Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 15.12.1989)

SG Köln (Urteil vom 15.03.1989)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezember 1989 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 15. März 1989 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin außergerichtliche Kosten auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Witwenrente der Klägerin unter Anwendung des bis zum 31. Dezember 1985 geltenden (= alten) oder nach dem ab 1. Januar 1986 geltenden (= neuen) Hinterbliebenenrentenrecht zu berechnen ist.

Die 1920 geborene Klägerin ist die Witwe des 1902 geborenen und am 24. Oktober 1987 verstorbenen Versicherten Erich-Walter B., den sie 1955 geheiratet hatte und der von der Beklagten Altersruhegeld bezog.

Dem im November 1987 bei der Beklagten eingegangenen Witwenrentenantrag war eine gemeinsame Erklärung über die Anwendung des alten Hinterbliebenenrentenrechts beigefügt, die sowohl von der Klägerin als auch von ihrem Ehemann am 1. Juni 1987 unterschrieben und nach Angaben der Klägerin einem am 1. Juni 1987 verfaßten Testament beigefügt worden war. Mit Bescheid vom 11. Januar 1988 bewilligte die Beklagte die Witwenrente und führte aus, es sei neues Hinterbliebenenrentenrecht anzuwenden, weil eine übereinstimmende Erklärung über die Anwendung des am 31. Dezember 1985 geltenden alten Rechts gemäß Art 2 § 17a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Art 5 Nr 2 des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S 1450) nicht wirksam geworden sei, da sie erst nach dem Tod des Ehegatten bei der Beklagten eingegangen sei. Der hiergegen eingelegte Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 1988). Auf die Klage der Klägerin wurde die Beklagte verurteilt, die Witwenrente der Klägerin unter Zugrundelegung des bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Hinterbliebenenrentenrechts festzustellen (Urteil des Sozialgerichts -SG- Köln vom 15. März 1989). Auf die Berufung der Beklagten wurde das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts -LSG- für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezember 1989). Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die Fortgeltung des alten Hinterbliebenenrentenrechts habe nur durch eine gemeinsame Erklärung der Ehegatten nach Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger herbeigeführt werden können. Eine entsprechende Erklärung sei jedoch nicht vor dem Eintritt des Versicherungsfalles dem Rentenversicherungsträger zugegangen. Dieses Erfordernis folge aus dem grundsätzlichen Verbot der Gestaltung von Versicherungsverhältnissen nach Eintritt des Versicherungsfalles. Wäre es entsprechend der Auffassung der Klägerin ausreichend, daß die Erklärung vor dem Versicherungsfall erstellt worden sei, hätte es der überlebende Ehegatte grundsätzlich selbst in der Hand, für den bereits eingetretenen Versicherungsfall das anzuwendende Recht zu bestimmen. Darin liege eine mit dem versicherungsrechtlichen Risikogedanken nicht zu vereinbarende und deshalb unzulässige einseitige Verschiebung und Gestaltung des Versicherungsverhältnisses. Dagegen spreche auch der gesetzlich vorgesehene Ausschluß des Widerrufs. Dieses Ausschlusses hätte es nicht bedurft, wenn es ausreichen würde, daß die Eheleute zu Lebzeiten für die Anwendung des alten Rechts hätten optieren können, ohne sich dieses Willens in Richtung auf den Versicherungsträger zu entäußern. Im vorliegenden Fall sei die gemeinsame Erklärung erst nach dem Tod des Versicherten in diesem Sinne abgegeben worden und zugegangen und deshalb nicht wirksam. Der Mangel einer wirksamen Erklärung könne auch nicht nach den Grundsätzen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als geheilt angesehen werden; denn die Beklagte habe ihrer allgemeinen Beratungspflicht Genüge getan und eine darüber hinausgehende besondere Beratungspflicht nicht gehabt. Art 2 § 17a Abs 2 Satz 1 AnVNG verstoße in der hier gefundenen Auslegung schließlich auch nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, insbesondere Art 3 und Art 14 GG; denn in jedem Fall überwiege das öffentliche Interesse an dieser Übergangsregelung das Interesse der Klägerin an der Anwendung des alten, für sie günstigeren Hinterbliebenenrentenrechts.

Mit ihrer Revision beanstandet die Klägerin die Auslegung des Art 2 § 17a AnVNG und trägt vor, im vorliegenden Fall sei eine gemeinsame Erklärung über die Anwendung des alten Hinterbliebenenrentenrechts noch zu Lebzeiten des Versicherten abgegeben worden. Damit sei der Regelung in Art 2 § 17a AnVNG entsprochen worden. Dort sei nichts über einen Zugang der Erklärung bestimmt, sondern nur geregelt, daß diese bis spätestens 31. Dezember 1988 eingegangen sein müsse. Daß die gemeinsame Erklärung vor dem Tod des Versicherten hätte eingehen müssen, könne weder aus dem Versicherungsprinzip noch aus der Unwiderruflichkeit der gemeinsamen Erklärung hergeleitet werden. Ihr Zugehen nach dem Tod des Versicherten sei auch deshalb ausreichend, weil sie mit Willen des Erklärenden in den Verkehr gelangt und der Erklärende damit habe rechnen können und gerechnet habe, daß sie auch den richtigen Empfänger erreichen werde (Hinweis auf BGH NJW 1979, 2032). Werde dem nicht gefolgt, müsse der Mangel der Erklärung nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als geheilt angesehen werden. Die Beklagte habe es an einer verständnisvollen Förderung der Versicherten fehlen lassen, indem sie – abweichend von der sonst üblichen Praxis – entsprechende Informationen für Ehegatten weder den Rentnern unmittelbar zugeschickt noch diese umfassend über die hier streitige Voraussetzung für die Wirksamkeit der gemeinsamen Erklärung unterrichtet habe. Darüber hinaus sei Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG in Fällen der vorliegenden Art verfassungswidrig, weil das neue Hinterbliebenenrentenrecht gleichsam automatisch zur Anwendung komme, ohne daß die Eheleute ein Wahlrecht bis zum 31. Dezember 1988 hätten ausüben können. Damit sei sowohl gegen Art 14 des Grundgesetzes (GG) als auch gegen Art 20 GG und das Willkürverbot verstoßen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezember 1989 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 15. März 1989 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist zulässig und auch begründet. Hinsichtlich der Zulässigkeit ihrer Klage gegen den Bescheid vom 11. Januar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 1988 bestehen keine Bedenken, weil die Klägerin durch diese Bescheide bereits insoweit beschwert ist, als bei der ihnen beigefügten Ruhensberechnung eine Entscheidung über die Anrechnung von Einkommen und damit über die Anwendung des neuen Hinterbliebenenrentenrechts jedenfalls dem Grunde nach getroffen worden ist. Die Witwenrente der Klägerin darf jedoch nicht wegen einer Anrechnung von Einkommen nach § 58 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) iVm Art 2 § 22b Abs 2 AnVNG (beide idF des HEZG) herabgesetzt werden, weil für die Rente das bis zum 31. Dezember 1985 geltende – alte – Hinterbliebenenrentenrecht maßgeblich ist, das eine Einkommensanrechnung nicht vorsieht. Denn die Klägerin hat – was der erkennende Senat für ausreichend erachtet – mit ihrem Witwenrentenantrag noch im November 1987, also vor Ablauf der in Art 2 § 17a Abs 2 Satz 1 AnVNG gesetzten Frist, gegenüber der Beklagten erklärt, daß das alte Hinterbliebenenrentenrecht für sie anzuwenden sei.

Nach dieser mit Wirkung vom 1. Januar 1986 in das Gesetz eingefügten Bestimmung (Art 2 § 17a Abs 2 Satz 1 AnVNG idF des Art 5 Nr 2 HEZG) können Ehegatten gegenüber dem für einen der Ehegatten zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum 31. Dezember 1988 übereinstimmend erklären, daß für sie die am 31. Dezember 1985 geltenden Rechtsvorschriften für Renten an Witwen und Witwer anzuwenden sind, wenn 1) beide Ehegatten vor dem 1. Januar 1936 geboren sind und 2) ihre Ehe vor dem 1. Januar 1986 geschlossen worden ist. Vorliegend fehlt es zwar – die übrigen Voraussetzungen liegen vor – an übereinstimmenden Erklärungen in diesem Sinne. Bei diesen Erklärungen, mittels derer das gesetzlich eingeräumte Gestaltungsrecht (Wahlrecht hinsichtlich der Fortgeltung des alten Hinterbliebenenrentenrechts) ausgeübt wird, handelt es sich um Willenserklärungen iS von § 130 BGB, die nicht als Gesamterklärung, sondern als inhaltlich deckungsgleiche Einzelerklärungen von beiden Ehegatten (auch getrennt) gegenüber dem zuständigen Versicherungsträger „abzugeben” sind. Bei Abgabe in Abwesenheit des Erklärungsempfängers werden sie erst in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie diesem zugehen (§ 130 Abs 1 Satz 1 BGB analog). Im vorliegenden Fall ist eine von dem Verstorbenen unterschriebene, auf den 1. Juni 1987 datierte Erklärung der Beklagten erst im November 1987 zugegangen, weil sie dem Testament des Verstorbenen beigefügt war und dementsprechend erst nach dessen Tod von der Klägerin an die Beklagte übersandt worden ist. Diese Erklärung des Verstorbenen erfüllt – insoweit folgt der erkennende Senat dem LSG – nicht die Voraussetzungen des § 130 Abs 1 Satz 1 BGB, weil sie nicht gegenüber der Beklagten „abgegeben” worden ist. Das ist erst dann der Fall, wenn der Erklärende den Inhalt der Willenserklärung endgültig festgestellt und sich ihrer entäußert hat, um sie durch Mitteilung an den Empfänger wirksam werden zu lassen (vgl BGH NJW 1979, 2032/33 mwN). Hat der Erklärende die Erklärung zwar erstellt, aber den Zugang absichtlich bis zu seinem Tode zurückgestellt, indem er die Erklärung – wie hier – seiner letztwilligen Verfügung beigefügt hat, kann sie mit dem Zugang nach seinem Tod grundsätzlich nicht mehr wirksam werden, es sei denn, daß der Erklärende alles getan hätte, was von seiner Seite aus geschehen mußte, damit die Erklärung an den Empfänger gelangt (vgl OLG Köln NJW 1950, 702; zur Problematik der Abgabe empfangsbedürftiger Willenserklärungen durch letztwillige Verfügungen vgl Krüger-Nieland in RGRK, 12. Aufl, § 130 RdNr 36; Staudinger/Dilcher, Komm zum BGB, 12. Aufl, § 130 RdNr 4 und 67 f; BGHZ 9, 233, 235). Daran fehlt es, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Erklärung des verstorbenen Ehegatten in den Verfügungsbereich des überlebenden Ehegatten gelangt und diesem – mangels weiterer Vorkehrungen – anheimgestellt ist, ob er die Erklärung dem Versicherungsträger übersendet oder nicht. Der Erklärende hat dann nicht alles getan, damit das Schriftstück an den Empfänger gelangen kann.

Gleichwohl reicht es für die Anwendung des alten Hinterbliebenenrentenrechts aus, wenn der überlebende Ehegatte vor Fristablauf eine entsprechende Erklärung wirksam abgegeben hat. Ist nämlich einer der Ehegatten vor dem Ablauf der Erklärungsfrist verstorben, ohne – aus welchen Gründen auch immer – bis zu seinem Tode eine entsprechende Erklärung wirksam abgegeben zu haben, kann das gesetzliche Gestaltungsrecht von dem überlebenden Ehegatten allein ausgeübt werden.

Für die Annahme, daß der Gesetzgeber beim Tod eines der Ehegatten vor Fristablauf dem überlebenden allein die Erklärung überlassen hätte, wenn er Fallgestaltungen dieser Art nicht – unbewußt übersehen hätte, bestehen sowohl nach der Entstehungsgeschichte als auch nach Wortlaut, systematischem Zusammenhang und Zweck der Vorschrift hinreichend sichere Anhaltspunkte. Für eine unbewußte Regelungslücke spricht bereits, daß andernfalls das neue Hinterbliebenenrentenrecht als Folge des Wegfalls des gesetzlichen Gestaltungsrechts für den Überlebenden sogar dann gelten würde, wenn die Frist nicht ausgeschöpft werden konnte, weil zB der Versicherungsfall bereits am 1. Tag der Frist (1. Januar 1986; vgl LSG Berlin, Urteil vom 23. März 1990 – L 1 An 32/88 -: Tod am 2. Januar 1986) oder während der Frist nach einer Zeit beschränkter oder ausgeschlossener Handlungsfähigkeit infolge längerer und schwerer Krankheit oder geistiger Leistungsminderung eingetreten ist. Nicht nur in diesen, sondern in allen Fällen, in denen einer der Ehegatten innerhalb der Frist (31. Dezember 1985 bis 31. Dezember 1988) verstirbt, steht ein Verlust des gesetzlichen Gestaltungsrechts für den Überlebenden mit der strikten Folge der Anwendung des neuen Hinterbliebenenrentenrechts in einem unlösbaren Wertungswiderspruch zum Regelungskonzept des Gesetzgebers, der nur durch eine „teleologische Extension” im vorbezeichneten Sinne gelöst werden kann.

Das Regelungskonzept des Gesetzgebers wird durch den Zusammenhang zwischen Art 2 § 17a Abs 1 und Abs 2, § 22b Abs 1 und Abs 2 AnVNG idF des HEZG verdeutlicht, die sämtlich dem Gedanken des Vertrauensschutzes Rechnung tragen (vgl den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 10/3519 unter A, Allgemeines I, S 6 und unter III 3b, S 13). Der Gesetzgeber sah sich bei der gebotenen Umstellung des alten auf das neue Recht aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Besitzstandswahrung zunächst gehindert, Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1986 in die Neuregelung einzubeziehen. Bei allen Versicherungsfällen vor diesem Stichtag bleibt es künftig bei der Anwendung des alten Hinterbliebenenrentenrechts (Art 2 § 17a Abs 1 und § 22b Abs 1 AnVNG idF des HEZG). Hingegen sollten durch die aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene Neuordnung des Hinterbliebenenrentenrechts zum 1. Januar 1986 grundsätzlich alle von diesem Stichtag an eingetretenen Todesfälle erfaßt werden. Zur Erleichterung des Übergangs in das neue Recht war im Regierungsentwurf zum HEZG als Übergangsregelung lediglich vorgesehen, daß bei den Witwenrenten an Witwen, deren Ehe vor dem 1. Januar 1986 geschlossen worden ist und deren Ehemann in der Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Dezember 1995 verstirbt, die Anrechnung von Einkommen zeitlich gestuft erfolgt, indem während einer Übergangszeit von fünf Jahren die Anrechnung in einer gemilderten Form durchgeführt wird (Art 2 § 22b Abs 2 AnVNG idF des HEZG). Dieses stufenweise Hineingleiten in das neue Recht erschien jedoch angesichts des Alters vieler von der Neuregelung betroffenen Ehepaare nicht ausreichend. Auf Empfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung (Beschlußempfehlung, BT-Drucks 10/3518 S 3 und 41/42) ist deshalb Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG als weitere Übergangsregelung zur Milderung des Übergangs in das neue Recht eingefügt worden. Grundidee war, dem Gedanken des Vertrauensschutzes für ältere Ehepaare Rechnung zu tragen. Wer vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geheiratet und seine Lebensplanung im Vertrauen auf den Fortbestand des geltenden Rechts ausgerichtet hatte, sollte nicht um jeden Preis in das durch das HEZG geschaffene Hinterbliebenenrentenrecht hineingezwungen werden, weil mit dem Anrechnungsmodell häufig erhebliche (in nicht wenigen Fällen bis zum völligen Ruhen der Hinterbliebenenrente führende) Nachteile verbunden sind. Dieses schutzwürdige Vertrauen sollte in gebotenem Umfang berücksichtigt werden. Dabei waren auch Gründe der Rechtssicherheit zu beachten, die ein zu langes Nebeneinander von zwei in vielfacher Hinsicht unterschiedlichen Rechtssystemen – etwa nach dem Günstigkeitsprinzip – nicht wünschenswert erscheinen ließen. Zwischen diesen beiden in einem Spannungsverhältnis stehenden Prinzipien – der Notwendigkeit eines angemessenen Vertrauensschutzes einerseits und der Notwendigkeit einer baldigen Umstellung auf das neue Recht andererseits – ist mit Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG ein Kompromiß gefunden worden, der in vertretbarem Maße beiden Prinzipien gerecht wird: Danach blieb es den bei Inkrafttreten des HEZG bereits über 50 Jahre alten Ehegatten überlassen, gemeinsam für das alte Recht der Hinterbliebenenversorgung zu optieren, also vorab – für einen künftigen Todesfall – eine ihren Interessen entsprechende Entscheidung für die Anwendung des alten Rechts zu treffen. Folgerichtig hat der Gesetzgeber den Ehegatten gemeinschaftlich und „zur gesamten Hand” ein befristetes Gestaltungsrecht (Wahlrecht) zugunsten der Fortgeltung des alten Hinterbliebenenrentenrechts eingeräumt, das grundsätzlich durch übereinstimmende Erklärung beider Ehegatten auszuüben ist. Damit sollte insbesondere auch den Interessen der älteren Frauen Rechnung getragen werden und der Spielraum des einzelnen Versicherten erweitert werden, indem er ggf auf einen nach neuem Recht möglichen Witwerrentenanspruch verzichtet, um seine Ehefrau die volle Witwenrente zu erhalten (vgl dazu den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, aaO, S 13).

Der Gesetzgeber wollte damit den Ehegatten eine „sinnvolle”, nach ihren individuellen Verhältnissen, Vorsorgeplanungen und Sicherungsabsichten ausgerichtete Entscheidung gestatten, dh nach Umständen, die nur die Ehegatten selbst überschauen konnten. Dabei war von vornherein klar, daß eine Entscheidung für das alte Recht – nicht zuletzt wegen ihrer Unwiderruflichkeit – sorgfältige prognostische Überlegungen erforderte, bei denen eine Vielzahl von Fallgestaltungen zu berücksichtigen war. Die Ehegatten mußten sich zunächst darüber Gedanken machen, wer voraussichtlich von ihnen als erster versterben wird. Ist dies der Ehemann, weil die Ehefrau – bei entsprechendem Altersunterschied und angesichts der allgemein höheren Lebenserwartung von Frauen – voraussichtlich eine höhere Lebenserwartung hat, konnte für die Wahl des alten Rechts schon allein dies maßgeblich sein, weil dann der Ehemann eine Witwerrente ohnehin nicht zu erwarten hatte. Aber auch wenn eine Prognose über das voraussichtliche Vorversterben eines der Ehegatten zu ungewiß war, konnte für die Wahl des alten Rechts allein der Wille des Versicherten maßgeblich sein, seiner Ehefrau die Witwenrente ohne Einkommensanrechnung zu garantieren und dafür auf einen Witwerrentenanspruch neuen Rechts bewußt zu verzichten. Für die bewußte Hinnahme eines fehlenden Witwerrentenanspruchs konnte auch sprechen, daß der Versicherte wegen der eigenen Versorgung auf eine Witwerrente nicht angewiesen sein würde oder wegen der Anrechnung eigenen – höheren – Einkommens eine Witwerrente weitgehend oder in vollem Umfang ruhen würde. Auch und nicht zuletzt an solche Fälle war nach der Gesetzesbegründung gedacht, weil damit berücksichtigt werden konnte, daß ältere Ehegatten häufig auch die soziale Sicherung des überlebenden Partners in ihre Vorsorgeplanung einbezogen hatten. Durch die Anrechnung von eigenem Einkommen auf die Hinterbliebenenrente konnten sich diese Planungen – insbesondere bei der Versorgung der Ehefrau – im nachhinein als unzureichend erweisen, ohne daß die Ehefrau dann noch die Möglichkeit gehabt hätte, ihren nach altem Recht erreichten Versorgungsstandard durch zusätzliche private Sicherungsmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Im übrigen mußten die Ehegatten, sofern sie die im jeweiligen Längerlebensfalle für beide günstigste Lösung finden wollten, ihre Entscheidung vornehmlich danach treffen, ob der überwiegende Unterhalt der Familie zuletzt durch die ggf vorversterbende Ehefrau geleistet werden und ob der ggf Längerlebende Einkommen über dem Freibetrag haben würde. Dabei waren die verschiedensten typisierenden Fallgestaltungen zu bedenken (vgl dazu im einzelnen Michaelis/Blümlein/Heller, DAngVers 1985, 273, 297 f; Ruland, NJW 1986, 20, 22; Michaelis, Renten für Witwen und Witwer, 1988, S 44 f; Hußmann, Amtliche Mitteilung der LVA Rheinprovinz 1986, S 327 ff; Kaltenbach/Clausing, Das neue Rentenrecht 1986, S 35 ff; vgl ferner die Entscheidungshilfen für die Ehegatten im Sondermerkblatt der BfA „Wahlrecht für über 50jährige Ehegatten und Geschiedene”). Ferner mußte berücksichtigt werden, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse bis zum Eintritt eines Todesfalles noch ändern konnten.

Die praktischen Schwierigkeiten einer solchen Entscheidung, die zunächst voraussetzte, daß die Ehegatten sowohl das alte als auch das neue Recht mit seinen möglichen Auswirkungen kannten, und die komplexe Überlegungen erforderte, waren Gegenstand der Ausschußberatungen (vgl die Einwendungen der Fraktion der SPD gegen den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP in BT-Drucks 10/3519 S 13). Angesichts dieser Schwierigkeiten bestand Übereinstimmung dahin, daß die Versicherungsträger durch allgemeine Aufklärung, Merkblätter usw sowie durch individuelle Beratung zu einer „sinnvollen” Entscheidung Hilfestellung geben mußten, ohne allerdings den Ehegatten das in der Prognose liegende Risiko abnehmen zu können. Deshalb mußte in der Übergangsregelung eine ausreichend lang bemessene „Überlegungsfrist” vorgesehen werden, die vom Gesetzgeber dann auch – dem Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung entsprechend – bis 31. Dezember 1988 gewährt worden ist.

Dauer und Zweck der bis Ende 1988 eingeräumten Frist bieten einen entscheidenden Hinweis dafür, daß der Gesetzgeber die Wahlmöglichkeit nicht allen denjenigen nehmen wollte, deren Ehegatte vor Fristablauf verstorben ist, ohne die Erklärung – aus welchen Gründen auch immer – vor seinem Tode abgegeben zu haben. Daß es sich bei der eingeräumten Frist um eine gesetzliche „Frist” handelt, die grundsätzlich bis zu dem gesetzten Endzeitpunkt ausgeschöpft werden darf, ergibt sich schon aus ihrer Ausgestaltung als Ausschlußfrist; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen (Art 2 § 17a Abs 2 Satz 4 AnVNG). Das den Ehegatten eingeräumte Wahlrecht kann – als gesetzliches Gestaltungsrecht – grundsätzlich auch dann noch bis zum 31. Dezember 1988 ausgeübt werden, wenn die Entscheidung früher möglich gewesen bzw bewußt aufgeschoben worden ist. Die Frist ist nach ihrem gesetzlichen Zweck unzweifelhaft auch eine Überlegungsfrist, die wegen der Schwierigkeit der anzustellenden Erwägungen und Prognosen vor übereilten und „sinnwidrigen” Entscheidungen schützen und den Ehegatten eine reifliche Überlegung sichern sollte. Dafür spricht insbesondere ihre auffällig lange Dauer von drei Jahren nach Inkrafttreten des HEZG, die vor allem Raum für öffentliche Aufklärungsmaßnahmen und individuelle Entscheidungshilfen bieten sollte. Mit diesen Zwecken wäre es aber schlechterdings unvereinbar, wenn die eingeräumte Frist um so weniger ausgeschöpft werden könnte, je älter, gebrechlicher und hinsichtlich der Entscheidungsbildung hilfebedürftiger die betroffenen Ehepaare bzw ein Teil von ihnen wäre. Es bedeutete insoweit einen unlösbaren Wertungswiderspruch, wenn der Gesetzgeber gerade denjenigen, bei denen das Risiko eines vorzeitigen Todes am größten war, für das auf diesen Risikofall bezogene Wahlrecht die geringstmögliche bzw keine Überlegungsfrist gewährt hätte, diese Ehepaare also gerade in eine schnelle und damit zweckwidrige (weil unzureichend vorbereitete) Entscheidung hätte zwingen wollen.

Dafür, daß der Gesetzgeber dem überlebenden Ehegatten das Wahlrecht nicht abschneiden wollte, spricht auch der Wortlaut des Gesetzes im Zusammenhang mit der dazu gegebenen Begründung. Hätte der Gesetzgeber die Erklärungsfrist auf den Todeszeitpunkt des vor Fristablauf Versterbenden begrenzen wollen, hätte eine Formulierung nahegelegen, daß die Erklärung bis zum 31. Dezember 1988 abzugeben sei, bei Tod eines der Ehegatten vor diesem Stichtag spätestens jedoch bis zu dessen Tod. Eine entsprechende Einschränkung enthält das Gesetz jedoch nicht. Auch die Gesetzesbegründung bietet dafür keinen Anhalt. Dort heißt es zu Art 2 § 18 ArVNG (BT-Drucks 10/3519 S 16) ua:

„Die Erklärung muß vor dem Tode eines der Ehegatten abgegeben sein, spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 1988. Damit bleibt den Ehegatten eine ausreichende Überlegungsfrist.”

Aus dem Zusammenhang beider Sätze, insbesondere aber aus dem letzten Satz ergibt sich, daß der Gesetzgeber offensichtlich von einer für alle betroffenen Ehegatten in gleichem Umfang bestehenden Überlegungsfrist bis zum 31. Dezember 1988 ausgegangen ist, weil er ansonsten – etwa bei Todesfällen am oder kurz nach dem 1. Januar 1986 – nicht von einer „ausreichenden” Überlegungsfrist hätte sprechen können. Bereits aus der Formulierung „spätestens jedoch” im ersten Satz der Begründung ergibt sich, daß der Gesetzgeber mit dem Erfordernis der Abgabe der Erklärung vor dem Tod eines der Ehegatten nur Todesfälle nach Fristablauf im Auge gehabt haben kann, denn nur bei Todesfällen nach dem 31. Dezember 1988 muß die Erklärung „spätestens jedoch” bis zu diesem Stichtag abgegeben sein. Hingegen hätte, wenn für Todesfälle vor dem 31. Dezember 1988 die Überlegungsfrist auf den Todeszeitpunkt hätte beschränkt werden sollen, die Abgabe der Erklärung bis zum 31. Dezember 1988 durch den Zusatz „spätestens jedoch bis zum Tode eines der Ehegatten” eingeschränkt werden müssen. Hätten die Fälle des vorzeitigen Todes in der Zeit zwischen Fristbeginn und Ende (1. Januar 1986 bis 31. Dezember 1988) in der Weise geregelt werden sollen, daß bei Nichtausübung des Wahlrechts bis zum Tod eines der Ehegatten für die Hinterbliebenenrente des Überlebenden automatisch das neue Recht gilt, wäre die eingeräumte Überlegungsfrist in diesen Fällen nicht nur – je nach dem Zeitpunkt des Todeseintritts – verkürzt, sondern letztlich ganz und gar beseitigt worden. Denn kein Ehepaar, das das Risiko des Todes eines der Ehegatten vor dem 31. Dezember 1988 und damit den Verlust des Wahlrechts hätte eingehen können (oder wollen), hätte eine Überlegungsfrist in Anspruch nehmen können, sondern hätte die übereinstimmende Erklärung möglichst noch vor dem 31. Dezember 1985 abgeben müssen. Das gilt – wenn auch in erster Linie – nicht nur für alle diejenigen Ehepaare, von denen einer oder beide bei Fristbeginn bereits alt und krank bzw gebrechlich waren, sondern letztlich für alle von der Übergangsvorschrift betroffenen Ehepaare. Da der Eintritt des Todes nicht sicher vorhersehbar ist, sondern immer eintreten kann (zB durch Unfall, plötzliche Krankheit), hätte letztlich niemand die Erklärungsfrist ausschöpfen können. Der Gesetzgeber hätte dann mit der einen Hand gegeben, was er mit der anderen wieder genommen hätte. Die systematische Unvereinbarkeit dieser Rechtsfolge mit dem Zweck der Vorschrift liegt also insbesondere darin, daß eine allgemein für erforderlich angesehene Überlegungsfrist von drei Jahren um so weniger in Anspruch genommen werden kann, je höher das Risiko ist, das Gegenstand eben dieser Überlegungen sein soll, und widerspricht zudem der Absicht des Gesetzgebers, gerade für ältere Ehegatten und damit erst recht für diejenigen, die dem Todesfalle am nächsten stehen, einem (den Todesfällen vor dem 1. Januar 1986 angenäherten) Vertrauensschutz durch die Ermöglichung der Wahl des alten Rechts Rechnung zu tragen.

Gewichtige Anhaltspunkte für eine Lückenhaftigkeit des Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG und gegen dessen angeblich eindeutigen Wortlaut ergeben sich schließlich auch daraus, daß diese Vorschrift insgesamt nur eine weithin unvollständige Regelung der Ausübung des Wahlrechts durch übereinstimmende Erklärungen der Ehegatten enthält. Es ist zB weder geregelt, ob die Erklärungen höchstpersönlicher Art sind oder ob eine gewillkürte Vertretung – auch der Ehegatten untereinander – zulässig ist, ob die Vorschriften über Geschäftsunfähigkeit und beschränkte Geschäftsfähigkeit sowie gesetzliche Vertretung, über Willensmängel, über Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber Abwesenden anzuwenden sind (zu diesen und weiteren Fragen umfassend Michaelis/Barkmin, DAngVers 1988, 94 ff) und wie die Fälle zu behandeln sind, in denen ein Ehegatte willkürlich (also auch dann, wenn die Anwendung des alten Rechts für beide offensichtlich günstiger ist) die Abgabe der übereinstimmenden Erklärung verweigert hat. Eine Reihe von diesbezüglichen Problemen, insbesondere soweit sie mit geistiger Gebrechlichkeit und daran anschließend (vor Fristablauf) eingetretenem Tod eines der Ehegatten zusammenhängen, löst sich allerdings ohne weiteres, wenn – wie hier – ein Fortbestehen des Gestaltungsrechts in der Hand des überlebenden Ehegatten angenommen wird. Auch dies spricht letztlich für die hier vorgenommene Auslegung.

Ein Erlöschen des Gestaltungsrechts beim Tod eines Ehegatten kann auch nicht durch die Überlegung gerechtfertigt sein, daß die Anwendung des neuen Rechts für den Überlebenden stets oder jedenfalls in der Mehrzahl der Fälle günstiger wäre – das trifft für die den Ehemann häufig überlebenden Ehefrauen ersichtlich nicht zu – oder für die Wahl des alten Rechts nach Beendigung der Ehe kein Grund mehr bestünde. Im Gegenteil spricht der mit der Einräumung des Wahlrechts verfolgte Zweck, dem Vertrauensschutz älterer Ehegatten hinsichtlich der Fortgeltung des alten Rechts Rechnung zu tragen, dafür, daß der Gesetzgeber dem Überlebenden allein das Wahlrecht überlassen hätte, wenn er Todesfälle vor Fristablauf in seine Überlegungen einbezogen hätte. Denn bei vorzeitigem Eintritt des Risikos, auf das das Wahlrecht allein bezogen ist, ist der Grund für das Wahlrecht nicht entfallen, sondern erst recht gegeben. Die ratio legis trifft nämlich in Fällen des Vorversterbens eines der Ehegatten vor dem 31. Dezember 1988 mindestens in gleichem, wenn nicht in stärkerem Maße zu als in Fällen des Todes nach diesem Stichtag. Nur wenn der Überlebende das Wahlrecht allein ausüben kann, kann dem Vertrauensschutz älterer Ehegatten im Blick auf die Fortgeltung des alten Rechts noch angemessen Rechnung getragen werden. Daß bei ihm das prognostische Risiko, das „günstigere” Recht zu wählen, entfällt, weil dann eine Prognose, wer zuerst versterben wird und wie die Einkommensverhältnisse zur Zeit des Todes sein werden, nicht mehr erforderlich ist, steht der Schutzbedürftigkeit seines Vertrauens auf die Fortgeltung des alten Rechts nicht entgegen. Einerseits steht dem Wegfall dieses Risikos der frühzeitige Verlust des Ehepartners (und dessen Beitrages zum Familienunterhalt) gegenüber. Andererseits würde durch den Verlust des Wahlrechts für den Überlebenden die Systematik des Gesetzes, wie sie sich aus den Übergangsbestimmungen ergibt, praktisch in ihr Gegenteil verkehrt. Der Überlebende würde von Gesetzes wegen einschränkungslos dem neuen Hinterbliebenenrentenrecht unterworfen, das der Gesetzgeber aber mit Rücksicht auf den Vertrauensschutz strikt nur für neue Ehen bzw Altehen mit jüngeren Ehepartnern (zB mit Frauen unter 50) in der Annahme vorgesehen hat, sie könnten sich aufgrund ihres jüngeren Lebensalters noch ohne weiteres auf das neue Recht einstellen. Es würde gerade denjenigen – meist weit über 50 Jahre alten – Hinterbliebenen und insbesondere den Witwen, deren Ehegatte alsbald nach dem 31. Dezember 1985 verstorben ist, jegliche Chance genommen, so behandelt zu werden wie diejenigen Hinterbliebenen (Witwen), deren Ehegatte kurze Zeit vorher – bis zum 1. Januar 1986 – verstorben ist und denen sie daher hinsichtlich des Vertrauens auf die Fortgeltung des alten Rechts am nächsten stehen.

Der Annahme eines von dem überlebenden Ehegatten allein auszuübenden Wahlrechts steht – als sog Gegenprinzip – auch nicht das Versicherungsprinzip (richtig: Versicherungsfallprinzip) entgegen. Abgesehen davon, daß der Gesetzgeber des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992 vom 18. Dezember 1989, BGBl I 2261) dieses Prinzip praktisch aufgegeben hat, kann es bei gesetzlichen Übergangsregelungen der hier vorliegenden Art, die erklärtermaßen dazu dienen, beim Übergang von altem zu neuem Recht dem Vertrauensschutz Rechnung zu tragen, keine entscheidende Bedeutung haben. Das zeigt bereits die – ebenfalls durch das HEZG geschaffene – Regelung des § 1251a RVO = § 28a AVG, wonach die übereinstimmende und befristete Erklärung von Vater und Mutter, daß der Vater das Kind überwiegend erzogen hat, dann vom Vater allein abgegeben werden kann, wenn die Mutter nach dem 31. Dezember 1985 verstirbt (aaO Abs 2 Satz 2 idF des HEZG). Damit sollte erreicht werden, daß die Kindererziehungszeit im Versicherungsverlauf des Vaters und nicht der verstorbenen Mutter berücksichtigt wird. Auch bei diesen die gemeinsame Kindererziehung betreffenden Neuregelungen hat also das Versicherungsfallprinzip nicht nachträglichen Verschiebungen des Versicherungsrisikos entgegengestanden.

Andererseits kann der Ansicht, daß schon angesichts des Fehlens einer dieser Regelung vergleichbaren Ausnahmeregelung in Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG (= Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG) nicht von einer ausfüllungsbedürftigen Gesetzeslücke die Rede sein könne, nicht gefolgt werden. Daß die vorstehend erwähnten Vorschriften sämtlich durch das HEZG geschaffen worden sind, läßt nicht den Schluß zu, daß der Gesetzgeber auch bei Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG die Frage erwogen hat, wann ausnahmsweise eine Erklärung nur eines Ehegatten ausreichend sein soll. Die Sonderregelungen für den Fall des Todes der Mutter nach Ablauf der Kindererziehungszeit, die im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum HEZG noch nicht vorhanden waren (BT-Drucks 10/2677, S 3), sind aufgrund von Bedenken des Bundesrates und des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung eingefügt worden und sollten dem Umstand Rechnung tragen, daß es beim Tod der Mutter nach dem 31. Dezember 1985 wegen der Anrechnung eigenen Einkommens des Vaters auf die Witwerrente häufig nicht zu einer derartigen Leistung kommen wird und daher die Kindererziehungszeit beim Tod der Mutter ohne das nachträgliche alleinige Erklärungsrecht des Vaters zumeist verfallen würde (vgl Urteil des 5. Senats vom 29. Juni 1989 – 5 RJ 23/88BSGE 65, 181, 183 = SozR 2200 § 1251a Nr 4). Daß auch hierbei der Gesetzgeber nicht umfassend die Frage erwogen hat, wann eine Erklärung nur eines Ehegatten ausreichend sein soll, ergibt die weitere Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Nachdem der 5. Senat (aaO) entschieden hatte, daß die entsprechende Möglichkeit für die Mutter, nach dem Tode des versicherten Vaters allein die Erklärung abzugeben, nicht gewollt gewesen sei, hat der Gesetzgeber des RRG 1992 durch „authentische Interpretation” des § 1251a Abs 2 Satz 2 RVO = § 28a Abs 2 Satz 2 AVG mit Wirkung ab 1. Januar 1986 klargestellt, daß das Fehlen eines entsprechenden alleinigen Erklärungsrechts der Mutter nicht seiner Regelungsabsicht entsprochen hat (Art 6 Nr 18, Art 7 Nr 2 und Art 85 Abs 2 RRG 1992).

Schon im Hinblick hierauf, aber auch wegen des unterschiedlichen Regelungsgegenstandes der Kindererziehungszeiten (Anrechnung von Kindererziehungszeiten beim Vater statt bei der Mutter) und des unterschiedlichen Erklärungsinhalts (die Erklärung, der Vater habe das Kind überwiegend erzogen, betrifft eine Tatsache und soll der Beweiserleichterung dienen) können – negative – Schlußfolgerungen aus § 1251a Abs 2 Satz 2 RVO bzw § 28a Abs 2 Satz 2 AVG hinsichtlich der Auslegung des Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG bzw Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG nicht gezogen werden. Eher ist die umgekehrte Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß dann, wenn schon die übereinstimmende Erklärung hinsichtlich der überwiegenden Erziehung durch den Vater von einem Elternteil nach dem Tod des anderen allein abgegeben werden kann, dies um so mehr im Rahmen des Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG zu gelten hätte. Denn in diesen Fällen bedeutet der Verlust des Wahlrechts für den überlebenden Ehegatten, daß es wegen der Anrechnung eigenen Einkommens häufig zu einer erheblich geringeren Hinterbliebenenrente oder gar zu deren völligem Ruhen kommen wird.

Nach allem ist Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG bereits im Wege der teleologischen Extension – einfachrechtlich – dahingehend auszulegen, daß die Erklärung zugunsten der Anwendung des alten Rechts nach dem vor dem 31. Dezember 1988 eingetretenen Tod eines Ehegatten von dem anderen Ehegatten allein abgegeben werden kann, sofern der Verstorbene zu seinen Lebzeiten eine entsprechende Erklärung noch nicht oder nicht wirksam abgegeben hatte. An dieser Entscheidung sieht der erkennende Senat sich auch nicht dadurch gehindert, daß der 5. Senat des BSG zu der § 17a Abs 2 Satz 1 AnVNG entsprechenden Regelung in § 18 Abs 3 Satz 1 ArVNG gegenteilig entschieden hat. Denn der 5. Senat hat auf die Anfragen des erkennenden Senats vom 20. Juni 1990 (in den Streitsachen 1 RA 41/88, 55/88, 71/89 und 13/90) sowie des 4. Senats vom 16. August 1990 (in den Streitsachen 4 RA 79/88, 2/89, 2/90, 6/90, 34/90 und 36/90) mit Beschluß vom 12. September 1990 ausgesprochen, daß er an seiner in den Urteilen vom 6. September 1989 (5 RJ 70/88), 15. November 1989 (5 RJ 60/88) und 16. November 1989 (5 RJ 71/88) vertretenen Rechtsauffassung nicht mehr festhält. Auf die vom erkennenden und 4. Senat in den genannten Anfragen geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vom 5. Senat gefundene Auslegung braucht deshalb nicht mehr eingegangen zu werden. Denn mit der hier vertretenen Auslegung ist bereits „einfachrechtlich”, also ohne eine verfassungskonforme Auslegung, eine Lösung gefunden, der verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegenstehen.

Nach allem war der Revision der Klägerin stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173356

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