläger nahm gleichwohl an der Maßnahme teil; er besuchte den Unterricht täglich (Montag bis Freitag) von 8.30 Uhr bis 16.00 Uhr; für Hin- und Rückfahrt benötigte er täglich zwei Stunden, für die Nachbereitung des Unterrichts täglich ein bis zwei Stunden. Ab 26. April 1993 war er wieder versicherungspflichtig beschäftigt.

Auf entsprechenden Antrag (vom 28. Dezember 1992) bewilligte das ArbA Alg nur für die Zeit vom 4. bis 9. Januar 1993 (Montag bis Samstag), weil der Kläger in der Folgezeit wegen des Besuchs der Bildungsmaßnahme der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe bzw stehe (Bescheid vom 4. Februar 1993; Widerspruchsbescheid vom 15. April 1993).

Die hiergegen gerichtete Klage blieb erst- und zweitinstanzlich erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 1. Dezember 1993; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 15. Dezember 1995). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger sei im streitigen Zeitraum nicht verfügbar gewesen (§ 103 AFG). Er sei weder in der Lage gewesen, neben der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung anzunehmen, noch bereit gewesen, eine Beschäftigung von mindestens 18 Stunden wöchentlich aufzunehmen. Der Umstand, daß er erklärt habe, den Meisterkurs sofort abzubrechen, wenn ihm vom ArbA eine Stelle angeboten werde, reiche nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht, um eine aktuelle Verfügbarkeit zu bejahen. Im übrigen habe es angesichts der finanziellen Auswirkungen eines Abbruchs der Bildungsmaßnahme (Verlust von fast 3000 DM) an der Ernsthaftigkeit des Aufgabewillens gefehlt.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 103 AFG. Er behauptet, bereit gewesen zu sein, unverzüglich den Meisterkurs abzubrechen, sobald ihm das ArbA eine neue Arbeitsstelle vorgeschlagen hätte. Er sei somit für das ArbA – zumindest über eine analoge Anwendung des § 103 Abs 4 AFG – verfügbar und letztlich auch täglich erreichbar gewesen. Wolle man dies anders sehen, müsse ihm aufgrund des sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs Alg gewährt werden. Er behauptet insoweit, bei der Stellung des Alg-Antrags am 28. Dezember 1992 vom ArbA nicht darüber informiert worden zu sein, daß Alg für die Zeit der Teilnahme an der beruflichen Bildungsmaßnahme nicht weitergewährt werden könne; wäre diese Aufklärung erfolgt, hätte er an einer Wochenendausbildung teilgenommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Alg für die Zeit vom 11. Januar bis 25. April 1993 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Kläger habe dem Arbeitsmarkt während der Teilnahme an der beruflichen Bildungsmaßnahme weder objektiv noch subjektiv zur Verfügung gestanden. Ein Anspruch auf Alg könne auch nicht wegen eines Beratungsfehlers entstehen, weil die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit nach der Rechtsprechung des BSG nicht „ersetzt” werden könne.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫); die Entscheidungsgründe des LSG ergeben keine Gesetzesverletzung.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 1993, soweit damit die Zahlung von Alg für den Zeitraum vom 11. Januar bis 25. April 1993 abgelehnt worden ist. Hiergegen wehrt sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG).

Verfahrensfehler, die bei zulässiger Revision von Amts wegen zu beachten sind und einer Sachentscheidung entgegenstünden, liegen nicht vor. Insbesondere war die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil gemäß §§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG mit Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes (mehr als 1.000 DM) statthaft.

Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Alg für den streitigen Zeitraum. Anspruch auf Alg hat ua nur, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (§ 100 Abs 1 AFG). Nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 und 2 Buchst a AFG (hier idF, die § 103 AFG durch das Gesetz zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 – BGBl I 2044 – erhalten hat) ist hierfür Voraussetzung, daß der Arbeitslose ua eine zumutbare, nach § 168 AFG die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (objektive Verfügbarkeit) und auch bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen, die er ausüben kann und darf (subjektive Verfügbarkeit).

Zu Recht ist das LSG bei seiner Entscheidung von der ständigen Rechtsprechung des BSG ausgegangen, wonach sich ein Arbeitsloser aktuell der Vermittlungstätigkeit der Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung halten muß. Diesem Erfordernis ist grundsätzlich nicht genügt, wenn es gestaltender Entscheidungen (Abbruch der Maßnahme) bedarf, um einem Arbeitsangebot Folge zu leisten (BSG SozR 4100 § 103 Nr 46 mwN; BSG, Urteil vom 24. April 1997 – 11 RAr 39/96 –, unveröffentlicht; vgl auch BSGE 71, 17, 21 = SozR 3-4100 § 103 Nr 8). Daran hat der 11. Senat gerade im Hinblick auf die Ausnahmeregelungen des § 103 Abs 4 AFG und des – hier noch nicht anzuwendenden – § 103b AFG festgehalten (BSG, Urteil vom 24. April 1997, aaO).

Diese Rechtslage schließt zwar eine Verfügbarkeit oder wenigstens Teilverfügbarkeit dann nicht aus, wenn der Kläger neben der Teilnahme an der Maßnahme unter Berücksichtigung von Wegezeiten und ggf Zeiten zur Vor- und Nachbereitung eine noch mehr als kurzzeitige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ausüben kann (BSG SozR 4100 § 103 Nr 46 mwN; BSG, Urteil vom 24. April 1997 – 11 RAr 39/96 –, unveröffentlicht); es muß aber eine entsprechende Arbeitsbereitschaft – § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AFG – bestehen (vgl BSG, Urteil vom 24. April 1997, aaO). Hierzu hat das LSG für den Senat verbindlich festgestellt (§ 163 SGG), daß der Kläger weder ernsthaft bereit war, die Bildungsmaßnahme abzubrechen, noch, neben der beruflichen Bildungsmaßnahme überhaupt eine Beschäftigung anzunehmen, und zwar auch für den 24. April 1993 (Samstag), so daß die Frage nach einer eventuell erforderlichen erneuten Arbeitslosmeldung nach dem letzten Unterrichtstag (Freitag) – unter Berücksichtigung von § 105 Satz 2 Buchst a AFG – unbeantwortet bleiben kann. Der Kläger war jedenfalls unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt in der Zeit vom 11. Januar bis 24. April 1993 subjektiv verfügbar (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AFG); für Sonntag, den 25. April 1993, bestand ohnedies kein Anspruch auf Alg (§ 114 AFG).

§ 103 Abs 4 AFG in der seit 1. Januar 1993 geltenden Fassung (vgl § 242m Abs 1 AFG iVm § 41a AFG in der bis 31. Dezember 1992 geltenden Fassung) ist für den Kläger von vornherein nicht einschlägig. Nichts anderes gilt im Ergebnis für § 103 Abs 4 AFG in der bis 31. Dezember 1992 maßgeblichen Fassung, soweit danach zusätzlich noch die Teilnahme an einer Maßnahme zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten nicht ausschloß, daß der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand. Diese Regelung korrespondierte nämlich mit dem bis 31. Dezember 1992 geltenden § 41a AFG und setzte nach der Rechtsprechung des BSG voraus, daß die Maßnahme von der Beklagten tatsächlich gefördert wurde (BSG SozR 4100 § 101 Nr 7). Eine analoge Anwendung des § 103 Abs 4 AFG ist vorliegend ausgeschlossen (vgl hierzu das Senatsurteil vom selben Tag – 7 RAr 106/96 –, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen).

Alg kann dem Kläger – entgegen seiner Ansicht – auch nicht über den sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (vgl zu diesem Rechtsinstitut nur: BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4 mwN) gewährt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte überhaupt eine Beratungspflicht verletzt hat und zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil des Klägers ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Denn mit Hilfe des Herstellungsanspruchs läßt sich ein Fehlverhalten des Leistungsträgers nur insoweit berichtigen, als die Korrektur mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (BSGE 76, 84, 91 mwN = SozR 3-8825 § 2 Nr 3). Die Ersetzung der fehlenden Verfügbarkeit hat der Senat indes abgelehnt (BSGE 58, 104, 109 = SozR 4100 § 103 Nr 36; BSG, Urteil vom 23. Juli 1992 – 7 RAr 38/91 –, unveröffentlicht). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die Bedeutung und Funktion der Verfügbarkeit des Arbeitslosen. Im Recht der Arbeitslosenversicherung gilt nämlich der Grundsatz, daß die sachgerechte Vermittlung in Arbeit Vorrang vor der Gewährung von Leistungen hat (§ 5 AFG; vgl: BSGE 60, 43, 45 = SozR 4100 § 105 Nr 2; BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 14). Fehlte es aber vorliegend nach den für den Senat verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des LSG beim Kläger sowohl an der Ernsthaftigkeit, die Bildungsmaßnahme aufzugeben, als auch an der Bereitschaft, daneben eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung aufzunehmen, so konnte das ArbA überhaupt keine Arbeitsvermittlung betreiben; die Lohnersatzleistung des Alg, die nur bei Vorliegen der Bereitschaft und Fähigkeit zur Annahme einer Beschäftigung als Ausgleich für eine fehlende Vermittlung gewährt werden kann, ist dann aber nicht gerechtfertigt und würde dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174482

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