Entscheidungsstichwort (Thema)

Kassen-/Vertragsarzt. Fehlen. Diagnose in Abrechnungsunterlagen. Abrechnungsfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Der Kassen-/Vertragsarzt war auch in der Zeit vor dem 1.1.1993 zur Angabe der Diagnose in den Abrechnungsunterlagen verpflichtet.

 

Normenkette

SGB V § 295 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1988-12-20

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 16.09.1992; Aktenzeichen L 7 Ka 26/91)

SG Berlin (Entscheidung vom 15.05.1991; Aktenzeichen S 71 Ka 139/89)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger Honorar für Leistungen in den Quartalen I/89 und II/89 zu zahlen hat, die in den Behandlungsausweisen nur mit den jeweiligen Gebührennummern ohne Angabe der Diagnose verzeichnet wurden.

Der Kläger ist als praktischer Arzt in Berlin niedergelassen und war in den genannten Quartalen zur kassen- und vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Zug seiner Honorarabrechnung für die Quartale legte er der Beklagten auch sechs Kranken- bzw Überweisungsscheine aus dem Bereich der Betriebskrankenkassen und fünf Krankenscheine aus dem Bereich der Ersatzkassen mit einer Honorarforderung von insgesamt 1.686,65 DM zur Abrechnung vor, die auf der Rückseite im Feld der Diagnose einen Aufkleber mit dem Text trugen:

"Dokumentation der Diagnosen erfolgt auf Wunsch des Patienten separat.

Einwilligungserklärung liegt nur für fallweise Datenweitergabe zu Prüfzwecken vor."

Mit Bescheiden vom 30. Juni 1989 und (ohne Tagesangabe) Juli 1989 beanstandete die Beklagte die verzeichneten Leistungen mangels Angabe der Diagnose als nicht abrechnungsfähig und reichte die Behandlungsausweise an den Kläger zurück. Die Widersprüche des Klägers wies sie mit Bescheid vom 6. November 1989 zurück.

Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 15. Mai 1991; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 16. September 1992). Das Berufungsgericht hat einen Vergütungsanspruch des Klägers mit der Begründung verneint, daß die Angabe der Diagnose mit zu den Voraussetzungen gehöre, die der Arzt für seinen Honoraranspruch zu begründen und zu belegen habe. Die Verpflichtung zur Angabe der Diagnose auf dem Krankenschein folge im Rahmen einer systemkonformen Auslegung unmittelbar aus § 295 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuches - Fünftes Buch - (Gesetzliche Krankenversicherung - ≪SGB V≫). Zu den "erbrachten Leistungen", die der Arzt in seinen Abrechnungsunterlagen aufzuzeichnen habe, gehöre begrifflich die "Krankheitsursache", die diese veranlaßt habe. Erst in Kenntnis des Krankheitsbildes könne nachvollzogen werden, ob die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich gewesen seien und damit den Erfordernissen des § 12 Abs 1 SGB V Rechnung getragen worden sei. Die Angabe der Diagnose sei bis Ende 1988 vertraglich vorgesehen und allgemein üblich gewesen und habe der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entsprochen. Diesen Rechtszustand habe § 295 SGB V nicht ändern wollen. Hierfür spreche auch, daß der Gesetzgeber im SGB V die Überwachung der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit kassenärztlicher Leistungen präzisiert und erweitert habe. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) könnten ohne Kenntnis der Diagnose einen wesentlichen Teil ihrer Aufgaben, wie zB die Plausibilitätskontrollen gemäß § 83 Abs 2 SGB V, die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106, 297 SGB V, die Qualitätsprüfung im Einzelfall und die Ermittlung von Praxisbesonderheiten nicht erfüllen. Diese Auslegung werde durch die weitere Rechtsentwicklung (§ 21 Abs 1 Nr 1 des Arzt/Ersatzkassen-Vertrages ≪EKV-Ärzte≫ in der seit 1. Oktober 1990 gültigen Fassung, Neufassung des § 295 Abs 1 Nr 1 SGB V gemäß dem Entwurf des Gesundheitsstrukturgesetzes ≪GSG≫ 1993) bestätigt. Die Begründung zu der gesetzlichen Neuregelung stelle klar, daß in Abrechnungsunterlagen weiterhin die Diagnose anzugeben sei, da sie Bestandteil einer ordnungsgemäßen Leistungsbeschreibung des Arztes und ihre Kenntnis für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der KÄVen und Krankenkassen (KKn) erforderlich sei. Auch die Berücksichtigung der Grundsätze des Datenschutzes führe zu keinem anderen Ergebnis. Das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) werde durch überwiegende Allgemeininteressen beschränkt. Die Übermittlung von Diagnosen sei im Rahmen der Funktionsfähigkeit des kassenärztlichen Systems erforderlich und insofern auch verhältnismäßig. In das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Patienten werde nur begrenzt eingegriffen, da die Daten nur innerhalb des kassenärztlichen Versorgungssystems unter Beachtung der bestehenden Aufgabenzuteilung und an selbst zur Geheimhaltung verpflichtete Informationsempfänger weitergegeben würden. Ein Umkehrschluß aus § 301 Abs 1 Nr 2 SGB V überzeuge nicht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Offenlegung von Diagnosen auf Krankenscheinen bedürfe einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Vertragliche Regelungen oder allgemeine historische und systematische Erwägungen reichten nicht aus. Aus dem SGB V in der bis zum Dezember 1992 geltenden Fassung ergebe sich keine ausdrückliche Ermächtigungsnorm. Eine solche könne auch nicht konkludent dem Gesetz entnommen werden. Die Diagnose gehöre begrifflich nicht zu den "erbrachten Leistungen" iS des § 295 Abs 1 Nr 1 SGB V aF. Auch die Klarstellung des Gesetzgebers in § 295 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V idF des GSG führe zu keiner anderen Beurteilung. Durch die Neuregelung sei eine Änderung der Gesetzeslage eingetreten, denn die Diagnosen seien nunmehr zu verschlüsseln. Dies bedeute, daß die vorherige offene Diagnoseangabe einen unverhältnismäßigen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Versicherten darstelle und rechtswidrig sei. Darüber hinaus sei die Angabe der Diagnose auch nicht notwendig, sondern könne im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung von dem Arzt auch nachträglich verlangt werden. Aufgreifkriterium sei allein die statistische Häufigkeit der Leistungserbringung und nicht die Diagnose. Diese sei auch nicht erforderlich, um Praxisbesonderheiten festzustellen, denn Einstieg in die Prüfungen seien immer und ausschließlich die Leistungsstatistiken.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 16. September 1992 und des Sozialgerichts Berlin vom 15. Mai 1991 sowie die Bescheide der Beklagten vom 30. Juni 1989 und Juli 1989 idF des Widerspruchsbescheides vom 6. November 1989 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die beanstandeten Leistungen für die Quartale I/89 und II/89 zu vergüten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Angabe bloß der Gebührennummern des Bewertungsmaßstabes für kassenärztliche Leistungen (BMÄ) oder der Ersatzkassen-Gebührenordnung (E-GO) auf dem Behandlungsausweis genüge nicht, denn diese sagten für sich allein nichts darüber aus, ob die erbrachten Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich gewesen seien. Als Kassen- und Vertragsarzt sei der Kläger verpflichtet gewesen, seine Honoraranforderungen zu begründen und zu belegen. Das sei aber nur der Fall, wenn nachvollzogen werden könne, ob die ärztliche Behandlung den genannten Kriterien entspreche.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und treten der Auffassung des Klägers entgegen.

Die Beigeladene zu 3) sieht von einer Stellungnahme ab und stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger zutreffend die Behandlungsausweise der Quartale I/89 und II/89, auf denen auf der Rückseite das Feld der Diagnose mit dem Aufkleber abgedeckt war, als nicht abrechnungsfähig zurückgegeben und die Honorierung der darauf verzeichneten Leistungen abgelehnt.

Bei der erhobenen Klage handelt es sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage iS des § 54 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Bei einer solchen Klage ist zwar für die Frage, welches Recht bei der Prüfung der Begründetheit der geltend gemachten Ansprüche zugrunde zu legen ist, wenn nach Erlaß des Verwaltungsaktes bzw nach Erhebung der Klage Rechtsänderungen eingetreten sind, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht abzustellen (BSGE 43, 1, 5 = SozR 2200 § 690 Nr 4; BSGE 68, 47, 48 = SozR 3-2500 § 159 Nr 1; BSGE 70, 285, 289 = SozR 3-2500 § 122 Nr 3; BSGE 73, 25, 27 = SozR 3-2500 § 116 Nr 4). Rechtsänderungen, die während der Rechtshängigkeit der Leistungsklage eintreten, sind grundsätzlich vom Gericht zu beachten, auch wenn sie erst nach Erlaß der mit der Revision angefochtenen gerichtlichen Entscheidung in Kraft getreten sind. Hiernach wäre für die Beurteilung der Begründetheit des Klagebegehrens die Neufassung des SGB V, insbesondere der §§ 294, 295 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V, durch das GSG vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) maßgebend. Voraussetzung hierfür ist aber, daß das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfassen will (BSGE 43, 1, 5; 68, 47, 48; 73, 25, 27). Das ist für die Neufassung der §§ 294, 295 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V nicht der Fall. Das GSG enthält in seinen Überleitungsvorschriften (Art 33 GSG) keine besonderen Bestimmungen, die die zeitliche Wirkung der Änderung auf zurückliegende Zeiträume ausdehnt. Die Leistungspflicht der Beklagten - und ebenso die für sie präjudizielle Pflicht des Klägers zur Angabe der Diagnose - beurteilt sich daher nicht nach dem ab 1. Januar 1993 geltenden Recht, sondern nach der bis zum 31. Dezember 1992 bestehenden Regelung des SGB V in der Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) - SGB V aF.

Zu Recht hat die Beklagte ihre Vergütungspflicht für die vom Kläger ohne Angabe der Diagnose abgerechneten Leistungen nach dem SGB V aF verneint. Voraussetzung für einen Honoraranspruch des Arztes war (und ist), daß er eine Leistung erbrachte, die der Versicherte nach § 12 Abs 1 SGB V beanspruchen konnte und zu deren Erbringung der Arzt nach § 70 Abs 1, § 72 Abs 2 SGB V berechtigt und verpflichtet war. Das war nur bei einer ärztlichen Versorgung gegeben, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich war und das Maß des Notwendigen nicht überschritt. Im Streitfall hatte der Arzt seine Honoraranforderung zu begründen und zu belegen (BSG SozR 2200 § 368n Nr 57 S 198). Mit den eingereichten Behandlungsausweisen gab der Kläger keine ausreichende Begründung für seinen Zahlungsanspruch. Aufgrund der §§ 294, 295 Abs 1 Nr 1 SGB V aF iVm § 31 Abs 1 BMV-Ä vom 28. August 1978 (BMV-Ä aF), § 3 Nr 3 EKV-Ärzte vom 20. Juli 1963 (EKV-Ärzte aF) und der am 1. April 1979 in Kraft getretenen "Vereinbarung über Vordrucke für die kassenärztliche Versorgung (Vordruckvereinbarung)" hätte er hierzu auf den Behandlungsausweisen außer den sonstigen Daten auch die Diagnosen angeben müssen.

Nach § 294 SGB V aF waren die an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte verpflichtet und befugt, die für die Erfüllung der Aufgaben der KKn sowie der KÄVen notwendigen Angaben, die aus der Erbringung, der Verordnung sowie der Abgabe von Versicherungsleistungen entstehen, aufzuzeichnen und gemäß den nachstehenden Vorschriften den KKn, den KÄVen oder den mit der Datenverarbeitung beauftragten Stellen mitzuteilen. Inhaltlich näher bestimmt wurde diese allgemeine Regelung ua durch § 295 Abs 1 Nr 1 SGB V aF, der die an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte verpflichtete, in den Abrechnungsunterlagen für die kassen- und vertragsärztlichen Leistungen die von ihnen erbrachten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung, bei zahnärztlicher Behandlung auch mit Zahnbezug, aufzuzeichnen. Gemäß § 295 Abs 3 Nrn 1 bis 3 SGB V aF vereinbarten die Spitzenverbände der KKn und die Kassenärztliche Bundesvereinigung als Bestandteil der Verträge nach § 82 Abs 1 und § 87 Abs 1 SGB V das Nähere über Form und Inhalt der Abrechnungsunterlagen für die kassen- und vertragsärztlichen Leistungen, Form und Inhalt der im Rahmen der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung erforderlichen Vordrucke und die Erfüllung der Pflichten der Kassen- und Vertragsärzte nach Abs 1. Aus dieser Regelung folgte iVm § 31 Abs 1 BMV-Ä aF, § 3 Nr 3 EKV-Ärzte aF und der Vordruckvereinbarung Ziff 2.5. - Muster 5: "Krankenschein" - sowie Ziff 2.6 - Muster: "Überweisungsschein" - die Verpflichtung der abrechnenden Ärzte, auf den zur Abrechnung einzureichenden Kranken- bzw Überweisungsscheinen in dem eigens dafür vorgesehenen Feld die Diagnose bzw den Krankheitsverdacht anzugeben.

Die genannten Vorschriften ordneten zwar ihrem Wortlaut nach eine Pflicht des Arztes zur Angabe der Diagnose in den Abrechnungsunterlagen nicht an. Hieraus wurde von verschiedenen Autoren geschlossen, daß wegen der enumerativen Aufzählung der Datenarten in § 295 Abs 1 SGB V aF die Diagnose nicht mehr auf den Abrechnungsscheinen vermerkt werden dürfe, § 295 Abs 1 Nr 1 SGB V aF vielmehr insoweit abschließend sei (Hauck/Haines, SGB, Gesetzliche Krankenversicherung, Komm, § 295 Anm 6, 14; Krauskopf, SGB V, § 15 Anm 7; Borchert, Arztrecht, 1990, 171, 177; Schad, Krankenversicherung 1992, 69, 71). Die Verpflichtung zur Angabe der Diagnose im Krankenschein ergab sich aber bei Auslegung des § 295 Abs 1 Nr 1 SGB V aF nach Sinn, Zweck und rechtssystematischem Zusammenhang.

Unter dem Begriff der "erbrachten Leistungen", wie er in § 295 Abs 1 Nr 1 SGB V aF gebraucht wurde und in § 295 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V nF weiterhin verwendet wird, sind die ärztlichen Maßnahmen zu verstehen, die vergütungs-relevant sind und Gegenstand der Prüfung auf Abrechnungsrichtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Qualität sein können (Hauck/Haines, aaO, § 295 RdNr 3). Entsprechend der Grundanlage des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung sind dies nur die Leistungen, die die KKn im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrages gemäß § 72 Abs 1 SGB V ihren Versicherten schulden. Sie müssen nach § 12 Abs 1 Satz 1, § 70 Abs 1 Satz 2 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nach § 12 Abs 1 Satz 2 SGB V nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die KKn nicht bewilligen.

Um die Voraussetzungen, die hierdurch für die Leistungspflicht der KKn und daran anschließend für die Befugnis der Ärzte zur Behandlung iS des § 28 Abs 1 SGB V sowie den Sicherstellungsauftrag der KÄVen aufgestellt sind, im Einzelfall näher bestimmen und konkrete ärztliche Leistungen auf ihre Übereinstimmung mit den genannten gesetzlichen Anforderungen prüfen zu können, ist die Angabe der Diagnose unerläßlich. Erst die Diagnose als die Beurteilung vorliegender Befunde oder Symptome im Hinblick auf eine Therapie ermöglicht, den mit den Leistungskriterien Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit bezeichneten Sinn- und Funktionszusammenhang zwischen festgestelltem Gesundheitszustand des zu behandelnden Versicherten und geeigneten und notwendigen Behandlungsmaßnahmen herzustellen und zu Prüfzwecken nachzuvollziehen. Die Angabe allein der Gebührenpositionen oder der Leistungsbeschreibungen der Gebührenordnungen reicht dazu nicht aus. Mit solchen Angaben wird nur aufgezeigt, daß eine Behandlung der bezeichneten Art überhaupt erfolgt ist, nicht zugleich aber, ob die ergriffenen Maßnahmen auch den gesetzlichen Vorgaben für eine vorschriftsmäßige ärztliche Versorgung genügt haben.

Die Auslegung des Begriffes "erbrachte Leistungen" in § 295 Abs 1 Nr 1 SGB V aF im dargelegten Sinn stimmt gehaltlich auch mit den Regelungen überein, die die Befugnis der KKn und KÄVen zur Datenerhebung und -erfassung (§§ 284 ff SGB V aF) und die Aufgaben des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§§ 275 ff SGB V aF) betreffen. Nach § 284 Abs 1 Satz 1 Nrn 4, 8, 9, 10 SGB V aF durften die KKn personenbezogene und personenbeziehbare Daten für Zwecke der Krankenversicherung nur erheben und erfassen, soweit diese für die Prüfung der Leistungspflicht und die Gewährung von Leistungen an Versicherte, die Abrechnung mit den Leistungserbringern, die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung und die Abrechnung mit anderen Leistungsträgern erforderlich waren. Nach § 285 Abs 2 SGB V aF durften die KÄVen Einzelangaben über die persönlichen und sachlichen Verhältnisse der Versicherten nur erheben und erfassen, soweit dies zur Erfüllung der in Abs 1 Nrn 5 und 6 genannten Aufgaben erforderlich war; Abs 1 Nrn 5 und 6 nannten als Aufgaben die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen gemäß § 106 SGB V aF und von Qualitätsprüfungen gemäß § 136 SGB V aF. Der Medizinische Dienst durfte personenbezogene Daten nach § 276 Abs 2 Satz 1 SGB V aF nur erheben und erfassen, soweit dies für die Prüfungen, Beratungen und gutachtlichen Stellungnahmen erforderlich war, zu denen er von den KKn gemäß § 275 SGB V aF herangezogen werden konnte. Sowohl für die KKn und KÄVen als auch für den Medizinischen Dienst setzte die Erfüllung der angeführten Aufgaben voraus, daß die jeweils zugrunde zu legenden Daten der ärztlichen Leistungen neben anderen Merkmalen auch die Diagnose umfaßten. Denn sachlicher Bezugspunkt der Regelungen waren die Befugnis und Verpflichtung zur Leistungserbringung; diese waren aber ihrerseits durch §§ 1, 11 SGB V auf den Zustand der Gesundheit bzw Krankheit und damit auf Begriffe bezogen, die als Grundlage für die verschiedenen Versicherungsleistungen des § 11 Abs 1 SGB V im Einzelfall stets der Konkretisierung durch einen behandelnden Arzt, das aber heißt einer bestimmten medizinischen Beurteilung im Sinne einer Diagnosestellung, bedurften.

Daß das Gesetz die Angabe der Diagnose als Teil der ärztlichen Dokumentation nicht grundsätzlich verneinte, im Gegenteil als Teil der Angaben eines Leistungserbringers gegenüber den KKn sogar ausdrücklich vorschrieb, zeigte § 301 Abs 1 Nrn 2 und 4, Abs 2 Satz 1 SGB V aF. Wenn hier den Krankenhäusern aufgegeben wurde, den KKn die Aufnahme- wie die Entlassungsdiagnose zu übermitteln, und die einzige Einschränkung in dem Auftrag an die Spitzenverbände der KKn und die Deutsche Krankenhausgesellschaft bestand, eine geeignete Verschlüsselung zu vereinbaren, so konnte dies nur bedeuten, daß die Angabe der Diagnose als solche nicht verboten war, vielmehr nur die Übermittlung der Diagnose entsprechend dem datenschutzrechtlichen Zweck der Vorschrift (s BT-Drucks 11/3480 S 70 zu § 309) geregelt werden sollte.

Für die dargelegte Auslegung des § 295 Abs 1 Nr 1 SGB V aF spricht schließlich auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. In der Reichsversicherungsordnung (RVO) fehlte eine vergleichbare Bestimmung. Der Senat hat jedoch schon für die damalige Rechtslage in zwei Entscheidungen aus den Jahren 1983 und 1985 (6 RKa 10/82 = BSGE 55, 150 = SozR 2200 § 368 Nr 8, und 6 RKa 14/83 = BSGE 59, 172 = SozR 2200 § 368 Nr 9) die Befugnis wie Verpflichtung der Kassen- und Vertragsärzte anerkannt, den KÄVen bestimmte Patientendaten unabhängig von einer Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht zur Verfügung zu stellen, soweit die KÄVen diese Unterlagen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen oder vertraglichen Aufgaben brauchten. Der in Nr 2.5 der ab 1. April 1979 geltenden Vordruckvereinbarung als Vordruckmuster 5 vorgeschriebene Krankenschein enthielt auf der Rückseite ein Feld "Diagnose(n)", der als Vordruckmuster 6 vorgeschriebene Überweisungsschein auf der Vorderseite ein Feld "wegen (Diagnose/Verdacht auf)". Damit war entsprechend dem Rechtsnormcharakter der vertraglichen Bestimmungen, auf denen die Vordruckvereinbarung beruhte (§ 31 Abs 1 BMV-Ä aF und § 3 Nr 3 EKV-Ärzte aF), die Angabe der Diagnose auf dem Krankenschein verbindlich angeordnet.

An diesem Rechtszustand wurde durch die Einführung des § 295 Abs 1 Nr 1 SGB V aF nichts geändert. Im Entwurf der Bundesregierung für ein Gesundheits-Reformgesetz ≪GRG≫ (BR-Drucks 200/88) war eine Regelung, wie sie später in § 295 Abs 1 SGB V aF Gesetz wurde, noch nicht vorgesehen. Als § 302 war lediglich die spätere Regelung des § 294 SGB V aF formuliert; als § 303 war eine Regelung vorgesehen, die den späteren Vorschriften des § 295 Abs 3 und 5 SGB V aF zum großen Teil entsprach. Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (BT-Drucks 11/2237) übernahm beide Regelungen. Übereinstimmend wurde für beide Entwürfe als Begründung angeführt (s BR-Drucks 200/88 S 237, BT-Drucks 11/2237 S 237), daß die Vorschrift des § 302 die Offenbarungsbefugnis der Leistungserbringer regele. Sie solle ferner die Voraussetzungen für bundeseinheitliche Verfahren zur Dokumentation des Leistungsgeschehens und zur Weitergabe der Daten der Leistungsabrechnung in den einzelnen Versorgungsbereichen schaffen. Zu § 303 Abs 1 wurde ausgeführt, die Vorschrift enthalte die gesetzlichen Vorgaben für die Leistungsabrechnungen; die Regelung der Einzelheiten bleibe den Vertragspartnern vorbehalten.

Der Entwurf des GRG, der aufgrund der Beschlüsse des Ausschusses für Arbeit- und Sozialordnung (11. Ausschuß) formuliert wurde (BT-Drucks 11/3320), brachte in §§ 292, 293 die Neuregelung über die personenbezogenen Daten bei den KKn und bei den KÄVen, die als §§ 284, 285 SGB V aF Teil des endgültigen Gesetzestextes wurden. Unter Beibehaltung des § 302 des Reg.-Entwurfes (= § 294 SGB V aF) wurde mit § 303 Abs 1 und 2 die Regelung vorgeschlagen, die später in § 295 Abs 1 und 2 SGB V aF Gesetz wurde. Zugleich wurde als § 303 Abs 3 die Bestimmung formuliert, die als § 295 Abs 3 SGB V aF schließlich beschlossen wurde. Als wichtige Frage wurde in der Einzelberatung des 11. Ausschusses unter dem Gesichtspunkt der Transparenz darauf hingewiesen, daß die Verarbeitung personenbezogener Gesundheitsdaten, die zu einem guten Teil der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, von besonderer Sensibilität sei. Für die Durchführung von Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen solle allerdings eine ausreichende Datengrundlage ermöglicht werden (Bericht des 11. Ausschusses, BT-Drucks 11/3480 S 29). Die Änderungen und Ergänzungen beschränkten sich auf den aus datenschutzrechtlichen Gründen zwingend gebotenen gesetzlichen Regelungsbedarf. Danach sei es geboten, die Grundlagen für die Erfassung, Übermittlung, Verwertung und Löschung personenbezogener Daten gesetzlich zu regeln. Die nähere Ausgestaltung im einzelnen bleibe - wie bisher - den jeweiligen Vertragspartnern vorbehalten. Die Erfassung, Verwendung und Übermittlung von Leistungs- und Gesundheitsdaten werde nur für die im Gesetz bezeichneten Zwecke zugelassen und im Umfang auf das für den jeweiligen Zweck unerläßliche Minimum beschränkt. Damit sei ausgeschlossen, patientenbezogene Gesundheitsprofile und Leistungskonten zu erstellen. Anstelle bisher vorgesehener vertraglicher Ermächtigungen enthalte § 303 Abs 1 und 2 (= § 295 Abs 1 und 2 SGB V aF) aus datenschutzrechtlichen Gründen nunmehr gesetzliche Verpflichtungen für Ärzte und KÄVen (BT-Drucks 11/3480 S 42/43, 67, 69).

Aus diesem Gesetzgebungsverfahren ergibt sich, daß mit den neuen Regelungen der §§ 292, 293, 303 des Entwurfes (= §§ 284, 285, 295 SGB V aF) dem Recht der Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung im Rahmen der krankenversicherungsrechtlichen Datenverwendung und -verarbeitung Rechnung getragen werden und im besonderen der Inhalt der Abrechnungsunterlagen auf einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung des Arztes beruhen sollte. Die Einführung der zuvor nur für die Diagnoseübermittlung durch die Krankenhäuser vorgeschriebenen Verschlüsselung (§ 301 Abs 2 Satz 1 SGB V aF) auch für die Diagnoseübermittlung der niedergelassenen Ärzte in § 295 Abs 1 Satz 2 SGB nF zeigte, daß bei der Neufassung durch das GSG der Datenschutz im Vordergrund der Regelung stand. Den Gesetzesmaterialien ist aber nicht zu entnehmen, daß der Gesetzgeber zugleich auch die bisherige Praxis der Diagnoseangabe auf dem Krankenschein ändern wollte; insofern sollte es offensichtlich bei dem schon zuvor bestehenden Rechtszustand bleiben. Für eine solche Absicht des Gesetzgebers spricht auch, daß die Gesetzesmaterialien des GSG die Aufnahme der Verpflichtung zur Diagnoseangabe in den Gesetzeswortlaut gleichsam zusammenfassend als "Klarstellung" rechtfertigten (BT-Drucks 12/3209 S 60; 12/3608 S 122). Damit war offensichtlich gemeint, daß das bisher geltende Recht zwar seinem Inhalt nach die Verpflichtung schon mitenthielt, im Blick auf aufgetretene Streitigkeiten dies jetzt aber der Eindeutigkeit halber auch der Wortlaut zum Ausdruck bringen sollte.

Keine Bedeutung für die Entscheidung des Rechtsstreits hat der Einwand des Klägers, die Diagnoseangabe verletze das informationelle Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Versicherten. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieses Recht durch die Übermittlung der Diagnose an die KKn und KÄVen verletzt wird oder nicht. Jedenfalls ist der Kläger nicht schon kraft seiner Stellung als behandelnder Arzt legitimiert, dieses höchstpersönliche Recht seiner Patienten in eigenem Namen und in eigenem Interesse geltend zu machen. Für eine besondere Ermächtigung des Klägers zur Geltendmachung des Rechts in fremdem Namen jeweils durch die einzelnen Patienten, deren Behandlungsausweise er vorlegte, ist unabhängig davon, ob eine solche Ermächtigung überhaupt zulässig wäre, nichts vorgetragen und kein Anhalt aus dem sonstigen Akteninhalt gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 72, 148, 156 ff) die Vorschrift des § 193 Abs 4 SGG in der durch Art 15 Nr 2 GSG geänderten Fassung in Verfahren, in denen das Rechtsmittel vor dem 1. Januar 1993 eingelegt worden ist, nicht anzuwenden.

 

Fundstellen

AusR 1995, 25

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