Leitsatz (amtlich)

1. Tritt ein Obdachloser seinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe in Höhe einer angemessenen Nutzungsentschädigung für die Unterbringung in einem Obdachlosenheim ab, so liegt die Abtretung in seinem wohlverstandenen Interesse.

2. Ein wohlverstandenes Interesse besteht nicht mehr, wenn die Leistung an den Berechtigten ausgezahlt ist (Fortführung von BSG vom 25.5.1972 – 5 RKn 24/71 = SozR Nr 5 zu § 119 RVO).

3. Hat sich der Anspruch auf Feststellung des wohlverstandenen Interesses durch Zeitablauf erledigt, kommt die Feststellung in Betracht, daß der Sozialleistungsträger zu einer entsprechenden Feststellung verpflichtet war (Anschluß an BSG vom 22.9.1976 – 7 RAr 107/75 = BSGE 42, 212, 216 = SozR 1500 § 131 Nr 3).

Stand: 05. Juni 2000

 

Beteiligte

Verbandsgemeinde Daun

Bundesanstalt für Arbeit

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. März 1999 geändert und festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet war, das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen an der Abtretung der Arbeitslosenhilfe in Höhe von 250 DM an die Klägerin festzustellen.

Im übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der 1960 geborene, alleinstehende Beigeladene bezog 1996 von der beklagten Bundesanstalt (BA) Arbeitslosenhilfe (Alhi) in Höhe von 237 DM und ab 1997 von 233,40 DM wöchentlich, vom 13. Januar 1997 bis zum 12. Juni 1997 Unterhaltsgeld in Höhe von 264 DM und danach bis zur Arbeitsaufnahme am 1. April 1998 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 254,60 DM wöchentlich. Seit dem 1. September 1995 war der Beigeladene aufgrund einer ordnungspolizeilichen Einweisungsverfügung als Obdachloser in einer Obdachlosenunterkunft der Klägerin untergebracht. Hierfür hatte er eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 250 DM monatlich zu entrichten. Leistungen der Sozialhilfe erhielt der Beigeladene im Hinblick auf sein Einkommen nicht. Die Nutzungsentschädigung an die Klägerin zahlte der Beigeladene nur schleppend. Am 15. November 1996 gab er eine vorgedruckte Erklärung gegenüber der Klägerin ab, mit der er seine Ansprüche auf Alhi unter Verzicht auf die Pfändungsfreigrenzen in Höhe der Nutzungsentschädigung von monatlich 250 DM ab Dezember 1996 an die Klägerin abtrat. Bis einschließlich November 1997 hat der Beigeladene inzwischen die Nutzungsentschädigung an die Klägerin gezahlt.

Nachdem die Klägerin der BA die Abtretungserklärung des Beigeladenen am 25. November 1996 mitgeteilt hatte, entschied diese mit Bescheid vom 17. Dezember 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. März 1997, die Abtretung der Alhi könne nicht durchgeführt werden, weil sie nicht im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen im Sinne des § 53 Abs 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) liege.

Das Sozialgericht hat die BA mit Urteil vom 27. August 1997 verurteilt festzustellen, die Abtretung liege im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen, weil seine Unterkunft sichergestellt werde, was einen adäquaten Vorteil für die Abtretung darstelle.

Diese Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 23. März 1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, das Abtretungsverbot unpfändbarer Forderungen greife nur dann nicht ein, wenn der Leistungsberechtigte für den übertragenen Anspruch als Gegenwert einen zumindest gleichwertigen Vermögensvorteil erwerbe und der Zweck der Sozialleistung die Abtretung rechtfertige. Dabei sei zu beachten, daß die Pfändungsgrenzen auf einer Abwägung der Interessen der Beteiligten beruhten und daher eine weitergehende Abtretung von laufenden Geldleistungen nur selten im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liege. Die Pfändungsfreigrenze sei auch nicht herabzusetzen, weil die Abtretung dem Wohnbedarf diene und deshalb die durchschnittlich in den Pfändungsfreigrenzen berücksichtigten Wohnkosten für den Beigeladenen nicht anfielen. Für eine Herabsetzung der Pfändungsfreigrenzen bestehe keine Rechtsgrundlage. Die Abtretung des Anspruchs auf Alhi an die Klägerin zur Deckung der durch die Unterbringung des Beigeladenen als Obdachlosen entstehenden Nutzungsentschädigung liege nicht in dessen wohlverstandenen Interesse. Anders sei nur zu befinden, falls dem Beigeladenen ohne die Abtretung die Ausweisung aus der Obdachlosenunterkunft drohe. Das sei jedoch nicht anzunehmen, zumal die Unterbringung auf einer ordnungsbehördlichen Einweisungsverfügung beruhe. Die Abtretung diene daher vorrangig dem Interesse der Klägerin, die auf diesem Wege die Zahlung der Nutzungsentschädigung sicherstellen wolle. Ein wohlverstandenes Interesse des Beigeladenen an der Abtretung lasse sich auch nicht damit begründen, mit der Abtretung seien Zwangsbeitreibungsmaßnahmen zu verhindern. Solche Maßnahmen seien schon deshalb nicht zu befürchten, weil der Alhi-Anspruch des Beigeladenen unter der Pfändungsfreigrenze von 1.209 DM monatlich liege.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I. Sie vertritt die Ansicht, die Abtretung des Anspruchs auf Alhi in Höhe der durch die Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft der Klägerin entstehenden Nutzungsentschädigung entspreche dem wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen. Die Unterbringung diene der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins. Der Beigeladene müsse andernfalls den Wohnbedarf mit wesentlich höheren Kosten finanzieren. Der Zweck der Alhi rechtfertige die Abtretung, weil die Leistung dazu bestimmt sei, auch die Wohnkosten als Teil des Lebensunterhalts zu bestreiten. Dies gelte um so mehr, als das Einkommen des Beigeladenen zwar unterhalb der Pfändungsfreigrenze liege, seinen Hilfebedarf im Sinne der Sozialhilfe aber übersteige. Der Annahme des LSG, ein wohlverstandenes Interesse an der Abtretung sei nicht anzunehmen, weil dem Beigeladenen ohne die Abtretung nicht die Ausweisung aus der Obdachlosenunterkunft drohe, sei nicht zu folgen. Ständen einem Obdachlosen ausreichende Einkünfte zur Finanzierung der Wohnkosten zur Verfügung, so bestehe kein Unterbringungsanspruch zum „Nulltarif”. Im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr sei die Ordnungsbehörde nicht verpflichtet, eine Unterkunft auf Dauer zur Verfügung zu stellen. Der Beigeladene sei zum Zeitpunkt der Abtretungserklärung bereits über ein Jahr und damit mehr als vorübergehend in der Obdachlosenunterkunft gewesen. Da die Klägerin dem Beigeladenen mangels Bedarfs für andere Obdachlose mehr als nur vorübergehend eine Unterkunft zur Verfügung gestellt habe, habe dieser über den Vorteil der Wohnungsgewährung hinaus die Differenz zu Wohnkosten auf dem freien Markt erspart. Dazu sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, vielmehr habe es in ihrem Ermessen gestanden, die Einweisungsverfügung wegen des über dem Regelsatz der Sozialhilfe liegenden Einkommens des Beigeladenen aufzuheben. Durch die Duldung in der Obdachlosenunterkunft habe der Beigeladene auch den immateriellen Vorteil gezogen, sich Arbeit und eine Wohnung suchen zu können. Die Abtretung habe seine Chancen zur sozialen Rehabilitation erhöht. Nach der Argumentation des LSG wäre die Klägerin gehalten, den Beigeladenen aus der Obdachlosenunterkunft auszuweisen. Diese Folge zu vermeiden, liege im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen.

Nach einem Hinweis des Gerichts auf den Rechtsgedanken des § 184 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) führt die Klägerin aus, zulässige Klageart für die Herbeiführung der Feststellung des wohlverstandenen Interesses des Beigeladenen an der Abtretung sei die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Feststellung wirke nämlich auf den Zeitpunkt der Vorlage der Abtretungserklärung bei der Beklagten zurück. Die Beklagte sei nicht berechtigt, gegenüber der Klägerin Erfüllung durch Zahlung an den Beigeladenen einzuwenden. Hilfsweise werde ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes geltend gemacht. Zwischen der Klägerin und der Beklagten seien noch zwei weitere Verfahren anhängig, die bis zum Abschluß dieses Verfahrens ruhten.

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. März 1999 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 27. August 1997 zurückzuweisen,

    hilfsweise,

  • festzustellen, daß der Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 1997 rechtswidrig und die Beklagte verpflichtet war festzustellen, daß die vom Beigeladenen am 15. November 1996 erklärte Abtretung eines Teiles seiner Leistungsansprüche gegen die Beklagte in Höhe eines monatlichen Betrages von 250 DM an die Klägerin im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen liegt.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Aus diesem Grunde könne auch die Fortsetzungsfeststellungsklage keinen Erfolg haben. Im übrigen sei das erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin erst noch darzulegen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

II

Die Revision der Klägerin ist im Hilfsantrag begründet. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte. Im übrigen ist ihre Revision unbegründet.

1. Sozialrechtliche Ansprüche auf Geldleistungen können nach § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I übertragen und verpfändet werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, daß die Übertragung oder Verpfändung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt.

1.1 Die Vorschrift erweitert Verfügungsmöglichkeiten des Sozialleistungsberechtigten insofern, als sie diese unabhängig von den Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen eröffnet. Nach § 53 Abs 3 SGB I gilt diese Grenze auch für die Übertragbarkeit und Pfändbarkeit von sozialrechtlichen Ansprüchen auf laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind. Andererseits schränkt § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I die Verfügbarkeit insofern ein, als er die Wirksamkeit von Abtretungen an die Feststellung des wohlverstandenen Interesses des Berechtigten durch den zuständigen Sozialleistungsträger knüpft. Es handelt sich bei einer solchen Feststellung um einen gestaltenden Verwaltungsakt; bis zur Feststellung des wohlverstandenen Interesses ist die Abtretung schwebend unwirksam (BSG SozR 3-1200 § 53 Nr 6). Die Vorschrift ist § 119 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) nachgebildet, die – über die in § 119 Abs 1 Nrn 1 bis 4 RVO geregelten Fälle hinaus – ausnahmsweise die Übertragung von Ansprüchen mit Genehmigung des Versicherungsamts erlaubte. Sinn des Genehmigungs- bzw Feststellungsvorbehalts ist der Schutz des Sozialleistungsberechtigten „vor unüberlegten und nachteiligen Übertragungen” (BSG SozR Nr 5 zu § 119 RVO). Nunmehr hat der zuständige Sozialleistungsträger – hier die beklagte BA – zu prüfen, ob die Abtretung des Anspruchs im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt. Gegebenenfalls entspricht sie dem Feststellungsantrag – abweichend von der Rechtslage nach § 119 Abs 2 RVO „darf” – mit einer gebundenen Entscheidung (KassKomm-Seewald § 53 SGB I RdNr 25). Im Falle eines wohlverstandenen Interesses des Sozialleistungsberechtigten an der Abtretung haben sowohl der Sozialleistungsberechtigte (Beigeladene) als auch die Klägerin als Abtretungsgläubigerin einen Anspruch auf entsprechende Feststellung (BSG SozR 1200 § 53 Nrn 2, 8; BSG SozR 3-4100 § 53 Nr 6). Bei dem Tatbestandsmerkmal „wohlverstandenes Interesse des Berechtigten” handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Anwendung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegt (BSG SozR 3-1200 § 53 Nr 6).

1.2 Ein wohlverstandenes Interesse an der Übertragung eines Sozialleistungsanspruchs auf einen Dritten setzt jedenfalls einen gleichwertigen Vorteil zugunsten des Sozialleistungsberechtigten voraus (BSG SozR 3-1200 § 53 Nr 6 mwN). Es ist deshalb für Zeiträume zu verneinen, in denen der Beigeladene seiner Verpflichtung gegenüber der Klägerin zur Zahlung der Nutzungsentschädigung für die Unterbringung nachgekommen ist. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit Revisionsrügen angegriffen und damit für den Senat verbindlich sind (§ 163 SGG), trifft dies bis einschließlich November 1997 zu. Für diese Zeit kann die Klägerin einen Feststellungsanspruch keinesfalls mehr geltend machen. Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung gegen den Beigeladenen, zu dessen Realisierung die Abtretung (erfüllungshalber) dienen sollte, ist erfüllt.

1.3 Auch für Zeiträume, für die der verpflichtete Sozialleistungsträger (BA) die Leistung bereits in vollem Umfang an den Berechtigten erbracht hat, kommt die Feststellung nicht mehr in Betracht. Da der Beigeladene am 1. April 1998 Arbeit aufgenommen hat und damit nicht mehr im Leistungsbezug bei der BA stand, wäre eine Feststellung des wohlverstandenen Interesses für die Abtretung der Leistungsansprüche des Beigeladenen in Höhe der Nutzungsentschädigung von 250 DM allenfalls für die Monate Dezember 1997 bis März 1998 zu erwägen. Eine Verpflichtung der BA zu einer solchen Feststellung setzt aber voraus, daß diese auf abgelaufene Zeiträume zurückwirkt.

Nach § 53 Abs 4 SGB I ist der Leistungsträger zur Auszahlung an den neuen Gläubiger (Klägerin) nicht vor Ablauf des Monats verpflichtet, der dem Monat folgt, in dem er von der Übertragung oder Verpfändung Kenntnis erlangt hat. Die Vorschrift läßt eine spätere Festlegung der Empfangsberechtigung offen. Das erscheint sinnvoll, denn die Feststellung des wohlverstandenen Interesses an einer Abtretung von Sozialrechtsansprüchen setzt eine entsprechende Prüfung voraus (Seewald aaO RdNr 24). Für diesen sowie den hier gegebenen Fall der Anfechtung eines ablehnenden Bescheids ergibt sich die Frage, ob der eingetretene Schwebezustand rückwirkend zugunsten des neuen Gläubigers durch die Feststellung bzw die Verpflichtung zur Feststellung des wohlverstandenen Interesses des Berechtigten an der Abtretung beendet werden kann. Die praktische Bedeutung dieser Frage ist durch den Umstand gekennzeichnet, daß die BA dem Beigeladenen die bewilligten Leistungen – nach der von ihr vertretenen Rechtsansicht folgerichtig – für die Dauer der Arbeitslosigkeit bis zum 31. März 1998 an den Beigeladenen in vollem Umfang ausgezahlt hat. Im Hinblick auf die schwebende Unwirksamkeit der Abtretung ist auch nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage die BA dem Beigeladenen die begehrte Leistung hätte auch nur teilweise vorenthalten können. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Bewilligungsbescheid Rechtsgrund für die Leistung, mit der Folge, daß diese nicht verweigert oder zurückverlangt werden darf, solange der Bewilligungsbescheid nicht durch eine abweichende Gestaltung des Leistungsrechtsverhältnisses geändert worden ist (statt vieler: BSGE 61, 286, 287 = SozR 4100 § 134 Nr 31; BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 9; BSG SozR 3-4100 § 103a Nr 3 mwN).

Eine Rechtsgrundlage für eine abweichende Gestaltung bietet § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X) erst, wenn durch die Feststellung des wohlverstandenen Interesses der Schwebezustand beendet und damit eine Änderung in den Verhältnissen herbeigeführt worden ist. Nur wenn die Feststellung auf den in § 53 Abs 4 SGB X bezeichneten Zeitpunkt zurückwirkt, käme unter den Voraussetzungen des § 152 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz, § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X eine Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit in Betracht. Die Realisierung der Aufhebung – allenfalls wäre der Tatbestand des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X als Rechtsgrundlage anwendbar – erscheint aber rechtlich so fraglich, wie die wirtschaftliche Rückabwicklung nach § 50 Abs 1 SGB X gegenüber einem Alhi-Empfänger. Schon dieser Zusammenhang zeigt, daß eine Rückwirkung nicht im wohlverstandenen Interesse des beigeladenen Sozialleistungsberechtigten liegen kann. Er wäre zumindest der Gefahr eines Rückforderungsanspruches ausgesetzt, obwohl er regelmäßig die ihm erbrachte Leistung verbraucht haben dürfte.

Da eine ausdrückliche Regelung der Rückwirkung einer Feststellung des wohlverstandenen Interesses nach § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I dem Sozialrecht nicht zu entnehmen ist, liegt der Rückgriff auf Vorschriften über die Genehmigung von Rechtsgeschäften als allgemeinen Rechtsgrundsätzen nahe. Die Rückwirkung von Genehmigungen sieht § 184 Abs 1 BGB grundsätzlich vor, „soweit nicht ein anderes bestimmt ist”. Eine dem Bestandsschutz des § 48 SGB X vergleichbare Regelung trifft § 184 Abs 2 BGB: Durch die Rückwirkung werden Verfügungen nicht unwirksam, die vor der Genehmigung über den Gegenstand des Rechtsgeschäfts von dem Genehmigenden getroffen worden sind. Es handelt sich um eine Schutzvorschrift zugunsten desjenigen, der während der schwebenden Unwirksamkeit der Abtretung Rechte von dem Genehmigenden erworben hat (Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl 2000, § 184 RdNr 5). Nach dem Rechtsgedanken des § 184 Abs 2 BGB kann der Beigeladene darauf vertrauen, die von Dezember 1997 bis März 1998 erhaltenen Leistungen behalten zu dürfen. Dies bedeutet nicht notwendig, daß sich auch die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin auf die Wirksamkeit der Verfügung berufen kann. Diese Rechtsfolge wird aber im Schrifttum aus § 407 Abs 1 BGB hergeleitet, weil es Kenntnis der wirksamen Abtretung vor Erteilung der Genehmigung nicht geben kann (Staudinger/Gursky, Kommentar zum BGB, 13. Bearb 1995, § 184 RdNr 29). Die Rückwirkung einer Feststellung auf Zeiträume, für die der abtretende Sozialleistungsberechtigte die Leistung erhalten hat, geht mithin ins Leere, weil die Klägerin als Abtretungsgläubigerin gegen die BA Ansprüche aus abgetretenem Recht nicht mehr geltend machen kann.

Erwägungen in dieser Richtung hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits angedeutet (BSG SozR Nr 5 zu § 119 RVO), ohne allgemeine Rechtsgrundsätze zu erörtern. Im Gegensatz zu dem hier behandelten Sachverhalt hatte das BSG in jener Entscheidung davon auszugehen, „eine Genehmigung (sei) insoweit nicht wirkungslos, als es sich um noch nicht erfüllte Rentenansprüche” handele. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat die BA aber die Alhi-Zahlbeträge für die Zeit von Dezember 1997 bis März 1998 an den Beigeladenen erbracht. Eine Verpflichtung zur Feststellung wäre damit für die Klägerin „wirkungslos”. Ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung, die Abtretung vom 15. November 1996 liege im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen, ist entfallen.

2. Der erstmals im Revisionsverfahren gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist nicht wegen des Verbots der Klageänderung im Revisionsverfahren (§ 168 SGG) unzulässig (BSGE 73, 244, 245 = SozR 3-1500 § 88 Nr 1 mwN).

2.1 Nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG spricht das Gericht im Falle einer Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Hat sich ein Verpflichtungsbegehren erledigt, ist entsprechend auszusprechen, daß die Behörde verpflichtet war, den abgelehnten Verwaltungsakt zu erlassen oder den Kläger anderweit zu bescheiden (BSG SozR 4100 § 91 Nr 5; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 131 RdNr 9). Es genügt insoweit, daß der ursprünglich bestehende Anspruch weggefallen, die Klage also unbegründet ist (Eyermann, VwGO, 10. Aufl. 1998, § 113 RdNr 101). Prozessual ist dieser Anspruch nicht mit der im Hauptantrag verfolgten Feststellung identisch. Mit dem Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Verpflichtungsklage ist der Hauptantrag iS des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG anders als durch Zurücknahme erledigt. Da der Beigeladene einen Leistungsanspruch nur bis zum 31. März 1998 hatte und die Feststellung des wohlverstandenen Interesses – wie ausgeführt – nach Erfüllung des abgetretenen Anspruchs keine Wirkung mehr entfalten kann, ist die Erledigung durch Zeitablauf eingetreten (BSGE 42, 212, 216 = SozR 1500 § 131 Nr 3; BVerwG NVwZ 1989, 158; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 131, RdNr 7). Der Antrag nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG kann auch hilfsweise neben dem Verpflichtungsantrag gestellt werden (BVerwGE 61, 128, 134). Das erscheint gerade dann sinnvoll, wenn erst die Entscheidung über den Hauptantrag Klarheit über den Eintritt der Erledigung schafft.

2.2 Für den Hilfsantrag auf Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet war, das wohlverstandene Interesse auszusprechen, besteht ein Feststellungsinteresse, denn die Klägerin hat zur Überzeugung des Senats im Hinblick auf Parallelfälle obdachloser Leistungsbezieher der BA eine Wiederholungsgefahr rechtswidriger Ablehnung der Feststellung wohlverstandenen Interesses an einer Teilabtretung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zur Erfüllung der durch die Unterbringung zu zahlenden Nutzungsentschädigung dargelegt. Insofern kommt es nicht darauf an, ob ein erneuter Leistungsbezug des Beigeladenen eine Wiederholungsgefahr begründet oder der Hinweis auf einen Amtshaftungsprozeß allein zur Begründung des Feststellungsinteresses ausreicht (dazu: MeyerLadewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 131 RdNr 10c).

2.3 Das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen an der Abtretung in Höhe der Nutzungsentschädigung während der Unterbringung war am 1. Januar 1997 (§ 53 Abs 4 SGB I) begründet. Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „wohlverstandenes Interesse” hängt auch vom Zweck der konkreten Sozialleistung ab (BSG SozR 3-1200 § 53 Nr 6). Bei der Alhi handelt es sich um eine Lohnersatzleistung, die dazu geeignet und bestimmt ist, den laufenden Lebensbedarf des Berechtigten zu decken. Zu diesem gehört auch der Wohnbedarf einschließlich der Nebenkosten. Da der Beigeladene durch die Abtretung den Wohnbedarf sichert, erhält er durch die Abtretung einen wirtschaftlichen Vorteil. Dieser läßt sich nicht mit der Erwägung leugnen, die Ordnungsbehörde sei zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die Sozialbehörde im Rahmen ihrer Aufgabe verpflichtet, Obdachlose unterzubringen. Die angedeutete öffentliche Aufgabe bedeutet nicht, daß eine Unterbringung bei wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Betroffenen unentgeltlich zu erfolgen habe. Vielmehr stellt sich die Unterbringung bei Abtretung des Anspruchs auf Alhi in Höhe der – angesichts sonst üblichen Wohnkosten – angemessenen Nutzungsentschädigung auch als Hilfe zur Selbsthilfe (§ 1 Abs 1 Satz 2 SGB I) dar. Neben dem wirtschaftlichen Bezug vermittelt sie dem Betroffenen den ideellen Vorteil, selbst zur Deckung seines Wohnbedarfs und damit zu seiner gesellschaftlichen Integration beizutragen (Mrozynski, SGB I, 2. Aufl 1995, § 53 RdNr 29; KassKomm-Seewald, § 53 RdNr 21). Gegen das wohlverstandene Interesse kann hier auch nicht eingewandt werden, daß dem Abtretenden für den Lebensbedarf ohne Wohnkosten weniger als der Regelsatz der Sozialhilfe verbleibt; denn das war nicht der Fall.

3. Da die Abtretung aus den erörterten Gründen nicht mehr durchführbar ist, kommt es für die Entscheidung nicht darauf an, ob der Abtretungsvertrag zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen hinreichend bestimmt ist, um auch den Anspruch auf Unterhaltsgeld ab 13. Januar 1997 und den Anspruch auf Alg ab 13. Juni 1997 zu erfassen (dazu BSGE 70, 186, 190 ff = SozR 3-1200 § 53 Nr 4).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 543143

FEVS 2001, 49

JuS 2001, 618

KKZ 2003, 257

NZS 2001, 104

SGb 2000, 412

info-also 2001, 32

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