Beteiligte

1.vertreten durch: 2. 3. 4

Beklagte und Revisionsbeklagte

1

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) - Klägerin zu 1.) - oder die beklagte Betriebskrankenkasse (BKK) für die Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung der versicherungspflichtigen Arbeitnehmer im Werk V der Beigeladenen zu 1.) zuständig ist.

Die Kläger zu 2.) bis 4.) sind Beschäftigte der Beigeladenen zu 1.). Sie arbeiten im Werk V Berlin. Dieses Werk wurde im Jahre 1967 gegründet. Es hatte im November 1981 etwa 500 Beschäftigte. Die Beigeladene zu 1.) hat ihren Sitz in Hannover. Außer dem Werk V Berlin gehören zu dem Unternehmen weitere Werke im Bundesgebiet.

Am 20. Februar 1981 beschloß die Vertreterversammlung der Beklagten, die sich bis zu diesem Zeitpunkt nur für die Werke der Beigeladenen zu 1.) in Hannover und Barsinghausen als zuständig angesehen hatte, ihren Bereich auf die "Betriebe" und alle unselbständigen Betriebsteile der Beigeladenen zu 1.) im Bundesgebiet und Berlin (West) zu erstrecken. Diesen 5. Nachtrag der Satzung genehmigte die Beigeladene zu 2.) am 26. Oktober 1981.

Die Klägerin zu 1.) hat am 28. Oktober 1981 Klage auf Feststellung erhoben, daß sie für die im Werk V Beschäftigten die zuständige Krankenkasse ist. Die Kläger zu 2.) bis 4.) haben sich diesem Antrag angeschlossen. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 22. Oktober 1982 die Klagen abgewiesen. Das LSG ist ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, daß die Klägerin zu 1.) nicht für die Durchführung der Krankenversicherung der Beschäftigten im Werk V zuständig ist. Es hat in den Entscheidungsgründen u.a. ausgeführt, die Beschäftigten des Werkes V seien gemäß § 245 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Mitglieder der Beklagten. Das Werk V stelle einen unselbständigen Betriebsteil des Betriebes der Beigeladenen zu 1.) dar. Er sei daher der für diesen Betrieb errichteten Betriebskrankenkasse zuzuordnen. Daß das Werk V nicht als selbständiger Betrieb angesehen werden könne, ergebe sich daraus, daß das Werk keine eigene kaufmännische Leitung und keine eigene Forschung sowie keinen eigenen Vertrieb habe. Es verfüge nur über eine technische Leitung, die der Aufrechterhaltung der Produktion diene, also für Wartung und Reparatur der Anlagen sorge. Bei der Tätigkeit des Werkes V handele es sich um eine reine, bis in letzte Einzelheiten vorgeschriebene Warenproduktion. Von einem selbständigen Leitungsapparat könne nicht die Rede sein. Das Werk werde vollständig von der Zentrale geleitet. Der Werksleiter führe lediglich Anweisungen der Zentrale aus. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der erkennende Senat für zutreffend halte, sei das Werk V daher als unselbständiger Betriebsteil des Betriebes der Beigeladenen zu 1.) anzusehen. Deshalb treffe es nicht zu, daß die Versicherten des Werkes V nur dadurch von der Klägerin zu 1.) auf die Beklagte überführt werden könnten, daß sie dieser Maßnahme zustimmten. Die §§ 225a, 248, 253 und 320ff. RVO beträfen nur die Errichtung einer Krankenkasse. Sie beschrieben die Voraussetzungen und den Weg, der zu einer neuen Zuständigkeit führe. Im vorliegenden Falle dagegen bedürfe es für die Zuständigkeit der Beklagten für die Beschäftigten des Werkes V keines konstitutiven Aktes. Es handele sich nicht - wie die klagenden Arbeitnehmer meinten - um die Überführung in eine andere Zuständigkeit, sondern allein um die Angleichung des tatsächlichen Zustandes an die bestehende Gesetzeslage, und zwar für die Zukunft. Deshalb lägen die Ausführungen der Klägerin zu 1.) zum Demokratiegebot, zur analogen Anwendung des § 4 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVerfG), zur Überführung von Innungen auf Innungskrankenkassen und die zu §§ 45, 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - SGB X - gezogene Parallele neben der Sache. Auch habe sich nicht gewohnheitsrechtlich eine Änderung der Zuständigkeit ergeben. Die Kläger zu 2.) bis 4.) könnten sich schließlich auch nicht darauf berufen, daß die nunmehr von der Beklagten vorgenommene Herstellung des rechtlich einwandfreien Zustandes eine unzulässige Rechtsausübung darstelle.

Mit der Revision rügt die Klägerin zu 1.) die Verletzung der §§ 245 Abs. 3, 225a und 248 RVO sowie der Art. 3, 20 und 28 des Grundgesetzes (GG). Das Landessozialgericht (LSG) habe zu Unrecht angenommen, daß es sich bei dem Werk V um eine unselbständige Betriebsabteilung handele. Die straffe Führung der Betriebe durch die Zentrale in Hannover, z.B. durch Vorgaben für die Produktion und bzgl. der Personalverwaltung, seien nichts anderes als Ausübung des Arbeitgeber-Direktionsrechts. Die Ausübung dieses Rechts habe das BSG aber - bezogen auf das Vorhandensein von Rahmenrichtlinien über das Ziel der Betriebstätigkeit und die sachlichen, personellen und verfahrensmäßigen Aufwendungen hierzu - als unmaßgeblich angesehen. Das gleiche müsse für Einzelweisungen und Einzelvorgaben gelten. Auch sie seien lediglich die Ausübung des Direktionsrechts und könnten nicht als Abgrenzungskriterium verwandt werden für die Frage, ob ein unselbständiger Betriebsteil oder ein selbständiger Betrieb vorliege. Zwischen dem Werk V und den anderen Werken der Beigeladenen zu 1.) beständen hinsichtlich der Produktion keinerlei Verflechtungen. In Berlin würden ohne Vorfertigung durch andere Werke verkaufsfertige Endprodukte hergestellt, wie es dem durch den Unternehmer vorgegebenen arbeitstechnischen Zweck der Betriebe der Beigeladenen zu 1.) insgesamt entspreche. Die für die Produktion erforderliche technische Leitung sei in Berlin vorhanden. Dies sei die wesentliche Grundlage der Selbständigkeit. Hinzu komme, daß im Werk V eine einheitliche, echte Betriebsgemeinschaft vorhanden sei, gemeinsame Betriebseinrichtungen beständen, kein Austausch von Beschäftigten mit anderen Werken der Beigeladenen zu 1.) stattfinde und das Werk V vom Stammwerk räumlich weit entfernt sei. Die einheitliche Überführung der krankenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer eines Betriebes aus der Zuständigkeit einer AOK in eine BKK ohne Anschlußerrichtungsverfahren durch bloße Inanspruchnahme der Zuständigkeit widerspreche dem Sinn des § 245 Abs. 3 RVO und sei mit den Vorschriften über das BKK-Errichtungsverfahren, dem allgemeinen Gleichheitssatz sowie dem Demokratiegebot unvereinbar. Der Überführung der Beschäftigten des Werkes V stehe aber auch entgegen, daß sie, die Klägerin zu 1.), für die Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung des genannten Personenkreises gewohnheitsrechtlich zuständig geworden sei. Entgegen der Auffassung des LSG könne eine auf irriger Gesetzesauslegung beruhende Praxis durchaus zur Bildung von Gewohnheitsrecht führen. Das gelte auch für die Auslegung und Anwendung des § 245 Abs. 3 RVO. Hier seien alle Beteiligten, insbesondere auch die Versicherten, jahrelang davon ausgegangen, daß sie, die Klägerin zu 1.), zuständig sei und hätten sich - entsprechend dieser Rechtsüberzeugung - verhalten. Das genüge für die Begründung einer gewohnheitsrechtlichen Zuständigkeit. Im übrigen stehe dem begehrten Zuständigkeitswechsel auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegen. Im Sozialversicherungsrecht habe der Gesichtspunkt von Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes seinen Niederschlag u.a. in den Vorschriften der §§ 45 und 48 SGB X gefunden. Für sie, die Klägerin zu 1.), die von Anfang an über mehr als 10 Jahre die Versicherung der Beschäftigten des Werkes V durchgeführt habe, sei es nicht zumutbar, die Mitglieder von heute auf morgen ohne geordnetes Verfahren und ohne deren Beteiligung abgeben zu müssen. Das Vertrauen der Versicherten sei zu schützen. Ihre Zugehörigkeit zu ihr, der Klägerin zu 1.), sei durch die Krankenversicherungsträger und Aufsichtsbehörde anerkannt worden. Die Anerkennung gelte nicht nur den individuellen Mitgliedschaften, sondern gerade auch der Zugehörigkeit der gesamten Arbeitnehmerschaft eines Betriebes. Wenn die Beklagte nunmehr die Zuständigkeit zur Durchführung der Krankenversicherung der Angehörigen des Werkes V geltend mache, sei darin eine unzulässige Rechtsausübung zu sehen.

Die Kläger beantragen, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Februar 1984 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Oktober 1982 aufzuheben und festzustellen, daß die Klägerin zu 1.) zuständig ist für die Durchführung der Krankenversicherung der versicherungspflichtigen Arbeitnehmer im Werk V Berlin der Beigeladenen zu 1.).

Die Kläger zu 2.) bis 4.) rügen eine Verletzung des § 245 RVO i.V.m. Art. 20 GG. Entgegen der Ansicht des LSG komme der bisherigen langjährigen Übung entscheidende Bedeutung zu. Das ergebe sich aus dem Prinzip der Rechtssicherheit. Daraus folge die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Entscheidungen und sonstiger in Rechtskraft erwachsender Akte der öffentlichen Gewalt. Die ursprüngliche Beschränkung der Zuständigkeit der Beklagten auf das Stammwerk der Beigeladenen zu 1.) sowie die Durchführung der Krankenversicherung der Beschäftigten des Werkes V durch die Klägerin zu 1.) seien solche der Rechtskraft fähigen Akte der öffentlichen Gewalt. Es könne nicht in das Belieben einer BKK gestellt werden, den Zeitpunkt zu bestimmen, von dem an sie ihre Zuständigkeit auf unselbständige Betriebsteile erstrecken wolle. Der Beklagten müsse bekannt gewesen sein, daß zum Betrieb der Beigeladenen zu 1.) im Bundesgebiet und in Berlin (West) unselbständige Betriebsteile gehörten. Dies gehe insbesondere aus der am 1. Januar 1978 in Kraft getretenen Satzungsänderung hervor. Aufgrund dieser Satzungsänderung habe sie ihren Bereich auf die Betriebe der Beigeladenen zu 1.) in Hannover und Barsinghausen erstreckt. Ein solches Verfahren setze entsprechende Rechtskenntnisse voraus. Die Geschäftspolitik der Beklagten sei früher offensichtlich dahin gegangen, ihren Zuständigkeitsbereich möglichst klein zu halten und weit entfernt liegende Zweigwerke mit ungünstigeren Risiken den Ortskrankenkassen zu überlassen. Die Initiative zur Ausdehnung des Zuständigkeitsbereichs auf alle unselbständigen Zweigwerke sei nämlich nicht von der Beklagten, sondern von Bediensteten des Oberversicherungsamtes Niedersachsen-Bremen und des Versicherungsamtes Hannover ausgegangen. Nach 14jähriger Zugehörigkeit der Mitglieder zur Klägerin zu 1.) sei das Mitgliedschaftsverhältnis schutzwürdig. Es könne nur noch in Ausnahmefällen gegen den Willen des Mitgliedes gelöst werden. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Überführung der Versicherten von der Klägerin zu 1.) auf die Beklagte lägen hier aber nicht vor. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, daß eine individuelle Beratung der Beschäftigten des Werkes V dadurch erschwert oder gar unmöglich gemacht würde. Die Beklagte habe keine Verwaltungsstelle in Berlin und es sei auch nicht geplant, eine solche dort einzurichten. Die Inanspruchnahme der Beklagten würde über das Personalbüro des Werkes V laufen. Hierdurch aber sei die Gefahr gegeben, daß Krankheitsfälle sich auf das Beschäftigungsverhältnis der Versicherten auswirkten. Jedenfalls beständen zu Recht entsprechende Befürchtungen der Versicherten.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen, die Revisionen zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Der erkennende Senat ist richtig besetzt; denn die ehrenamtlichen Richter sind ordnungsgemäß berufen worden (vgl. den zur Veröffentlichung bestimmten Beschluß des 1. Senats des BSG vom 26. September 1985 - 1 S 12/85 -) -

Da nur die Kläger zu 1.) sowie zu 2.) bis 4.) Revisionen eingelegt haben, hat der Senat auch nur über das Urteil des LSG zu entscheiden, soweit es die Klagen dieser Kläger betrifft.

Die Revisionen sind unbegründet.

Die Vorinstanzen haben zu Recht angenommen, daß die Klägerin zu 1.) nicht für die Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung der Beschäftigten des Werkes V der Beigeladenen zu 1.) zuständig ist.

1. Die klagende AOK und die Kläger zu 2.) bis 4.) haben die richtige Klageart gewählt. Für den Streit über die Zuständigkeit zur Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung steht allein die Feststellungsklage zur Verfügung. Dabei kann dahinstehen, ob es sich im vorliegenden Falle um Feststellungsklagen nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - Zuständigkeitsklage - oder um eine Klage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG - Feststellung eines Rechtsverhältnisses - handelt (BSGE 18, 190, 193; vgl. zu dieser Problematik auch Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 2. Aufl., § 55 Anm. 12).

Der Zulässigkeit der Klagen der Kläger zu 2.) bis 4.) steht nicht entgegen, daß diese einen Feststellungsantrag bezüglich aller versicherungspflichtigen Arbeitnehmer im Werk V stellen. Zwar könnten sie sich jeweils darauf beschränken, feststellen zu lassen, ob zwischen ihnen, d.h. den einzelnen Klägern, und der Klägerin zu 1.) ein Rechtsverhältnis besteht. Das schließt aber den gestellten weitergehenden Antrag nicht aus. Wenn die Kläger zu 2.) bis 4.) auch nicht an den Einzelrechtsverhältnissen zwischen der Klägerin zu 1.) und den jeweils anderen versicherungspflichtigen Arbeitnehmern im Werk V beteiligt sind, berührt das Bestehen oder Nichtbestehen dieser Rechtsverhältnisse doch den Rechtsbereich auch der Kläger zu 2.) bis 4.). Es kann nämlich davon ausgegangen werden, daß sie nicht aufgrund eines von ihnen erstrittenen Urteils als einzelne aus der Betriebs- und Versichertengemeinschaft ausscheren wollen, sondern daß ein etwaiger "Wechsel" des Versicherungsträgers nur im Rahmen der Belegschaft des Werkes V vollzogen werden soll. Ein berechtigtes Interesse der Kläger zu 2.) bis 4.) an der baldigen Feststellung in dem von ihnen beantragten Umfang ist daher zu bejahen (vgl. dazu BSGE 15, 118, 126; 18, 190, 193; Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 2. Aufl., § 55 Anm. 7 und 15).

2. Die versicherungspflichtig Beschäftigten des Werkes V waren - soweit sie nicht oder nicht mehr als Kläger an dem Rechtsstreit beteiligt sind - nicht notwendig beizuladen. Zwar wirkt sich die Entscheidung, welche Krankenkasse für die Durchführung der Krankenversicherung zuständig ist, auf alle im Werk V Beschäftigten unmittelbar aus. Der notwendigen Beiladung (§ 75 Abs. 2 SGG) steht aber die große Zahl der betroffenen Beschäftigten - im Jahre 1981 waren im Werk V ca. 500 Personen tätig - entgegen. Wegen der üblichen Fluktuation der Beschäftigten und der Unmöglichkeit, sie im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zweifelsfrei vollständig zu erfassen, wäre das Urteil in der Sache letztlich nur ein Teilurteil. Durch die Beiladung läßt sich in einem solchen Falle der mit ihr an sich verfolgte prozeßökonomische Zweck, neue Prozesse zu vermeiden, nicht erreichen. Die Unterlassung der notwendigen Beiladung ist daher rechtens (BSG, Urteil vom 29. Juni 1979 - 8b/3 RK 49/77 - BSGE 48, 238, 241 = SozR 2200 § 250 Nr. 5 und Urteil vom 14. April 1983 - 8 RK 11/82 - SozR 2200 § 245 Nr. 3).

3. Die Klägerin zu 1.) ist - entgegen der Auffassung der Revisionen - nicht für die Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung der Beschäftigten des Werkes V der Beigeladenen zu 1.) zuständig.

Nach § 245 Abs. 1 Satz 1 RVO kann ein Arbeitgeber für jeden Betrieb, in dem er regelmäßig mindestens 450 Versicherungspflichtige beschäftigt, eine BKK errichten. Ferner kann er nach § 245 Abs. 1 Satz 2 RVO für mehrere Betriebe, in denen er regelmäßig insgesamt mindestens 450 Versicherungspflichtige beschäftigt, eine gemeinsame BKK errichten. Wird von dieser Möglichkeit für

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einen oder mehrere Betriebe Gebrauch gemacht, so gehören alle in den Betrieben beschäftigten Versicherungspflichtigen in die BKK (§ 245 Abs. 3 RVO). Wird die gesetzliche Zuständigkeitsregelung aus welchen Gründen immer - teilweise zunächst unbeachtet gelassen, so kann die BKK ihre Zuständigkeit für weitere versicherungspflichtig Beschäftigte nur für die "Zukunft in Anspruch nehmen". Maßgeblich sind in diesem Falle die Verhältnisse im Zeitpunkt der "Inanspruchnahme" (Urteile des erkennenden Senats vom 13. Juli 1978 und 14. April 1983, a.a.O.).

Die Kläger wenden gegen die "Inanspruchnahme" der Zuständigkeit durch die Beklagte ein, daß das Werk V der Beigeladenen zu 1.) einen selbständigen Betrieb und nicht einen unselbständigen Betriebsteil darstelle. Wenn dies zuträfe, dann müßte - und insoweit ist dem Vortrag der Revisionskläger zu folgen - ein Anschlußerrichtungsverfahren für die versicherungspflichtig Beschäftigten des Werks V durchgeführt werden (vgl. dazu §§ 225a und 248 RVO), d.h. die Beklagte könnte ihre Zuständigkeit für weitere Beschäftigte nicht einfach im Wege einer Satzungsänderung "in Anspruch nehmen". Das Werk V ist indessen kein selbständiger Betrieb, sondern ein unselbständiger Betriebsteil des Gesamtbetriebes der Beigeladenen zu 1.).

Unter einem Betrieb versteht man im allgemeinen die auf Erreichung eines arbeitstechnischen Zwecks gerichtete organisatorische Zusammenfassung personeller, sächlicher und anderer Arbeitsmittel zu einer selbständigen Einheit (BSGE 37, 245, 246 mit Nachweisen aus dem Schrifttum; vgl. auch BSGE 32, 177, 178). Da gegen liegt nur ein unselbständiger Betriebsteil vor, wenn eine Produktionsstätte in bezug auf die Gesamtheit der eingesetzten Arbeitsmittel über keinen selbständigen Leitungsapparat verfügt (vgl. BSGE 37, 245, 246) und zwischen der vorhandenen "Zentrale" und der Produktionsstätte auf dem Gebiet der Planung, der Entwicklung, der Produktion und des Vertriebes eine derart starke organisatorische Verflechtung besteht, daß eine Verselbständigung nicht ohne grundlegende Umwandlung der Organisationsstruktur möglich wäre (Urteile des erkennenden Senats vom 13. Juli 1978 und 14. April 1983, a.a.O.). Allerdings spricht das Bestehen zentraler Einrichtungen, z.B. einer einheitlichen kaufmännischen Leitung (so schon das Reichsversicherungsamt - RVA -, EuM 29, 67, 70), nicht in jedem Falle gegen die Eigenschaft eines selbständigen Betriebes. Die Möglichkeiten der Datenverarbeitung und der in den letzten Jahren entwickelten Kommunikationstechniken können Unternehmer veranlassen, bestimmte Aufgaben, z.B. der Personalverwaltung, zu zentralisieren. Diese Verlagerung von Arbeitsbereichen, die bisher üblicherweise innerhalb eines selbständigen Betriebes vorhanden waren, vermag daher nicht allein den Ausschlag bei der Abgrenzung zwischen Betrieb und unselbständigem Betriebsteil zu geben. Die Selbständigkeit eines Betriebes wird auch nicht dadurch aufgehoben, daß der Unternehmer Rahmenrichtlinien für alle oder einzelne Betriebe aufstellt und dadurch die verantwortlichen Leiter zwingt, den Betrieb in einem bestimmten Sinne zu führen. Denn derartige Rahmenrichtlinien und Weisungen sind Ausfluß des Direktionsrechts des Unternehmers und beseitigen als solche noch nicht die Eigenständigkeit des jeweiligen Betriebes (Urteil des erkennenden Senats vom 13. Juli 1978, a.a.O.). Handelt es sich um Weisungen und Vorgaben, die das Ziel der Betriebstätigkeit und die sächlichen, personellen und verfahrensmäßigen Aufwendungen hierzu so weitgehend regeln, daß den Leitern der Werke oder Produktionsstätten nur noch geringfügige Entscheidungsbefugnisse oder solche von untergeordneter Bedeutung verbleiben, so kann von einer Selbständigkeit der Betriebsteile keine Rede sein, weil keine eigene technische Leitung mit dem für die Selbständigkeit eines Betriebes typischen Entscheidungsspielraum vorhanden ist. Die Werksleitung ist in einem solchen Falle lediglich Ausführungsorgan der Zentrale. Die Vielfalt möglicher Organisationsformen eines Unternehmens und die Verschiedenartigkeit der Führungsstruktur lassen es nicht zu, Betrieb und unselbständigen Betriebsteil nach dem Vorhandensein oder Fehlen von einzelnen der genannten Kriterien abzugrenzen. Die Entscheidung, ob lediglich eine unselbständige Produktionsstätte gegeben ist oder ob es sich um einen selbständigen Betrieb handelt, erfordert die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, d.h. eine Gesamtbewertung. Selbständigkeit ist dann anzunehmen, wenn die hierfür sprechenden Faktoren im konkreten Falle qualitativ überwiegen.

Geht man von diesen Grundsätzen aus, so ist das Werk V der Beigeladenen zu 1.) als unselbständiger Betriebsteil des Gesamtbetriebes anzusehen. Nach den mit den Revisionen nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG ist das Werk V eine reine Produktionsstätte. Es verfügt über keine eigene kaufmännische Leitung, keine eigene Forschung sowie keinen eigenen Vertrieb. Zwar gehört zur Selbständigkeit nicht unbedingt, daß Produktion und Vertrieb in einem Betrieb vereint sind. Ein Produktionsbetrieb kann sich auch einer Vertriebsorganisation anschließen oder mit einer eigenständigen Vertriebsgesellschaft kooperieren. Dies setzt aber zumindest voraus, daß im Produktionsbetrieb eine kaufmännische Organisation vorhanden ist, die die erforderlichen Vereinbarungen mit der Vertriebsorganisation bzw. der Vertriebsgesellschaft trifft und deren Abwicklung überwacht. Hieran fehlt es im Werk V der Beigeladenen zu 1.). Ein Ausscheiden des Werkes aus dem Unternehmen der Beigeladenen zu 1.) wäre schon deshalb ohne eine erhebliche Umorganisation nicht möglich. Ob ein Produktionsbetrieb allerdings stets eine eigene Forschungsabteilung haben muß, um selbständig zu sein, kann hier offen gelassen werden. Denn durch die von der Zentrale gemachten Vorgaben für Art, Menge und Material der Produkte sowie durch die zentrale Arbeitsplanung wird die Leitungsbefugnis in einer mit der selbständigen Führung eines Betriebes nicht mehr zu vereinbarenden Weise eingeengt. Derartige Vorgaben sind nicht Ausfluß des unternehmerischen Direktionsrechts, sondern Teil einer zentralen Betriebsführung. Zu Recht hat das LSG in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß das Werk V vollständig von der Zentrale geleitet werde und der Werksleiter lediglich Anweisungen der Zentrale ausführe.

Daß das Werk V über Einstellung und Einsatz gewerblicher Arbeitnehmer selbst entscheiden kann, könnte zwar für die Selbständigkeit der Produktionsstätte sprechen, auch wenn die Einstellung nur nach einer im Rahmen der Jahresplanung bestimmten zahlenmäßigen Vorgabe der Zentrale zulässig ist. Das gleiche gilt für die Tatsache, daß im Werk V verkaufsfertige Endprodukte hergestellt werden, das Werk also nicht bei der Produktion auf die Zulieferung von Materialien angewiesen ist, die in anderen Betrieben oder Betriebsteilen der Beigeladenen zu 1.) vorgefertigt sind. Die dargestellte begrenzte Entscheidungsfreiheit in Personalangelegenheiten und die Möglichkeit, ohne Vorfertigung durch andere Werke verkaufsfertige Endprodukte herzustellen, sind indessen im Rahmen der Gesamtbewertung als untergeordnete Faktoren zu betrachten.

Ebensowenig vermögen das Vorhandensein einer Betriebsgemeinschaft sowie gemeinsamer Betriebseinrichtungen und das Fehlen eines Austauschs von Beschäftigten mit anderen Werken der Beigeladenen zu 1.) entscheidend für die Selbständigkeit der Produktionsstätte in Berlin zu sprechen. Eine Betriebsgemeinschaft und gemeinsame Betriebseinrichtungen werden in der Regel in einer vom Stammwerk entfernt liegenden Produktionsstätte vorhanden sein. Sie sind keine Kriterien, an denen man Selbständigkeit oder Unselbständigkeit eines Betriebsteils messen kann (a.A. Kater, DOK 1983, 177 ff.). Auch der Austausch von Beschäftigten mit anderen Werken desselben Unternehmens ist nur sehr bedingt ein Abgrenzungskriterium. Er kann für eine starke Verflechtung innerhalb des Gesamtbetriebes sprechen. Sein Fehlen muß aber - gerade wenn Stammwerk und die übrigen Betriebsteile weit voneinander entfernt liegen - nicht als Kriterium der Selbständigkeit der einzelnen Betriebsteile angesehen werden; denn daß in einem solchen Falle der Austausch unterbleibt, wird oft auf sozialen Gründen beruhen (mangelnde Mobilität der Arbeitnehmer; Unzumutbarkeit des Umzugs). Die weite Entfernung selbst ist ebenfalls kein stichhaltiges Argument für die Selbständigkeit eines Betriebsteils. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Unternehmen früher bei der innerbetrieblichen Organisation hierauf Rücksicht nehmen und weit entfernt liegende Betriebsteile entsprechend mit sächlichen und personellen Mitteln (z.B. einer Personalabteilung, einem Lohnbüro) ausstatten und den Führungskräften vor Ort weitgehende Entscheidungsbefugnisse einräumen mußten, ist dies heute angesichts der wesentlich verbesserten Kommunikationsmittel und der modernen Techniken der Personalverwaltung nicht mehr erforderlich.

4. Entgegen der Auffassung der Kläger kann das Werk V der Beigeladenen zu 1.) nicht in analoger Anwendung des § 4 BetrVerfG als selbständiger Betrieb angesehen werden. Nach dieser Vorschrift gelten Betriebsteile zwar unter bestimmten Voraussetzungen als selbständige Betriebe. Diese Fiktion ist nach ihrem Sinn und Zweck jedoch nur im Betriebsverfassungsrecht anwendbar. § 4 BetrVerfG will die Abgrenzung erleichtern, weil für die Betriebsverfassung im Mittelpunkt steht, daß die Arbeitnehmer eine tatsächliche Gemeinschaft bilden, die sich als Belegschaft von einer anderen Belegschaft abhebt (vgl. hierzu Dietz/Richardi, BetrVerfG, Komm., Bd. 1, 6. Aufl., § 4 RdNr. 3).

5. Die "Überführung" der krankenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer des Werkes V in die Zuständigkeit der Beklagten widerspricht auch nicht den Regeln über das Anschlußerrichtungsverfahren, dem allgemeinen Gleichheitssatz sowie dem Demokratiegebot. Betriebskrankenkassen können nur für selbständige Betriebe, nicht dagegen für unselbständige Betriebsteile errichtet werden. Dies ergibt sich eindeutig aus § 245 RVO. Nur wenn eine BKK ihre Zuständigkeit auf einen selbständigen Betrieb desselben Unternehmers erweitert, muß dies mit Hilfe eines Anschlußerrichtungsverfahrens geschehen (Urteil des erkennenden Senats vom 14. April 1983, a.a.O.). Da das Werk V der Beigeladenen zu 1.) - wie oben dargestellt - ein unselbständiger Betriebsteil ist, bedarf es somit keines Anschlußerrichtungsverfahrens. Richtig ist zwar, daß für den Fall der "Überführung" der Belegschaft eines Betriebsteils von der AOK in die BKK den Arbeitnehmern kein Mitbestimmungsrecht zusteht. Hier muß jedoch beachtet werden, daß die Zuständigkeit der BKK nach § 245 Abs. 3 RVO ohne Rücksicht auf die Zustimmung der betroffenen versicherungspflichtig Beschäftigten gegeben ist. Alle Versicherungspflichtigen, die zu einem Betrieb gehören, für den eine BKK errichtet ist, sind kraft Gesetzes Mitglied in der BKK. Das gilt auch für neu hinzutretende Arbeitnehmer. Ihr Mitbestimmungsrecht i.S. von § 225a RVO tritt demgegenüber zurück, weil sie in einen Betrieb eingetreten sind, dessen Arbeitnehmer sich bereits für eine betriebseigene Risikogemeinschaft, nämlich eine BKK, entschieden haben. Gleiches gilt auch dann, wenn ein Arbeitgeber seinen Unternehmen einen unselbständigen Betriebsteil eingliedert (vgl. dazu Urteil des erkennenden Senats vom 13. Juli 1978, a.a.O.). Das Fehlen eines Mitbestimmungsrechts hinzutretender Arbeitnehmer - sei es, daß sie mit der Aufnahme einer Beschäftigung Mitglied in der BKK werden, sei es, daß sie durch die Eingliederung eines unselbständigen Betriebsteils in die Zuständigkeit der BKK fallen - ist vom Gesetz gewollt. Der Gesetzgeber hat das Mitbestimmungsrecht den Arbeitnehmern nur für den Fall der Errichtung oder Anschlußerrichtung einer BKK eingeräumt. Diese Beschränkung widerspricht nicht dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG). Denn für die unterschiedliche Behandlung bestehen sachlich einleuchtende Gründe: Der Fortbestand einer BKK kann nicht von der Zustimmung der in einem unselbständigen Betriebsteil beschäftigten Versicherungspflichtigen und schon gar nicht von der Zustimmung eines einzelnen hinzutretenden Arbeitnehmers abhängig gemacht werden. Der Grundsatz der einheitlichen Kassenzuständigkeit aller in einem Betrieb beschäftigten Versicherungspflichtigen (vgl. BSGE 18, 190, 195) muß daher vor den Belangen hinzukommender Arbeitnehmer den Vorrang haben.

Die "Inanspruchnahme" der Zuständigkeit durch die BKK steht auch nicht im Widerspruch zum Demokratiegebot. Aus Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG kann keine Forderung nach einer bestimmten organisatorischen Gestaltung der Sozialversicherung hergeleitet werden (BVerfGE 11, 310, 320f.). Aber selbst wenn man davon ausginge, daß die Interessenlage der im Werk V Beschäftigten mit derjenigen der Belegschaft eines selbständigen Betriebes vergleichbar ist, der einem Betrieb angeschlossen wird, für den bereits eine BKK besteht, so könnten die Regeln über das Anschlußerrichtungsverfahren hier gleichwohl nicht analog angewendet werden. Denn die Arbeitnehmer des unselbständigen Betriebsteils haben keine Wahl, ob sie der BKK angehören wollen oder nicht. Ihre Mitgliedschaft steht schon aufgrund des § 245 Abs. 3 RVO fest. Eine Analogie ist - selbst im Hinblick auf das von der Revisionsklägerin zu 1.) hervorgehobene Demokratiegebot und den von den Revisionsklägern zu 2.) bis 4.) genannten Vertrauensschutz - ausgeschlossen.

Auf Vertrauensschutz können sich die Kläger schon deshalb nicht berufen, weil es nicht um die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte geht, sondern allein die Frage zu entscheiden ist, welche Krankenkasse die gesetzliche Krankenversicherung der Beschäftigten des Werkes V durchzuführen hat. Zwar hatte die Beklagte in § 2 ihrer Satzung vom 12. Dezember 1977 bestimmt, daß sich ihr Bereich nur "auf die Betriebe der Firma H. B. KG in Hannover und Barsinghausen" erstreckt. Die Satzung ging also damals vom Vorhandensein selbständiger Betriebe innerhalb eines Unternehmens aus. Ob dies 1977 zutreffend war, kann der Senat unentschieden lassen. Das Werk V und die genannten Produktionsstätten sind jedenfalls in der hier interessierenden Zeit (ab Februar 1981) keine selbständigen Betriebe. Selbst wenn die Satzung 1977 zu Unrecht die Werke in Hannover und Barsinghausen als selbständige Betriebe angesehen hätte, wäre dies hier rechtlich ohne Bedeutung. Einen so weitgehenden Vertrauensschutz, daß ein gesetzwidriger Zustand aufrechterhalten bleibt und insbesondere eine Krankenkasse ihre gesetzliche Zuständigkeit für alle Zukunft nicht mehr wahrnehmen kann, gewährt die Rechtsordnung nur ausnahmsweise. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor. Ob die "Beschränkung" der Zuständigkeit in Kenntnis der wahren Rechtslage oder in Verkennung der Rechtslage erfolgt ist, spielt ebenfalls keine Rolle. Die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes hat Vorrang, solange nicht rechtskräftige Urteile dem entgegenstehen, mag dies auch im Einzelfalle den Interessen und Erwartungen der Versicherten zuwiderlaufen.

Die "Inanspruchnahme" der Zuständigkeit durch die Beklagte stellt - entgegen der Auffassung der Revisionskläger zu 2.) bis 4) - auch keine unzulässige Rechtsausübung dar. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beklagte ihre Zuständigkeit verwirkt hätte. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-) auch für das Sozialversicherungsrecht (vgl. BSGE 7, 199, 200; 34, 211; 41, 275, 278) anerkannt. Die Verwirkung setzt voraus, daß der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (BSGE 35, 91, 95; 47, 194, 196). Der Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung steht hier schon entgegen, daß die gesetzlich geregelte Kassenzuständigkeit nicht verwirkt werden kann, denn insoweit handelt es sich um organisationsrechtliche Regelungen und nicht um verwirkbare Rechte von Versicherungsträgern.

6. Die Beklagte hat ihre Zuständigkeit für die versicherungspflichtig Beschäftigten des Werkes V auch nicht durch die Bildung gesetzesändernden Gewohnheitsrechts verloren. Der Senat kann die Frage offenlassen, ob Gewohnheitsrecht im Widerspruch zum geschriebenen Recht entstehen kann (verneinend BSGE 43, 289, 291; a.A. BGHZ 37, 219, 224). Gewohnheitsrecht entsteht nur durch eine lang dauernde, oft auf der Rechtsprechung der Gerichte beruhenden Übung, die durch Rechtsüberzeugung getragen wird und nicht nur nach dem Willen der unmittelbar Beteiligten, sondern auch der Allgemeinheit Ausdruck geltenden Rechts ist (BSGE 11, 126, 128; 20, 10, 18; 21, 209, 219; 56, 185, 188f.). Die Annahme von Gewohnheitsrecht, das die Regelung des § 245 Abs. 3 RVO geändert oder gar aufgehoben hätte, scheitert hier bereits daran, daß die Allgemeinheit die von § 245 Abs. 3 RVO abweichende Zuständigkeit als geltendes Recht nicht in ihren Willen aufgenommen hat. Die rechtswidrige Praxis beruhte allein auf einer irrtümlichen Anwendung des Gesetzes. Dies aber reicht auf keinen Fall, um gesetzesänderndes Gewohnheitsrecht zu bilden (so mit Recht Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 10. Aufl., S. 147 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts - OVGE 20, 175 und 76, 378).

Die Revisionen der Kläger waren nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 193 und 194 SGG.8 RK 20/84

Bundessozialgericht

Verkündet am

6. November 1985

 

Fundstellen

BSGE, 87

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