Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenkasse – freiwilliges Mitglied – Kostenerstattung – privatärztliche Behandlung – Verwaltungsakt – Feststellungsbescheid – Vorabentscheidung – Versichertenstatus – Bestandskraft – Wirksamkeit – Rechtsänderung – Beseitigung der Rechtsposition als Ganzes – Fehlen von Urteilsgründen – absoluter Revisionsgrund – Erledigung auf andere Weise – Einschränkung – freie Arztwahl – Ersatzkassenmitglied – Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Verwaltungsakt, mit dem die Krankenkasse den Status eines Versicherten oder eine damit verbundene Rechtsposition festgestellt hat, verliert seine Wirksamkeit, wenn durch eine Rechtsänderung der betreffende Status oder die Rechtsposition als Ganzes beseitigt wird.

Stand: 5. März 2001

 

Normenkette

SGB V § 13 Abs. 2, § 76 Abs. 1; SGB X §§ 34, 39 Abs. 2, §§ 45, 48; SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6; ZPO § 551 Nr. 7; GG Art. 20 Abs. 3

 

Beteiligte

Hamburg-Münchener-Krankenkasse

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 29.01.1998; Aktenzeichen L 14 KR 1069/96)

SG Darmstadt (Entscheidung vom 18.07.1996; Aktenzeichen S 10 Kr 808/95)

 

Tenor

Die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 1998 werden zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im November 1917 geborene Kläger zu 1) war ab 1959 freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse; seine 1922 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2), war im Rahmen der Familienversicherung mitversichert. Beiden war aufgrund der Satzung der Beklagten die Möglichkeit eingeräumt, sich gegen Kostenerstattung bei Ärzten ihrer Wahl als Privatpatienten behandeln zu lassen. Anläßlich seines bevorstehenden Eintritts in den Ruhestand und des damit verbundenen Übergangs in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) teilte die Beklagte dem Kläger zu 1) auf dessen Anfrage mit Schreiben vom 20. August 1982 mit, sie sei bereit, für ihn und seine Ehefrau „weiterhin das Kostenerstattungsprinzip zu praktizieren und somit den Besitzstand auch dann zu wahren, wenn beide Mitgliedschaften in der Krankenversicherung der Rentner geführt werden”. Entsprechend wurde in der Folgezeit verfahren.

Im September 1993 sandte die Beklagte dem Kläger zu 1) ein Informationsschreiben, in welchem sie ausführte, daß aufgrund des am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Gesundheits-Strukturgesetzes (GSG) Kostenerstattung nur noch bei freiwilligen Mitgliedern und nur bei Inanspruchnahme von zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern möglich sei. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie gegenüber beiden Eheleuten mit getrennten Widerspruchsbescheiden vom 21. April 1995 zurück. Den Klägern wurde in der Folge die Möglichkeit der Kostenerstattung im Rahmen einer Erprobungsregelung auf der Basis des § 64 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eingeräumt; die Beklagte blieb jedoch dabei, daß nur zugelassene Ärzte und Zahnärzte aufgesucht werden dürften.

Die Klagen auf Feststellung, daß die Beklagte weiterhin Kostenerstattung auch für die Behandlung durch Nichtvertragsärzte zu gewähren habe, waren in den Vorinstanzen erfolglos(Urteile des Sozialgerichts Darmstadt vom 18. Juli 1996 und des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 29. Januar 1998). Das LSG hat offengelassen, ob in dem Schreiben vom 20. August 1982 eine Zusage iS des § 34 Abs 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu sehen sei. Die Beklagte habe eine etwaige Zusage jedenfalls nach § 48 SGB X zurücknehmen dürfen. Durch das GSG vom 21. Dezember 1992(BGBl I 2266) und die Neufassung des § 13 Abs 2 SGB V sei eine Rechtsänderung dahin eingetreten, daß Versicherte anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung nur für Leistungen wählen könnten, die sie von den im Vierten Kapitel des SGB V genannten Leistungserbringern in Anspruch nehmen. Dies habe der früheren satzungsrechtlichen Praxis der Beklagten die Grundlage entzogen.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie hätten stets geltend gemacht, die Rücknahme der im Schreiben vom 20. August 1982 enthaltenen Zusage beurteile sich nicht nach § 48, sondern nach § 45 SGB X, weil die seinerzeit schriftlich bestätigte Verwaltungspraxis, privatärztliche Behandlungen auf Kostenerstattungsbasis auch bei Nichtkassen(zahn)ärzten zu gewähren, von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Dessenungeachtet habe das LSG seine Entscheidung auf § 48 SGB X gestützt, ohne auf diese Argumentation einzugehen und seine abweichende rechtliche Beurteilung zu begründen. Das angefochtene Urteil sei somit nicht nur materiell unrichtig, sondern unterliege schon deshalb der Aufhebung, weil es in dem entscheidenden Punkt nicht mit Gründen versehen sei.

Die Kläger beantragen,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 1998 und des Sozialgerichts Darmstadt vom 18. Juli 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom September 1993 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21. April 1995 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, über den 30. September 1993 hinaus Kostenerstattung auch für die Behandlung durch Nichtvertragsärzte zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung war die früher geübte Praxis der Kostenerstattung nicht rechtswidrig, sondern in Anbetracht der historisch bedingten, durch Eigenständigkeit und Satzungsautonomie geprägten Sonderstellung der Ersatzkassen zulässig. Bei Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 sei den Krankenkassen durch Art 61 Gesundheits-Reformgesetz (GRG) noch das Recht eingeräumt worden, die aufgrund ihrer Satzung in rechtlich zulässiger Weise durchgeführte und aufsichtsbehördlich genehmigte Kostenerstattung im bisherigen Umfang fortzusetzen. Erst durch das GSG seien die rechtlichen Rahmenbedingungen der Kostenerstattung neu und für alle Kassen einheitlich geregelt worden.

II

Die Revisionen sind unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klagen zu Recht abgewiesen. Die Kläger waren vom 1. Oktober 1993 an nicht mehr berechtigt, sich zu Lasten der Beklagten durch nicht zur Kassenpraxis zugelassene Leistungserbringer behandeln zu lassen.

Entgegen der Revisionsbegründung muß das angefochtene Urteil nicht wegen Verfahrensmängeln aufgehoben werden. Den Klägern ist zuzugeben, daß sich das Berufungsgericht mit ihren zur Begründung der Klage vorgetragenen rechtlichen Argumenten in seiner Entscheidung nicht befaßt hat, so daß insoweit Urteilsgründe fehlen(Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). In beiden Vorinstanzen war geltend gemacht worden, für die Praxis der Beklagten, ihren ehemals freiwillig Versicherten auch nach Übertritt in die (Pflicht-)Krankenversicherung der Rentner weiterhin Kostenerstattung für Behandlungen durch Nichtkassenärzte zu gewähren, habe es auch früher keine rechtliche Grundlage gegeben, weshalb die darauf aufbauende Zusage vom August 1982 schon zum damaligen Zeitpunkt rechtswidrig gewesen sei. Die Rücknahme der Zusage sei daher nicht nach § 48, sondern nach § 45 SGB X zu beurteilen und angesichts des Zeitablaufs sowie aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht mehr zulässig gewesen. All dies war umfangreich unter Bezugnahme auf einschlägige Rechtsprechung und Literatur vorgetragen worden und bildete den Kernpunkt des Rechtsstreits. Die Urteilsbegründung verhält sich jedoch ausschließlich zu § 48 SGB X und geht auf die Argumentation der Kläger mit keinem Wort ein, so daß diese mit Recht beanstanden, zu dem zentralen Problem des Falles keine Entscheidung bekommen zu haben. § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ist nicht erst dann verletzt, wenn überhaupt keine Gründe vorliegen, sondern auch dann, wenn einzelne Ansprüche, Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht behandelt worden sind oder wenn die Erwägungen, die das Gericht in einem entscheidungserheblichen Streitpunkt zum Urteilsausspruch geführt haben, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen sind(BSG SozR 1500 § 136 Nr 10; SozR 3–1200 § 14 Nr 19 S 63, jeweils mwN).

Der Verstoß gegen die Begründungspflicht führt hier aber nicht zu den von der Revision geforderten Konsequenzen. Dabei kann unentschieden bleiben, ob die dem § 136 Abs 1 Nr 6 SGG nicht genügende Urteilsbegründung stets zugleich einen absoluten Revisionsgrund iS des § 551 Nr 7 Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 202 SGG bildet, bei dem die Ursächlichkeit der Gesetzesverletzung für das Urteil unwiderleglich vermutet wird(offengelassen in BSG SozR 1500 § 136 Nr 1, Nr 8 und Nr 10). Auch wenn dies angenommen wird, muß die Revision zurückgewiesen werden, weil das vom LSG übergangene Vorbringen ungeeignet ist, der Klage zum Erfolg zu verhelfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs(BGHZ 39, 333, 338 f mwN; BGH FamRZ 1991, 322, 323), der sich der 13. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) für den Sozialgerichtsprozeß angeschlossen hat(Urteil vom 8. Februar 1996 – BSG SozR 3–1200 § 14 Nr 19 S 63; ähnlich auch Urteil des 3. Senats des BSG vom 14. September 1994 – BSGE 75, 74, 76 ff = SozR 3–2500 § 33 Nr 12 S 44 ff), ist § 551 Nr 7 ZPO aus Gründen der Prozeßökonomie nicht heranzuziehen, wenn das vom Berufungsgericht in den Urteilsgründen nicht erörterte Angriffs- oder Verteidigungsmittel zur Begründung bzw zur Abwehr der Klage nicht tauglich ist. Für diesen Fall wird der Anwendungsbereich der Vorschrift eingeengt und dem Revisionsgericht trotz der gesetzlichen Kausalitätsvermutung eine Sachentscheidung ermöglicht, weil die Prüfung in einem erneuten Berufungsverfahren doch nur zur Wiederholung des angefochtenen Urteils führen könnte. Bei Verletzungen des rechtlichen Gehörs, die nach § 138 Nr 3 Verwaltungsgerichtsordnung ebenfalls einen absoluten Revisionsgrund darstellen, hält auch das Bundesverwaltungsgericht eine Sachentscheidung für zulässig, wenn sich die Verletzung nicht auf das Gesamtergebnis des Verfahrens, sondern nur auf einzelne Feststellungen bezieht, auf die es für die Entscheidung nicht ankommt(BVerwGE 62, 6 mwN). Eine solche Konstellation liegt hier vor, denn auf die vom LSG ausgesparte Frage, ob der Bescheid vom 20. August 1982 schon im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war, kommt es nach richtiger Rechtsauffassung für die Entscheidung nicht an.

In der Sache hat das Berufungsgericht zu Recht entschieden, daß den Klägern für Behandlungen durch außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung stehende Leistungserbringer ab dem hier interessierenden Zeitpunkt Ende September 1993 keine Kosten mehr erstattet werden durften. Zwar war ihnen von der Beklagten im Rahmen einer Erprobungsregelung abweichend von § 13 Abs 2 SGB V idF des GSG das Recht eingeräumt worden, auch als pflichtversicherte Rentner weiterhin anstelle von Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen. Dieses Recht schloß jedoch die Wahl eines nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztes oder Zahnarztes gerade nicht ein. Eine Kostenerstattung für Behandlungen durch nicht zugelassene oder ermächtigte Leistungserbringer war im übrigen spätestens seit Inkrafttreten des GSG am 1. Januar 1993 generell und für alle Versicherten kraft Gesetzes ausgeschlossen, wie der Senat im Urteil vom 10. Mai 1995(BSGE 76, 101 = SozR 3–2500 § 13 Nr 7) unter Hinweis auf § 76 Abs 1 SGB V und weitere Grundsätze des Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung näher ausgeführt hat(vgl auch BSG SozR 3–2500 § 13 Nr 9; BSGE 77, 227, 229 f = SozR 3–2500 § 29 Nr 3 S 12 f; sowie zum Rechtszustand vor Inkrafttreten des GSG: BSGE 72, 93 = SozR 3–2500 § 64 Nr 1). Im Zuge der Novellierung des § 13 Abs 2 SGB V durch das Zweite GKV-Neuordnungsgesetz(2. GKV-NOG) vom 23. Juni 1997(BGBl I 1520) hat der Gesetzgeber dies in Satz 2 der Vorschrift nunmehr ausdrücklich klargestellt.

Die Beklagte war auch nicht durch verwaltungsverfahrensrechtliche Bindungen gehindert, ihre Erstattungspraxis dieser materiellen Rechtslage anzupassen. Das Schreiben vom 20. August 1982, aus dem die Kläger einen Besitzstand herleiten, stand einem solchen Vorgehen nicht entgegen.

In dem genannten Schreiben sieht die Revision freilich mit Recht einen begünstigenden Verwaltungsakt, der grundsätzlich nur nach Maßgabe der §§ 45 ff SGB X zurückgenommen werden durfte. Die Erklärung, das Kostenerstattungsverfahren im bisherigen Umfang fortzuführen, geht in ihrer Reichweite über die Rechtswirkungen einer Zusage oder einer Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X hinaus. Die Beklagte hat damit nicht lediglich den Erlaß einer bestimmten Regelung in Aussicht gestellt, sondern bereits eine verbindliche Entscheidung über die Modalitäten der Leistungsgewährung nach dem Wechsel der Kläger zur KVdR getroffen. Ob eine derartige Äußerung als Zusicherung oder als abschließende Sachregelung zu werten ist, richtet sich nach den konkreten Umständen, wobei auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen ist. An einer eigenen Bewertung der vom LSG festgestellten Umstände ist der Senat nicht durch § 163 SGG gehindert, da die rechtliche Einordnung einer Willenserklärung – anders als die Feststellung des Erklärungsinhalts – in vollem Umfang der revisionsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt(dazu: BSG SozR 5070 § 10a Nr 3 mwN). Das Schreiben vom 20. August 1982 bildete die Reaktion auf die vorausgegangene Anfrage des Klägers zu 1), mit der dieser die Bedeutung der Fortführung der bisherigen Kostenerstattungspraxis für sich und seine Ehefrau sowie sein dringendes Interesse an einer endgültigen Klärung dieser Frage zum Ausdruck gebracht hatte. Angesichts dessen konnte die Formulierung: „Wir sind bereit, für Sie und ihre Ehefrau weiterhin das Kostenerstattungsverfahren zu praktizieren …” aus der Sicht eines objektiven Empfängers nur dahin verstanden werden, daß die Beklagte das nach ihrer Ansicht aus Gesetz und Satzung abzuleitende Recht der Kläger verbindlich bestätigen wollte, auch nach dem Übertritt in die Rentnerkrankenversicherung weiterhin privatärztliche Behandlung gegen Kostenerstattung in Anspruch nehmen zu können. Daß derartigen Feststellungen Verwaltungsaktsqualität zukommen kann, ist in der sozialrechtlichen wie in der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur unbestritten(vgl nur: Schneider-Danwitz, SGB-Gesamtkommentar, Stand: 1990, § 31 SGB X Anm 15 mwN; BVerwGE 57, 158, 161 f; 79, 291, 293; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 RdNr 52 mwN). Die für die Annahme eines Verwaltungsakts erforderliche Regelungswirkung ist darin zu sehen, daß in einer rechtlich ungewissen Situation die Sach- und Rechtslage durch eine verbindliche Feststellung geklärt werden soll. Nicht jede Äußerung einer Behörde über eine bestimmte Rechtslage ist als Feststellung in dem vorgenannten Sinne zu werten. Voraussetzung ist vielmehr, daß der Bürger unter Berücksichtigung aller ihm bekannten oder erkennbaren Umstände die Erklärung der Behörde als bindende Festlegung auffassen konnte bzw mußte. Eine Regelung ist anzunehmen, wenn durch die Äußerung der Behörde Meinungsverschiedenheiten oder Unklarheiten über das Bestehen eines Rechtsverhältnisses oder einzelner Rechte oder Pflichten daraus beseitigt werden sollen. So lag es hier, nachdem der Kläger um eine rechtsverbindliche Klärung gebeten und die Beklagte seinem Wunsch entsprochen hatte.

Der Qualifizierung als Verwaltungsakt steht nicht entgegen, daß das Versicherungsverhältnis, auf das sich die Feststellung bezieht, im Falle des Klägers im August 1982 noch gar nicht bestand. Denn während seine Ehefrau bereits seit Juni 1982 Mitglied der Rentnerkrankenversicherung war, stand seine eigene Verrentung mit Vollendung des 65. Lebensjahres im November 1982 erst noch bevor. Vorabentscheidungen oder Teilvorabentscheidungen, also Regelungen, mit denen die Behörde bestimmte Elemente eines zukünftigen Anspruchs oder Rechtsverhältnisses schon vor der Entstehung des Anspruchs bzw des Rechtsverhältnisses verbindlich bejaht oder verneint, sind indessen grundsätzlich möglich. Für ihre Zulassung besteht oftmals ein Bedürfnis, weil die Betroffenen frühzeitig Dispositionen treffen und dazu wissen müssen, auf welche Rechtslage sie sich einzustellen haben(vgl etwa BSG SozR 4100 § 75 Nr 6; BSGE 78, 91; 78, 98, 103 f; BVerwGE 57, 158, 161). Vorgezogene Regelungen sind deshalb teilweise im Gesetz selbst vorgesehen(vgl etwa § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI; § 147a Abs 6 Satz 2 SGB III), ansonsten aber auch ohne gesetzliche Ermächtigung zulässig, soweit sich nicht aus den einschlägigen Vorschriften oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht etwas anderes ergibt(Schneider-Danwitz, SGB-Gesamtkommentar, Stand: 1990, § 31 SGB X Anm 46 mit Rechtsprechungsnachweisen, auch für die Gegenmeinung). Den Klägern, die vor der Wahl standen, ihre Krankenversicherung bei der Beklagten fortzusetzen oder sich nach § 534 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Gesetzes vom 1. Dezember 1981(BGBl I 1205) zugunsten einer privaten Versicherung von der Versicherungspflicht befreien zu lassen, war in ihrer damaligen Situation mit einer unverbindlichen Auskunft nicht gedient, weil diese keine Rechtssicherheit schaffte. Andererseits sind keine gesetzlichen Bestimmungen ersichtlich, die eine Vorabentscheidung über den Leistungsumfang bei Begründung eines bestimmten Versicherungsverhältnisses ausgeschlossen hätten. Auch von daher ergeben sich keine Zweifel, daß die Beklagte eine verbindliche Feststellung treffen wollte und getroffen hat.

Durch den Bescheid vom 20. August 1982 ist die Rechtsstellung beider Kläger wirksam geregelt worden, obwohl er formal nur an den Kläger zu 1) adressiert war. Nachdem sich die zugrundeliegende Anfrage auf beide Eheleute bezogen hatte und im Bescheid selbst ausdrücklich beide Versicherungsverhältnisse angesprochen werden, steht fest, daß die Beklagte auch das Versicherungsverhältnis der Klägerin zu 2) regeln wollte. Dieser ist der Bescheid durch die Übersendung an ihren Ehemann auch bekanntgegeben worden(§ 39 Abs 1 SGB X), denn die Beklagte durfte nach den gesamten Umständen auch ohne schriftlichen Nachweis von einer Bevollmächtigung des Klägers durch seine Ehefrau ausgehen.

Der Bescheid vom 20. August 1982 war von Anfang an rechtswidrig. Für eine Weiterführung der während der freiwilligen Versicherung des Klägers praktizierten Form der Leistungsgewährung nach dem Übertritt in die KVdR gab es keine rechtliche Grundlage. Dabei kann zugunsten der Revision unterstellt werden, daß es den Ersatzkassen nach früherem Recht nicht verwehrt war, ihren nach Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze freiwillig weiterversicherten Mitgliedern in der Satzung die Möglichkeit der Kostenerstattung mit freier Wahl unter den approbierten Ärzten einzuräumen, so daß die bei dem Kläger während dessen freiwilliger Versicherung bis 1982 geübte Praxis rechtmäßig war. Die für den genannten Personenkreis durch Satzungsregelung eröffnete und von der Beklagten ebenso wie von anderen Ersatzkassen jahrzehntelang angebotene Möglichkeit der privatärztlichen Behandlung gegen Kostenerstattung war zwar in Rechtsprechung und Literatur nicht unumstritten(vgl dazu: BSGE 25, 195, 197 ff = SozR Nr 7 zu § 4 der 12. AufbauVO; BSGE 42, 117, 120 = SozR 2200 § 184 Nr 4 S 11; BSG, Urteil vom 28. November 1979 – 3 RK 9/78 = USK 79211; BSG SozR 2200 § 182 Nr 74; BSGE 69, 170, 178 = SozR 3–2200 § 321 Nr 1 S 10; Schulin, Kostenerstattung der Ersatzkassen, Rechtsgutachten 1988; von Maydell, Zur Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung, PKV-Dokumentation Heft 7, 1982, S 25 ff). Sie ist jedoch vom BSG nie ausdrücklich für unzulässig erklärt worden. Nachdem die Rechtsgrundlage für die frühere Praxis durch die Neuordnung des Krankenversicherungsrechts im SGB V und die Beseitigung der Sonderstellung der Ersatzkassen durch das GRG und nachfolgend das GSG entfallen ist, besteht kein Anlaß, deren Rechtmäßigkeit nachträglich in Zweifel zu ziehen. Für die hier zu treffende Entscheidung kommt es darauf nicht an, denn für versicherungspflichtige Rentner – und auf diese Personengruppe bezog sich der in Rede stehende Bescheid – hat die Möglichkeit der Kostenerstattung und der Inanspruchnahme von Leistungserbringern, die nicht in die kassenärztliche (vertragsärztliche) Versorgung eingebunden waren, zu keinem Zeitpunkt bestanden(einhellige Meinung; vgl BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 Nr 4 S 10; BSGE 44, 41, 42 = SozR 2200 § 508 Nr 2 S 2; BSGE 69, 170, 172 ff = SozR 3–2200 § 321 Nr 1 S 3 ff). Für einen Bestandsschutz oder eine Besitzstandsgarantie, auf die sich die Beklagte bei ihrer Entscheidung berufen hat, bot und bietet das Gesetz keine Grundlage.

Da der Feststellungsbescheid bereits bei seinem Erlaß rechtswidrig war, unterlag er der Aufhebung nur nach § 45 SGB X. Diesen Weg ist die Beklagte innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen nicht gegangen. Sie hat sich aber in dem angefochtenen „Informationsschreiben” vom September 1993 und den nachfolgenden Widerspruchsbescheiden vom 21. April 1995 im Ergebnis zu Recht auf den Standpunkt gestellt, wegen der zum 1. Januar 1993 eingetretenen Rechtsänderungen an die frühere Feststellung nicht mehr gebunden zu sein. Insoweit bedurfte es keiner Aufhebung, weil der Bescheid durch die Rechtsänderung unmittelbar gegenstandslos geworden ist.

Ein begünstigender Verwaltungsakt wie der Bescheid über die Zulässigkeit privatärztlicher Behandlung verliert allerdings seinen die Behörde verpflichtenden Charakter nicht ohne weiteres dadurch, daß sich später das Recht ändert und er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr hätte ergehen dürfen. Er bleibt vielmehr gemäß § 39 Abs 2 SGB X wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Hier ist indessen eine „Erledigung auf andere Weise” eingetreten. Sie liegt vor, wenn durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage das Regelungsobjekt des Verwaltungsakts wegfällt. Abgesehen von den – seltenen – Fällen, in denen das Gesetz selbst die Bestandskraft der nach altem Recht ergangenen Verwaltungsakte beseitigt(vgl etwa Urteil des 9a-Senats des BSG vom 6. November 1985 – SozR 3870 § 3 Nr 20; Urteil des 11. Senats des BSG vom 5. November 1998 – SozR 3–4100 § 120 Nr 2), fallen darunter insbesondere Sachverhalte, bei denen für die getroffene Regelung nach der eingetretenen Änderung kein Anwendungsbereich mehr verbleibt bzw bei denen der geregelte Tatbestand selbst entfällt. So hat etwa der 12. Senat des BSG entschieden, daß die Befreiung von der Versicherungspflicht, die auf Antrag eines öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers für das bei ihm bestehende Beschäftigungsverhältnis (wegen des Anspruchs auf beamtenrechtliche Versorgung) erfolgt ist, jedenfalls dann ohne weiteres, dh ohne ausdrückliche Aufhebung des Befreiungsbescheides, unwirksam wird, wenn der Arbeitgeber in eine privatrechtliche Gesellschaft umgewandelt wird, welche die Voraussetzungen des § 1231 Abs 1 RVO nicht mehr erfüllt(Urteil vom 30. Januar 1980 – SozR 2200 § 1231 Nr 2). Entscheidend ist, ob der Verwaltungsakt nach seinem Inhalt und Zweck und ggf im Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorschriften, auf denen er beruht, Geltung auch für den Fall veränderter Umstände beansprucht oder nicht. Waren sein Bestand oder seine Rechtswirkungen für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird er gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht(Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl 2000, § 43 RdNr 43; vgl auch: § 48 RdNr 34 Fußnote 42 und die dort angeführten Rechtsprechungsbeispiele).

Für sogenannte Statusbescheide in der Sozialversicherung gilt nichts grundsätzlich anderes; auch auf sie sind § 39 und die §§ 44 ff SGB X uneingeschränkt anwendbar, so daß ein durch Verwaltungsakt zuerkannter Status durch eine Rechtsänderung zu Ungunsten des Versicherten nicht ohne weiteres entfällt. Eine Erledigung iS des § 39 Abs 2 SGB X tritt aber dann ein, wenn das Gesetz den betreffenden Status als solchen vollständig beseitigt. Die Situation unterscheidet sich dann in ihren Auswirkungen nicht wesentlich von dem vorher erwähnten Fall(SozR 2200 § 1231 Nr 2), in dem der Begünstigte infolge einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr zu dem von der Regelung betroffenen Personenkreis gehört. Erledigt sich der Bescheid über die Befreiung von der Versicherungspflicht mit dem Übertritt in eine Beschäftigung ohne beamtenrechtliche Versorgung(Änderung der Sachlage), so muß dasselbe gelten, wenn zwar das bisherige Dienstverhältnis fortbesteht, der Gesetzgeber aber die Befreiungsmöglichkeit für Versorgungsberechtigte generell und ohne Übergangsregelung streicht(Änderung der Rechtslage). Ein Feststellungsbescheid über die Mitgliedschaft in der KVdR verliert seine Wirkung nicht nur, wenn der Betroffene kein Rentner mehr ist(§ 190 Abs 11 SGB V), sondern auch dann, wenn die KVdR etwa als Ganzes abgeschafft wird. Letzteres wäre anders zu beurteilen als der Fall, in dem ein Feststellungsbescheid rechtswidrig wird, weil der betreffende Rentner die durch eine Rechtsänderung verschärften Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der KVdR nicht mehr erfüllt(wie in BSGE 77, 86 = SozR 3–5405 Art 59 Nr 1). Daß es für die Notwendigkeit eines Aufhebungsbescheides von Bedeutung ist, ob ein Status vom Gesetz bloß modifiziert oder ob er völlig beseitigt wird, klingt auch in den Äußerungen des 4. Senats des BSG zur Problematik des Selbstvollzugs des Gesetzes an, wenn es heißt(Urteil vom 3. August 1999 – B 4 RA 33/99 R, zur Veröffentlichung vorgesehen), ein solcher Selbstvollzug liege nur vor, „wenn das, was im Einzelfall zwischen dem Verwaltungsträger und dem Bürger konkret verbindlich gelten solle, sich jedenfalls für den Betroffenen unzweifelhaft und ohne das Erfordernis, weitere individuelle Tatsachen feststellen zu müssen, von denen der Eintritt der Rechtsänderung abhängen könnte, aus dem Gesetzestext ergibt, wenn also kein die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles prüfender Erkenntnisprozeß und keine individuelle Entscheidung (Feststellung) des Verwaltungsträgers notwendig ist”.

Die Anwendung der genannten Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt folgendes: Der Bescheid vom 20. August 1982 sollte klären, ob für die Kläger auf der Grundlage der bestehenden Satzungsregelung auch nach dem Übergang in die KVdR weiterhin die Möglichkeit bestand, sich zu Lasten der Beklagten durch nicht an der Ersatzkassenpraxis beteiligte Ärzte behandeln zu lassen. Es ging damit zwar nicht um den Versichertenstatus als solchen, sondern um das Bestehen oder Nichtbestehen bestimmter mit diesem Status verbundener Rechte. Für die Frage der Erledigung macht das aber keinen Unterschied. Genauso wie dem Bescheid die Grundlage entzogen wäre, wenn die Kläger ihren Status als pflichtversicherte Rentner verloren hätten, ist er hier dadurch gegenstandslos geworden, daß es eine Kostenerstattung für Behandlungen außerhalb des Vertragssystems der gesetzlichen Krankenversicherung nach geltendem Recht nicht mehr gibt, und zwar nicht nur, wie früher, für bestimmte Gruppen von Versicherten, sondern überhaupt nicht mehr. Durch die eingetretene Rechtsänderung ist die Zulässigkeit der privatärztlichen Behandlung bei Ersatzkassenmitgliedern nicht bloß eingeschränkt, sondern gänzlich beseitigt worden und damit der Regelungsgegenstand des Ausgangsbescheides vollständig weggefallen. Dieser hat sich dadurch iS des § 39 Abs 2 SGB X „auf andere Weise erledigt”.

Bezüglich des Erledigungszeitpunkts kann offenbleiben, ob die Rechtsgrundlage für die frühere satzungsrechtliche Praxis der Beklagten schon mit Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 oder – im Hinblick auf die Besitzstandsklausel des Art 61 GRG – erst am 1. Januar 1993 endgültig entfallen ist. Fest steht, daß jedenfalls mit der Streichung des Art 61 GRG eine Möglichkeit privatärztlicher Behandlung auch für Ersatzkassenversicherte nicht mehr bestanden hat. Die später durch das 2. GKV-NOG vom 23. Juni 1997(BGBl I 1520) eingefügte Ergänzung des § 13 Abs 2 SGB V hat diese Rechtslage lediglich klargestellt. Hat sich der Verwaltungsakt vom 20. August 1982 durch die eingetretene Rechtsänderung erledigt, so ist durch das mit der Klage angegriffene Aufklärungsschreiben vom September 1993 und die nachfolgenden Widerspruchsbescheide vom 21. April 1995 nur die neu entstandene Rechtslage festgestellt und das Vertrauen der Kläger in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage zerstört worden, während ihm darüber hinaus keine rechtliche Bedeutung zukommt.

Die Einschränkung der freien Arztwahl bei den Ersatzkassenversicherten, denen dieses Recht bisher eingeräumt war, verletzt kein Verfassungsrecht; sie verstößt insbesondere nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Eine Rechtsänderung, die auf bestehende Sachverhalte und Rechtsverhältnisse für die Zukunft einwirkt und Rechtspositionen der Betroffenen beschränkt oder entwertet, ist grundsätzlich zulässig. Der Gesetzgeber könnte seiner Gestaltungsaufgabe nicht gerecht werden, wenn es ihm verwehrt wäre, neue Regelungen auf in der Vergangenheit bereits entstandene und noch nicht abgeschlossene Sachverhalte zu erstrecken. Das Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand einer bestehenden Gesetzeslage ist daher im allgemeinen nicht geschützt. Nur wenn schwerwiegende Umstände hinzukommen, die ausnahmsweise einen Vorrang des individuellen Vertrauensschutzes vor der Bedeutung des verfolgten Gesetzesziels für das Gemeinwohl gebieten, ist eine tatbestandliche Rückanknüpfung („unechte Rückwirkung”) ausgeschlossen. Solche Umstände liegen nicht vor. Mit der Verweisung auf zugelassene Leistungserbringer wird die freie Arztwahl nicht sehr wesentlich eingeschränkt. Die betroffenen Versicherten können allerdings gezwungen sein, ihren Arzt zu wechseln, was in fortgeschrittenem Alter und bei einer langjährig gewachsenen Vertrauensbeziehung einen erheblicher Einschnitt darstellen kann. Indessen kann sich die Notwendigkeit eines Arztwechsels auch aus anderen Gründen, etwa bei einem Umzug oder der Schließung der Arztpraxis ergeben und muß dem Patienten daher zugemutet werden.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 558107

SozR 3-1300 § 39, Nr. 7

AusR 2000, 119

NJOZ 2001, 811

b&b 2001, 74

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge