Beteiligte

Tiefbau-Berufsgenossenschaft

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2000 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.

Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten streitig ist, ob die Beklagte hinsichtlich der Höhe der gewährten Übergangsleistungen ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

Der am 27. September 1934 geborene Kläger leidet an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule, die ihn am 22. September 1991 zur Aufgabe seiner beruflichen Tätigkeit zwang. Bis zum 3. November 1991 erhielt er Lohnfortzahlung von seinem Arbeitgeber; anschließend bezog er bis zum 4. März 1993 Krankengeld. Im Anschluß an den Krankengeldbezug gewährte die Bundesanstalt für Arbeit (BA) dem Kläger Leistungen bis zum 31. Oktober 1995. Seit dem 1. November 1995 bezieht der Kläger Altersrente.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 7. August 1996 in der Gestalt des Abhilfebescheides vom 16. Oktober 1996 die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach der Nr 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl I 2343) – BKVO – an und bewilligte eine Verletztenteilrente in Höhe von 20 vH der Vollrente ab dem 10. Dezember 1992. Außerdem gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 3. November 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1998 ab dem Zeitpunkt der Einstellung der die Wirbelsäule gefährdenden Berufstätigkeit, dem 23. September 1991, bis zum 31. Oktober 1995 eine Übergangsleistung gemäß § 3 Abs 2 BKVO. Diese Leistung stellte die Beklagte aufgrund des jeweils tatsächlich ermittelten Minderverdienstes im ersten Jahr mit fünf Fünfteln, im zweiten Jahr mit vier Fünfteln, im dritten Jahr mit drei Fünfteln, im vierten Jahr mit zwei Fünfteln sowie im fünften Jahr mit einem Fünftel des Minderverdienstes fest. Zur Begründung wies die Beklagte darauf hin, daß der „auszugleichende Verdienstausfall” sich aus einem Vergleich des tatsächlich erzielten Nettoeinkommens mit dem fiktiven Entgelt aus der bisherigen Tätigkeit ergebe. Der Begrenzung der Übergangsleistung sowie der Staffelung liege der Gedanke zugrunde, daß der Versicherte sich innerhalb dieses Zeitraumes auf die neue wirtschaftliche Lage umgestellt habe. Es entspreche deshalb dem Sinn der Leistungen, den Versicherten auf diese wirtschaftliche Situation hinzuführen. Im vorliegenden Fall würden auch keine besonderen Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der sonst gerechtfertigten allgemeinen Praxis gebieten würden.

Das Sozialgericht Berlin (SG) hat die auf eine Neubescheidung gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Oktober 1999). Die Staffelung der Übergangsleistung stehe im Einklang mit der Rechtsprechung. Es sei nicht ermessensfehlerhaft, daß eine Abwägung hinsichtlich besonderer Umstände in den Fällen unterbleibe, wenn hierzu vom Kläger nichts vorgetragen werde. Das Landessozialgericht Berlin (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über die Höhe der dem Kläger für die Zeit vom 23. September 1991 bis zum 31. Oktober 1995 zu gewährenden Übergangsleistung unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu entscheiden (Urteil vom 21. Dezember 2000). Sinn und Zweck des § 3 Abs 2 BKVO sei es, alle wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen, die der erzwungene Berufswechsel verursacht habe; zur Ermittlung dieser Nachteile sei die gesamte wirtschaftliche Lage des Versicherten vor dem schadenbringenden Ereignis mit der danach bestehenden Situation zu vergleichen. Gemessen an diesen Kriterien habe die Beklagte ihr Ermessen nicht entsprechend dem Verordnungszweck ausgeübt. Sie habe den Entschädigungscharakter des § 3 Abs 2 Satz 1 BKVO außer Acht gelassen, indem sie gemeint habe, die dort geregelten Übergangsleistungen seien keine echten Entschädigungsleistungen, sondern allein unterstützende Maßnahmen der Vorbeugung und Krankheitsverhütung. Aber auch nach der älteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG – (BSGE 19, 157, 158) sei die Ermessensausübung ermessensfehlerhaft gewesen, da auch bei einer Staffelung der Leistungen laufend zu prüfen sei, ob nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung gebieten würden. Insbesondere habe die Beklagte ihr Ermessen nicht darauf stützen dürfen, daß der Kläger sich nicht an ein insgesamt zu hohes Fortbestehen des Einkommensniveaus habe gewöhnen dürfen, da dies dem Zweck der Verordnung zuwider laufe, den Versicherten zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu bewegen. Bei der Ermessensausübung habe im Vordergrund zu stehen, wie die Beklagte eine insgesamt angemessene, die finanzielle und soziale Entwicklung des Klägers hinreichend berücksichtigende Entschädigungsleistung gewähren könne.

Mit ihrer – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 3 Abs 2 BKVO. Das LSG habe den geltend gemachten Minderverdienst doppelt berücksichtigt, zum einen bei der Berechnung des Schadens und zum anderen bei der Festsetzung der Übergangsleistung. Dies sei rechtssystematisch nicht zulässig. Zur Ermessensausübung, die sich an dem Zweck der Ermächtigung zu orientieren habe, sei dieser durch Norminterpretation zu ermitteln. Zweck von Übergangsleistungen im Rahmen der Präventionsmaßnahmen sei es, den Versicherten zur Aufgabe seiner gefährdenden Tätigkeit zu bewegen. Das Ziel, dem Versicherten eine Anpassung an die geänderten Verhältnisse zu erleichtern, dürfe auch nicht außer Acht gelassen werden, wenn der Versicherte nach Abschluß des Fünf-Jahres-Zeitraumes Rente beziehe. Die ausgeübte Staffelung habe den Charakter des Regelermessens und werde im Sinne einer Selbstbindung der Verwaltung, wenn keine besonderen Umstände des Einzelfalles vorlägen, auch unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes getroffen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2000 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 1999 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Er beschwert den Kläger iS des § 54 Abs 2 SGG nicht.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Frage, ob die Feststellung der Höhe der gewährten Übergangsleistung rechtmäßig, insbesondere hinreichend begründet ist. Nur insoweit hat der Kläger den Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 3. November 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1998 angefochten. Nur darüber haben die Vorinstanzen entschieden.

Nach § 3 Abs 2 Satz 1 BKVO hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einem Versicherten zum Ausgleich der durch die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Als Übergangsleistung wird ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe der Vollrente, längstens für die Dauer von fünf Jahren, gewährt (§ 3 Abs 2 Satz 2 BKVO). Auf die Übergangsleistung besteht dem Grunde nach ein Anspruch des Versicherten, wenn die rechtlichen Voraussetzungen des § 3 Abs 2 BKVO gegeben sind. Dagegen steht die Entscheidung über Art, Dauer und Höhe der Leistung im pflichtgemäßen Ermessen des Unfallversicherungsträgers (BSGE 78, 261, 262 = SozR 3-5670 § 3 Nr 2 mwN und zuletzt BSG Urteil vom 4. Mai 1999 – B 2 U 9/98 R – HVBG-Info 1999, 2387). Gemäß § 54 Abs 2 Satz 2 SGG hat der Träger der Unfallversicherung bei dieser Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch zu machen. Die Gesichtspunkte, von denen er bei der Ausübung seines Ermessens ausgegangen ist, müssen in der Begründung der Entscheidung erkennbar werden (§ 35 Abs 1 Satz 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch iVm dessen Sätzen 1 und 2).

Die Beklagte hat insbesondere in ihrem Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1998 eine eingehende Begründung für die zeitliche Länge und die von ihr gewählte Staffelung der Übergangsleistung gegeben. Entgegen der Auffassung des LSG ist nicht zu erkennen, daß die Beklagte damit in einer dem Zweck der Ermessensermächtigung nicht entsprechenden Weise (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG) entschieden hat. Der Zweck der Übergangsleistung ist in § 3 BKVO umschrieben. Danach hat sie objektiv eine präventive, krankheitsvorbeugende Funktion und soll den Versicherten veranlassen, die gefährdende Tätigkeit aufzugeben (BSGE 40, 146, 150 = SozR 5677 § 3 Nr 1; BSG Urteil vom 5. August 1993 – 2 RU 46/92 – HV-Info 1993, 2314; BSGE 78, 261, 264 = SozR aaO). Für den Fall, daß der Versicherte die – gefährdende – Tätigkeit einstellt, ist die Übergangsleistung „zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile” zu gewähren. Neben der Anreizfunktion zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit handelt es sich um einen echten Schadensersatzanspruch (BSGE 78, 261, 264 = SozR aaO; BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 3; BSG Urteil vom 4. Mai 1999 aaO), so daß bei der Feststellung der Höhe des Schadens im Rahmen der sog Vorteilsausgleichung auch die durch und nach der Aufgabe der Tätigkeit dem Versicherten zuwachsenden wirtschaftlichen Vorteile zu berücksichtigen sind (vgl BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 3 mwN). Indessen geht dieser Schadensersatzanspruch nicht auf den Ersatz des dem Versicherten danach verbleibenden vollen Schadens iS der sog Naturalrestitution (vgl §§ 249 Satz 1, 252 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Denn § 3 Abs 2 Satz 2 BKVO setzt insoweit Obergrenzen für die Übergangsleistung fest, die keineswegs ausgeschöpft werden müssen und die – selbst bei voller Ausschöpfung – nicht immer den vollen wirtschaftlichen Schaden des Versicherten ersetzen können. § 3 Abs 2 BKVO bezweckt keinen vollständigen Schadensausgleich (BSG Urteil vom 4. Juli 1995 – 2 RU 1/94 – HVBG-Info 1995, 2410). Daher dient die Übergangsleistung nach dem Normprogramm des § 3 Abs 2 BKVO dazu, den Versicherten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles bei der Festigung seiner sich nach der Aufgabe der bisherigen Tätigkeit wandelnden wirtschaftlichen Situation zu stützenund – wenn das unvermeidlich erscheint – ihm einen allmählichen Übergang auf das nun niedrigere wirtschaftliche Niveau zu verschaffen (BSGE 50, 40, 43 = SozR 5677 § 3 Nr 2). Die insoweit maßgeblichen Umstände des Einzelfalles können dazu führen, daß der Unfallversicherungsträger im Rahmen seiner Beobachtungspflicht die Entschädigungsleistung anzupassen oder zu ändern hat.

Von dieser Zwecksetzung ausgehend ist festzustellen, daß die Beklagte von ihrem Ermessen zweckentsprechend Gebrauch gemacht hat. Wie der Begründung im Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1998 zu entnehmen ist, hat die Beklagte erkannt, daß die Übergangsleistung den „Verdienstausfall ausgleichen” soll. Diesen hat sie, ohne daß insoweit Fehler erkennbar oder vom Kläger auch nur behauptet wären, Jahr für Jahr berechnet. Darüber hinaus ist die Beklagte von dem Gedanken ausgegangen, daß sie mit der gewählten Staffelung der Übergangsleistung den Kläger auf seine neue wirtschaftliche Lage hinführen wollte. Sie hat ferner geprüft und verneint, daß besondere Umstände vorliegen. Auch letztere Begründung ist nachvollziehbar. Es ist tatsächlich kein besonderer Umstand, daß das Nettoeinkommen eines Arbeitnehmers nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Beschäftigungsverhältnis bei Bezug von Lohnersatzleistungen absinkt. So war es auch bei dem Kläger, der nach dem ursprünglichen Bezug der Lohnfortzahlung Krankengeld und danach Leistungen der BA erhalten hatte.

Entgegen der Auffassung des LSG trifft es nicht zu, daß die Beklagte den Entschädigungscharakter der Übergangsleistung außer Acht gelassen und gemeint habe, daß die Übergangsleistung „allein unterstützende Maßnahme der Vorbeugung und Krankheitsverhütung sei”. Diese vom LSG genannten Formulierungen tauchen im Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1998 an keiner Stelle auf. Daß die Beklagte schließlich auch bei einer Staffelung der Leistung hier nicht laufend geprüft hat, ob nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung gebieten würden, trifft zwar zu, ist aber hier unschädlich. Denn die Beklagte hat erst mit Bescheid vom 3. November 1997 die Übergangsleistung für fünf Jahre nach dem Ausscheiden des Klägers aus der Beschäftigung am 22. September 1991 gewährt. Die vom LSG verlangte Beobachtung und erforderlichenfalls Anpassung der Übergangsleistung ist indes nur möglich, wenn die Leistung sehr früh schon vor der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit durch den Versicherten oder jedenfalls nur kurz danach bewilligt worden ist. So war es hier nicht. Wohl aufgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten bei der Prüfung des Vorliegens einer BK nach der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO war die Beklagte erst weit nach der Aufgabe der Tätigkeit durch den Kläger in der Lage, die Übergangsleistung festzustellen. Daß sie dabei die Leistung auf längstens fünf Jahre und konkret bis zum Beginn der Altersrente des Klägers begrenzt und eine Staffelung von fünf Fünfteln des Minderverdienstes im ersten Jahr bis zu einem Fünftel im fünften Jahr nach der Aufgabe der Tätigkeit gewählt hat, ist weder von Rechts wegen noch wegen des der Beklagten eingeräumten Ermessensspielraumes zu beanstanden.

Auf die Revision der Beklagten war daher das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI670445

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