Entscheidungsstichwort (Thema)

Heimarbeiter. abhängige/geringfügige Beschäftigung. Zusammenrechnung. Mehrfachbeschäftigter. Versicherungspflicht. Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes. Erdrosselungswirkung. Indienstnahme des Arbeitgebers. abstrakte verfassungsrechtliche Prüfung

 

Orientierungssatz

1. Heimarbeit ist begrifflich keine abhängige Beschäftigung, sondern eine in besonderem Maße von wirtschaftlicher Abhängigkeit geprägte selbständige Tätigkeit (§ 2 Abs 1 HAG; dazu BAG vom 19.6.1957 2 AZR 84/55 = AP Nr 12 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Heimarbeit gilt jedoch für den Bereich der Sozialversicherung als Beschäftigung (§ 12 Abs 2 Halbs 2 SGB 4). Auch Heimarbeiter sind deshalb grundsätzlich in der Kranken- und in der Rentenversicherung versicherungspflichtig.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 8 Abs 2 SGB 4 sind nach Ansicht des Senats nicht zu erkennen. Es stand dem Gesetzgeber frei, die Versicherungsfreiheit geringfügiger Beschäftigungen durch eine Vorschrift über die Zusammenrechnung mehrerer geringfügiger Beschäftigungen wieder einzuschränken, zumal wenn dadurch die betroffenen Arbeitnehmer nur denen gleichgestellt werden, die bereits mit einer einzigen Beschäftigung die Grenzen der Geringfügigkeit überschreiten.

3. Die Indienstnahme der Arbeitgeber für die Beitragsabführung ist ebensowenig verfassungswidrig wie die damit verbundene Belastung mit Risiken, insbesondere mit der Gefahr, uU auch den Arbeitnehmeranteil selbst tragen zu müssen (§§ 394, 395 RVO; vgl BSG vom 1.3.1978 12 RK 14/77 = SozR 4100 § 186b Nr 1 und BVerfG vom 18.9.1978 1 BvR 638/78 = SozR 4100 § 186b Nr 2).

4. Eine begehrte verfassungsrechtliche Prüfung kann nicht abstrakt erfolgen, sondern setzt voraus, daß der Arbeitgeber durch die gesetzliche Regelung, die er angreift, selbst beschwert ist.

5. Es bleibt zu prüfen, ob der Arbeitgeber durch den von ihm nachträglich aufzubringenden Arbeitgeberanteil in einer Weise belastet wird, die nicht mit Art 12 GG oder Art 14 GG vereinbar ist. Ein mit diesen Vorschriften unvereinbarer Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb könnte nur bei einer übermäßigen Belastung vorliegen, die die Gefahr mit sich brächte, daß der Betrieb zum Erliegen kommt ("Erdrosselungswirkung", vgl BSG vom 1.3.1978 aaO mwN).

6. Ein Arbeitnehmer der mehrere Beschäftigungen ausübt, die jede für sich die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 SGB 4 nicht überschreitet, wird gemäß § 8 Abs 2 SGB 4 dennoch versicherungspflichtig, wenn die Beschäftigungen zusammen die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Das gilt auch dann, wenn zu einer geringfügigen Beschäftigung eine "geringfügige" Heimarbeit iS des § 12 Abs 2 SGB 4 hinzukommt.

7. Versichert der Arbeitnehmer wahrheitswidrig dem Arbeitgeber bei Beginn der Tätigkeit auf eine entsprechende Frage hin ausdrücklich, eine andere geringfügige Tätigkeit daneben nicht auszuüben, so tritt auch dann nachträglich die Versicherungspflicht und damit verbunden auch die Beitragspflicht des Arbeitgebers ein.

Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen (Gründe vgl BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 21.4.1989 1 BvR 1591/87).

 

Normenkette

HAG § 2 Abs 1; SGB 4 § 12 Abs 2 Halbs 2; SGB 4 § 8 Abs 2; RVO §§ 394-395; GG Art 12 Abs 1; GG Art 14 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 24.01.1985; Aktenzeichen L 5 K 30/84)

SG Speyer (Entscheidung vom 22.08.1984; Aktenzeichen S 9 K 49/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Arbeitgeber eines Mehrfachbeschäftigten für ihn auch dann Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten hat, wenn der Beschäftigte ihm seine zweite Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber, durch die er erst versicherungspflichtig geworden ist, verschwiegen hat. In diesem Zusammenhang ist unter den Beteiligten streitig, ob § 8 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4), der die Zusammenrechnung von Einkommen aus mehreren geringfügigen Beschäftigungen vorsieht, verfassungsmäßig ist.

Die Beigeladene zu 1) arbeitete in der Zeit vom 1. Mai 1981 bis 30. September 1982 als Raumpflegerin bei der Klägerin, einem Unternehmen der Glas- und Gebäudereinigung. Sie verdiente dort monatlich 390 DM netto bei einer täglichen Arbeitszeit von 2 1/2 Stunden. Versicherungsbeiträge wurden nicht abgeführt, weil die Klägerin davon ausging, daß die Beschäftigung wegen Geringfügigkeit versicherungsfrei sei. Die Beigeladene zu 1) war jedoch in der gesamten Zeit (und darüber hinaus) gleichzeitig als Heimarbeiterin für die Beigeladene zu 3) tätig und erhielt dort je nach Leistung ein Arbeitsentgelt zwischen 53,93 DM und 195,41 DM monatlich, regelmäßig über 100 DM. Auch die Beigeladene zu 3) sah diese Tätigkeit wegen Geringfügigkeit als versicherungsfrei an. Sowohl die Klägerin als auch die Beigeladene zu 3) erfuhren erst Ende 1982 von der jeweils anderen Beschäftigung bzw Tätigkeit. Die Klägerin gibt dazu an, daß sogar auf ausdrückliches Befragen, ob die Beigeladene zu 1) bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt oder tätig sei, diese eine weitere Beschäftigung oder Tätigkeit verneint habe und auch eine Bescheinigung über die Lohnsteuerpauschalierung für Teilzeitbeschäftigte vorgelegt habe. Die Beklagte hielt diese Einwendungen für rechtlich unerheblich und stellte mit Bescheid vom 9. Dezember 1982 die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung fest und forderte die Klägerin auf, die entsprechenden Beiträge zu entrichten. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 1983).

Klage und Berufung hatten ebenfalls keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Speyer -SG- vom 22. August 1984; Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz -LSG- vom 24. Januar 1985).

Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß die Beigeladene zu 1) in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung nach §§ 165 Abs 1 Nr 1, 1227 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 8 Abs 1 Nr 1, Abs 2 und § 12 Abs 2 SGB 4 versicherungspflichtig gewesen und die Klägerin daher zur Zahlung der Beiträge verpflichtet sei (§§ 381 Abs 1, 393 Abs 1, 1385 Abs 4 Buchst a, 1396 Abs 1 RVO). Die Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB 4 hätten vorgelegen. Die Unkenntnis der Klägerin über die zweite Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) und selbst eine etwaige Fehlinformation durch sie hätten die kraft Gesetzes entstandene Versicherungspflicht nicht beseitigt. Das LSG ist auch der Auffassung der Klägerin nicht gefolgt, daß hier ein Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und damit ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) und außerdem gegen die nach Art 12 Abs 1 GG geschützte Berufsfreiheit vorliege. Auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) sei nicht zu erkennen. Der Gesetzgeber sei typisierend vom Regelfall ausgegangen, daß die Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber ordnungsgemäß unterrichteten. Das den Arbeitgebern damit aufgebürdete Risiko sei zugunsten einer umfassenden sozialversicherungsrechtlichen Sicherung der Arbeitnehmer hinzunehmen.

Mit der Revision vertritt die Klägerin weiterhin ihren Rechtsstandpunkt, daß schon nach einfachem Recht keine Versicherungs- und Beitragspflicht für die Beigeladene zu 1) bestanden habe und im übrigen § 8 Abs 2 SGB 4 gegen Verfassungsrecht verstoße. Sie ist der Ansicht, daß der Kreis der versicherungspflichtigen Personen in den §§ 165, 168 RVO abschließend geregelt sei. § 8 Abs 2 SGB 4 könne nicht den Kreis der Versicherungspflichtigen über die in der RVO getroffene Abgrenzung hinaus erweitern. Das fehlende Verschulden der Klägerin an der unterlassenen Beitragsabführung sei ebenfalls rechtserheblich. Der Arbeitgeber schulde nicht den Arbeitnehmeranteil der Beiträge, sondern habe ihn lediglich abzuführen. Für Einbehaltung und Abführung hafte er aber nicht, wenn ihn an der Nichtabführung kein Verschulden treffe. Anderenfalls wäre § 395 Abs 2 RVO überflüssig. Mangels Kenntnis von der Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) entfalle auch eine gesamtschuldnerische Haftung für die Beiträge, die für das zusätzliche Beschäftigungsverhältnis zu zahlen seien. Dies entspreche auch dem Grundsatz von Treu und Glauben. Überdies verstoße § 8 Abs 2 Satz 1 SGB 4 gegen das Rechtsstaatsprinzip. Die Fälle, in denen Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber falsch unterrichteten, seien keineswegs selten und deswegen nicht im Rahmen einer typisierenden Betrachtung zu vernachlässigen. Durch die Veränderungen der Risikoverteilung zu Lasten des Arbeitgebers werde außerdem in das Eigentumsgrundrecht aus Art 14 GG eingegriffen. Es werde der Bestand der Reinigungsunternehmen gefährdet, wenn die Beschäftigung von Teilzeitkräften mit übermäßigen Risiken belastet werde.

Die Klägerin beantragt, die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 1983 aufzuheben, hilfsweise, den Rechtsstreit auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der Frage vorzulegen, ob § 8 Abs 2 Satz 1 SGB 4 mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie beziehen sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.

Die übrigen Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zutreffend angewandt.

Die Beigeladene zu 1) war Arbeitnehmerin der Klägerin und zugleich bei der Beigeladenen zu 3) Heimarbeiterin iS von § 2 Abs 1 des Heimarbeitsgesetzes (HAG). Eine Beschäftigung als Arbeitnehmer(in) ist in den hier nach dem angefochtenen Bescheid in Betracht kommenden Versicherungszweigen grundsätzlich versicherungspflichtig, nämlich in der Krankenversicherung nach § 165 Abs 1 Nr 1 RVO und in der Rentenversicherung nach § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO.

Heimarbeit ist zwar begrifflich keine abhängige Beschäftigung, sondern eine in besonderem Maße von wirtschaftlicher Abhängigkeit geprägte selbständige Tätigkeit (§ 2 Abs 1 HAG; dazu BAG AP Nr 12 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, Bl 244 R; Schaub, Handbuch des Arbeitsrechts, 5. Aufl, § 10 I, 1 und 4). Heimarbeit gilt jedoch für den Bereich der Sozialversicherung als Beschäftigung (§ 12 Abs 2, Halbs 2 SGB 4). Auch Heimarbeiter sind deshalb grundsätzlich in der Kranken- und in der Rentenversicherung versicherungspflichtig.

Ausgenommen von der Versicherungspflicht ist in der Kranken- und in der Rentenversicherung jedoch eine geringfügige Beschäftigung (§§ 168 RVO,1228 Abs 1 Nr 4 RVO). Was dabei als eine geringfügige Beschäftigung anzusehen ist, definiert § 8 SGB 4. Beide hier zu beurteilenden Beschäftigungen der Beigeladenen zu 1) sind für sich genommen geringfügig.

Die Beschäftigung bei der Klägerin war geringfügig gemäß § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4, und zwar sowohl nach der im Jahre 1981 geltenden Fassung der Vorschrift (Art 2 § 9 Nr 1 Buchst a des 21. Rentenanpassungsgesetzes -21. RAG- vom 25. Juli 1978, BGBl I, 1089) als auch nach der im Jahre 1982 geltenden Neufassung (Art 3 Buchst a des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes vom 22. Dezember 1981, BGBl I, 1497). Nach beiden Fassungen lag eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn die Beschäftigung regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt wurde - dies war nach den Feststellungen des LSG hier der Fall - und wenn das Arbeitsentgelt regelmäßig eine bestimmte Grenze nicht überstieg. Nach der für 1981 geltenden Fassung der Vorschrift lag diese Grenze bei einem Sechstel der monatlichen Bezugsgröße (§ 18 SGB 4). Die monatliche Bezugsgröße betrug damals 2340 DM (Bekanntmachung vom 21. August 1980, Bundesanzeiger Nr 167), ein Sechstel davon also 390 DM. Außerdem durfte der Verdienst ein Sechstel des Gesamteinkommens des Beschäftigten nicht übersteigen. Ab 1. Januar 1982 lag die Entgeltgrenze (wie schon früher vor 1981; s dazu Art 4 § 1 Nr 6 des 21. RAG) weiterhin bei einem ausdrücklich festgelegten Betrag von 390 DM monatlich. Auch diese Voraussetzungen erfüllte die Beigeladene zu 1), da sie von der Klägerin nur monatlich 390 DM netto erhielt. Lohnsteuer war von der Beigeladenen zu 1) nicht zu entrichten, weil der Arbeitgeber gemäß § 40a des Einkommensteuergesetzes (EStG) den Lohn seiner Teilzeitbeschäftigten pauschal versteuerte. Diese Pauschalsteuer ist gemäß § 40 Abs 3 EStG eine Aufwendung des Arbeitgebers, die nicht dem Arbeitnehmer zuzurechnen ist. Auch Sozialversicherungsbeiträge fielen dementsprechend wegen § 8 SGB 4 nicht an (vgl die Richtlinien zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen und geringfügigen selbständigen Tätigkeiten idF vom 3. November 1980 und 10. Dezember 1981 unter 2.1.4 bzw 2.1.3, Die Beiträge 1981, 69, und 1982, 30).

Der Umfang, in dem die Beigeladene zu 1) als Heimarbeiterin für die Beigeladene zu 3) tätig war, war nach ihrer wöchentlichen Arbeitszeit und dem dort erhaltenen Entgelt noch geringer. Da § 8 SGB 4 iVm §§ 168, 1228 RVO auch für Heimarbeiter gilt, waren die Voraussetzungen der Geringfügigkeit auch hinsichtlich des Heimarbeitsverhältnisses der Beigeladenen zu 1) erfüllt.

Trotzdem war die Beigeladene zu 1) versicherungspflichtig, weil nach § 8 Abs 2 SGB 4 ihre beiden, für sich genommen geringfügigen Beschäftigungen zusammenzurechnen waren und dann jedenfalls die Entgeltgrenze des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 überstiegen.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 8 Abs 2 SGB 4 sind nach Ansicht des Senats nicht zu erkennen. Es stand dem Gesetzgeber frei, die Versicherungsfreiheit geringfügiger Beschäftigungen durch eine Vorschrift über die Zusammenrechnung mehrerer geringfügiger Beschäftigungen wieder einzuschränken, zumal wenn dadurch die betroffenen Arbeitnehmer nur denen gleichgestellt werden, die bereits mit einer einzigen Beschäftigung die Grenzen der Geringfügigkeit überschreiten.

Aufgrund der Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) waren für sie Beiträge zur Kranken- und zur Rentenversicherung zu entrichten, die gemäß §§ 381 Abs 1, 1385 Abs 4 Buchst a RVO Arbeitnehmer und Arbeitgeber je zur Hälfte zu tragen und die Arbeitgeber einzuzahlen hatten (§§ 393 Abs 1 Satz 1, 1396 Abs 1 Satz 1 RVO). Für die Abführung der Beiträge war die Beklagte die zuständige Einzugsstelle (§§ 309, 1399 Abs 2 RVO). Bei Mehrfachbeschäftigten richtet sich nämlich die Kassenzuständigkeit gemäß § 309 RVO nach der überwiegenden Beschäftigung. Das war hier die Beschäftigung bei der Klägerin. Für die Arbeitnehmer der Klägerin ist die beklagte Innungskrankenkasse zuständig (§ 250 RVO). Die Beklagte war deshalb befugt, die angeforderten Beiträge einzuziehen. Gegen deren Berechnung sind weder von den Beteiligten Bedenken erhoben worden noch sonst ersichtlich. Die Klage könnte hiernach nur Erfolg haben, wenn gegen die genannten Regelungen des Beitragsverfahrens verfassungsrechtliche Bedenken bestünden. Das ist nach Ansicht des Senats nicht der Fall.

Die Indienstnahme der Arbeitgeber für die Beitragsabführung ist ebensowenig verfassungswidrig wie die damit verbundene Belastung mit Risiken, insbesondere mit der Gefahr, uU auch den Arbeitnehmeranteil selbst tragen zu müssen (§§ 394, 395 RVO; vgl BSG SozR 4100 § 186b Nr 1 und BVerfG SozR 4100 § 186b Nr 2, beide zur Umlage für die Konkursausfallgeldversicherung; s auch die Entscheidung ähnlicher Fälle in BVerfGE 44, 103, 104; 30, 292, 310 ff; 22, 380, 383 ff).

Die Klägerin macht allerdings geltend, daß solche Risiken im Reinigungsgewerbe besonders groß und sogar existenzgefährdend seien. Es werde dort überwiegend mit Teilzeitarbeitskräften gearbeitet, die oft eine daneben ausgeübte Beschäftigung dem Arbeitgeber verschwiegen. Die daraus resultierende nachträgliche Beitragsbelastung des Arbeitgebers könnte bei den Verträgen mit den Kunden nicht einkalkuliert werden, da die Kunden häufig eine Kalkulation ohne Sozialversicherungsbeiträge verlangten, dh auf dem ausschließlichen Einsatz nichtsozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer bestünden. Die nachträgliche Beitragsbelastung des Arbeitgebers beschränke sich auch nicht auf seinen eigenen Beitragsanteil; oft müßte er auch noch den Arbeitnehmeranteil tragen und sogar gem § 396 Abs 1 RVO für die Beiträge der anderen Arbeitgeber als Gesamtschuldner mithaften.

Dieses Vorbringen kann, auch wenn es in tatsächlicher Hinsicht zutreffen sollte, die von der Klägerin hilfsweise beantragte Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht begründen. Soweit die Klägerin eine gesamtschuldnerische Haftung der Arbeitgeber nach § 396 Abs 1 RVO als verfassungswidrig ansieht, ist über ihre Einwendungen nicht zu entscheiden, da die Klägerin nicht als Gesamtschuldnerin in Anspruch genommen wird. Soweit die Klägerin geltend macht, sie sei dadurch übermäßig belastet, daß sie außer ihrem eigenen Beitragsanteil auch noch den Arbeitnehmeranteil tragen müsse, scheidet eine Vorlage an das BVerfG aus, solange nicht geklärt ist, ob es sich hier um einen solchen Fall handelt. Immerhin besteht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, trotz § 394 Abs 1 Satz 2 RVO den zunächst vom Arbeitgeber mitgetragenen Arbeitnehmeranteil im Wege des Schadensersatzes vom Arbeitnehmer ersetzt zu verlangen (s dazu BAG AP Nr 1 zu § 394/395 RVO; BAG 23. März 1983 - 5 AZR 582/80 -). Ob dies auch hier möglich ist, kann der erkennende Senat nicht klären, weil Rückgriffsansprüche der Klägerin gegen die Beigeladene zu 1) nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens sind und - soweit es sich um Schadensersatzansprüche handelt - auch nicht in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fallen. Auf die Klärung der Frage, ob die Klägerin hier endgültig den Arbeitnehmeranteil der Beigeladenen zu 1) mittragen muß, kann aber auch dann nicht verzichtet werden, wenn die Klägerin, wie sie vorträgt, häufig mit dem Arbeitnehmeranteil von Beiträgen für Mehrfachbeschäftigte belastet bleibt. Die begehrte verfassungsrechtliche Prüfung kann nicht abstrakt erfolgen, sondern setzt voraus, daß der Arbeitgeber durch die gesetzliche Regelung, die er angreift, selbst beschwert ist.

Zu prüfen bleibt somit nur, ob die Klägerin durch den von ihr nachträglich aufzubringenden Arbeitgeberanteil in einer Weise belastet wird, die nicht mit Art 12 GG oder Art 14 GG vereinbar ist. Ein mit diesen Vorschriften unvereinbarer Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb könnte nur bei einer übermäßigen Belastung vorliegen, die die Gefahr mit sich brächte, daß der Betrieb zum Erliegen kommt ("Erdrosselungswirkung", vgl BSG SozR 4100 § 186b Nr 1 mwN). Daß dies bei der Klägerin allein durch nachträgliche Beitragsbelastungen der streitigen Art eintreten könnte, hält der Senat für ausgeschlossen; auch die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß bei ihr solche Fälle in so großer Zahl auftreten, daß sie dadurch existenzgefährdend belastet wird. Im übrigen enthält die Auferlegung von Beitragspflichten nur eine Berufsausübungsregelung iS des Art 12 Abs 1 Satz 2 GG, die das Grundrecht der freien Berufswahl (vgl BSG SozR 2200 § 1385 Nr 16 S 31 mwN) nicht verletzt.

Die Revision der Klägerin konnte nach allem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663122

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