Leitsatz (amtlich)

Für Mitglieder der in der Bundesrepublik stationierten fremden Streitkräfte - hier: für ein Mitglied des zivilen Gefolges der kanadischen Stationierungsstreitkräfte - wird das Recht zur freiwilligen Versicherung nach AVG § 10 (= RVO § 1233) idF des RRG nicht durch Bestimmungen des Nato-Truppenstatuts vom 1951-06-19 und des ZAbk Nato-Truppenstatut vom 1959-08-03 ausgeschlossen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Beitragserstattung an Mitglieder des zivilen Gefolges von Stationierungsstreitkräften.

 

Normenkette

AVG § 10 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1233 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-10-16; AVG § 82 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1303 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-10-16; NATOTrStat Art. 1 Fassung: 1951-06-19; NATOTrStatZAbk Art. 13 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1959-08-03

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 18.02.1976; Aktenzeichen L 3 An 1002/74)

SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 06.06.1974; Aktenzeichen S 5a An 1107/73)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Februar 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Beiträge nach § 82 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) zur Hälfte zu erstatten hat. Der Kläger ist kanadischer Staatsangehöriger. Von Oktober 1966 bis Dezember 1970 war er bei verschiedenen Firmen in Deutschland beschäftigt; während dieser Zeit wurden 51 Pflichtbeiträge für ihn entrichtet. Anschließend kehrte er nach Kanada zurück. Seit 1972 hält er sich wieder in Deutschland auf und arbeitet als Bediensteter des kanadischen Verteidigungsministeriums bei den kanadischen Stationierungsstreitkräften. Als "Mitglied des zivilen Gefolges" dieser Streitkräfte (Art. I Abs. 1 Buchst. b des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen - Nato-Truppenstatut - vom 19. Juni 1951 - BGBl 1961, II, 1190) ist er nicht in der deutschen Rentenversicherung versichert.

Die Beklagte hat den im Januar 1973 gestellten Erstattungsantrag mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei zur freiwilligen Versicherung berechtigt (Bescheid vom 18. Mai 1973).

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. In seinem Urteil vom 18. Februar 1976 hat das Landessozialgericht (LSG) den Erstattungsanspruch ebenfalls wegen des Rechts zur freiwilligen Versicherung verneint. Dieses ergäbe sich aus § 10 Abs. 1 AVG in der seit dem 1. Januar 1973 geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes (RRG). Danach sei das Versicherungsrecht u.a. vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des AVG abhängig. Der Kläger habe in diesem Geltungsbereich seinen ständigen Aufenthalt. Zwar würden die unter das Nato-Truppenstatut fallenden Personen grundsätzlich so behandelt, als ob sie in dem Entsendestaat lebten. Das gelte jedoch nicht für außerdienstliche Betätigungen. Sozialversicherungsrechtlich könne - wie aus Art. 13 des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen (Zusatzabkommen) vom 3. August 1959 (BGBl 1961 II 1218) zu entnehmen sei - ein Aufenthalt in der Bundesrepublik bestehen. Wenn auch Abs. 1 Satz 3 von Art. 13 noch an Vorschriften über die freiwillige Weiterversicherung vor 1973 anknüpfe, so ergäbe doch Sinn und Zweck des Art. 13 Abs. 1, daß die freiwillige Versicherung jedenfalls solchen Personen offenstehen solle, die auch beim Aufenthalt im Heimatstaat zur freiwilligen Versicherung berechtigt wären. Die in Kanada lebenden kanadischen Staatsangehörigen hätten das Recht zur freiwilligen Versicherung aufgrund von Art. 3 Abs. 1 des deutsch-kanadischen Abkommens über soziale Sicherheit vom 20. März 1971. Dem stehe Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Zusatzabkommens nicht entgegen. Er schließe zwar die Anwendung zwischenstaatlicher Abkommen aus. Das solle jedoch nur sicherstellen, daß die unter das Nato-Truppenstatut fallenden Personen nicht der deutschen Rentenversicherung unterworfen werden. Das Recht zur freiwilligen Versicherung solle damit nicht geschmälert werden.

Mit der Revision beantragt der Kläger,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg und den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 1973 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Hälfte der entrichteten Pflichtbeiträge zu erstatten.

Er rügt die Verletzung der §§ 82, 10 AVG. Zur freiwilligen Versicherung sei er nicht berechtigt. Da er als Bundesbeamter des kanadischen Verteidigungsministeriums Anspruch auf umfassende Versorgung habe, könne für ihn im Rahmen des § 10 AVG nicht dessen Abs. 1, sondern nur Abs. 1a maßgebend sein. Die nach Abs. 1a für das Versicherungsrecht erforderlichen 60 Pflichtbeiträge habe er nicht entrichtet. Das deutsch-kanadische Abkommen dürfe laut Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Zusatzabkommens auf ihn nicht angewendet werden. Die Regelung in Art. 13 Abs. 1 Satz 2, daß bestehende Rechte und Pflichten in der Sozialversicherung unberührt bleiben, treffe auf ihn nicht zu. Voraussetzung wäre danach, daß das Versicherungsrecht bereits bei seiner Rückkehr in die Bundesrepublik bestanden habe. Nach der damaligen Fassung des § 10 AVG habe er jedoch kein Recht zur freiwilligen Versicherung gehabt.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf Beitragserstattung.

Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AVG - in der hier anzuwendenden Fassung des RRG (SozR 2200 § 1303 Nr. 5) - ist dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt, ohne daß ein Recht zur freiwilligen Versicherung besteht. Maßgebend für das Bestehen des Versicherungsrechts ist der Zeitpunkt des Erstattungsantrags (SozR 2200 § 1303 Nrn. 4 und 5). Im Januar 1973 ist der Kläger jedoch zur freiwilligen Versicherung nach § 10 AVG berechtigt gewesen.

Der Anwendung des § 10 AVG steht Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Zusatzabkommens nicht entgegen. Dieser bestimmt zwar, daß, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen sei, auf Mitglieder eines zivilen Gefolges zwischenstaatliche Abkommen "oder andere im Bundesgebiet geltende Bestimmungen über soziale Sicherheit" nicht angewendet werden. Das ist jedoch nicht absolut zu verstehen und wird auch vom Kläger so nicht verstanden, da er sich andernfalls für seinen Anspruch nicht auf § 82 AVG berufen könnte. Mag zwar bei internationalen Verträgen dem Wortlaut des Abkommens in der Regel besondere Bedeutung zukommen, so ist für die Auslegung jedoch daneben immer der Wille der Vertragsparteien mit zu berücksichtigen, wie er sich aus Entstehung, Inhalt und Zweck des Vertrages und der auszulegenden Einzelbestimmung ergibt. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 soll aber nur verhindern, daß die unter das Nato-Truppenstatut fallenden Personen, weil sie in der Bundesrepublik ihren Dienst verrichten, d.h. hier "beschäftigt" sind, der deutschen Sozialversicherung unterworfen werden. Rechtliche Beziehungen zur deutschen Sozialversicherung außerhalb der Mitgliedschaft zu den Streitkräften sollten dagegen nicht ausgeschlossen sein (vgl. BT-Drucks. III/2146 Anlage IV, Erläuterungen zu den Zusatzvereinbarungen, zu Art. 13 S. 234 f). "Um dies klarzustellen" (BT-Drucks. aaO S. 235) bestimmt Art. 13 Abs. 1 Satz 3, die Zugehörigkeit zur Truppe und zum zivilen Gefolge schließe "ferner nicht die Möglichkeit aus, daß in der deutschen sozialen Kranken- und Rentenversicherung zum Zwecke der freiwilligen Weiterversicherung Beiträge geleistet werden". Das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung wurde damit als ein von der Mitgliedschaft zu den Streitkräften unabhängiges und somit außerhalb von ihr bestehendes Recht angesehen. Diese Klarstellungsfunktion des Satzes 3 hat zwar seit der Änderung des § 10 AVG durch das RRG ihre unmittelbare Wirkung verloren, weil es in der Rentenversicherung seitdem nur noch ein allgemeines Recht auf freiwillige Versicherung gibt. Der ausgedrückte Grundgedanke, daß Mitglieder der Streitkräfte und des zivilen Gefolges außerhalb der Mitgliedschaft bestehende Versicherungsrechte wahrnehmen dürfen, bleibt jedoch von Bedeutung; er gilt nun für das Recht der freiwilligen Versicherung nach § 10 AVG idF des RRG. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses Versicherungsrecht schon vor oder erst während der Zeit der Mitgliedschaft erwachsen ist (BT-Drucks. aaO S. 235: "Ebenso muß ... die Möglichkeit bleiben, Rechte geltend zu machen, die ihnen während der Zeit der Mitgliedschaft bei den Streitkräften in der deutschen sozialen Kranken- und Rentenversicherung ... erwachsen sind").

Im Rahmen des sonach anwendbaren § 10 AVG ist das Versicherungsrecht des Klägers nach Abs. 1 und nicht zusätzlich nach Abs. 1a zu beurteilen. Abs. 1a betrifft nur Personen, die nach § 6 AVG versicherungsfrei oder nach den §§ 7 und 8 AVG von der Versicherungspflicht befreit sind. Zu diesen Personen gehört der Kläger nicht. Er rechnet sich zwar offenbar zu den Beamten des Bundes, denen Versorgungsanwartschaft gewährleistet ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG); dabei verkennt er, daß in § 6 AVG mit "Bund" nur die Bundesrepublik Deutschland gemeint ist.

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AVG kann, wer - wie der Kläger - nicht versicherungspflichtig ist und ferner seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, für Zeiten nach Vollendung des 16. Lebensjahres freiwillig Beiträge entrichten. Der Kläger hatte zur Zeit des Erstattungsantrages, wenn nicht seinen Wohnsitz, so doch jedenfalls seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Das LSG hat keine Umstände festgestellt, die darauf deuten, daß sich der Kläger in der Bundesrepublik nur zufällig oder vorübergehend, d.h. zeitlich verhältnismäßig kurz begrenzt, aufgehalten hat oder aufhalten wollte (zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts vgl. BSGE 26, 277, 278 und neuerdings § 30 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil).

Der Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik stehen Bestimmungen des Nato-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens nicht entgegen. Ein alleiniger Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt im Entsendestaat wird durch diese Abkommen nicht fingiert. Das bestätigt Art. X des Nato-Truppenstatuts. Nach Abs. 1 dieses Artikels gelten, wenn eine Steuer im Aufnahmestaat vom Aufenthalt oder Wohnsitz abhängt, die Zeitabschnitte, in denen sich ein Mitglied der Streitkräfte (des zivilen Gefolges) nur in dieser Eigenschaft im Aufnahmestaat aufhält, "i.S. dieser Steuerpflicht" nicht als Aufenthaltszeiten im Aufnahmestaat; damit wird also der Wohnsitz oder Aufenthalt im Aufnahmestaat nicht allgemein ausgeschlossen; demzufolge läßt Abs. 2 bei gewinnbringenden, nicht in der Eigenschaft als Mitglied der Streitkräfte (des zivilen Gefolges) ausgeübten Tätigkeiten die Besteuerung zu.

Sonach ergibt sich, daß dem Kläger bei Stellung des Erstattungsantrages das Recht zur freiwilligen Versicherung bereits unmittelbar aufgrund von § 10 Abs. 1 AVG zustand. Auf das vom LSG herangezogene deutsch-kanadische Abkommen vom 30. März 1971 braucht mithin nicht mehr eingegangen zu werden.

Die Revision war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651360

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