Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellungsklage des Beigeladenen. Versicherungspflicht Behinderter in anerkannten Werkstätten. berufliche und medizinische Rehabilitation. Eingliederung in das Arbeits- und Berufsleben. finale Betrachtung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme liegt – im Gegensatz zur medizinischen – vor, wenn sie im Endergebnis vorrangig der Eingliederung in das Erwerbsleben dient (finale Betrachtung).

 

Normenkette

SGG § 55 Abs. 1 Nr. 2; SVBehindertenG § 1; SGB V § 5 Abs. 1 Nrn. 6-7; SchwbG § 54; SchwbWV §§ 3-4; RehaAnglG §§ 5, 10-11; AFG §§ 56-57

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 23.09.1992; Aktenzeichen L 4 Kr 93/91)

SG Hildesheim (Urteil vom 24.05.1991; Aktenzeichen S 2 Kr 151/90)

 

Tenor

Auf die Revision der Beigeladenen zu 2) wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. September 1992 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die zu 2) beigeladene Landwirtschaftliche Krankenkasse (LKK) und die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) streiten darüber, wer zur Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 1) für die Dauer einer Maßnahme in einer beschützenden Werkstatt für Behinderte der Klägerin zuständig ist.

Der 1970 geborene Beigeladene zu 1) war seit Juni 1988 wegen einer schweren psychotischen Dekompensation zu Lasten der Beigeladenen zu 2), deren freiwilliges Mitglied er war, in stationärer Behandlung; vom 20. September 1988 bis 13. Dezember 1989 wurde er – im wesentlichen – im Universitätsklinikum Göttingen, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, medizinisch betreut. Während seines stationären Aufenthaltes war er – von einigen Unterbrechungen abgesehen – in der Zeit vom 22. Juni bis 20. Dezember 1989 werktags von 8.00 bis 14.00 Uhr in der beschützenden Werkstatt der Klägerin “tätig”. Die Kosten dieser Maßnahme hat die Beigeladene zu 4) getragen.

Am 22. Juni 1989 meldete die Klägerin den Beigeladenen zu 1) bei der Beklagten als Beschäftigten in einer Werkstatt für Behinderte an. Etwa zur gleichen Zeit beantragte der Beigeladene zu 1) als Beschäftigter in einer geschützten Einrichtung mit Formularantrag vom 9. Juni 1989 die Mitgliedschaft bei der Beklagten als der zuständigen Ortskrankenkasse seines Wohnortes.

Mit Schreiben vom 31. Oktober 1989 verneinte die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) nach § 1 des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter (SVBG) vom 7. Mai 1975 (BGBl I S 1061) idF des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477), weil die Aufnahme in die Werkstatt im Rahmen einer Arbeitstherapie während einer stationären Behandlung erfolgt sei. Unter Hinweis auf § 1 SVBG, wonach körperlich, geistig oder seelisch Behinderte, die in Werkstätten für Behinderte beschäftigt sind, in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zu versichern seien, vertrat die Klägerin die Auffassung, die Versicherungspflicht werde durch die stationäre Behandlung nicht ausgeschlossen; um eine Arbeitstherapie habe es sich bei der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) im übrigen nicht gehandelt. In einem weiteren Schreiben teilte die Klägerin ferner mit, der Beigeladene zu 1) habe in dem og Zeitraum nicht an einer Arbeitstherapie, sondern an einer die Versicherungspflicht begründenden Arbeitstrainingsmaßnahme zur Vorbereitung der Aufnahme einer Ausbildung, einer Rehabilitationsmaßnahme gemäß § 56 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I S 1881) iVm § 19 Abs 1 Nr 4 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (RehaAnO) vom 30. Juli 1975 (ANBA 1975 S 994) teilgenommen; diese Maßnahme stehe in der Gesamtplanung des Arbeitsamtes Göttingen.

Mit Bescheid vom 6. Februar 1990 verneinte die Beklagte unter Hinweis auf ihre Zuständigkeit als Einzugsstelle gemäß § 28h Abs 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) eine Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1). Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 1990 zurück und führte aus: Behinderte seien zwar bei Teilnahme am Eingangsverfahren und am Arbeitstrainingsverfahren in den geschützten Werkstätten gemäß § 1 SVBG bzw § 5 Abs 1 Nr 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) idF des GRG ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Arbeitsleistung versicherungspflichtig. Sie würden als Beschäftigte in Werkstätten für Behinderte gelten. Obwohl der Beigeladene zu 1) in dem fraglichen Zeitraum an einer Arbeitstrainingsmaßnahme des Arbeitsamtes Göttingen nach § 56 AFG teilgenommen habe und eine berufsfördernde Rehabilitationsmaßnahme grundsätzlich die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V und § 1 SVBG begründe, sei der Beigeladene zu 1) durch die Beschäftigung in der Werkstatt – dennoch – nicht versicherungspflichtig geworden. Denn in der Werkstatt sei eine Belastungserprobung und eine Arbeitstherapie durchgeführt worden. Diese begründeten als Leistungen der medizinischen Rehabilitation keine Versicherungspflicht nach den og Bestimmungen.

Vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die Klägerin beantragt, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und festzustellen, daß der Beigeladene zu 1) vom 22. Juni bis 21. Dezember 1989 sozialversicherungspflichtig gewesen sei. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Mai 1991). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat durch Urteil vom 23. September 1992 die Berufung der Beigeladenen zu 2) zurückgewiesen, mit der sie beantragt hatte, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der angefochtenen Bescheide festzustellen, daß der Beigeladene zu 1) in dem og Zeitraum sozialversicherungspflichtig und bei der Beklagten krankenversichert gewesen sei. Das LSG hat die Auffassung vertreten: Der Beigeladene zu 1) habe nicht an einer die Sozialversicherungspflicht begründenden, der Vorbereitung einer späteren Wiedereingliederung in das Arbeitsleben dienenden berufsfördernden Maßnahme teilgenommen, sondern an einer – wie sich aus den Aussagen der behandelnden Ärzte der Universitätsklinik Göttingen ergebe – aus therapeutischen Gründen veranlaßten Arbeitserprobung; diese sei Teil eines ärztlichen Behandlungsplanes und mithin eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme gewesen. Gegen dieses Ergebnis spreche nicht, daß Kostenträgerin der Maßnahme die Beigeladene zu 4) gewesen sei. Denn weder das Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen noch das örtlich zuständige Arbeitsamt Paderborn verfügten über eine das Genehmigungsverfahren betreffende Akte nach §§ 56 ff AFG. Dementsprechend “existiere offenbar” kein Gesamtplan zur Rehabilitation gemäß § 5 Abs 3 Satz 1 RehaAnglG, der beim Zusammentreffen verschiedener Leistungsträger aufzustellen sei. Wahrscheinlich sei vielmehr, daß die Beigeladene zu 4) wegen ungeklärter Trägerschaft gemäß § 6 Abs 2 Nr 2 RehaAnglG vorläufige Leistungen erbracht habe.

Die Beigeladene zu 2) hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung von §§ 103, 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und als Folge davon eine unzutreffende Anwendung von § 1 SVBG und § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V. Sie ist der Auffassung:

Bei ordnungsgemäßer Sachverhaltsaufklärung hätte das LSG feststellen müssen, daß die Beigeladene zu 4) dem Beigeladenen zu 1) eine berufsfördernde Leistung iS von § 56 AFG bewilligt habe. Für die Durchführung dieser Maßnahme sei das Arbeitsamt Göttingen zuständig gewesen. Daher habe eine Versicherungspflicht nach § 1 SVBG, § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V bestanden mit der Folge, daß die freiwillige Versicherung des Beigeladenen zu 1) bei ihr mit dem 21. Juni 1989 gemäß § 6 Abs 1 Nr 2 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte idF des GRG (KVLG 1989) iVm § 191 Nr 2 SGB V geendet habe.

Die Beigeladene zu 2) beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. September 1992 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 24. Mai 1991 teilweise abzuändern und festzustellen, daß der Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 22. Juni bis 20. Dezember 1989 bei der Beklagten krankenversichert gewesen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Das LSG habe verfahrens- und rechtsfehlerfrei erkannt, daß der Aufenthalt des Beigeladenen zu 1) in der beschützenden Werkstatt Teil der stationären Behandlung gewesen sei. An diese tatsächlichen Feststellungen sei das Revisionsgericht gebunden. Sofern die Beigeladene zu 4) in Unkenntnis oder infolge unzutreffender Einschätzung der Rechtslage die Kosten für die Maßnahmen übernommen habe, sei dies ohne rechtliche Bedeutung.

Die Klägerin sowie die Beigeladenen zu 1), 3) und 4) haben keinen Antrag gestellt; die Beigeladene zu 3) hat die Auffassung vertreten, verfahrensrechtliche Vorschriften seien vom LSG nicht verletzt worden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beigeladenen zu 2) ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begründet (§ 170 Abs 2 SGG).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die von der Beigeladenen zu 2) begehrte Feststellung, während der Dauer der Maßnahme in der Werkstatt der Klägerin in der Zeit vom 22. Juni bis 20. Dezember 1989 sei die Beklagte die für den Beigeladenen zu 1) zuständige Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies ist im Kern – wie eine Auslegung ihres Vorbringens ergibt – das Begehren der Beigeladenen zu 2) sowohl in den Vorinstanzen als auch im Revisionsverfahren (§ 123 SGG). Die auf die genannte Feststellung iS von § 55 Abs 1 Nr 2 SGG gerichtete Klage ist auch zulässig. Ist nämlich die Beklagte während der Dauer der Maßnahme in der Werkstatt die für den Beigeladenen zu 1) zuständige Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung, so ist der Beigeladene zu 1) ihr Mitglied und nicht mehr Mitglied der Beigeladenen zu 2). Insoweit ist die Beigeladene zu 2) auch in ihren berechtigten Interessen betroffen und hat ein Interesse an alsbaldiger Feststellung. Denn sollte nicht die Beklagte, sondern sie selbst in der genannten Zeit für die Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 1) zuständig sein, so hat sie zu besorgen, daß insoweit entstandene Kosten von ihr zu tragen sind. Die von der Klägerin als Arbeitgeberin gemäß § 28a SGB IV darüber hinaus vor dem SG erhobene und gegen die Beklagte als mögliche Einzugsstelle gemäß § 28h Abs 2 SGB IV gerichtete Klage auf Aufhebung der die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) verneinenden feststellenden Verwaltungsakte sowie auf Feststellung der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) während der Dauer der Maßnahme ist mit dem Streitgegenstand der Feststellungsklage der Beigeladenen zu 2) nicht identisch. Denn durch die Ablehnung der Feststellung der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) werden die Interessen der Beigeladenen zu 2) nicht unmittelbar (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫, § 54 Abs 1 SGG), sondern nur mittelbar berührt, und zwar insoweit als der Beigeladene zu 1) bei Nichtvorliegen der Versicherungspflicht sein Wahlrecht nach § 184 Abs 1 SGB V iVm § 5 Abs 1 Nr 6 oder 7 SGB V idF des GRG nicht hätte wirksam ausüben und die Beklagte als zuständige Trägerin der Krankenversicherung nicht hätte bestimmen können. Dies hätte zur Folge, daß er weiterhin Mitglied der Beigeladenen zu 2) und nicht Mitglied der Beklagten geworden wäre.

Entscheidend für den Erfolg des Feststellungsbegehrens ist mithin, ob der Beigeladene zu 1) in dem fraglichen Zeitraum in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert war, da er nur dann – wie ausgeführt – berechtigt war, die Beklagte als gesetzliche Krankenkasse zu wählen. Rechtsgrundlage einer derartigen Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) ist § 5 Abs 1 Nr 6 oder Nr 7 SGB V. Die letztgenannte Bestimmung, wonach Behinderte, die in nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) anerkannten Werkstätten für Behinderte tätig sind, in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, hat § 1 SVBG teilweise ersetzt (Art 10 Nr 1 GRG, aaO; BT-Drucks 11/2237 S 159 und BR-Drucks 200/88 S 159). Durch das SVBG war erstmals der Ausbau einer eigenständigen Kranken- und Rentenversicherung für Behinderte eingeleitet und eine Sonderregelung für diese Personengruppe geschaffen worden. Diese hat nach den für eine Gesetzeskonkurrenz geltenden Regeln die allgemeinen Vorschriften verdrängt (vgl hierzu BSG SozR 5085 § 1 Nr 2; § 5 Abs 6 SGB V idF des GRG). Die ursprünglich zusammen mit der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht im SVBG geregelte Krankenversicherungspflicht des in anerkannten Werkstätten beschäftigten Behinderten, wurde bei der Kodifizierung des gesetzlichen Krankenversicherungsrechts im SGB V aus dem SVBG herausgenommen und in § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V normiert. Einigkeit bestand jedoch im Gesetzgebungsverfahren, daß der kraft Gesetzes versicherte Personenkreis weiterhin weitgehend unverändert bleiben solle (BR-Drucks 200/88 S 159 und BT-Drucks 11/2237 S 159; vgl hierzu auch Hauck/Haines, Kommentar zum SGB V, K § 5 RdNr 30, 239). Bis zum Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261) blieb allein noch die parallel verlaufende und von denselben Voraussetzungen abhängende gesetzliche Rentenversicherungspflicht der in Werkstätten beschäftigten bzw tätigen Behinderten im SVBG geregelt (Art 83 Nr 24 iVm Art 85 Abs 1 RRG; heute: § 1 Abs 1 Nr 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫).

§ 5 Abs 1 Nr 7 SGB V ist somit im Zusammenhang mit dem im wesentlichen übereinstimmenden § 1 SVBG zu lesen. Danach sind körperlich, geistig oder seelisch Behinderte, die ua in nach dem SchwbG anerkannten Werkstätten für Behinderte tätig (§ 1 SVBG: beschäftigt) sind, in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Ferner sind in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 5 Abs 1 Nr 6 SGB V pflichtversichert auch Teilnehmer an von der Bundesanstalt für Arbeit gewährten berufsfördernden Maßnahmen im Eingangsverfahren und im Arbeitstrainingsbereich von anerkannten Werkstätten für Behinderte (§ 56 AFG, § 58 Abs 1 AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes ≪AFKG≫ vom 22. Dezember 1981 ≪BGBl I S 1497≫).

Der Beigeladene zu 1) wäre demnach krankenversicherungspflichtig gewesen, wenn er entweder in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte tätig iS von § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V (bzw beschäftigt iS von § 1 SVBG) gewesen wäre, und/oder wenn die Beigeladene zu 4) ihm in der Werkstatt berufsfördernde Leistungen der og Art bewilligt hätte. Anhaltspunkte dafür, daß der Beigeladene zu 1) etwa wie ein Arbeitnehmer in dem fraglichen Zeitraum in der Werkstatt tätig war und demnach nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V versichert gewesen wäre, liegen nicht vor.

Die genannten für eine Versicherungspflicht in Betracht kommenden Bestimmungen setzen beide eine Tätigkeit (bzw Beschäftigung) in einer anerkannten Werkstatt oder eine als solche zu wertende entsprechende Rehabilitationsmaßnahme (vgl hierzu BSG SozR 5085 § 1 Nr 2) voraus. Daß es sich bei der Klägerin um eine nach § 57 SchwbG idF vom 26. August 1986 (BGBl I S 1421) anerkannte Werkstatt handelt und daß der Beigeladene zu 1) Behinderter iS des Gesetzes ist, davon gehen die Beteiligten aus; etwas Gegenteiliges ist dem Inhalt der Akten auch nicht zu entnehmen. Infolgedessen kommt es allein darauf an, ob der Beigeladene zu 1) in dem fraglichen Zeitraum in der Werkstatt beschäftigt bzw tätig war.

Für eine Beschäftigung bzw Tätigkeit in diesem Sinne sind nicht die üblicherweise sozialversicherungsrechtlich relevanten und kennzeichnenden Kriterien maßgebend. Dies hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner Entscheidung vom 13. Juni 1989 (SozR 2200 § 539 Nr 133) festgestellt und hierzu ua ausgeführt: § 3 Abs 1 Satz 2 SVBG fingiere für den in der Werkstatt beschäftigten Behinderten ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis, um eine Gleichstellung mit sonstigen in der Kranken- und Rentenversicherung versicherten Personen zu erreichen; es bedürfe daher keiner Prüfung, ob die üblicherweise für ein sozialversicherungsrechtlich relevantes Beschäftigungsverhältnis kennzeichnenden Merkmale, wie Entgeltlichkeit, unselbständige Arbeitsleistung (§ 7 Abs 1 SGB IV), persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, dessen Direktionsrecht, Weisungsgebundenheit und Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers, gegeben seien (vgl hierzu auch Hauck/Haines, aaO, K § 5 RdNr 10).

Voraussetzung einer Versicherungspflicht in diesen Fällen ist vielmehr die Aufnahme des Behinderten in die Werkstatt zum Zwecke einer dauerhaften Eingliederung in das Erwerbsleben (vgl § 56 Abs 1 AFG; § 54 SchwbG). Versicherungspflichtig wird also nur derjenige in der Werkstatt tätige Behinderte, der entweder in der Werkstatt einen Arbeitsplatz hat – was hier nicht der Fall war – oder der an Maßnahmen zur Eingliederung in das Erwerbsleben teilnimmt. Die Aufnahme ohne das Ziel einer derartigen Eingliederung begründet mithin keine Versicherungspflicht. Infolgedessen werden von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V (und nach § 1 SVBG) nicht erfaßt, solche Personen, die lediglich zum Zwecke einer medizinischen, therapeutischen Behandlung in die Werkstatt aufgenommen werden (wohl anders: Verbandskommentar, § 1227 RdNr 57). Dies ergibt sich in erster Linie aus dem jeweils in Bezug genommenen Begriff der Werkstatt für Behinderte, der in § 54 Abs 1 bis 3 SchwbG definiert ist. Es folgt auch aus den am Erwerbsleben orientierten Begriffen “tätig” und “beschäftigt” in den og Bestimmungen. Im Einklang damit steht, daß ein umfassender Versicherungsschutz für den Behinderten – ohne Bezug zur Arbeitswelt – mit den Gesetzen nicht beabsichtigt war (vgl BT-Drucks 7/3237 S 3) und darüber hinausgehende Vorschriften über den Versicherungsschutz von Behinderten bisher auch nicht kodifiziert wurden.

Der Kreis der die Versicherungspflicht begründenden “Tätigkeiten” ist § 54 SchwbG zu entnehmen. Dort ist aufgeführt, welche Maßnahmen und Leistungen von der Werkstatt im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags zu treffen bzw zu erbringen sind, an denen der Behinderte “teilnehmen” und in deren Rahmen er “tätig” sein kann. Nach § 54 SchwbG ist die Werkstatt für Behinderte – grundsätzlich – eine Einrichtung zur Eingliederung Behinderter in das Arbeitsleben. Sie bietet denjenigen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, nicht nur einen Arbeitsplatz oder die Gelegenheit eine geeignete Tätigkeit auszuüben, sondern auch die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit zu entwickeln, zu erhöhen oder wieder zu gewinnen; aus diesem Grunde soll sie auch über ein möglichst breites Angebot an Plätzen für Arbeitstraining sowie über eine Ausstattung für begleitende Maßnahmen verfügen (Abs 2 aaO). Voraussetzung für eine Aufnahme ist stets die mit der Prognose verbundene Erwartung (vgl BSG SozR 4100 § 56 Nr 13; § 58 Nr 15), der Behinderte werde in der Zukunft in der Lage sein, eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung zu erbringen (Abs 3 aaO; § 4 Abs 1 der Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes idF vom 13. August 1980, BGBl I S 1365, Werkstättenverordnung- Schwerbehindertengesetz ≪SchwbWV≫). Daß die Werkstatt neben ihrem gesetzlichen Auftrag, Behinderte in das Arbeitsleben einzugliedern, auch noch andere Aufgaben wahrnimmt, nämlich ua die Betreuung und Förderung nicht werkstattfähiger – nicht pflichtversicherter (vgl BSG SozR 5085 § 1 Nr 4) – Behinderter, steht dieser grundsätzlichen Zweckbestimmung nicht entgegen.

Sinn und Zweck der von den Werkstätten anzubietenden und für die Versicherungspflicht maßgeblichen Leistungen werden in der SchwbWV schließlich noch näher erläutert. Durch das von der Werkstatt durchzuführende Eingangsverfahren soll in Zweifelsfällen festgestellt werden, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Eingliederung des Behinderten in das Arbeitsleben ist, welche Bereiche der Werkstatt und welche berufsfördernden und ergänzenden Leistungen in Betracht kommen (§ 3 Abs 1 SchwbWV). Gemäß § 4 Abs 1 SchwbWV hat die Werkstatt ferner im Arbeitstrainingsbereich berufsfördernde Maßnahmen zur Verbesserung der Eingliederungsmöglichkeiten in das Arbeitsleben unter Einschluß angemessener Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit des Behinderten durchzuführen. Eine wesentliche Aufgabe der Werkstätten besteht somit – neben dem Bereithalten von Arbeitsplätzen – in der Durchführung sämtlicher Förderungsmaßnahmen zur dauerhaften Eingliederung der Behinderten in das Erwerbsleben, sei es iS einer Wieder- oder einer Ersteingliederung (vgl hierzu entsprechend BSGE 41, 241 = SozR 4100 § 57 Nr 2). Wer für die Kosten dieser Maßnahmen aufkommt, ist für die Versicherungspflicht unerheblich.

Leistungen zum Zwecke einer dauerhaften Eingliederung in das Erwerbsleben sind mithin solche, die der Erhaltung, der Besserung, der Herstellung und der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Behinderten dienen (vgl hierzu ua die etwa zur gleichen Zeit in Kraft getretenen und im Zusammenhang stehenden Bestimmungen: § 11 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 4 RehaAnglG; § 56 Abs 1 AFG). Sie zielen auf eine Stabilisierung der Fähigkeiten des Behinderten ab, auf Dauer erwerbstätig zu sein; infolgedessen werden in der Regel innerhalb eines Eingliederungsgeschehens mehrere Maßnahmen – ua sozialbetreuerische und sozialpädagogische – notwendig sein, um diesen Erfolg herbeizuführen (vgl hierzu BSG SozR 4100 § 56 Nr 13). Zu diesen Leistungen zählen ua neben Maßnahmen der Ausbildung, der Berufsfindung und der Arbeitserprobung (§ 11 Abs 2 Nr 1 RehaAnglG; § 43 Abs 2 Nr 4 Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫) sowie die in diesem Zusammenhang stehenden Maßnahmen im Eingangs- und Arbeitstrainingsbereich (vgl hierzu BSG SozR 5085 § 1 Nr 2; § 58 Abs 1 AFG; § 11 Abs 1 Satz 3 RehaAnglG in der heute geltenden Fassung).

Abzugrenzen von diesen der Eingliederung dienenden Leistungen, an die die gesetzliche Versicherungspflicht knüpft, sind allerdings solche, die allein die medizinische Rehabilitation betreffen und deshalb keine Versicherungspflicht begründen. Diese sollen einer drohenden Behinderung vorbeugen oder diese beseitigen sowie den Gesundheitszustand des Behinderten bessern oder eine Verschlimmerung verhüten (§ 10 Abs 1 RehaAnglG); insoweit handelt es sich also um Maßnahmen, die in erster Linie der Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit dienen (vgl § 1 Abs 1 SGB V; BSG SozR 3-2200 § 1237 Nr 1). Zu derartigen medizinischen Maßnahmen zählen die Belastungserprobung und die Arbeitstherapie (§ 10 Abs 1 Nr 5 RehaAnglG). Bereits aus der Gegenüberstellung der beispielhaft aufgeführten berufsfördernden und der medizinischen Leistungen folgt, daß zum Zwecke der ganzheitlichen Eingliederung des Behinderten in das Arbeits- und Berufsleben (§ 10 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫, § 39 Abs 3 SchwbG, § 1 Abs 1 RehaAnglG) in der Regel eine Vielzahl sich überschneidender oder auch neben- oder nacheinander zu gewährender Leistungen unterschiedlicher Art erforderlich sind. Abgegrenzt werden können diese (medizinischen und der Eingliederung in das Erwebsleben dienenden) Leistungen voneinander nur durch die Frage nach dem mit der Leistung bezweckten Erfolg; es ist danach zu fragen, ob die Maßnahme im Endergebnis wesentlich der Stabilisierung der beruflichen Leistungsfähigkeit und damit der zu erwartenden Eingliederung in das Arbeitsleben oder der Wiederherstellung der Gesundheit des Behinderten dienen soll. Schlagworte wie – medizinische – Belastungserprobung geben allein ohne Ausfüllung des Begriffes und der Frage nach dem beabsichtigten Ziel keinen Aufschluß über die Bedeutung der Leistung. Denn Belastungserprobung – zur Wiederherstellung der Gesundheit – und Maßnahmen der Arbeitserprobung bzw im Arbeitstrainingsbereich – zur Steigerung der Leistungsfähigkeit – können einander ähnlich, unter Umständen sogar identisch sein; ihre Zuordnung läßt sich daher allein durch eine finale Betrachtung bestimmen. Die äußere Gestaltung einer Einzelmaßnahme allein, selbst wenn sie während eines stationären Aufenthaltes durchgeführt wird, gibt also keinen hinreichenden Aufschluß über die Art der Leistung.

Werden einzelne Abschnitte im Rahmen eines Gesamtplans, etwa auf Veranlassung eines Sozialleistungsträgers durchgeführt (vgl § 46 BSHG; § 57 AFG iVm § 10 RehaAnO, § 5 Abs 3 RehaAnglG), so erschließt sich der Zweck der Maßnahme aus der Gesamtplanung. Auch hier ist nicht etwa ausschlaggebend die äußere Gestaltung der Einzelmaßnahme oder ihre Bewertung durch Ärzte, sondern der mit der Maßnahme beabsichtigte Erfolg. Ergibt eine Gesamtbetrachtung, daß Hauptzweck die Eingliederung in das Arbeits- und Berufsleben ist, und daß Maßnahmen, etwa zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, im wesentlichen zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich waren, so ordnen sich diese dem Hauptzweck der Maßnahme unter und haben keine selbständige Bedeutung. Der vom zuständigen Träger aufzustellende Plan soll – ua wenn mehrere Träger beteiligt sind – alle Maßnahmen umfassen, die erforderlich sind, um eine vollständige und dauerhafte Eingliederung zu erreichen (§ 5 Abs 3 RehaAnglG). Gegenstand des Gesamtplanes, der der Schriftform bedarf (§ 4 der Gesamtvereinbarung über den Gesamtplan vom 21. Juli 1978 in Jung-Preuß, Rechtsgrundlagen der Rehabilitation, Ziffer 1.4), sind die nach dem jeweiligen Erkenntnisstand im Einzelfall voraussichtlich in Betracht kommenden Maßnahmen und Leistungen in ihrer zeitlichen Reihenfolge und Verzahnung (§ 2 der Gesamtvereinbarung, aaO).

Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V oder nach § 5 Abs 1 Nr 6 SGB V bei dem Beigeladenen zu 1) vorliegen. Aufgrund der in sich widersprüchlichen und somit nicht bindenden Feststellungen des LSG (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 139), die das LSG teils ausdrücklich, teils durch zulässige Bezugnahme auf die Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten getroffen hat, kann die Frage nicht beantwortet werden. Nach dem Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten hat das Arbeitsamt Göttingen als das für die Maßnahme am Sitz der Klägerin grundsätzlich zuständige Arbeitsamt (§ 57 RehaAnO) dem Beigeladenen zu 1) in der Zeit vom 22. Juni bis 20. Dezember 1989 eine berufsfördernde Maßnahme nach § 56 AFG, § 19 Abs 1 Nr 4 RehaAnO bewilligt; der Beigeladene zu 1) hat danach zur Vorbereitung der Aufnahme einer Ausbildung an einer Arbeitstrainingsmaßnahme teilgenommen, die in der “Gesamtplanung” des Arbeitsamtes Göttingen stand und während der er Ausbildungsgeld von dem Arbeitsamt erhielt (Schreiben des Arbeitsamtes vom 2. April 1991). Im Gegensatz hierzu sind die den Beigeladenen zu 1) behandelnden Ärzte der Universitätsklinik Göttingen sowie der Vertrauensarzt davon ausgegangen, es habe sich bei der Maßnahme in der Werkstatt der Klägerin um eine Belastungserprobung als Teil der medizinischen Behandlung gehandelt. Beide Feststellungen sind nicht miteinander vereinbar. Welcher der beiden zutrifft, ist nicht erkennbar.

Das LSG wird im Rahmen der ihm obliegenden Aufklärung mithin Feststellungen zu treffen haben, ob der Beigeladene zu 1) an einer von der Bundesanstalt für Arbeit bewilligten berufsfördernden Leistung teilgenommen hat. Hierbei wird es die Unterlagen des Arbeitsamtes Göttingen beizuziehen und im Rahmen einer zweckorientierten Betrachtung zu beurteilen haben, ob – gegebenenfalls aufgrund eines Gesamtplans – die Maßnahme(n) vorrangig der beruflichen Eingliederung des Beigeladenen zu 1) iS einer Entwicklung, Erhöhung oder Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit gedient hat (Feststellungen zu § 5 Abs 1 Nr 6 SGB V).

Sollte in der fraglichen Zeit keine derartige von der Bundesanstalt bewilligte und tatsächlich durchgeführte berufliche Eingliederungsmaßnahme vorgelegen haben, so ist weiter zu prüfen, ob der Beigeladene zu 1) – auf wessen Veranlassung auch immer – in der Werkstatt an einer solchen Maßnahme etwa im Arbeitstrainingsbereich oder im Eingangsverfahren zum Zwecke der beruflichen Eingliederung teilgenommen hat (Feststellungen zu § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V). Kommen beide Vorschriften für eine Krankenversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in Betracht, so ist § 5 Abs 6 SGB V zu beachten.

Die fehlenden – für die Versicherungspflicht und damit für die von dem Beigeladenen zu 1) getroffene Wahl der Beklagten als zuständige gesetzliche Krankenkasse erforderlichen – Feststellungen können von der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden; infolgedessen ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Bei der das Verfahren abschließenden Entscheidung wird das LSG auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI921732

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