Entscheidungsstichwort (Thema)

Rehabilitation. Anspruch auf Übergangsgeld. Voraussetzungen der Berechnungsgrundlage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch auf Übergangsgeld ist übergangsrechtlich eigenständig zu beurteilen und unterfällt nicht den besonderen Regelungen für Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

2. Zu den Voraussetzungen der Bemessung von Übergangsgeld auf der Grundlage des für eine frühere Geldleistung maßgeblich gewesenen Arbeitsentgelts.

 

Normenkette

SGB VI § 20 Fassung: 2001-06-21, § 21 Abs. 1 Fassung: 2001-06-21, Abs. 3 Fassung: 2001-06-21, § 300 Abs. 2, 5, § 301 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 10 Abs. 1 S. 1, §§ 11, 45 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, § 46 Abs. 1 S. 1, § 47 Abs. 1 S. 3, § 49 Hs. 1, § 51 Abs. 1; SGB9uaÄndG Art. 67 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 29.07.2008; Aktenzeichen L 14 R 777/05)

SG Augsburg (Urteil vom 22.09.2005; Aktenzeichen S 14 R 55/03)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juli 2008 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. September 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen Kosten auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kalendermonat März 2002 als Bemes-sungszeitraum zugrunde legen muss, um das Übergangsgeld des Klägers für dessen Berufs-findung/Arbeitserprobung vom 22.4. bis 3.5.2002 und die Ausbildung zum Maschinenbautechniker vom 16.9.2002 bis 16.7.2004 zu berechnen.

Der Kläger, ein gelernter Werkzeugmacher, beantragte am 30.1.2001 Leistungen zur beruflichen Rehabilitation. Im Februar/März 2001 nahm er an einer vierwöchigen stationären medizinischen Leistung zur Rehabilitation teil. Die Kurärzte entließen ihn arbeitsfähig und empfahlen langfristig eine berufliche Neuorientierung für eine weniger wirbelsäulenbelastende Tätigkeit. Anschließend war der Kläger wieder im erlernten Beruf tätig.

Mit Bescheid vom 12.6.2001 lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation zu gewähren, weil seine Erwerbsfähigkeit weder erheblich gefährdet noch gemindert sei. Diesen Ablehnungsbescheid erklärte sie im Widerspruchsverfahren für gegenstandslos und stellte nunmehr Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes in Aussicht (Teilabhilfebescheid vom 14.1.2002). Unter dem 19.2.2002 bewilligte sie dem Kläger "eine Berufsfindung/Arbeitserprobung, um für die Auswahl berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation … Eignung, Neigung und bisherige Tätigkeit angemessen berücksichtigen zu können". Für die Dauer dieser Maßnahme erhielt der Kläger auf der Grundlage des Tarifentgelts von März 2002 Übergangsgeld iHv kalendertäglich 40,22 € (Bescheid vom 3.5.2002 in der Fassung des Bescheides vom 7.8.2002). Nachdem ihm die Beklagte eine Ausbildung zum Maschinenbautechniker als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt hatte (Bescheid vom 11.7.2002), bewilligte sie ihm Übergangsgeld auf der Basis des Tarifentgelts von August 2002 iHv kalendertäglich 42,18 € (Bescheid vom 26.9.2002). Die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 3.5., 7.8. und 26.9.2002 wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 17.12.2002).

Diese Bescheide hat das SG Augsburg aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Übergangsgeld für die Berufsfindung/Arbeitserprobung und die Ausbildung zum Maschinenbautechniker unter Zugrundelegung des Monatslohns von März 2002 zu bewilligen (Urteil vom 22.9.2005). Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.7.2008): Zu Recht habe die Beklagte das Übergangsgeld nicht nach dem Nettoentgelt berechnet, das der Kläger im März 2002 erzielt habe. Denn maßgeblicher Bemessungszeitraum sei Oktober 2000. Dies sei der letzte abgerechnete Entgeltabrechnungszeitraum vor Beginn der Leistung, die mit der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme begonnen habe und mit der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben abgeschlossen worden sei. Medizinische und berufsfördernde Maßnahmen seien Teile eines Gesamtplans mit einheitlicher Zielsetzung. An das Vorliegen eines derartigen Gesamtplans, aus dem sich die Einheitlichkeit des Rehabilitationsverfahrens ableiten lasse, dürften keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Es reiche vielmehr aus, wenn bei Beendigung einer medizinischen Leistung die Erforderlichkeit einer berufsfördernden Leistung objektiv feststehe. Die Einheitlichkeit des Rehabilitationsverfahrens diene der Verwaltungsvereinfachung und sei ein elementarer Grundsatz des Rehabilitationsrechts. Im Falle von Zwischen- oder Übergangsbeschäftigungen solle dieser Grundsatz Ungerechtigkeiten, Zufälligkeiten oder Manipulationsmöglichkeiten im Einzelfall ausschließen. Wirkten Arbeitgeber und Arbeitnehmer kollusiv zusammen, so könnten sie das Arbeitsentgelt aus der Zwischenbeschäftigung im Bemessungszeitraum künstlich hoch halten, um das Übergangsgeld zu manipulieren. Außerdem bestehe die Gefahr von Fehlanreizen, wenn der Versicherte zwischen zwei Rehabilitationsmaßnahmen eine hoch bezahlte, aber nicht leidensgerechte Tätigkeit aufnehme und so das Rehabilitationsziel gefährde. Schließlich müsse das Entgelt aus Zwischenbeschäftigungen auch deshalb unberücksichtigt bleiben, weil es häufig wegen der rehabilitationsbedürftigen Erkrankung gemindert sei. Deshalb sei unbeachtlich, dass der Kläger - anders als im Regelfall zu erwarten - mit seiner Zwischenbeschäftigung im März 2002 ein höheres Nettoentgelt verdient habe als vor Beginn der Kurmaßnahme. Wie sich aus § 301 Abs 1 Satz 1 SGB VI ergebe, seien für die Berechnung des Übergangsgeldes die §§ 20 bis 27 SGB VI in ihrer bis zum 30.6.2001 geltenden Fassung (aF) weiter anzuwenden, weil der Kläger berufliche Rehabilitationsleistungen vor dem 1.7.2001 beantragt habe. Die Übergangsvorschrift des Art 67 Abs 1 SGB IX vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) werde für Teilhabeleistungen nach dem SGB VI durch § 301 SGB VI als speziellere und daher vorrangige Regelung verdrängt.

Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts: Das Übergangsgeld sei nach den Vorschriften des SGB IX zu berechnen, weil die Berufsfindung/Arbeitserprobung und die Ausbildung zum Maschinenbautechniker erst nach dem Inkrafttreten des SGB IX begonnen hätten. Für diesen Fall ordne Art 67 Abs 1 SGB IX die Anwendbarkeit des SGB IX an. Gemäß § 47 Abs 1 Satz 1 SGB IX sei für Berechnung des Regelentgelts von dem letzten vor Beginn der Leistung oder einer vorangegangenen Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum auszugehen. Dies sei vorliegend März 2002 gewesen. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Rehabilitationsverfahrens führe zu keinem anderen Ergebnis, weil die Beklagte keinen einheitlichen Rehabilitationsplan aufgestellt habe. Hiervon könne bei einer Zeitspanne von über einem Jahr zwischen dem Abschluss der medizinischen Rehabilitationsleistung und dem Beginn der beruflichen Rehabilitation keine Rede mehr sein. Dies bestätige § 49 SGB IX, wonach die Kontinuität der Berechnungsgrundlage nur erhalten bleibe, wenn die weitere Maßnahme direkt im Anschluss, dh im zeitlichen Abstand von höchstens vier Wochen, durchgeführt werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juli 2008 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. September 2005 zurückzuweisen.

Die Beklagte, die dem Berufungsurteil weitgehend beipflichtet, beantragt schriftsätzlich,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Zu Unrecht hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 3.5., 7.8. und 26.9.2002 und der Widerspruchsbescheid vom 17.12.2002 verletzen den Kläger in seinen Rechten, weil sie das kalendertägliche Übergangsgeld während der Berufsfindung/Arbeitserprobung und während der Ausbildung zum Maschinenbautechniker nicht auf der Grundlage des maßgeblichen - höheren - Nettoentgelts für den Monat März 2002 feststellten. Die Revision führt daher zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

1. Entgegen der Auffassung des LSG ergeben sich Höhe und Berechnung des Übergangsgeldes für beide Maßnahmen aus Teil 1 Kapitel 6 des SGB IX. Dieses Gesetz ist am 1.7.2001 in Kraft getreten (Art 68 Abs 1 SGB IX) und bestimmt seither die Rechtsfolgen für grundsätzlich alle einschlägigen Sachverhalte.

a) Der Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld für die Zeit der Berufsfindung/Arbeitserprobung vom 22.4. bis 3.5.2002, auf den es für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts ankommt (BSGE 53, 229 = SozR 2200 § 1241 Nr 21), folgt aus § 45 Abs 3 SGB IX. Hiernach haben Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen Anspruch auf Übergangsgeld wie bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den Zeitraum, in dem die berufliche Eignung abgeklärt oder eine Arbeitserprobung durchgeführt wird (§ 33 Abs 4 Satz 2 SGB IX) und sie wegen der Teilnahme kein oder ein geringeres Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielen. Im Zusammenhang mit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben leisten die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 45 Abs 2 Nr 2 SGB IX Übergangsgeld nach Maßgabe dieses Buches und der §§ 20 und 21 SGB VI. Auch nach dem Recht des SGB IX handelt es sich bei dem Anspruch auf Übergangsgeld um einen von dem Anspruch auf die Maßnahme zur Teilhabe (§ 5 SGB IX) selbst strikt zu unterscheidenden besonderen und ergänzenden (§ 44 Abs 1 Nr 1 SGB IX) Anspruch, der folglich auch durch einen besonderen Verwaltungsakt (Bescheid) zuerkannt/festgestellt wird (vgl zum Verhältnis des Übergangsgeldes zu den Maßnahmen der Rehabilitation nach altem Recht: Urteil des Senats vom 21.3.2001 - SozR 3-2600 § 20 Nr 1 S 3 ff). Er entsteht daher bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen mit der tatsächlichen Durchführung der Maßnahme als besonderem "Versicherungsfall". Nichts anderes gilt hinsichtlich Funktion und Rechtsnatur des Übergangsgeldes für Fälle der vorliegenden Art, in denen sich der Anspruch auf diese Leistung aus der Rechtsfolgenverweisung in § 45 Abs 3 SGB IX ergibt. Der gesamte insofern leistungsbegründende Sachverhalt, insbesondere also die Teilnahme an der Berufsfindung/Arbeitserprobung vom 22.4. bis 3.5.2002, hat sich vorliegend nach Inkrafttreten des SGB IX vollzogen und unterliegt damit dessen Regelungen, auf die die damit gemäß § 45 Abs 2 Nr 2 SGB IX ebenfalls in ihrer Fassung ab dem 1.7.2001 anzuwendenden § 20 Abs 1 Nr 1, § 21 Abs 1 SGB VI jeweils - deklaratorisch - (zurück-)verweisen.

Vorrangiges Spezialrecht ist nicht einschlägig. So kommt vorliegend zunächst keine Anwendung der Vorgängerregelung des § 45 Abs 3 SGB IX, des zum 30.6.2001 aufgehobenen (Art 6 Nr 16 iVm Art 68 Abs 1 SGB IX) § 20 Abs 1 Satz 2 SGB VI über diesen Zeitpunkt hinaus in Betracht. Gemäß § 300 Abs 2 SGB VI sind nämlich aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzes nach dem Zeitpunkt der Aufhebung nur noch auf einen bis dahin "bestehenden Anspruch" anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Am 30.6.2001 hatte der Kläger aber für die Zeit der "Teilnahme" an der erst vom 22.4. bis 3.5.2002 durchgeführten Berufsfindung/Arbeitserprobung noch keinen durchsetzbaren Anspruch (§ 194 Abs 1 BGB) auf Übergangsgeld (vgl zum Begriff des Anspruchs: BSG SozR 3-2600 § 301 Nr 1 S 2). Nichts anderes (§ 300 Abs 5 SGB VI) ergibt sich aus § 301 Abs 1 Satz 1 SGB VI, wonach für "Leistungen zur Teilhabe" unter bestimmten Voraussetzungen altes Recht weiter anzuwenden ist. Die Anwendung der Norm setzt zunächst voraus, dass unter dem erst zum 1.7.2001 eingeführten Rechtsbegriff der "Leistungen zur Teilhabe" übergangsrechtlich vor diesem Zeitpunkt beantragte Maßnahmen zur "Rehabilitation" zu verstehen sind (vgl in diesem Sinne auch BT-Drucks 11/4124 S 206). Hiervon ausgehend ist der Anspruch auf Übergangsgeld vom sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift nicht erfasst. Das Übergangsgeld ist nämlich eine die Rehabilitationsmaßnahme ergänzende Leistung (§ 20 Abs 1 Nr 1 SGB VI aF, § 28 SGB VI aF) der Rehabilitation, nicht aber selbst eine Maßnahme zur Rehabilitation (vgl BSGE 53, 229 = SozR 2200 § 1241 Nr 21 und Urteil des Senats vom 21.3.2001, aaO). Auch dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass auch nach altem Recht Übergangsgeld für die Zeit der Teilnahme an einer Berufsfindung oder Arbeitserprobung erst auf Grund der Rechtsfolgenverweisung in § 20 Abs 1 Satz 2 SGB VI aF zu leisten war. Aus demselben Grund scheidet schließlich die Anwendung der Übergangsbestimmung des Art 67 Abs 1 SGB IX aus, wonach für "Leistungen zur Teilhabe" in bestimmten Fällen anstelle des SGB IX altes Recht (§ 20 Abs 1 Satz 2 SGB VI) weiter gilt.

b) Auch die Höhe und Berechnung des Übergangsgeldes während der ebenfalls vollständig in die Zeit nach dem 30.6.2001 fallenden Ausbildung des Klägers zum Maschinenbautechniker richten sich nach Teil 1 Kapitel 6 des SGB IX. § 45 Abs 2 Nr 2 SGB IX kommt insofern unmittelbar zur Anwendung. Die vorstehenden Ausführungen zum anwendbaren Recht gelten im Übrigen entsprechend.

2. Der Kläger hat während der zwölftägigen Arbeitserprobung/Berufsfindung dem Grunde nach Anspruch auf Übergangsgeld "wie bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben" (§ 45 Abs 3 SGB IX). Der Wert des Rechts auf Übergangsgeld ist nach §§ 46 ff SGB IX zu berechnen.

Gemäß § 46 Abs 1 Satz 1 SGB IX werden der Berechnung des Übergangsgeldes grundsätzlich 80 vom Hundert (vH) des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt) zugrunde gelegt, höchstens jedoch das in entsprechender Anwendung des § 47 berechnete Nettoarbeitsentgelt; hierbei gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze (BBG). Ist - wie hier - das Arbeitsentgelt nach Monaten bemessen, gilt der 30. Teil des in dem letzten vor Beginn der Leistung abgerechneten Kalendermonat erzielten und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderten Arbeitsentgelts als Regelentgelt (§ 47 Abs 1 Satz 3 SGB IX).

Bei der Ermittlung des Regelentgelts ist auf März 2002 als Bemessungszeitraum abzustellen, weil dies der letzte Kalendermonat ist, der abgerechnet worden war, bevor die Berufsfindung/Arbeitserprobung am 22.4.2002 begann. An diesem Tag hatte der Arbeitgeber das im Vormonat erzielte Arbeitsentgelt bereits vollständig errechnet, sodass es ohne Weiteres ausgezahlt bzw überwiesen werden konnte (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 8 S 31; Karmanski in Niesel/Brand, 5. Aufl 2010, § 160 RdNr 39; Schütze in Hauck/Haines, SGB IX, K § 47 RdNr 17). "Leistung" iS von § 47 Abs 1 Satz 3 SGB IX ist dabei grundsätzlich die (Haupt-)Maßnahme (Einzelleistung zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben einschließlich Berufsfindung und Arbeitserprobung iS von § 45 Abs 3 SGB IX), von der die unterhaltssichernde (Neben-)Leistung - Übergangsgeld - akzessorisch abhängt. Von dieser isolierten Betrachtung der jeweiligen Einzelmaßnahme kann auch nicht allein deshalb abgesehen werden, weil ggf mehrere Maßnahmen zeitlich aufeinanderfolgen. Andernfalls wären die einschränkenden Voraussetzungen des § 49 SGB IX weitgehend obsolet. In dieser Vorschrift normiert der Gesetzgeber selbst die Bedingungen abschließend, unter denen ausnahmsweise auf frühere Abrechnungszeiträume zurückgegriffen werden darf (sog Kontinuität der Bemessungsgrundlage). Neben dieser gesetzlichen Regelung besteht für die erweiternde Auslegung des Leistungsbegriffs in § 47 Abs 1 Satz 3 SGB IX kein Raum.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist vorliegend nicht auf den zuletzt abgerechneten Kalendermonat vor Beginn der medizinischen Rehabilitation abzustellen, an der der Kläger ab dem 21.2.2001 teilgenommen hat. Denn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 49 Halbs 1 SGB IX iVm § 21 Abs 3 SGB VI sind nicht erfüllt. Nach § 49 Halbs 1 SGB IX wird bei der Berechnung ergänzender Leistungen zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt nur ausgegangen, wenn Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen haben und im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt wird. Der Kläger hat für die Zeit der vierwöchigen stationären medizinischen Leistung zur Rehabilitation bis zum 22.3.2001 Übergangsgeld bezogen. Die Berufsfindung/Arbeitserprobung, die 13 Monate später am 22.4.2002 begann, ist aber nicht "im Anschluss daran" ausgeführt worden.

"Anschluss" iS von § 49 Halbs 1 SGB IX ist zunächst nicht gleichbedeutend mit einem nahtlosen Zusammenhang zwischen dem Bezug einer Entgeltersatzleistung und dem Beginn der Maßnahme zur Teilhabe (so bereits BSGE 51, 193, 195 = SozR 2200 § 1241b Nr 4). Zwar hat dieser Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch (vgl dazu nur Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 2. Aufl 2001, § 5 I 1, S 50) die Bedeutung "unmittelbar (da)nach" (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 7. Aufl 2000, Nr 8 zu Anschluss; Duden, Bd 10, Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl 2002, Nr 3b zu Anschluss; Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd 1, 3. Aufl 1999, Nr 3b zu Anschluss). Ein Verständnis in diesem restriktiven Sinne kommt jedoch im vorliegenden Kontext, auf den es für das Verständnis unbestimmter Rechtsbegriffe in besonderer Weise ankommt, nicht in Betracht. Selbst dort, wo das Gesetz in einschlägigen Zusammenhängen die engere Formulierung "unmittelbar anschließend" (§ 51 Abs 1 SGB IX) verwendet, ist kein nahtloser Übergang erforderlich (Senatsurteil vom 29.1.2008 - SozR 4-3250 § 51 Nr 1 RdNr 31; BSG SozR 4-3250 § 28 Nr 3 RdNr 22). Dem Gesetzgeber des SGB IX war zudem bekannt, dass die Rechtsprechung zu den Vorgängernormen von § 49 Halbs 1 SGB IX dem dortigen Begriff "im Anschluss" das Erfordernis der Nahtlosigkeit nicht entnommen hatte. Weder § 49 SGB IX noch den sog Materialien kann entnommen werden, dass mit dem Inkrafttreten des SGB IX trotz des unveränderten Wortlauts ein anderes Verständnis maßgeblich sein und ein ausreichender Zusammenhang nur bei Fehlen jeder zeitlichen Lücke als gegeben angesehen werden sollte.

Die gesetzliche Bestimmung "im Anschluss" kann andererseits im Wege der Auslegung schon deshalb nicht abschließend quantifiziert werden, weil damit der vom Gesetzgeber gewählte unbestimmte Rechtsbegriff durch ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal ersetzt würde (vgl zu diesem Gesichtspunkt bereits BSG, SozR 3-4100 § 59c Nr 3 S 11). Ob im Sinne der Ausnahmeregelung des § 49 SGB IX ein zwar nicht nahtloser, wohl aber hinreichend zügiger Anschluss der den Anspruch auf Übergangsgeld begründenden Maßnahme zur Teilhabe an den Vorbezug von ua Übergangsgeld gegeben ist, kann vielmehr nur einzelfallbezogen unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieser Norm bestimmt werden (vgl BSGE 51, 193, 195 = SozR 2200 § 1241b Nr 4).

Ähnlich § 16 RehaAnglG in der bis 30.6.2001 geltenden Fassung und ihm entsprechend weiteren Vorschriften für die verschiedenen Rehabilitationsträger, wie etwa § 1241b RVO (vgl hierzu BSGE 51, 193 = SozR 2200 § 1241b Nr 4), soll auch der diese Regelungen zusammenfassende (vgl BT-Drucks 14/5074, 110)§ 49 SGB IX einerseits die Kontinuität der Leistungen gewährleisten und andererseits der Verwaltungsvereinfachung dienen (vgl BSGE 51, 193 = SozR 2200 § 1241b Nr 4 und BSG SozR 3-4100 § 59c Nr 3 S 11). Allerdings kann die Gewährleistung von Kontinuität im Sinne einer Fortgeltung der Bemessungsgrundlage einer früher bezogenen Leistung im Blick auf die regelmäßig vorzunehmende Bemessung des Übergangsgeldes auf der Grundlage des der konkreten Maßnahme zur Teilhabe vorangehenden Bemessungszeitraums nach den §§ 46, 47 SGB IX nur dann in Betracht kommen, wenn sich nicht zwischenzeitlich eine andere Leistungsgrundlage gebildet hat oder hätte bilden können (vgl zum früheren Recht BSG SozR 3-4100 § 59c Nr 3 S 11). Andernfalls wäre eine von Zufälligkeiten freie und den Lebensstandard des Versicherten ausreichend widerspiegelnde Bemessung des Übergangsgeldes nicht gewährleistet.

Auch insofern kann in Anlehnung an das bis zum 30.6.2001 geltende Recht davon ausgegangen werden, dass ein die Anwendung von § 49 SGB IX rechtfertigender und die Bildung einer anderen Lebensgrundlage in diesem Sinne ausschließender "Anschluss" immer dann gegeben ist, wenn der zeitliche Abstand zwischen dem Ende des früheren Leistungsbezuges und dem Beginn der Maßnahme zur Teilhabe weniger als vier Wochen beträgt (vgl BSGE 51, 193 = SozR 2200 § 1241b Nr 4). Die Anwendung dieser Untergrenze rechtfertigt sich auch für das geltende Recht entsprechend daraus, dass in vorbestehender Übereinstimmung mit den Regelungen für das Krankengeld (vgl § 47 Abs 2 SGB V) auch für die Bemessung des dem Übergangsgeld zugrunde liegenden Regelentgelts auf einen Zeitraum von wenigstens vier Wochen abgestellt wird (§ 47 Abs 1 Satz 1 SGB IX), um dessen Höhe nicht von der zufälligen Verdiensthöhe weniger Tage abhängig zu machen (vgl BSGE 51, 193 = SozR 2200 § 1241b Nr 4). Um dies zu vermeiden, wird in derartigen Fällen gemäß § 49 SGB IX auch für die Bestimmung der Höhe des nunmehr ergänzend zu zahlenden Übergangsgeldes auf das bereits der früheren Leistung zugrunde liegende und auf einen ausreichenden Bemessungszeitraum bezogene Arbeitsentgelt abgestellt. Im Regelfall (BSG SozR 3-4100 § 59c Nr 3 S 11) darf daher die Unterbrechung zwischen dem Übergangsgeld und der vorher bezogenen Entgeltersatzleistung nicht länger als vier Wochen dauern (BSGE 58, 175, 177 = SozR 4100 § 59 Nr 3; BSG, Urteil vom 30.5.1985 - 11a RA 52/84 - Juris). Bereits ein neuer Entgeltabrechnungszeitraum auf der Grundlage tatsächlicher Arbeitserbringung von mindestens vier Wochen begründet dagegen eine neue Lebensgrundlage (BSG aaO). Dem Urlaubsentgelt kommt demgegenüber die Indizwirkung des Arbeitsentgelts nicht zu; hier kann auch bei einer mehr als vierwöchigen Lücke der Zusammenhang erhalten bleiben (BSGE 58, 175, 177 = SozR 4100 § 59 Nr 3).

Einen fortbestehenden Zusammenhang hat das BSG trotz eines mehr als vierwöchigen Abstandes im Rahmen von § 59c AFG auch dann erwogen, wenn sich Maßnahmen, die auf einem Gesamtplan beruhen, aus technischen Gründen verzögern (offen gelassen in BSGE 58, 175, 177 = SozR 4100 § 59 Nr 3). Unter anderem in derartigen Fällen könnte in Betracht kommen, dass sich Maßnahmen zur Teilhabe als Einheit in der Weise darstellen, dass gemeinsamer Bezugszeitraum für die Bemessung des Übergangsgelds während aller Teilleistungen der letzte abgerechnete Kalendermonat vor der ersten Maßnahme ist und alle weiteren iS von § 49 SGB IX "im Anschluss" ausgeführt werden. Derartigen Überlegungen ist für den vorliegenden Zusammenhang nicht weiter nachzugehen.

Denn es liegen keine Sachgründe vor, die den zeitlichen Abstand von 13 Monaten zwischen der medizinischen Rehabilitationsleistung, die am 21.3.2001 endete, und der Berufsfindung/Arbeitserprobung, die am 22.4.2002 begann, überbrücken könnten. Beide Maßnahmen sind nämlich schon keine funktional aufeinander bezogenen (Teil-)Leistungen einer übergreifenden (Gesamt-)Maßnahme, die ausnahmsweise den Rückgriff auf weiter zurückliegende Abrech-nungszeiträume rechtfertigen würde. Ein solches "ganzheitliches" Rehabilitationsgeschehen, das Zwischenbeschäftigungen bei der Regelentgeltbestimmung unberücksichtigt lässt, liegt nur vor, wenn es auf einem einheitlichen, in sich zusammenhängenden und frühzeitig festgelegten "Teilhabeplan" beruht (vgl dazu Schütze in Hauck/Haines, SGB IX, K § 47 RdNr 22 sowie § 4 der Gemeinsamen Empfehlung über die nahtlose, zügige und einheitliche Erbringung von Leistungen zur Teilhabe nach § 12 Abs 1 Nr 1 bis 3 iVm § 13 Abs 1, Abs 2 Nr 5 SGB IX ≪Gemeinsame Empfehlung "Einheitlichkeit/Nahtlosigkeit"≫ vom 22.3.2004; zum früheren "Gesamtplan" nach § 5 Abs 3 Satz 2 RehaAnglG, der zum 30.6.2001 außer Kraft getreten ist, vgl BSGE 75, 30, 32 = SozR 3-4100 § 59 Nr 6 S 31).

Medizinische Rehabilitation und Berufsfindung/Arbeitserprobung beruhten vorliegend nicht auf einem rehabilitativen Gesamtkonzept, das bereits § 5 Abs 3 Satz 2 RehaAnglG unter dem Begriff des "Gesamtplans" kannte und das nun unter den Begriff des "Teilhabeplans" zu fassen ist. Denn die Beklagte hatte nach Abschluss der medizinischen Rehabilitation durch Bescheid vom 12.6.2001 weitere Leistungen zur Teilhabe ausdrücklich abgelehnt und damit jedes eventuell vorhandene Vertrauen in die Existenz eines übergreifenden Gesamtkonzepts zerstört. Dass die Beklagte diese Entscheidung später durch Abhilfebescheid vom 14.1.2002 revidierte, dem Kläger zunächst Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes in Aussicht stellte und dann mit Bescheid vom 19.2.2002 die Berufsfindung/Arbeitserprobung gewährte, kann ein ursprünglich inexistentes Gesamtkonzept nicht rückwirkend entstehen lassen. Folglich sind medizinische Rehabilitation sowie Berufsfindung/Arbeitserprobung - was die Berechnung des Übergangsgeldes angeht - nicht als Bestandteile einer Gesamtmaßnahme, sondern isoliert als eigenständige Einzelleistungen zu betrachten. Maßgeblicher Bemessungszeitraum für die Berufsfindung/Arbeitserprobung ist somit der Monat März 2002.

3. Während der Ausbildung zum Maschinenbautechniker ist Übergangsgeld ab dem 16.9.2002 ebenfalls auf der Grundlage des im Monat März 2002 erzielten Entgelts zu zahlen. Dies folgt ebenfalls aus §§ 46 ff SGB IX, auf die § 21 Abs 1 SGB VI nF verweist. Höhe und Berechnung des Übergangsgeldes bestimmen sich hiernach nach Teil 1 Kapitel 6 SGB IX, soweit die Absätze 2 bis 4 - wie hier - nichts Abweichendes bestimmen. In Anwendung der vorstehend geschilderten Grundsätze ist für die Bemessung des Übergangsgeldes nicht auf August 2002, dem zuletzt abgerechneten Kalendermonat vor Beginn der (Haupt-)Leistung (Ausbildung zum Maschinenbautechniker), abzustellen. Denn die Berufsfindung/Arbeitserprobung, die am 3.5.2002 endete, und die Ausbildung zum Maschinenbautechniker, die am 16.9.2002 begann, sind funktional ineinander greifende (§ 10 Abs 1 Satz 1 SGB IX) und zusammenwirkende (§ 11 SGB IX) Teilleistungen einer übergreifenden (Gesamt-)Maßnahme, die auf einem einheitlichen, in sich zusammenhängenden und frühzeitig festgelegten Teilhabeplan beruhen. Wie sich bereits aus dem Bewilligungsbescheid vom 19.2.2002 ergibt, führte die Beklagte die Berufsfindung/Arbeitserprobung durch, "um für die Auswahl berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation … Eignung, Neigung und bisherige Tätigkeit" des Klägers "angemessen berücksichtigen zu können". Die Berufsfindung/Arbeitserprobung sollte nach dem erkennbaren Konzept der Beklagten also nur Vorstufe einer sich daran anschließenden Teilhabeleistung sein. Diese funktionale Verknüpfung der beiden Leistungen rechtfertigt die Annahme eines "ganzheitlichen" Rehabilitationsgeschehens, das Zwischenbeschäftigungen bei der Regelentgeltbestimmung unberücksichtigt lässt, und auf der Grundlage von § 49 SGB IX den Rückgriff auf weiter zurückliegende Abrechnungszeiträume (hier: März 2002) rechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2561909

NZS 2011, 750

SGb 2010, 645

Breith. 2011, 649

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