Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Pflegeversicherung. kein Ausschluss der Familienversicherung nach Erhalt einer einmaligen Abfindung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und unzulässiger Verteilung der Abfindungssumme auf mehrere Monate. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Familienversicherung wird für die Zeit nach dem Erhalt einer einmaligen Abfindung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausgeschlossen, weil die Abfindungssumme nicht entsprechend dem vorher erzielten Arbeitsentgelt auf mehrere Monate verteilt werden darf (Fortführung von BSG vom 25.1.2006 - B 12 KR 2/05 R = SozR 4-2500 § 10 Nr 6).

 

Orientierungssatz

Im Lichte des Art 3 Abs 1 GG ist § 10 Abs 1 S 1 Nr 5 Halbs 1 SGB 5 nicht verfassungskonform dahin auszulegen, dass eine in Form der Einmalzahlung gewährte Abfindung für mehrere Monate als anteilig bezogen gilt. Es ist nicht von vornherein verfassungswidrig, dass Einmalzahlungen, die unmittelbar nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses entrichtet werden, der Familienversicherung für spätere Monate nicht entgegenstehen.

 

Normenkette

SGB 4 § 16; SGB 4 § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; SGB 5 § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Hs. 1 Fassung: 1997-12-16; SGB 11 § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Fassung: 1995-07-24; EStG § 2 Abs. 1, § 24 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 29.09.2005; Aktenzeichen L 2 KN 11/01 KR)

SG Duisburg (Urteil vom 12.12.2000; Aktenzeichen S 27 KN 46/99 KR)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin für die Zeit vom 1.1.1999 bis 30.4.2000 in der knappschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung familienversichert gewesen ist.

Die Klägerin ist die Ehefrau des bei der Beklagten versicherten Beigeladenen. Sie war seit September 1974 bei der Deutschen Bundespost und seit Juli 1998 bei der Deutschen Postbank AG beschäftigt. Zuletzt erzielte sie ein monatliches Bruttoeinkommen von 4.931 DM. Das Arbeitsverhältnis wurde auf Veranlassung der Deutschen Postbank AG aus betriebsbedingten Gründen mit Aufhebungsvertrag zum 30.11.1998 beendet. Gemäß § 2 des Aufhebungsvertrages zahlte die Deutsche Postbank AG auf der Grundlage des zwischen ihr und der Deutschen Postgewerkschaft geschlossenen Abfindungstarifvertrages vom 18.12.1997 an die Klägerin im Dezember 1998 eine steuerpflichtige Abfindung von brutto 108.000 DM. Die Abfindungssumme wurde nach Abzug eines Freibetrages von 24.000 DM dem ermäßigten Steuersatz unterworfen und als Einnahme bei der Berechnung der Einkommensteuer der Klägerin für das Jahr 1998 berücksichtigt (Bescheid des Finanzamtes Essen-Nord vom 20.5.1999) . Einen Teil der Abfindungssumme legte die Klägerin als Kapitalvermögen an und erzielte hieraus im streitigen Zeitraum monatlich ca 130 DM Zinsen. Über weitere Einkünfte verfügte sie nicht.

Die Beklagte sah die Klägerin zunächst in der knappschaftlichen Kranken- sowie Pflegeversicherung als familienversichert an, entschied jedoch nach Kenntnis des Abfindungsvertrags, dass die Abfindung der Familienversicherung entgegenstehe, weil das Gesamteinkommen der Klägerin dadurch im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteige (Bescheid vom 10.12.1998, Widerspruchsbescheid vom 27.7.1999) . Die Abfindung rechne in Höhe des bisherigen Monatsbetrages der Einkünfte zum Gesamteinkommen, sodass die Einkommensgrenze sowohl für das Jahr 1998 als auch für das Jahr 1999 überschritten werde. Eine Familienversicherung sei somit kraft Gesetzes ausgeschlossen. Um die Abfindung einem Zeitraum zuzuordnen, müsse das berücksichtigungsfähige Einkommen in Höhe (des zu versteuernden Einkommens) von 84.000 DM durch den Monatsbetrag des zuletzt bezogenen Gehalts in Höhe von 4.931 DM dividiert werden. Gerundet ergebe sich so ein Zeitraum von 17 Monaten, in welchem die Abfindung als regelmäßiges Einkommen zu berücksichtigen sei. Daraus errechne sich der Ausschluss der Familienversicherung für die Zeit vom 1.12.1998 bis 30.4.2000.

Mit Bescheid vom 19.12.1998 nahm die Beklagte die Klägerin als freiwilliges Mitglied in die Kranken- sowie Pflegeversicherung auf und zog sie mit diesem und zahlreichen Folgebescheiden zur Beitragszahlung heran. Den gegen den Bescheid vom 19.12.1998 und die Folgebescheide gerichteten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.7.1999 zurück.

Die Klage hatte im Berufungsverfahren im Wesentlichen Erfolg. Mit Urteil vom 29.9.2005 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) unter Abänderung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass die Klägerin in der Zeit vom 1.1.1999 bis 30.4.2000 familienversichert gewesen sei, und die Beklagte verurteilt, die für diesen Zeitraum entrichteten Beiträge zu erstatten. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe es zu Unrecht abgelehnt, im streitigen Zeitraum die Familienversicherung der Klägerin als Ehegattin des stammversicherten Beigeladenen in der knappschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung durchzuführen. Das monatliche Einkommen der Klägerin habe in diesem Zeitraum die Einkommensgrenzen iS des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht überschritten. Die Klägerin habe lediglich über Zinseinkünfte von monatlich 130 DM verfügt. Die Abfindung rechne im streitigen Zeitraum nicht anteilig zum Gesamteinkommen der Klägerin und führe daher nicht zu einem regelmäßigen Überschreiten eines Siebtels der monatlichen Bezugsgröße. Für die von der Beklagten vorgenommene Zurechnung fehle es an einer Rechtsgrundlage. Gesamteinkommen sei nach § 16 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts; es umfasse insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen. Eine Abfindung, die wie hier ausschließlich für Zeiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werde, stelle kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt dar. Vielmehr handele es sich bei der Abfindung um der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte gemäß § 2 Abs 1, § 24 Nr 1b, § 34 Abs 1 und Abs 2 Nr 2 Einkommensteuergesetz (EStG). Derartige Einkünfte würden - abzüglich des Freibetrags nach § 3 Nr 9 EStG - gemäß § 25 Abs 1 EStG nach Ablauf des Kalenderjahres veranlagt, in dem sie bezogen würden. Die im Dezember 1998 an die Klägerin ausgezahlte Abfindung sei deshalb zu Recht bei der Berechnung der Einkommensteuer für das Jahr 1998 berücksichtigt worden. Dieser steuerrechtlichen folge auch die sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Abfindung. Die Zurechnung der Abfindung zum steuerrechtlichen Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr) verletze kein Verfassungsrecht und verstoße insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Die Rechtsauffassung der Beklagten finde auch keine Stütze in den von ihr benannten Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG). Ebenso wenig könne sich die Beklagte mit Erfolg auf die Vereinbarung der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.1.1999 berufen; diese vermöge nicht den für das Verwaltungshandeln der Beklagten notwendigen Gesetzesvorbehalt zu ersetzen und ermächtige nicht dazu, den Anspruch der Klägerin einzuschränken. Dementsprechend seien die für den Zeitraum 1.1.1999 bis 30.4.2000 zu Unrecht entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erstatten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 16 SGB IV und des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V. Zwar richte sich die Zuordnung der an die Klägerin gezahlten Abfindung zum Gesamteinkommen iS des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V nach den Vorschriften des EStG. Entgegen der Auffassung des LSG sei die bisherige Rechtsprechung des BSG aber nicht dahin zu interpretieren, dass die Bindung an das Einkommensteuerrecht auch für die zeitliche Zuordnung des Gesamteinkommens gelte. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG (Urteile vom 4.6.1981 - 3 RK 5/80 - SozR 2200 § 205 Nr 41 = USK 81134 und vom 26.10.1982 - 3 RK 35/81 - SozR 2200 § 205 Nr 52 = USK 82151) sei das regelmäßige monatliche Gesamteinkommen nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln. Danach sei der beitragsfreie Versicherungsschutz der Familienversicherung nicht mehr für eine Zeit zur Verfügung zu stellen, auf die ein von vornherein feststehendes, die maßgebenden Einkommensgrenzen nach § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V übersteigendes regelmäßiges monatliches Gesamteinkommen entfalle. In diesem Zusammenhang sei also nicht der Zeitpunkt des Zuflusses, sondern der Zeitraum, dem das Gesamteinkommen zuzuordnen sei, von entscheidender Bedeutung. Dass eine zeitliche Zuordnung der Abfindung bei der Frage des Gesamteinkommens iS des § 16 SGB IV nicht von vornherein streng nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen abhängig vom Zufluss vorzunehmen sei, ergebe sich aus einer Zusammenschau mit § 17 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB IV, der die Bundesregierung ermächtige, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, wie das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen und das Gesamteinkommen zu ermitteln und zeitlich zuzurechnen seien. Eine solche Rechtsverordnung sei allerdings noch nicht ergangen. Um eine einheitliche Vorgehensweise sicherzustellen, hätten die Spitzenverbände der Krankenkassen in dem Gemeinsamen Rundschreiben "Einnahmen zum Lebensunterhalt und Gesamteinkommen" vom 22.1.1999 vereinbart, den Zurechnungszeitraum so zu ermitteln, dass die Abfindung durch die im Monat vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gezahlten Bezüge geteilt werde. Nur in diesem Fall werde der zukunftsgerichtete Entschädigungsgedanke einer Aufhebungsvereinbarung berücksichtigt und ungerechte sowie uneinheitliche Ergebnisse vermieden. Nach dem Urteil des 12. Senats des BSG vom 25.1.2006 (B 12 KR 2/05 R - SozR 4-2500 § 10 Nr 6) sei eine in monatlichen Raten gezahlte steuerpflichtige Abfindung zum Gesamteinkommen iS des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V zu rechnen und der dortige Kläger deshalb im Bezugszeitraum von der Familienversicherung seiner Ehefrau ausgeschlossen worden. Würde eine als Einmalzahlung gewährte Abfindung nicht monatlich umgelegt, wäre eine sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung aller Versicherten ausgeschlossen. Dies verstoße gegen Art 3 Abs 1 GG. Darüber hinaus wären den Parteien von Aufhebungsvereinbarungen Möglichkeiten gegeben, Regelungen einseitig zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und damit zum Schaden der Versichertengemeinschaft zu treffen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. September 2005 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12. Dezember 2000 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die zweitinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

In der mündlichen Verhandlung vom 9.10.2007 hat die Beklagte für den Fall, dass das Revisionsurteil die Familienversicherung der Klägerin bestätige, dem Grunde nach die Verpflichtung anerkannt, der Klägerin die zur freiwilligen Versicherung entrichteten Beiträge zu erstatten und über deren Höhe einen Bescheid zu erteilen. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Nachdem die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, soweit dieser die Erstattung der von der Klägerin entrichteten Beiträge betrifft, hatte der Senat nur noch darüber zu entscheiden, ob die Klägerin im Zeitraum vom 1.1.1999 bis 30.4.2000 in der knappschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung familienversichert gewesen ist. Dies ist zu bejahen. Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

§ 10 Abs 1 Satz 1 SGB V in der im hier maßgeblichen Zeitraum geltenden Fassung (vom 16.12.1997 - BGBl I 2998) normiert für die Familienversicherung folgende Voraussetzungen:

"Versichert sind der Ehegatte und die Kinder von Mitgliedern, wenn diese Familienangehörigen

1.   

ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben,

2.   

nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 8, 11 oder 12 oder nicht freiwillig versichert sind,

3.   

nicht versicherungsfrei oder nicht von der Versicherungspflicht befreit sind; dabei bleibt die Versicherungsfreiheit nach § 7 außer Betracht,

4.   

nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind und

5.   

kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches überschreitet; ..."

Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin die Voraussetzungen der Nr 1 bis 4 im streitigen Zeitraum erfüllt. Dies wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.

Darüber hinaus haben die Voraussetzungen des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V vorgelegen. Zwar gehört die der Klägerin von der Deutschen Postbank AG gewährte Abfindung zum Gesamteinkommen iS dieser Vorschrift, sie lässt sich aber nicht dem Zeitraum vom 1.1.1999 bis 30.4.2000 zuordnen. Die übrigen Einkünfte der Klägerin liegen unterhalb des hier maßgeblichen Grenzbetrages.

Gesamteinkommen iS des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V ist das in § 16 SGB IV definierte Gesamteinkommen, da die Vorschriften des SGB IV nach § 1 Abs 1 SGB IV ua für die gesetzliche Krankenversicherung gelten. Nach § 16 SGB IV ist das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte iS des Einkommensteuerrechts (Halbsatz 1) . Es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen (Halbsatz 2) . Mit dem in Halbsatz 1 enthaltenen Verweis auf das Steuerrecht sind diejenigen Einkünfte gemeint, die der Steuerpflicht unterliegen, sodass zB steuerfreie Beträge oder Werbungskosten abzuziehen sind (BSGE 91, 83 = SozR 4-2500 § 10 Nr 2, jeweils RdNr 7 ff, mwN und der detaillierten Darstellung der zu diesem Ergebnis führenden Rechtsprechung sowie der aus der Anknüpfung an das Gesamteinkommen folgenden Wertungswidersprüche) .

Die der Klägerin gezahlte Abfindung gehört zum Gesamteinkommen, denn sie ist steuerrechtlich eine Einnahme aus nichtselbständiger Tätigkeit und ist als solche einkommensteuerpflichtig. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 EStG unterliegen ua Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Nr 4) der Einkommensteuer. Sie zählen abzüglich der Werbungskosten (§ 2 Abs 2 Nr 2, §§ 8 bis 9a EStG) zur Summe der Einkünfte iS des Einkommensteuerrechts und damit zum Gesamteinkommen (BSG SozR 4-2500 § 10 Nr 6 RdNr 11 mwN) . Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit iS des § 19 EStG sind nicht nur der laufende Lohn, sondern auch Einmalzahlungen wie zB eine vom Arbeitgeber gezahlte Entlassungsentschädigung. Dies folgt aus § 24 Nr 1 EStG. Danach gehören zu den Einkünften iS des § 2 Abs 1 EStG auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Die unter § 24 EStG zu subsumierenden Entschädigungen bilden keine selbständige Einkunftsart (BSG aaO RdNr 13 mwN) .

Die Abfindung ist der Klägerin als Ersatz für künftig entgehende Einnahmen gewährt worden. Unter Berücksichtigung von § 2 Nr 1 des zwischen ihr und der Deutschen Postbank AG geschlossenen Aufhebungsvertrages iVm §§ 3 und 4 des Tarifvertrags über die Zahlung von Abfindungen an Arbeitnehmer bei der Deutschen Postbank AG, auf die das LSG Bezug genommen hat, sollte die Klägerin für künftige Einnahmeverluste entschädigt werden, die ihr wegen der aus betriebsbedingten Gründen vom Arbeitgeber veranlassten Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen würden. Als Abfindung wegen der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses war die Einnahme der Klägerin lediglich mit einem Freibetrag von 24.000 DM gemäß § 3 Nr 9 EStG von der Einkommensteuer befreit; im Übrigen unterlag die Abfindung der Besteuerung.

Da sich das Gesamteinkommen iS des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V seit Geltung des § 16 SGB IV grundsätzlich steuerrechtlich bestimmt, ist es ohne Bedeutung, dass Entlassungsabfindungen nicht zum (beitragspflichtigen) Arbeitsentgelt iS von § 14 SGB IV rechnen. Ebenso ist unmaßgeblich, ob und ggf wie eine Abfindungszahlung unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung des BSG als Einnahme iS von § 240 SGB V bei der Beitragsbemessung in der freiwilligen Krankenversicherung zu berücksichtigen ist. Denn der Begriff der Einnahmen zum Lebensunterhalt im Beitragsrecht der freiwilligen Versicherung stimmt mit dem Begriff des Gesamteinkommens iS von § 16 SGB IV nicht überein (zu allem BSG aaO RdNr 16 ff) .

Obwohl die der Klägerin gewährte Abfindung demnach zum Gesamteinkommen iS des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V zählt, steht sie einer Familienversicherung im Zeitraum vom 1.1.1999 bis 30.4.2000 nicht entgegen. Die Klägerin hat die Abfindungszahlung nämlich im Dezember 1998 und nicht anteilig in den Monaten des vorgenannten Zeitraums erhalten.

Entgegen der Auffassung des LSG ergibt sich dieses Ergebnis allerdings nicht aus § 25 Abs 1 EStG, nach dem Einkommen grundsätzlich nach Ablauf des Kalenderjahres veranlagt wird, in dem es bezogen wurde. Auf § 25 EStG nimmt § 16 SGB IV keinen Bezug. Die Vorschrift verweist lediglich auf die "Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts". Nach der Systematik des EStG sind die der Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte in Abschnitt II. geregelt, der §§ 2 bis 24c EStG umfasst, während § 25 dem Abschnitt III. "Veranlagung" angehört.

Dass die im Dezember 1998 erfolgte Einmalzahlung der Familienversicherung der Klägerin nicht entgegensteht, ergibt sich vielmehr aus § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V, der an einen monatlich regelmäßigen Einkommensbezug in dem maßgeblichen Zeitraum anknüpft (so im Ergebnis auch BSG aaO RdNr 20) ; zwischen Januar 1999 und April 2000 ist jedoch keinerlei Abfindungszahlung geflossen. Es existiert auch keine gesetzliche Bestimmung, die anordnet, dass eine Einmalzahlung, die dem Begriff des Gesamteinkommens unterfällt, für nachfolgende Monate als anteilig bezogen gilt. Die Beklagte selbst weist darauf hin, dass die Bundesregierung bisher von der ihr in § 17 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB IV übertragenen Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht hat, über die zeitliche Zuordnung des Gesamteinkommens nähere Bestimmungen zu treffen (vgl Seewald in Kasseler Komm, § 17 SGB IV RdNr 4, Stand August 2004; Werner in jurisPK, § 17 SGB IV RdNr 13, Stand 2006) .

Ohne rechtliche Bedeutung für den Anspruch der Klägerin ist, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen vereinbart haben, den Zurechnungszeitraum so zu ermitteln, dass die Abfindungssumme durch die im Monat vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gezahlten Bezüge geteilt wird. Da die Spitzenverbände der Krankenkassen vom Gesetzgeber zu einer derartigen Regelung nicht ermächtigt sind, kann ihre Vereinbarung förmliche Gesetze wie § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V nicht inhaltlich konkretisieren oder ergänzen.

Die Beklagte kann schließlich aus der früheren Rechtsprechung des 3. Senats des BSG nichts zu Gunsten ihrer Rechtsauffassung herleiten. Zwar hat der 3. Senat ausgeführt, bei schwankenden Einkommen sei das für den Ausschluss des Familienhilfeanspruchs iS von § 205 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) maßgebende "Gesamteinkommen regelmäßig im Monat" im Wege einer vorausschauenden Schätzung zu ermitteln, wobei vom durchschnittlichen Monatseinkommen der zurückliegenden Zeit auszugehen sei. Er hat jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, dass dies nicht gelte, wenn sicher vorhersehbare Umstände zu einem anderen regelmäßigen Monatseinkommen im laufenden Jahr führten (BSG vom 26.10.1982 - 3 RK 35/81 - Juris RdNr 21 = SozR 2200 § 205 Nr 52 S 145) . Einmalige Bezüge seien nur dann berücksichtigungsfähig, wenn eine hinreichende Sicherheit für ihre künftige Gewährung bestehe (BSG vom 4.6.1981 - 3 RK 5/80 - Juris RdNr 24 = SozR 2200 § 205 Nr 41 S 102 mit Hinweis ua auf BSGE 24, 262, 265 = SozR Nr 50 zu § 165 RVO) . Gerade dies ist indes bei der Klägerin nicht der Fall. Abgesehen davon kann die sich in einem einmaligen Vorgang erschöpfende Zahlung der Abfindung im Dezember 1998 auch bei großzügiger Betrachtung nicht als "schwankendes Einkommen" aufgefasst werden.

§ 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V ist auch nicht im Lichte des Art 3 Abs 1 GG verfassungskonform dahin auszulegen, dass eine in Form der Einmalzahlung gewährte Abfindung für mehrere Monate als anteilig bezogen gilt. Es ist nicht von vornherein verfassungswidrig, dass Einmalzahlungen, die unmittelbar nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses entrichtet werden, der Familienversicherung für spätere Monate nicht entgegenstehen. Verfassungsrechtliche Bedenken können sich zwar daraus ergeben, dass die Familienversicherung ausgeschlossen sein kann, wenn die Abfindung nicht in einem einzigen Betrag, sondern in monatlichen Teilbeträgen gezahlt wird (hierzu BSG SozR 4-2500 § 10 Nr 6) . Selbst wenn diese Ungleichbehandlung der beiden Sachverhalte gegen Art 3 Abs 1 GG verstieße, wäre der Gesetzgeber gleichwohl nicht gehindert, die Begünstigung von Einmalzahlungen aufrechtzuerhalten und den etwaigen Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch eine Regelung zu beseitigen, nach der monatlich in Teilbeträgen gezahlte Abfindungen einer Familienversicherung ebenfalls nicht entgegenstehen; ihm steht insoweit Gestaltungsfreiheit zu (vgl BVerfGE 66, 100, 106 = SozR 1100 Art 100 Nr 2 S 2; BVerfGE 102, 127, 141 f = SozR 3-2400 § 23a Nr 1 S 3 mwN) .

Bei dieser Sachlage besteht kein Anlass, das Verfahren gemäß Art 100 Abs 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V mit Art 3 Abs 1 GG einzuholen. Denn eine solche Vorlage wäre mangels Entscheidungserheblichkeit unzulässig. Im Ausgangsverfahren sind keine Ansprüche der benachteiligten Personengruppe strittig, sondern der mögliche Verfassungsverstoß begünstigt die Klägerin, sodass der erkennende Senat durch das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot nicht gehindert ist, dem Gesetzesbefehl zu folgen und die von der Klägerin begehrte Familienversicherung festzustellen. Solange das Gesetz einer Personengruppe ein Recht zuspricht, verlieren die Angehörigen dieser Gruppe den sich daraus ergebenden gesetzlichen Anspruch nicht dadurch, dass einer anderen Gruppe dasselbe Recht nicht zusteht. Die an das Gesetz gebundenen Gerichte haben - ebenso wie die vollziehende Gewalt - gemäß Art 20 Abs 3 GG die gesetzliche Regelung anzuwenden, solange sie besteht und über ihre Unvereinbarkeit mit dem GG nicht aus Anlass einer behaupteten Benachteiligung eines Angehörigen der anderen Gruppe zu entscheiden ist (zum Ganzen BVerfGE 67, 239, 244 = SozR 2200 § 176c Nr 5 S 9 f; s auch BVerfGE 66, 100, 106 = SozR 1100 Art 100 Nr 2 S 2) .

Somit trifft der Hinweis der Beklagten zwar zu, Arbeitnehmer hätten im Zusammenwirken mit ihrem Arbeitgeber die Möglichkeit, sich durch die Wahl der Auszahlungsform einer versprochenen Abfindung zu Lasten der Versichertengemeinschaft einen Vorteil zu sichern. Hieraus lassen sich aber rechtliche Konsequenzen nicht ableiten. Solange das Gesetz einen Freiraum eröffnet, den der dazu ermächtigte Verordnungsgeber nicht einschränkt und dem auch verfassungsrechtlich keine Grenzen gezogen werden können, dürfen die Parteien eines Abfindungsvertrages den sozialrechtlich vorhandenen Gestaltungsspielraum nutzen und dem Abfindungsempfänger trotz Abfindung möglichst rasch die kostenlose Familienversicherung verschaffen.

Im streitigen Zeitraum verfügte die Klägerin nur über Zinseinkünfte in Höhe von monatlich 130 DM. Hiermit hat sie die maßgebliche Einkommensgrenze (ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV) nicht überschritten. Diese betrug 630 DM im Jahr 1999 (§ 2 Abs 1 Verordnung vom 18.12.1998, BGBl I 3823) und 640 DM im Jahr 2000 (§ 2 Abs 1 Verordnung vom 29.11.1999, BGBl I 2375) .

Aus den dargelegten Gründen war die Klägerin gemäß § 25 Abs 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch in den hier maßgeblichen Fassungen vom 24.7.1995 (BGBl I 962) und 22.12.1999 (BGBl I 2626) , der mit § 10 Abs 1 Satz 1 SGB V im Wesentlichen übereinstimmt, auch in der knappschaftlichen Pflegeversicherung familienversichert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1975559

DStR 2008, 462

NWB 2007, 3858

KrV 2007, 350

LGP 2007, 202

NZS 2008, 132

SGb 2007, 730

SGb 2008, 162

AUR 2007, 408

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