Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsfreier Unfallversicherungsschutz. Errichtung eines Familienheims. Selbsthilfe. Anerkennung als steuerbegünstigt. Nutzungsabsicht im Unfallzeitpunkt

 

Orientierungssatz

1. Der in § 539 Abs 1 Nr 15 RVO verwendete Begriff "Bau" ist weit auszulegen. Der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO kann deshalb auch bauliche Vorbereitungsmaßnahmen und dem Bau vorausgehende, ihm unmittelbar dienende Tätigkeiten, zu denen notwendige Abrißarbeiten gehören können umfassen (vgl BSG vom 25.8.1971 - 2 RU 73/68 = SozR Nr 21 zu § 539 RVO).

2. Die Nutzungsabsicht der neuzuschaffenden Wohnungen als Familienheim gehört zu den Voraussetzungen für den Unfallversicherungsschutz, die im Unfallzeitpunkt nachweisbar vorgelegen haben müssen.

3. Dem Zweck des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO würde es widersprechen, die Vergünstigung des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO auch dann zu gewähren, wenn im Unfallzeitpunkt ungewiß war, ob ein den Anforderungen des steuerbegünstigten Wohnungsbaus entsprechendes Bauwerk errichtet werden sollte.

4. Hatte der Bauherr zur Zeit des Unfalls (noch) nicht vor, entsprechend den Angaben in dem später gestellten und bewilligten Steuerbegünstigungsantrag zu bauen, kommt dem Anerkennungsbescheid bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO keine rechtliche Bedeutung zu.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 1 Nr 15; WoBauG 2 §§ 82-83

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 28.10.1987; Aktenzeichen L 3 U 67/86)

SG Speyer (Entscheidung vom 04.04.1986; Aktenzeichen S 2 U 231/85)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob für den bei dem Abriß seiner Scheune verunglückten Kläger zu 1) Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 15 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bestand und ob der Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall zu entschädigen sowie der Klägerin zu 2) die anläßlich des Unfalls aufgewendeten Kosten zu erstatten hat.

Im Februar 1983 beantragte der Kläger zu 1) die Erteilung einer Baugenehmigung zur Wohnhauserweiterung mit Garagen und Abstellraum auf dem in seinem Eigentum stehenden Grundstück in F.,       das mit einem von ihm und seiner Familie (Ehefrau und drei damals noch minderjährige Kinder) bewohnten und im Jahre 1947 errichteten Wohnhaus und einer Scheune bebaut war. Am 20. April 1983 wurde ihm eine zur Durchführung des Bauvorhabens beantragte Teilbaugenehmigung zum Abriß der Scheune erteilt. Bei den Abrißarbeiten verunglückte er am 30. April 1983 und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Die Baugenehmigung zur Wohnhauserweiterung mit Pkw-Garagen und Abstellraum erging am 22. Juli 1983. Auf seinen am 4. Februar 1984 gestellten Antrag erkannte die Kreisverwaltung S.       W.         mit Bescheid vom 20. Februar 1984 den neuzuschaffenden Wohnraum als steuerbegünstigte Wohnung nach den §§ 82 und 83 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) an. Der Anerkennungsbescheid enthält die Auflage, die Wohnung innerhalb eines halben Jahres nach Bezugsfertigkeit an einen selbständigen Haushalt zu vermieten; die Anerkennung müsse wegen Überschreitens der Wohnflächengrenze widerrufen werden, wenn beide Wohnungen durch den eigenen Haushalt genutzt werden.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 1984 lehnte der Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls gemäß § 548 iVm § 539 Abs 1 Nr 15 RVO mit der Begründung ab, es könne nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß der Kläger zu 1) im Unfallzeitpunkt die Absicht zur Errichtung eines Wohnhauses gehabt habe, denn er habe mehrfach angegeben, nur eine Garage und einen Keller bauen zu wollen. Den Widerspruch des Klägers zu 1), mit welchem er geltend machte, daß von vornherein die Absicht bestanden habe, nicht nur Garage und Keller zu errichten, sondern auch das Wohnhaus zu bauen und es einem Mitglied seiner Familie zur Nutzung zu überlassen, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1985 zurück. Weiterhin lehnte er die Übernahme der der Klägerin zu 2), bei der der Kläger zu 1) gesetzlich krankenversichert war, anläßlich des Unfalls am 30. April 1983 entstandenen Aufwendungen in Höhe von 17.814,94 DM ab.

Mit Urteil vom 4. April 1986 hat das Sozialgericht (SG) Speyer die verbundenen Klagen, mit welchen der Kläger zu 1) wegen der Folgen des Unfalls vom 30. April 1983 die Gewährung einer Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung und die Klägerin zu 2) die Erstattung der aufgewendeten Kosten begehrten, mit der Begründung abgewiesen, die Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO seien unabhängig davon, ob der Ausbau des Obergeschosses zur Zeit des Unfalls fest geplant gewesen sei, nicht erfüllt. Es habe sich nicht um den Bau eines Familienheimes gehandelt, weil die Absicht, den Wohnraum einem Angehörigen zur Nutzung zu überlassen, im Unfallzeitpunkt nicht konkretisiert genug gewesen sei. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufungen der Kläger mit Urteil vom 28. Oktober 1987 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, da der Kläger zu 1) nicht bei einem Bauvorhaben verunglückt sei, durch das steuerbegünstigter Wohnraum geschaffen werden sollte, sei der Beklagte nicht zur Entschädigung des Ereignisses vom 30. April 1983 als Arbeitsunfall und zur Erstattung der der Klägerin zu 2) entstandenen Kosten verpflichtet. Zu den Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO, die im Unfallzeitpunkt nachweisbar vorliegen müßten, gehöre auch die Absicht, ein steuerbegünstigtes Familienheim zu bauen. Es könne jedoch nicht mit Überzeugung festgestellt werden, daß der Kläger zu 1) zur Zeit des Unfalls bereits entschlossen gewesen sei, eine steuerbegünstigte Wohnung herzustellen und eines seiner Kinder dort wohnen zu lassen. Aus seinen Erklärungen gehe hervor, daß der Bau der Familienwohnung nicht fest geplant gewesen sei. Ihnen sei vielmehr zu entnehmen, daß das Bauvorhaben konkret nur den Keller und die Garage umfaßt habe und daß ungewiß gewesen sei, ob und wann das Obergeschoß ausgebaut werden sollte. Da zur Zeit des Unfalls der Bau eines Familienheimes nur in Betracht gezogen, nicht jedoch beschlossen gewesen sei, seien die subjektiven Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO, die im Unfallzeitpunkt feststellbar sein müssen, nicht erfüllt. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Beide Kläger haben dieses Rechtsmittel eingelegt und führen zur Begründung aus, aus der Teilbaugenehmigung vom 20. April 1983, die auch eine Wohnhauserweiterung beinhalte und deren Erteilung die Vorlage prüffähiger Unterlagen (Bauplan) voraussetze, folge, daß bereits zur Zeit des Unfalls beabsichtigt gewesen sei, eine steuerbegünstigte Wohnung zu schaffen. Das Bauvorhaben habe somit schon vor dem Unfall die Merkmale aufgewiesen, die nach § 82 II. WoBauG eine steuerbegünstigte Wohnung kennzeichneten. Konsequenterweise seien auch die Abbrucharbeiten, bei denen sich der Unfall ereignet habe, gesetzlich versichert. Nicht erforderlich für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO sei, daß der Kläger zu 1) bereits im Unfallzeitpunkt beabsichtigt habe, eines seiner Kinder in der steuerbegünstigten Wohnung wohnen zu lassen.

Der Kläger zu 1) beantragt,

unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen sowie des Bescheides vom 19. Dezember 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1985 den Beklagten zu verurteilen, den Unfall vom 30. April 1983 als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Die Klägerin zu 2) beantragt,

unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen den Beklagten zu verurteilen, ihr die anläßlich des Unfalls vom 30. April 1983 entstandenen Kosten in Höhe von 17.814,94 DM zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

Nach seiner Auffassung folgt aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG, daß der Kläger zu 1) im Unfallzeitpunkt kein Familienheim zu bauen beabsichtigt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß dem Kläger zu 1) wegen seines am 30. April 1983 erlittenen Unfalls keine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung gegen den Beklagten zusteht und daß die Klägerin zu 2) nicht die Erstattung der anläßlich dieses Ereignisses aufgewendeten Kosten von dem Beklagten verlangen kann.

Der von dem Kläger zu 1) erhobene Entschädigungsanspruch und der von der Klägerin zu 2) geltend gemachte Erstattungsanspruch, der nur auf die den allgemeinen Erstattungsvorschriften der §§ 102 ff des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch - (SGB X) vorgehende spezielle Ausgleichsregelung des § 1504 Abs 1 RVO gestützt werden kann (§ 37 des Sozialgesetzbuches - Erstes Buch - SGB I), sind unbegründet, weil der Kläger zu 1) am 30. April 1983 keinen von dem Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat. Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.

Der Kläger zu 1) genoß im Unfallzeitpunkt keinen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO. Nach dieser Vorschrift besteht Unfallversicherungsschutz für Personen, die bei dem Bau eines Familienheimes (Eigenheim, Kaufeigenheim, Kleinsiedlung), einer eigengenutzten Eigentumswohnung, einer Kaufeigentumswohnung oder einer Genossenschaftswohnung im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind, wenn durch das Bauvorhaben öffentlich geförderte oder steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollen. Für die nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO versicherten Personen ist der Beklagte nach § 657 Abs 1 Nr 8 RVO der zuständige Träger der Unfallversicherung. Um Unfallversicherungsschutz für den Kläger zu 1) zu begründen, muß feststellbar sein, daß er im Unfallzeitpunkt im Rahmen der Selbsthilfe (§ 36 II. WoBauG) bei dem Bau eines Familienheimes (§§ 7 und 8 II. WoBauG) tätig war und daß durch das Bauvorhaben öffentlich geförderte oder - was hier allein in Betracht kommt - steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollten (§§ 82 und 83 II. WoBauG).

Der Gewährung von Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO steht allerdings nicht entgegen, daß der Kläger zu 1) bei dem Abriß der Scheune verunglückt ist, der Unfall sich also nicht bei der Errichtung des Bauwerks als solchem, sondern bei einer baulichen Vorbereitungsmaßnahme ereignet hat. Der in § 539 Abs 1 Nr 15 RVO verwendete Begriff "Bau" ist weit auszulegen. Das ergibt sich schon aus Satz 2 dieser Vorschrift, die Selbsthilfe bei der Aufschließung und Kultivierung des Geländes in ihren Schutzbereich einbezieht. Der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO kann deshalb, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (SozR Nr 21 zu § 539 RVO - Ausschachten eines Brunnens), auch bauliche Vorbereitungsmaßnahmen und dem Bau vorausgehende, ihm unmittelbar dienende Tätigkeiten, zu denen notwendige Abrißarbeiten gehören können, umfassen.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist jedoch weder die Voraussetzung, daß der Kläger zu 1) bei dem Bau eines Familienheimes tätig war, noch die Voraussetzung, daß steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollten, erfüllt.

Das BSG hat es für die Abgrenzung des Unfallversicherungsschutzes zwar als unerheblich angesehen, wann die Steuerbegünstigung beantragt und durch Bescheid anerkannt wurde; es hat jedoch bei der Prüfung, ob durch das Bauvorhaben steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollen, darauf abgestellt, ob das Bauvorhaben im Unfallzeitpunkt nachweisbar den Voraussetzungen des § 82 II. WoBauG für die Anerkennung als steuerbegünstigt entsprochen hat (BSGE 28, 134, 136; SozR Nr 21 zu § 539 RVO; SozR 2200 § 539 Nr 27; BSGE 45, 258, 259; SozR 2200 § 539 Nrn 69, 97 und 124; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 475b). In dem Urteil vom 25. August 1971 (SozR Nr 21 zu § 539 RVO) hat der erkennende Senat den Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO deshalb verneint, weil den vorgelegten Unterlagen nicht hinreichend klar zu entnehmen war, daß der Bauherr im Unfallzeitpunkt ein Familienhaus bauen wollte, das den Erfordernissen des steuerbegünstigten Wohnungsbaues entsprach.

Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (BSGE 56, 16, 18; SozR 2200 §539 Nr 109) setzt die Erfüllung des Merkmals einer Tätigkeit bei dem Bau eines Familienheimes voraus, daß der Bauherr zur Zeit des Unfalls die Absicht hatte, das zu errichtende Bauwerk als Familienheim zu nutzen. Da nach § 7 Abs 1 II. WoBauG, auf den § 539 Abs 1 Nr 15 Satz 3 RVO für die Begriffsbestimmungen ua verweist, Familienheime nur solche Eigenheime, Kaufeigenheime und Kleinsiedlungen sind, die abgesehen von der Größe und dem Grundriß (ganz oder teilweise) dazu bestimmt sind, dem Eigentümer und seiner Familie oder einem Angehörigen und dessen Familie als Heim zu dienen, muß die Zweckbestimmung des zu errichtenden Baues als Familienheim im Unfallzeitpunkt vorgelegen haben (BSGE aaO). Deshalb gehört die Nutzungsabsicht der neuzuschaffenden Wohnungen als Familienheim zu den Voraussetzungen für den Unfallversicherungsschutz, die im Unfallzeitpunkt nachweisbar vorgelegen haben müssen.

Das LSG hat ausgeführt, es sei nicht davon überzeugt, daß der Kläger zu 1) zur Zeit seines am 30. April 1983 bei dem Abriß der Scheune erlittenen Unfalls bereits entschlossen gewesen sei, eine steuerbegünstigte Wohnung zu schaffen und eines seiner Kinder dort wohnen zu lassen. Das Berufungsgericht hat aus den nach dem Unfall abgegebenen Erklärungen des Klägers zu 1) und seiner Ehefrau den Schluß gezogen, daß das Bauvorhaben, so wie es von ihm im Februar 1983 beantragt und von der zuständigen Behörde genehmigt worden sei, im Unfallzeitpunkt nicht fest geplant gewesen sei, daß nur die konkrete Absicht zum Bau des Kellers und der Garage bestanden habe und daß ungewiß gewesen sei, ob und wann die Wohnung errichtet werden sollte.

Diese Schlußfolgerungen und die ihnen zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen sind für das Revisionsgericht bindend, da sie nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Die vom LSG aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) getroffenen Feststellungen kann das BSG nur überprüfen, wenn der Revisionsbegründung die wirksam erhobene Verfahrensrüge entnommen werden kann, das Tatsachengericht habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten, in dem es Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt habe. Eine formgerechte Verfahrensrüge einer Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung liegt nicht vor, wenn die Revision lediglich eine andere Würdigung der Tatumstände als das Tatsachengericht vornimmt oder geltend macht, es sei zu einem unrichtigen Beweisergebnis gekommen und somit ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt (BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 mwN). Dem Revisionsgericht ist es nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen; es würde hierdurch im Ergebnis entgegen §§ 162, 163 SGG eine eigene Beweiswürdigung vornehmen und Tatsachen feststellen (BSG aaO).

Die Kläger haben sich darauf beschränkt vorzutragen, daß der Beweis dafür, daß durch das Bauvorhaben eine steuerbegünstigte Wohnung geschaffen werden sollte, aufgrund der Teilbaugenehmigung vom 20. April 1983 und der Aussage der von dem SG als Zeugin vernommenen Ehefrau des Klägers zu 1) erbracht worden sei. Dieses Vorbringen genügt den an eine formgerechte Verfahrensrüge zu stellenden Anforderungen nicht. Es wird lediglich eine von der des LSG abweichende Beweiswürdigung vorgenommen und ein anderes Beweisergebnis für richtig gehalten, nicht jedoch, wie es erforderlich gewesen wäre, im einzelnen dargelegt und begründet, daß das LSG durch einen Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten habe und daß das von ihm gefundene Beweisergebnis verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sei. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG und seine daraus gezogenen Schlußfolgerungen sind deshalb der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.

Hiernach ist die Voraussetzung, daß durch das geplante Bauvorhaben steuerbegünstigter Wohnraum geschaffen werden sollte, nicht erfüllt. Es ist nicht festgestellt, daß der Kläger zu 1) zur Zeit des Unfalls die Absicht hatte, ein Bauwerk zu errichten, das den Erfordernissen des § 82 II. WoBauG für die Anerkennung als steuerbegünstigte Wohnung entsprach. Es steht für den Unfallzeitpunkt lediglich fest, daß ein Keller und eine Garage gebaut werden sollten. Es war ungewiß, ob und wann das Wohnhaus errichtet werden würde. Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO kann jedoch nur gewährt werden, wenn der Bauherr zur Zeit des Unfalls ein den Anforderungen des steuerbegünstigten Wohnungsbaus entsprechendes Bauwerk errichtet hat. Es bedarf keiner Entscheidung, ob Unfallversicherungsschutz gegeben sein kann, wenn der Bauherr die steuerbegünstigte Wohnung in mehreren Etappen erstellen will und nach der Bauplanung zwischen den einzelnen Bauabschnitten mehr oder weniger große Zeitabstände liegen. Ein solcher Fall liegt nicht vor, denn nach den Feststellungen des LSG war ungewiß, ob überhaupt ein Wohnhaus gebaut werden würde.

Dem Zweck des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO, den Bau von Familienheimen und ähnlichen Arten von Wohnraum zu fördern, den hierbei mithelfenden Personen Unfallversicherungsschutz zu gewähren und den Bauherrn von einer Beitragsbelastung in der gesetzlichen Unfallversicherung freizustellen (BSGE 28, 128, 129), würde es widersprechen, die Vergünstigung des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO auch dann zu gewähren, wenn im Unfallzeitpunkt ungewiß war, ob ein den Anforderungen des steuerbegünstigten Wohnungsbaus entsprechendes Bauwerk errichtet werden sollte.

Daß die Kreisverwaltung S.       W.         nach dem Ereignis am 30. April 1983 auf den von dem Kläger zu 1) am 4. Februar 1984 gestellten Antrag durch Bescheid vom 20. Februar 1984 den neuzuschaffenden Wohnraum als steuerbegünstigte Wohnung anerkannt hatte, rechtfertigt in dem vorliegenden Fall keine andere rechtliche Beurteilung. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSGE 45, 258, 260; 56, 16, 18; SozR 2200 § 539 Nr 109) sind zwar die Unfallversicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich an den Verwaltungsakt über die Anerkennung oder Ablehnung der Steuerbegünstigung auch bei der Entscheidung über den Unfallversicherungsschutz gebunden. Wird die Steuerbegünstigung erst nach dem Unfall anerkannt, ist der Anerkennungsbescheid der für die Entscheidung über die Steuerbegünstigung zuständigen Stelle für die Unfallversicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit jedoch nur bindend, wenn er aufgrund der im Unfallzeitpunkt vorhandenen tatsächlichen Umstände und aufgrund gleicher Rechtslage ergangen ist (BSG aaO). Dann besteht hinreichende Gewähr dafür, daß der Unfallversicherungsschutz nicht nach Eintritt des Unfalls manipuliert werden kann (BSGE 45, 258, 261). Bei der Entscheidung über die Gewährung von Unfallversicherungsschutz tritt die Bindungswirkung des Anerkennungsbescheides der zuständigen Behörde nur ein, wenn die Angaben des Bauherrn über das Bauvorhaben in dem von der zuständigen Stelle stattgegebenen Steuerbegünstigungsantrag mit den Absichten des Bauherrn im Unfallzeitpunkt übereinstimmten. Hatte der Bauherr zur Zeit des Unfalls (noch) nicht vor, entsprechend den Angaben in dem später gestellten und bewilligten Steuerbegünstigungsantrag zu bauen, kommt dem Anerkennungsbescheid bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO keine rechtliche Bedeutung zu.

Der Anwendung dieser Vorschrift steht weiterhin entgegen, daß die Absicht zur Eigennutzung des Bauvorhabens zur Zeit des Unfalls nicht gegeben war. Nach den insoweit nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG stand in diesem Zeitpunkt nicht fest, daß der neuzuschaffende Wohnraum einem der Kinder des Klägers zu 1) zur Nutzung überlassen werden würde. Es fehlt somit an der im Unfallzeitpunkt nachweisbar feststellbaren Zweckbestimmung des Bauvorhabens als Familienheim, die voraussetzt, daß der Bauherr entschlossen war, das zu errichtende Bauwerk entweder selbst mit seiner Familie als Heim zu nutzen oder es einem Angehörigen und dessen Familie zu Wohnzwecken zur Verfügung zu stellen. Daß der Kläger zu 1) erwogen oder in Betracht gezogen hatte, eines seiner Kinder in dem Haus wohnen zu lassen, reicht nach dem Gesetzeszweck, den Bau von Familienheimen oder ähnlichen Arten von Wohnraum durch Gewährung beitragsfreien Unfallversicherungsschutzes zu fördern, nicht aus.

Auch unter dem Gesichtspunkt einer Erweiterung des bestehenden 1947 gebauten Wohnhauses kommt die Anwendung des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO nicht in Betracht. Zwar kann nach dieser Vorschrift Versicherungsschutz auch für Tätigkeiten, die dem Ausbau oder der Erweiterung eines bestehenden Familienheimes dienen, gegeben sein. Voraussetzung ist jedoch, daß hierdurch für die Familie des Bauherrn zusätzlicher Wohnraum oder nach der Verkehrsauffassung dazu gehöriger Nebenraum geschaffen wird und die Wohnflächengrenzen des öffentlich geförderten oder steuerbegünstigten Wohnungsbaues nicht überschritten werden (BSGE 28, 128, 130 und 131, 132; BSG, Urteile vom 25. August 1971 - 2 RU 207/68 - USK 71145, vom 8. Juli 1980 - 2 RU 30/80 - USK 80150 und vom 30. Januar 1986 - 2 RU 34/85- USK 86159; Brackmann aaO S 475; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 93). Danach wäre die Anwendung des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO in Erwägung zu ziehen, wenn der Kläger zu 1) im Unfallzeitpunkt entschlossen gewesen wäre, nur den Keller und die Garage herzustellen und sie als Nebenräume seines Wohnhauses selbst mit seiner Familie zu nutzen. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG war jedoch ungewiß, ob das Bauvorhaben auf den Keller und die Garage beschränkt bleiben oder ob über dem Keller ein als weitere Wohnung dienendes Obergeschoß errichtet werden würde. Es stand somit zur Zeit des Unfalls nicht fest, ob der Keller und die Garage von dem Kläger zu 1) und seiner Familie auf Dauer als Nebenräume ihres Wohnhauses genutzt oder ob sie Bestandteile einer noch zu erstellenden zweiten Wohnung werden würden.

Eine Verpflichtung des Beklagten, den Kläger zu 1) wegen der Folgen des am 30.April 1983 erlittenen Unfalls zu entschädigen und der Klägerin zu 2) die hierfür aufgewendeten Kosten zu erstatten, folgt auch nicht aus § 657 Abs 1 Nr7 RVO. Diese Vorschrift bestimmt lediglich den für Versicherte bei kurzfristigen nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten zuständigen Unfallversicherungsträger, ohne etwas darüber auszusagen, wer Versicherter in diesem Sinne ist (BSG, Urteil vom 30. November 1972 - 2 RU 195/71 - USK 72202; LSG Baden-Württemberg Breith 1984, 940, 944; Brackmann aaO S 531). Dies ergibt sich allein aus den allgemeinen Vorschriften des § 539 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 RVO. Als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten war der Kläger nicht nach diesen Vorschriften kraft Gesetzes gegen Arbeitsunfall versichert (BSG aaO; BSGE 56, 16, 19; Brackmann aaO S 532a).

Die Revisionen der Kläger waren deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666739

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