Beteiligte

…, Klägerin und Revisionsklägerin

…, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung eines Beitragszuschusses zur freiwilligen Krankenversicherung und die Rückforderung von 3.269,15 DM.

Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) hatte der 1919 geborenen Klägerin ab April 1977 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) gewährt, die seit dem 1. Oktober 1984 in Altersruhegeld umgewandelt ist, zu dem die Beklagte seither einen Beitragszuschuß zur Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zahlt (Bescheid vom 15. Oktober 1984). Mit Bescheid vom 26. September 1977 hatte sie der Klägerin, die damals freiwilliges Mitglied der Barmer Ersatzkasse (BEK) war, ab 4. Juni 1977 einen Beitragszuschuß zur freiwilligen Krankenversicherung bewilligt und zugleich - wie auch in den Bescheiden über die Anpassung dieses Beitragszuschusses, zuletzt vom 29. Dezember 1980 - darauf hingewiesen, er entfalle mit der Begründung einer Pflichtmitgliedschaft bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, zB durch Antrag auf eine weitere Rente.

Am 18. März 1982 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres Ehemannes. Hierbei gab sie ihre Versicherungsnummer bei der BfA und ferner an, sie sei zZ freiwilliges Mitglied der BEK und beziehe seit April 1977 eine andere Rente. Nachdem die BEK bestätigt hatte, die Klägerin sei bei ihr aufgrund des Rentenantrages seit dem 18. März 1982 pflichtversichert, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 29. September 1982 Hinterbliebenenrente ab 1. Januar 1982.

In ihrem am 3. September 1984 bei der Beklagten eingegangenen Antrag auf Rentenumwandlung teilte die Klägerin ua den Bezug der Hinterbliebenenrente und ihre Mitgliedschaft bei der BEK mit. Daraufhin holte die Beklagte eine Mitgliedschaftsauskunft der BEK ein und hob durch den streitigen Bescheid vom 28. September 1984, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1985, den Beitragszuschuß bewilligenden Bescheid vom 26. September 1977 mit Wirkung vom 1. April 1982 auf und forderte von da an bis zum 30. November 1984 gezahlte Beitragszuschüsse in Höhe von insgesamt 3.269,15 DM zurück, weil wegen der Begründung der Pflichtmitgliedschaft bei der BEK durch Beantragung von Hinterbliebenenrente am 18. März 1982 die Anspruchsvoraussetzungen entfallen seien.

Mit Klage und Berufung, die auf die Weitergewährung des Beitragszuschusses abzielten, ist die Klägerin nicht durchgedrungen (Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf - S G - vom 8. Dezember 1986; Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen - LSG - vom 27. November 1987). Das LSG hat ausgeführt, der Anspruch auf den Beitragszuschuß zur freiwilligen Krankenversicherung sei mit Beantragung der Hinterbliebenenrente entfallen. Zutreffend habe die Beklagte die Aufhebung der Bewilligung auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) gestützt, weil die Klägerin ihre Pflicht, den Antrag auf eine weitere Rente der BfA unverzüglich mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig verletzt habe. Ein atypischer Ausnahmefall, in dem der BfA ein Aufhebungsermessen eingeräumt sei, liege nicht vor, ebensowenig ein beachtlicher Anhörungs- oder Begründungsmangel. Auch die Ausschlußfrist von einem Jahr nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 greife nicht ein. Nach § 50 Abs 1 SGB 10 habe die Klägerin deshalb die zu Unrecht empfangenen Beitragszuschüsse zu erstatten.

Dem tritt die Klägerin mit der - vom LSG zugelassenen - Revision entgegen. Sie meint, es gebe keinen überzeugenden Grund, weshalb ein Rentner, der bereits einen Beitragszuschuß zur Krankenversicherung erhalte, diesen verlieren solle, wenn eine Hinterbliebenenrente hinzukomme, zumal der eine Zuschuß ebensowenig wie der andere jeweils für sich allein den vollen Beitragssatz decke. Bei der Auslegung des § 83e des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) seien § 2 Abs 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 1) und des Grundgesetzes (GG) zu beachten. Bis zur vollen Deckung des Beitragssatzes schulde die Beklagte Gleichbehandlung bei den verschiedenen Tatbeständen. Ferner habe sie das ihr in § 48 Abs 1 Satz 2 SGB 10 eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt, obwohl ein atypischer Fall vorliege. Sie sei vielmehr noch im Widerspruchsbescheid von einem Akt der gebundenen Verwaltung ausgegangen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1987 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8. Dezember 1986, sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. September 1984 und den Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1985 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision der Klägerin ist in dem im Urteilsausspruch genannten Umfang begründet, im übrigen hat sie keinen Erfolg.

Die Klägerin begehrt die Aufhebung der Entziehung des Beitragszuschusses zur freiwilligen Krankenversicherung ab 1. April 1982 und die des Erstattungsbescheides über die Rückforderung von 3.269,15 DM. Zutreffend hat das LSG erkannt, daß die Berufung im Blick auf beide prozessualen Aussprüche zulässig ist. Zum einen findet der in § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angeordnete Ausschluß der Berufung bei Streit um Rente für bereits abgelaufene Zeiträume auf den Beitragszuschuß für die KVdR keine, auch nicht eine entsprechende Anwendung (BSG SozR 1500 § 146 Nr 16 mwN). Zum anderen übersteigt der Rückforderungsbetrag den nach § 149 SGG für die Statthaftigkeit der Berufung wegen Rückerstattung von Leistungen maßgeblichen Beschwerdewert von 1.000 DM.

Im Ergebnis richtig hat das Berufungsgericht entschieden, daß der Bescheid vom 28. September 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 1985 rechtmäßig ist, soweit der Bewilligungsbescheid vom 26. September 1977 mit Wirkung ab 1. April 1982 aufgehoben worden ist.

Dem Verwaltungsakt haftet kein im gerichtlichen Verfahren beachtlicher (§ 41 Abs 1 SGB 10) verwaltungsverfahrensrechtlicher Mangel an. Zwar hatte die Beklagte der Klägerin entgegen § 24 Abs 1 SGB 10 vor Erlaß des Bescheides keine Gelegenheit gegeben, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Sie hat dies aber nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), vor Abschluß des Vorverfahrens nachgeholt und so den Fehler geheilt (§ 41 Abs 1, 2 SGB 10). Der angefochtene Bescheid, der in seiner Fassung durch den Widerspruchsbescheid zu sehen ist (BSG SozR 1300 § 45 Nr 19, BSG aaO § 35 Nr 4), enthält auch eine den Anforderungen des § 35 Abs 1 SGB 10 genügende Begründung. Insbesondere war die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin - schon deswegen nicht zur Mitteilung von Ermessensgesichtspunkten verpflichtet, weil ihr - worauf noch eingegangen wird - kein Ermessen zustand.

Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 26. September 1977 mit Wirkung ab 1. April 1982 ist § 48 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 4 SGB 10. Gemäß Art 2 § 40 Abs 2 Satz 1, 2 SGB 10 sind die §§ 44 bis 49 und § 50 SGB 10 anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt, auch ein vor dem 1. Januar 1981 erlassener, aufgehoben und unter Bezug hierauf ein Erstattungsbescheid erlassen wird (BSG DRV 1986, 638 ff mwN). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Bescheid der Beklagten vom 26. September 1977 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, durch den der Klägerin ab 4. Juni 1977 der Beitragszuschuß zur freiwilligen Krankenversicherung als regelmäßig wiederkehrende Leistung bewilligt worden ist. Eine zum Wegfall dieses Anspruchs führende und darum iS des § 48 Abs 1 SGB 10 wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen von 1977 ist eingetreten, als die Klägerin am 18. März 1982 die Hinterbliebenenrente aus dem Versicherungsverhältnis ihres Ehemannes beantragte und später auch - rückwirkend ab 1. Januar 1982 - erhielt. Da sie - wie das LSG bindend (§ 163 SGB) festgestellt hat - mehr als die Hälfte der Zeit vorn 1. Januar 1950 bis zum 18. März 1982 Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen war, lagen im März 1982 aufgrund dieses neuen Sachverhalts alle Voraussetzungen der Pflichtversicherung in der KVdR vor (§ 165 Abs 1 Nr 3a RVO.). Für das Entstehen dieser Pflichtversicherung ist ohne Bedeutung, ob die Klägerin bereits aufgrund des Bezuges der Rente wegen EU aus eigener Versicherung auch schon seit dem 4. Juni 1977 krankenversicherungspflichtig war. Ob in einem Versicherungszweig Versicherungspflicht besteht, ist nämlich grundsätzlich für jeden dafür erheblichen Sachverhalt getrennt zu beurteilen (BSGE 34, 205 = SozR Nr 69 zu § 165 RVO; BSG DRV 1986, 638 ff mwN). Die Pflichtversicherung in der KVdR ab 18. März 1982 ist seither an die Stelle des bisherigen Versicherungsverhältnisses der Klägerin zur BEK getreten und hat das Erlöschen des Anspruchs auf Beitragszuschuß zur freiwilligen Krankenversicherung bewirkt. Denn die Klägerin hatte jetzt keine eigenen Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung mehr zu entrichten (§ 83e AVG iVm §§ 381 Abs 2, 385 Abs 2, alle in der bis zum 31. Dezember 1982 geltenden Fassung). Durch die Pflichtversicherung in der KVdR, zu deren Aufwendungen 1982 allein die BfA-Beiträge ua an die Ersatzkassen zu entrichten hatte, war sie umfassend krankenversicherungsrechtlich geschützt. Der Anspruch auf Gewährung eines Beitragszuschusses zu einer - früheren - freiwilligen Versicherung war nunmehr kraft Gesetzes entfallen. Dennoch hatte die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 26. September 1977 durch Verwaltungsakt aufzuheben. Zwar begegnet es rechtsdogmatischen Zweifeln, ob ein Verwaltungsakt noch aufgehoben werden kann, wenn der sich aus ihm ergebende Anspruch eindeutig "kraft Gesetzes", dh schon und gerade ohne Aufhebung des Bescheides durch die Behörde, entfallen ist. Nahe liegt, daß der Verwaltungsakt dadurch iS von § 39 Abs 2 SGB 10 "auf andere Weise erledigt" und somit nicht mehr wirksam ist. Indessen sieht § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB 10 auch für solche Fälle eine Aufhebung durch Verwaltungsakt vor. Das kann zur Wahrung schutzwürdigen Vertrauens und zur Rechtsklarheit beitragen und ist hinzunehmen (vgl BSG DRV 1986, 638 ff). Demnach war die BfA gemäß § 49 Abs 1 Satz 1 SGB 10 verpflichtet, die Bewilligung des Beitragszuschusses mit Wirkung für die Zukunft, dh für die Zeit nach Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides (BSG SozR 1300 § 48 Nr 31), zurückzunehmen.

Einer rechtlichen Überprüfung hält aber auch die Entscheidung stand, den Bescheid vom 26. September 1977 rückwirkend bereits ab 1. April 1982 aufzuheben:

Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Berufungsgericht darin beizupflichten ist, § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB 10 rechtfertige dies. Voraussetzung wäre, daß die Klägerin einer Mitteilungspflicht iS von Nr 92 vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Fraglich ist bereits, ob sie verpflichtet war, die Beantragung der Hinterbliebenenrente bei der BfA dieser noch gesondert mitzuteilen. Die Verpflichtung der BfA zur rückwirkenden Aufhebung des Bewilligungsbescheides ergibt sich jedenfalls aus § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB 10. Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ua aufgehoben werden, soweit der Betroffene infolge grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes weggefallen ist. Zwar hat das LSG in diesem Zusammenhang ausgeführt, es lasse offen, ob die Klägerin den Wegfall des Anspruches mit dem Rentenantrag vom 18. März 1982 erkennen mußte. Seine tatsächlichen, für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen und seine Abwägungen zwingen aber trotzdem dazu, diese zu bejahen. Wie das LSG nämlich weiterhin mitgeteilt hat, ist die Klägerin in dem Bewilligungsbescheid vom 26. September 1977 und in den nachfolgenden Anpassungsbescheiden zutreffend und mit der gebotenen Deutlichkeit in einer auch für sie verständlichen Form darüber belehrt, dh davon in Kenntnis gesetzt worden, der Beitragszuschuß entfalle durch einen Antrag auf eine weitere Rente. Ferner hat das LSG dargelegt, besondere Gründe, die sie gehindert hätten, den Hinweis zu lesen und zu verstehen, hätten nicht vorgelegen; der Sachverhalt der Antragstellung sei für sie klar gewesen.

Die BfA hatte - entgegen der Ansicht der Klägerin - keinen Ermessensspielraum, der es ihr erlaubt hätte, von einer rückwirkenden Aufhebung abzusehen. Nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB 10 "soll" der Verwaltungsakt ua in den Fällen der Nr 4 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (zuletzt SozR 1300 § 48 Nr 30 mwN) bedeutet "soll", daß der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufzuheben hat und nur in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon absehen darf. Die Feststellung, ob ein atypischer Fall (dazu BSG SozR aaO Nr 25 mwN) vorliegt, ist kein Teil der Ermessensausübung. Das LSG hat dazu ausgeführt, es liege eine typische Leistungsüberzahlung aufgrund eines allenfalls auf einfacher Fahrlässigkeit beruhenden Verwaltungsfehlers vor. Hiergegen hat die Klägerin keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht (§ 163 SGG), insbesondere keine Verfahrensmängel gerügt und keine Tatsachen bezeichnet, die einen Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Sie trägt vor, es habe sich "in Anbetracht des vorliegenden Sachverhalts von vornherein um einen atypischen Fall" gehandelt, weil ihr Ehemann verschollen und sie nicht fähig gewesen sei, "das verwirrende Kleingedruckte der Beklagten zu erinnern geschweige denn zu entwirren". Das macht weder klar, welche Rechtsnorm sie aus welchen Gründen als durch das LSG verletzt ansieht, noch, auf welche Tatsachen sie einen Angriff gegen die Feststellungen des Berufungsgerichts stützten will (zu diesen Anforderungen vgl Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl 1987, § 164 Rdnr 11, 12 mwN).

Zutreffend hat das LSG schließlich erkannt, daß der Rückwirkung des Aufhebungsbescheides vom 28. September 1984 die Jahresfrist des nach § 48 Abs 4 SGB 10 entsprechend anzuwendenden § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 nicht entgegensteht. Hiernach muß die Behörde, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme des Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen. Hierzu gehören nicht nur die - auch inneren - Tatsachen, die eine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 SGB 10 herbeigeführt haben, sondern auch die, die nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB 10 die Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit zulassen (BSGE 62, 103 = SozR 1300 § 48 Nr 39), vorliegend also die Beantragung einer weiteren Rente und die Umstände, aus denen sich die grobe Fahrlässigkeit der Unkenntnis der Klägerin vom Wegfall des Anspruches auf Beitragszuschuß ergibt. Zu der Frage, wann eine die Jahresfrist in Gang setzende Kenntnis der Behörde von diesen Tatsachen vorliegt, hat der 11a Senat des BSG (BSGE 60, 239 = SozR 1300 § 45 Nr 26) unter Bezugnahme auf den Großen Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 70, 356) die Auffassung vertreten, es seien die Kenntnisse maßgebend, die der für die zu treffende (Aufhebungs-)Entscheidung zuständige Sachbearbeiter gehabt habe. Das BVerwG (aaO; st Rspr; zuletzt BVerwG NVwZ 1988, 349; kritisch Oberverwaltungsgericht Münster NwZ 1988, 71; Hendler, JuS 1985, 947 ff; Weides, DÖV 1985, 91 ff, 431 ff; Kopp, DVBl 1985, 525 ff; Schoch, NVwZ 1985, 880 ff; Schwab, VD 1986, 53 f jew mwN) hatte über die Auslegung des § 48 Abs 4 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) des Bundes vom 25. Mai 1976 (BGBl I S 1253) und der gleichlautenden Bestimmung des VwVfG des Freistaates Bayern zu befinden, nach denen die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist, wenn die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen. Dazu hat es ausgeführt, die Jahresfrist greife bei jedem Rechtsanwendungsfehler ein und sei keine Bearbeitungs-, sondern eine Entscheidungsfrist; sie beginne erst zu laufen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme oder Überprüfung des Verwaltungsaktes berufene Amtswalter positive und vollständige Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und von allen für die Rücknehmbarkeit des Bescheides erheblichen Tatsachen erlangt hat und ohne weitere Sachaufklärung objektiv in der Lage ist, unter sachgerechter Ermessensausübung zu entscheiden. Es erscheint zweifelhaft, ob diese für § 48 Abs 4 Satz 1 VwVfG gefundene Auslegung auf den schon im Wortlaut anders gefaßten § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 übertragen werden kann. Dessen sachlicher Anwendungsbereich ist auf rückwirkende Rücknahmen beschränkt. Er bildet einen wesentlichen Bestandteil des in §§ 44 bis 49 SGB 10 deutlich abweichend vom allgemeinen Verwaltungsrecht (§§ 48, 49, 51 VwVfG) verwirklichten Konzepts des SGB, dem besonderen - auch öffentlichen - Interesse an Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und an der Verwirklichung sozialer Rechte dadurch Rechnung zu tragen, daß rückwirkende Eingriffe in bestandskräftig zuerkannte Rechtspositionen nur unter besonders engen (vgl § 45 Abs 4 Satz 1 SGB 10) Voraussetzungen zugelassen werden. Dies bedarf hier jedoch keiner Vertiefung. Schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 beginnt die Jahresfrist nicht eher zu laufen, als die zuständige "Behörde" (§ 1 Abs 2 SGB 10), dh die innerhalb der Organisation des beklagten Leistungsträgers nach dessen Geschäftsverteilung zur Aufhebung berufene Stelle, die erforderliche Tatsachen-"Kenntnis" erlangt hat. Wenn auch vieles dafür spricht, die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 als Handlungsfrist (Bearbeitungsfrist) für die zuständige Stelle zu verstehen, kann auch sie nicht zu laufen beginnen, bevor die Tatsachen, aus denen sich die tatbestandlichen Voraussetzungen der Aufhebbarkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes ergeben, bei ihr zur Bearbeitung vorliegen. Das war nach den Feststellungen des LSG erst im September 1984 der Fall, da die beim Antrag auf Hinterbliebenenrente 1982 gemachten Angaben vorher nicht zu den Vorgängen gelangt waren, welche die Rente aus eigener Versicherung der Klägerin betreffen.

Nach alledem verletzt die Aufhebung der Bewilligung des Beitragszuschusses zur freiwilligen Krankenversicherung ab April 1982 die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG), so daß die Revision insoweit keinen Erfolg hat.

Hingegen erlauben die tatsächlichen Feststellungen des LSG noch keine abschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung von 3.269,15 DM.

Zwar hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, daß ein Erstattungsanspruch der BfA wegen der von April 1982 bis November 1984 von ihr geleisteten Beitragszuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung entstanden ist. Denn nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB 10 sind erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Dies erfolgte gegenüber der Klägerin durch die - wie ausgeführt: rechtmäßige - Aufhebung der Bewilligung des Beitragszuschusses ab 1. April. 1982 mit der Folge, daß die Klägerin die seitdem gezahlten Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung nicht behalten darf. Jedoch könnte - wozu das LSG keine Feststellungen getroffen hat - der Erstattungsanspruch der Beklagten ganz oder teilweise durch Aufrechnung erloschen sein. Dies zu prüfen, bietet der Sachverhalt aus folgenden Gründen hinreichenden Anlaß:

Der Versicherten könnte nach den vom LSG in bezug genommenen Akten ab 1. Januar 1983 ein noch nicht erfüllter Anspruch auf Gewährung eines Beitragszuschusses zu ihren Aufwendungen für ihre Pflichtversicherung in der KVdR als Bezieherin einer Rente wegen EU und einer Hinterbliebenenrente nach § 83e Abs 1 Nr 1 AVG zugestanden haben. Dieser wird gemäß § 83a Abs 3 Satz 1 AVG von Amts wegen für die Zeiten geleistet, für die Krankenversicherungsbeiträge aus der Rente zu entrichten sind (vgl Kommentar zur RVO, hg vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Stand: Januar 1987, Rdnr 19 zu § 83e AVG). Ferner war der Klägerin möglicherweise ab 1. Oktober 1984 ein höherer Beitragszuschuß als der im Altersruhegeldbescheid vom 15. Oktober 1984 ausgewiesene zu zahlen. Bezieht nämlich ein Versicherter mehrere Renten (hier: Altersruhegeld und Hinterbliebenenrente errechnet sich der Beitragszuschuß nach § 83e Abs 2 Satz 2 AVG aus der Summe der gewährten Renten unter Beachtung der in Abs 2 Satz 1 der Norm genannten Grenzen (vgl Kommentar zur RVO, aaO, RdNr 17).

Die Klägerin hat uU im Blick auf diese Ansprüche dem Rückforderungsbegehren der BfA ua - wie das LSG ausgeführt hat - entgegengehalten, sie habe einen Anspruch auf weitere Zahlung von Beitragszuschuß. Dadurch könnte der Wille erklärt sein, gegen die Rückforderung von 3.260.,15 DM (Hauptforderung) mit einem eigenen Anspruch auf Zahlung eines Beitragszuschusses (Gegenforderung) aufrechnen, da ersichtlich ein durchsetzbarer Erstattungsanspruch der BfA bestritten werden sollte. Eine Aufrechnungserklärung muß nicht ausdrücklich als solche bezeichnet sein (Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 45. Aufl 1986, Anm 1 zu § 388 BGB mwN). Es kommt allein darauf an, ob der Wille Ausdruck gefunden hat, Haupt- und Gegenforderung - evtl hilfsweise - durch Ausübung eines einseitigen Gestaltungsrechts wechselseitig zu tilgen. Zwar enthält das SGB keine allgemeine Regelung der Aufrechnung, denn § 51 SGB 1 betrifft nur die Aufrechnung durch einen Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen. Gleichwohl gewährt die Aufrechnung als Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts, auf das die §§ 387 ff BGB ggf entsprechend anzuwenden sind, auch dem Versicherten die Möglichkeit, unwirtschaftliche Erfüllungshandlungen durch einen Verrechnungsausgleich mit dem Leistungsträger zu vermeiden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn Haupt- und Gegenforderung Rechtsansprüche auf Geldleistungen öffentlich-rechtlicher Natur sowie in demselben Rechtsweg zu verfolgen sind, wenn die Gegenforderung unbestritten oder bindend festgestellt ist (vgl § 226 Abs 3 der Abgabenordnung) und wenn außerdem alle sonstigen Aufrechnungsvoraussetzungen gegeben sind (allg Ansicht: BSG SozR 5870 § 17 Nr 1; Hauck/Haines/Vöcking, SGB 1, § 51 Rdnr 1; Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl. 1987, Rdnr 24 zu § 54; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, S 445a f; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 10. Aufl 1973, § 14, S 284 ff; Bachof, in Hans J. Wolff-Otto Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl 1974, § 44 IIIe, S 354; Kopp, VwGO, 7. Aufl 1986, Rdnr 45 bis 47 zu § 40; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl 1980, Rdnr 18 zu § 40; Heinrichs in Palandt, aaO, Anm 1 zu § 395 BGB; vgl auch BSGE 29, 44 = SozR Nr 3 zu § 28 BVG; alle mwN). Wird mit der Aufhebungsklage(§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) gegen einen Erstattungsbescheid (§ 50 Abs 3 SGB 10) die Aufrechnung im Blick auf einen Rückforderungsanspruch (§ 50 Abs 1 SGB 10) erklärt, ist sie von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als Prozeßhandlung zu beachten. Ist sie wirksam, bewirkt sie materiellrechtlich, daß der Bescheid ab Beginn der Aufrechnungslage rechtswidrig ist (§ 389 BGB, vgl BVerwG DÖV 1983, 980 f = NVwZ 1984, 168 mwN).

Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen dazu, ob die Klägerin eine Aufrechnung hat erklären wollen, ob ihr eine unbestrittene Gegenforderung (ggf in welcher Höhe) zusteht und ob eine Aufrechnungslage bestanden hat, wird das LSG nachzuholen haben.

Es wird auch abschließend über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 224

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