Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflicht - Beitragspflicht - Praktikant - entgeltliches Vorpraktikum - Beschäftigung zur Ausbildung - Vorrang der Arbeitnehmerversicherung

 

Leitsatz (redaktionell)

Während eines entgeltlichen Vorpraktikums bestand im Jahre 1989

a) in der Rentenversicherung und nach dem Arbeitsförderungsrecht Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund einer Beschäftigung zur Ausbildung (Fortführung von BSG vom 21.2.1990 - 12 RK 12/87 = BSGE 66, 211 = SozR 3-2940 § 2 Nr 1; BSG vom 11.6.1992 - 12 RK 46/90 = SozR 3-2940 § 2 Nr 2),

b) in der Krankenversicherung keine Versicherungspflicht aufgrund einer Beschäftigung (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V), sondern Versicherungspflicht als Praktikant (§ 5 Abs 1 Nr 10 SGB V).

 

Normenkette

BBiG § 19; AFG § 169b S. 1 Nr. 2; SGB V § 5 Abs. 7 Fassung 1988-12-20; SGB IV § 7 Abs. 2 Fassung 1976-12-23, Abs. 1 Fassung 1978-12-23; AVG § 4 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 10 Fassung 1988-12-20; RVO § 1228 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23; AFG § 168 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1969-06-25; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fassung 1988-12-20, § 8 Abs. 1 Nr. 5 Fassung 1988-12-2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 20.08.1992; Aktenzeichen L 5 K 75/91)

SG Speyer (Entscheidung vom 09.07.1991; Aktenzeichen S 9 K 77/90)

 

Tatbestand

Streitig ist die Versicherungs- bzw Beitragspflicht während eines Vorpraktikums.

Der privat krankenversicherte Kläger wollte im Herbst 1989 das Studium des Maschinenbauwesens aufnehmen. Die Studienordnung des Fachbereichs Maschinenwesen der Universität schrieb als Zulassungsvoraussetzung ein Vorpraktikum von acht Wochen vor. Um diese Voraussetzung zu erfüllen und gleichzeitig einen Teil des ebenfalls vorgeschriebenen Grundpraktikums zu absolvieren, war der Kläger vom 24. Juli bis 13. Oktober 1989 bei einer Firma berufspraktisch tätig. Die Firma zahlte ihm bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden eine monatliche Ausbildungsvergütung von 674,00 DM brutto, auf die sie Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Vorderpfalz abführte. Im August 1989 immatrikulierte sich der Kläger für das am 1. Oktober 1989 beginnende Wintersemester.

Auf seinen Antrag befreite die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 29. August 1989 für die Zeit vom 1. Oktober 1989 an von der Krankenversicherungspflicht als Student oder Praktikant. Gegenüber dem Einwand des Klägers, er müsse bereits vom 24. Juli an (Beginn des Praktikums) von der Versicherungspflicht befreit werden, wies die Beklagte mit Schreiben vom 28. September 1989 auf die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) hin, die auch für entgeltlich beschäftigte Praktikanten gelte und von der es keine Befreiung gebe. Auch Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V bestehe nur für ein Praktikum während des Studiums. Im Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 1990 nahm die Beklagte außerdem auf § 2 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und auf § 168 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Bezug.

Nach Beiladung der Firma (Beigeladene zu 1), der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Beigeladene zu 2) und der Bundesanstalt für Arbeit (Beigeladene zu 3) hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 9. Juli 1991 die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 20. August 1992 keinen Erfolg. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Kläger sei während des Praktikums zu seiner Berufsausbildung abhängig beschäftigt gewesen. Wegen der Entgeltlichkeit dieser Beschäftigung sei die Versicherungspflicht als Praktikant nach § 5 Abs 1 Nr 10 SGB V durch die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V ausgeschlossen, so daß sich die Frage der Befreiung von der Versicherungspflicht der Studenten oder Praktikanten nach § 8 Abs 1 Nr 5 SGB V nicht stelle. Auch unter Berücksichtigung der Immatrikulation und des Semesterbeginns am 1. Oktober 1989 sei die Krankenversicherungspflicht nicht anders zu beurteilen, weil Zeit und Arbeitskraft im Hinblick auf die wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden nicht überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen worden seien. Für die Rentenversicherung und das Arbeitsförderungsrecht gelte nichts anderes.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Während des Revisionsverfahrens sind die Allgemeinen Ortskrankenkassen in Rheinland-Pfalz zur Beklagten vereinigt worden. Der Kläger rügt eine Verletzung des § 5 Abs 1 Nr 1 und Nr 10 und des § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V. Die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und die Beitragspflicht nach dem AFG folgten den für die Krankenversicherung geltenden Grundsätzen.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des LSG vom 20. August 1992 und das Urteil des SG vom 9.

Juli 1991 sowie den Bescheid der AOK Vorderpfalz vom 28. September

1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 1990

aufzuheben und festzustellen, daß er (der Kläger) während des

Vorpraktikums vom 24. Juli 1989 bis 13. Oktober 1989 in der

Krankenversicherung und in der Rentenversicherung versicherungsfrei

sowie nach dem AFG beitragsfrei gewesen ist,

hilfsweise, die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 29.

August 1989 und 28. September 1989 in der Gestalt des

Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 1990 zu verpflichten, ihn in der

Krankenversicherung auch für die Zeit vom 24. Juli 1989 bis 30.

September 1989 von der Versicherungspflicht als Praktikant zu

befreien,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm die Arbeitnehmeranteile an den

entrichteten Beiträgen zu erstatten.

Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 2) und 3) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist hinsichtlich des Hauptantrags unbegründet, hinsichtlich des Hilfsantrags begründet.

Der Antrag unter Ziffer 1 enthält im Hauptbegehren eine zulässige Anfechtungs- und Feststellungsklage und hilfsweise eine ebenfalls zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung. Den Ausführungen der AOK im Bescheid vom 28. September 1989 und im Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 1990 ist im Zusammenhang zu entnehmen, daß für die Zeit des Praktikums die Versicherungspflicht bzw die Beitragspflicht auf Grund einer Beschäftigung festgestellt werden sollte. Der Hinweis im Bescheid auf eine mögliche Versicherungsfreiheit als Werkstudent (§ 6 Abs 1 Nr 3 SGB V) ändert daran nichts, zumal er im Widerspruchsbescheid nicht wiederholt wird. Außerdem enthält der Bescheid vom 28. September 1989 die Ablehnung eines Befreiungsantrags von der Versicherungspflicht als Praktikant (§ 8 Abs 1 Nr 5 SGB V) für die Zeit vor dem 1. Oktober 1989, den der Kläger mit Schreiben vom 22. September 1989 zur Ergänzung des Befreiungsbescheids vom 29. August 1989 gestellt hatte.

Der Kläger war während seiner berufspraktischen Tätigkeit vom 24. Juli bis zum 13. Oktober 1989 versicherungspflichtig in der Rentenversicherung und beitragspflichtig nach dem AFG.

In der Rentenversicherung beruht die Versicherungspflicht auf § 2 Abs 2 Nr 1 und § 7 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) sowie auf § 2 Abs 1 Nr 1 AVG. Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, werden in § 2 Abs 2 Nr 1 SGB IV der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige unterworfen. § 7 Abs 1 SGB IV beschreibt die Beschäftigung als nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis; dem ist in Abs 2 der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fähigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung gleichgestellt. Speziell in der Rentenversicherung der Angestellten wurden nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG alle Personen versichert, die als Angestellte gegen Entgelt oder als Lehrling oder sonst zu ihrer Ausbildung für den Beruf eines Angestellten beschäftigt waren. Im Arbeitsförderungsrecht sind nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG Personen beitragspflichtig, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Gemäß § 173a AFG gilt § 7 SGB IV entsprechend.

Die Voraussetzungen der Versicherungs- bzw Beitragspflicht waren beim Kläger erfüllt. Das LSG hat bindend festgestellt (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫), daß der Kläger in den Betrieb der Beigeladenen zu 1) eingegliedert und weisungsunterworfen, also abhängig war. Das Studium des Maschinenbauwesens führt regelmäßig zu einem Angestelltenberuf.

Trotz des Bezugs der berufspraktischen Tätigkeit zum Hochschulstudium war der Kläger beschäftigt iS des § 7 SGB IV. Diese Vorschrift dehnt in Abs 2 den Begriff der Beschäftigung auf den Erwerb von Kenntnissen, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen der betrieblichen Berufsbildung aus; nach der Rechtsprechung zur Rentenversicherungspflicht von Rechtspraktikanten der einstufigen Juristenausbildung sind berufliche Praktika Beschäftigungsverhältnisse in diesem Sinne, sofern keine Besonderheiten vorliegen. Im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Berufsbildungsgesetz (BBiG) kann eine Ausnahme insbesondere dann eingreifen, wenn das Praktikum auf Grund landesrechtlicher Vorschriften in die Hochschul- oder Fachschulausbildung eingegliedert und deshalb als Teil des Studiums anzusehen ist, für den § 19 BBiG nicht gilt (BSGE 64, 130, 134 = SozR 2200 § 1232 Nr 26 und BSGE 66, 211, 213 = SozR 3-2940 § 2 Nr 1; siehe auch BSG SozR aaO Nr 2; zu § 19 BBiG: BAGE 26, 198 = AP Nr 3 zu § 3 BAT; BAGE 35, 173 = AP Nr 1 zu § 19 BBiG). Ein Beschäftigungsverhältnis nach § 7 Abs 2 SGB IV ist mangels betrieblicher Berufsbildung iS des § 19 BBiG jedoch nur zu verneinen, wenn die praktische Ausbildung im wesentlichen außerbetrieblich, also durch die Ausbildungsstätte (Hochschule) geregelt und gelenkt wird. Wie durch die Bezugnahme auf § 19 BBiG klargestellt ist, kommt es demgegenüber nicht darauf an, ob berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses iS des § 1 Abs 2 BBiG vermittelt werden (für einen Studienreferendar verneinend BAGE 46, 270 = AP Nr 1 zu § 9 BPersVG; zur Abgrenzung Urteil des erkennenden Senats vom 3. Februar 1994 - 12 RK 6/91, zur Veröffentlichung bestimmt).

Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich mit der dadurch aufgeworfenen Frage der Verknüpfung zwischen praktischer Tätigkeit und Studium bisher nur befaßt, wenn der Praktikant gleichzeitig an der Universität immatrikuliert war (BSG aaO; insoweit in SozR 3-2940 § 2 Nr 2 allerdings nicht mitgeteilt). Im übrigen kam es wegen der Sondervorschrift des § 241a AFG auf diese Frage nicht an (BSG USK 92100 = Die Beiträge 1993, 320), oder das BSG hat sie offengelassen (BSGE 65, 281, 283 = SozR 4100 § 134 Nr 38 sowie BSGE 60, 61, 63 = SozR 2200 § 1232 Nr 19 jeweils mwN von Parallelentscheidungen zur einstufigen Juristenausbildung und zur einphasigen Lehrerausbildung; BSG SozR 2200 § 172 Nr 15 für einen als Studenten eingeschriebenen Informatiker). Wenn die Betroffenen nicht eingeschrieben waren, hat es der Verknüpfung keine Bedeutung beigemessen (BSGE 51, 88 = SozR 2200 § 165 Nr 53 für ein Vorpraktikum zu einem Architekturstudium; BSG USK 81107 für ein Vorpraktikum zu einer Fachschulausbildung im Sozialwesen; BSGE 63, 153, 156 = SozR 4100 § 112 Nr 39 für ein Vorpraktikum zu einem forstwissenschaftlichen Studium).

Im Anschluß an diese Rechtsprechung ist eine berufspraktische Tätigkeit nur dann als Teil des Studiums und nicht als Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn anzusehen, wenn der Praktikant bereits immatrikuliert ist. Nur dann ist das Praktikum mit den notwendigen Rechtswirkungen für die Betroffenen in die Hoch- oder Fachschulausbildung einbezogen. Denn erst mit dem Wirksamwerden der Einschreibung als Student wird bestätigt, daß der Ausbildungswillige und die Ausbildungsstätte den mit der Ausbildung verbundenen rechtlichen Status anerkennen. Das bedeutet zwar, daß Vorpraktikanten versicherungsrechtlich anders zu behandeln sein können als Zwischenpraktikanten bei fortbestehender Immatrikulation und daß der versicherungsrechtliche Status durch die Verschiebung des Praktikums in die Zeit nach der Immatrikulation beeinflußt werden kann, soweit das Hochschulrecht dies gestattet. Im Interesse der Rechtssicherheit muß dieses jedoch hingenommen werden. Anderenfalls wäre der nicht als beschäftigt geltende Praktikant kaum verläßlich und nur selten bereits bei Beginn der Tätigkeit von dem als beschäftigt geltenden Praktikanten zu unterscheiden; unklar wäre außerdem, ob die Anerkennung eines Vorpraktikums als vorgezogenen Studienbeginn ohne Immatrikulation nicht dazu zwingen würde, den Vorpraktikanten auch in anderer Hinsicht bereits wie einen Studenten zu behandeln (beispielsweise in Bezug auf Nebenbeschäftigungen nach § 4 Abs 1 Nr 4 AVG bzw § 169b Satz 1 Nr 2 AFG; Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 Nr 4b AVG, vgl BSG SozR Nr 47 zu § 1259 RVO mwN, jetzt Anrechnungszeiten nach § 58 Abs 1 Nr 4b SGB VI; Verfügbarkeit nach § 103a AFG).

Die von der Gegenmeinung befürwortete Versicherungsfreiheit aller mit einer wissenschaftlichen Ausbildung zusammenhängenden abhängigen Tätigkeiten ist weder mit dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften noch mit ihrer Entstehungsgeschichte vereinbar. Sie wurde für den wissenschaftlichen Nachwuchs zunächst ausgedehnt, so daß sie nicht nur Beschäftigungen nach einem ersten wissenschaftlichen Abschluß (insbesondere Assistenten, vgl BSG SozR 5750 Art 2 § 46 Nr 3; DAngVers 1964, 341), sondern auch entgeltliche Vorpraktika erfaßte (RVA AN 1929, 310). Sie ist aber in der Rentenversicherung bei der Rentenreform im Jahre 1957 und im Arbeitsförderungsrecht bei der Einführung der Krankenversicherung der Studenten im Jahre 1975 aufgegeben worden. Die Auslegung des Beschäftigungsbegriffs in § 7 Abs 2 SGB IV muß die Abkehr des Gesetzgebers von der allgemeinen Versicherungsfreiheit des wissenschaftlichen Nachwuchses beachten und darf nicht dazu führen, daß im Ergebnis zu der vor 1957 geltenden Rechtslage zurückgekehrt wird. Dieses würde auch der Begründung zur Rentenreform 1957 widersprechen. Danach sollte die Einführung des bis heute geltenden "Werkstudentenprivilegs" zur Einschränkung der Versicherungsfreiheit auf Nebenbeschäftigungen von "ordentlich Studierenden" führen (Bericht des Bundestags-Ausschusses für Sozialpolitik zu BT-Drucks II/3080 S 3; BSGE 71, 144, 146 = SozR 3-2500 § 6 Nr 1 = SGb 1993, 369 mit Anm Trenk-Hinterberger mwH zum früheren Recht und zu den anderen Versicherungszweigen).

Daraus ergibt sich außerdem, daß der Kläger während seiner berufspraktischen Tätigkeit nicht nach § 4 Abs 1 Nr 4 AVG bzw § 169b Satz 1 Nr 2 AFG in der seit dem 1. Januar 1989 geltenden Fassung versicherungs- bzw beitragsfrei war. Denn er war nicht während der Dauer seines Studiums als ordentlicher Studierender einer Hochschule gegen Entgelt beschäftigt (Werkstudent). Bis zum 30. September 1989 fehlte es bei ihm an der Wirkung einer Einschreibung als Student, von der auch für Vorpraktikanten nicht abgesehen werden kann (vgl BSGE 63, 153, 156 = SozR 4100 § 112 Nr 39). Auch nach der Immatrikulation müßte der Kläger trotz seiner berufspraktischen Tätigkeit seinem gesamten Erscheinungsbild nach Student gewesen sein, so daß das Studium die Hauptsache und die Beschäftigung die Nebensache war (BSG SozR 2200 § 172 Nr 20 mwN; BSGE 66, 211, 214 = SozR 3-2940 § 2 Nr 1). In der Zeit vom 1. bis 13. Oktober 1989 war das Erscheinungsbild des Klägers jedoch nicht durch das Studium geprägt, und zwar unabhängig davon, ob die Vorlesungen bereits begonnen hatten. Denn nach den Feststellungen des LSG war der Kläger weiterhin 38,5 Stunden in der Woche bei der Beigeladenen zu 1) berufspraktisch tätig. Damit ist auch für diesen Zeitraum nicht das Studium, sondern die berufspraktische Tätigkeit als Hauptsache anzusehen.

Die Versicherungsfreiheit als Werkstudent erfaßt keine bei Wirksamwerden der Immatrikulation bereits laufende Beschäftigung. Denn dadurch ändert sich nichts an der grundsätzlich vorausschauend zu beurteilenden Versicherungspflicht. Allerdings hat der Senat entschieden, daß ein Student trotz starker Inanspruchnahme durch eine Arbeitnehmertätigkeit versicherungsfrei bleiben kann, wenn er - insbesondere während der Semesterferien - keinen Studienanforderungen unterworfen ist (BSGE 50, 25 = SozR 2200 § 172 Nr 14; SozR 2200 § 172 Nr 20). Dabei handelte es sich aber um Studenten, deren Erscheinungsbild weiterhin durch ein tatsächlich bereits aufgenommenes Studium geprägt war. Nach denselben Kriterien kann eine Beschäftigung versicherungsfrei bleiben, obwohl sie kurzfristig auch noch in die Vorlesungszeit hineinreicht (BSG SozR 2200 § 172 Nr 20).

Im Ergebnis war der Kläger damit rentenversicherungspflichtig und beitragspflichtig nach dem AFG; eine Befreiung sieht das Gesetz in diesen Versicherungszweigen bei ihm nicht vor.

Demgegenüber war der Kläger in der Krankenversicherung nicht wie ein Arbeitnehmer nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, sondern als Praktikant nach § 5 Abs 1 Nr 10 SGB V versicherungspflichtig. Insoweit war er zusätzlich zur bereits für die Zeit ab 1. Oktober 1989 ausgesprochenen Befreiung nach § 8 Abs 1 Nr 5 SGB V von der Krankenversicherungspflicht zu befreien. Vom 1. Oktober 1989 an wurde die auf § 5 Abs 1 Nr 10 SGB V beruhende Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs 7 Satz 2 SGB V durch die vorrangige Versicherungspflicht als Student (§ 5 Abs 1 Nr 9 SGB V) verdrängt; damit erfaßte die bereits ausgesprochene Befreiung auch die Versicherung als Praktikant.

Mit der Aufnahme seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) ist der Kläger nach § 5 Abs 1 Nr 10 SGB V versicherungspflichtig geworden. Von der Versicherungspflicht nach dieser Vorschrift werden Personen erfaßt, die eine in Studien- oder Prüfungsordnungen vorgeschriebene berufspraktische Tätigkeit verrichten; Auszubildende des zweiten Bildungswegs, die sich in einem förderungsfähigen Teil eines Ausbildungsabschnitts nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz befinden, sind diesem Personenkreis ("Praktikanten") gleichgestellt. Außerdem erfaßt die Vorschrift die zu ihrer Berufsausbildung ohne Arbeitsentgelt Beschäftigten, womit insbesondere Lehrlinge gemeint sind. Die Merkmale eines Praktikantenverhältnisses sind beim Kläger erfüllt. Das LSG hat bindend festgestellt, daß die am 24. Juli 1989 aufgenommene Tätigkeit des Klägers in der Praktikantenordnung iVm der Studienordnung vorgeschrieben war und daß sie berufspraktischen Inhalt hatte. Für die Annahme, daß der Kläger wie eine vollwertige Arbeitskraft beschäftigt war und lediglich als Praktikant bezeichnet wurde, gibt es keinen Anhalt. Dagegen sprechen schon das niedrige Entgelt, dessen Bezeichnung als Ausbildungsvergütung und die vertragliche Befristung der Tätigkeit.

Entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten ist die Nr 10 des § 5 Abs 1 SGB V auf berufspraktische Tätigkeiten auch anzuwenden, wenn diese entgeltlich ausgeübt werden. Anders als bei Lehrlingen, die nur im Falle der unentgeltlichen Beschäftigung der Versicherungspflicht nach Nr 10 unterfallen, bei Entgeltlichkeit aber von § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V erfaßt werden, unterscheidet weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 11/2237 = BR-Drucks 200/88, jeweils S 159) bei Praktikanten danach, ob Arbeitsentgelt erzielt wird. Die ausdrückliche Unterscheidung bei den Lehrlingen läßt die Annahme einer versehentlich unterbliebenen Unterscheidung bei den Praktikanten nicht zu. Die somit unterschiedlichen Inhalte des Begriffs der "zur Ausbildung Beschäftigten" (einschließlich der Praktikanten in der Rentenversicherung und im Arbeitsförderungsrecht und ohne sie in der Krankenversicherung) widerspricht nicht § 2 Abs 2 Nr 1 SGB IV, weil er die Versicherungspflicht nur nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige anordnet (so bereits BSGE 51, 88 = SozR 2200 § 165 Nr 53). Im Krankenversicherungsrecht wurde vom 1. Januar 1989 an der bis dahin gebrauchte Begriff der "Lehrlinge" in § 165 Abs 2 Satz 1, § 165a Nr 2, § 165b Abs 2 RVO durch den Begriff der "zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten" ersetzt (vgl § 5 Abs 1 Nrn 1 und 10 SGB V idF des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2477). Damit sollte der bisherige Lehrlingsbegriff nicht auf Praktikanten erweitert werden, denn die bisherige Regelung für Praktikanten wurde in § 5 Abs 1 Nr 10 SGB V aus dem früheren § 165 Abs 1 Nr 6 RVO unverändert übernommen. Wenn mit der Neuregelung etwas anderes beabsichtigt gewesen wäre, hätte der Gesetzgeber dies zum Ausdruck gebracht, zumal die Rechtsprechung zur Unterscheidung von Praktikanten und Lehrlingen bekannt war (BSGE 51, 88 = SozR 2200 § 165 Nr 53; BSGE 58, 218 = SozR 2200 § 165 Nr 82; BSG USK 81107).

Entgeltliche berufspraktische Tätigkeiten sind nicht wie Beschäftigungen als Arbeiter oder Angestellte den beiden ersten Fallgruppen des § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V zuzuordnen. Dieses stünde im Widerspruch zur Anwendung von § 7 Abs 2 SGB IV auf Praktikanten in der Renten- und Arbeitslosenversicherung, wie sie oben in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung dargelegt wurde (vgl nochmals BSGE 64, 130, 133 = SozR 2200 § 1232 Nr 26). Beschäftigungen zur Ausbildung und Beschäftigungen zur Arbeitsleistung sind in § 7 SGB IV einheitlich für alle Zweige der Sozialversicherung voneinander unterschieden. Auch wenn der Absatz 2 des § 7 SGB IV im Verhältnis zum Absatz 1 nicht iS der Abgrenzung, sondern iS der Ergänzung zu verstehen sein sollte, weil die Rechtsfolge beider Absätze dieselbe ist, bedürfte es einer besonderen Rechtfertigung, in der Krankenversicherung von der in § 7 SGB IV vorgegebenen Unterscheidung abzuweichen. Eine solche Rechtfertigung ist nicht ersichtlich. Vielmehr zeigt die Erfassung der Praktikanten in einem eigenen Versicherungspflicht-Tatbestand und ihre krankenversicherungsrechtliche Gleichbehandlung mit Studenten (und nicht etwa mit Arbeitnehmern), daß der Gesetzgeber in § 5 SGB V der Systematik des § 7 SGB IV gefolgt ist. Dem kann der Vorrang der Arbeitnehmerversicherung nach § 5 Abs 7 Satz 1 SGB V nicht entgegengehalten werden. Denn ebenso wie in Absatz 7 Satz 2 und in den Absätzen 6 und 8 des § 5 SGB V wird in dieser Vorschrift lediglich die versicherungsrechtliche Zuordnung für den Fall geregelt, daß zwei die Versicherungspflicht auslösende Sachverhalte in derselben Person zusammentreffen. Ein Vorrang setzt das Bestehen von mehreren Versicherungspflichten voraus, kann sie also nicht begründen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine Konkurrenzvorschrift nicht eine Art Beweisregel für Zweifelsfälle, wenn der zu beurteilende einheitliche Sachverhalt Elemente verschiedener Versicherungspflicht-Tatbestände enthält und deshalb eine Zuordnung zu mehreren Tatbeständen in Betracht kommt. Derartige Zweifelsfälle sind durch Abgrenzung der betreffenden Versicherungspflicht-Tatbestände voneinander und nicht nach Konkurrenzregeln zu entscheiden. Das entspricht der ständigen Übung des Senats bei der Unterscheidung zwischen Praktikanten und Lehrlingen (BSGE 66, 211, 216 = SozR 3-2940 § 2 Nr 1 mwN) und gilt auch für die Abgrenzung zwischen Praktikanten iS des § 5 Abs 1 Nr 10 SGB V und Arbeitnehmern iS des § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V. Zwar hat der Senat in BSGE 66, 211, 215f auch die (damalige) Konkurrenzvorschrift erwähnt; die anschließenden Ausführungen zeigen aber, daß er nicht einen Fall der Konkurrenz, sondern einen Fall der Abgrenzung entschieden hat.

Die Entstehungsgeschichte des Sonderstatus der Praktikanten in der Krankenversicherung bestätigt die Anwendbarkeit des § 5 Abs 1 Nr 10 SGB V. Soweit berufspraktische Tätigkeiten betroffen sind, ist die Regelung gegenüber § 165 Abs 1 Nr 6 RVO nicht verändert worden. Zur Begründung des Ausschlusses von Krankengeldansprüchen ist in den Gesetzesmotiven zwar erwähnt, daß für "Studenten und Praktikanten ... bei Krankheit kein Lohn ausfällt" (BT-Drucks 7/2993 S 9 zu § 182 RVO), was zur Annahme führen könnte, mit der Neuregelung seien nur unentgeltliche Praktikantenverhältnisse gemeint. Dann wäre aber nicht zu erklären, warum die Einführung der Versicherungspflicht für Studenten und Praktikanten die Streichung des früheren § 172 Abs 1 Nr 5 RVO (Versicherungsfreiheit von Personen, "die zu oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind") erforderte (so aber BT-Drucks 7/2993 S 9). Wenig einleuchtend wäre auch die Änderung der Vorschriften über geringfügige Beschäftigungen, "damit den Praktikanten ... der Krankenversicherungsschutz erhalten bleibt" (BT-Drucks 7/2993 S 9 zu § 168 RVO; zunächst als § 168 Abs 4 Nr 3, später § 168 Halbsatz 2 Buchst d RVO). Im übrigen ist die Krankenversicherung der Studenten vom Grundsatz geprägt, einen Wechsel des Versicherungsgrundes, der Kassenzuständigkeit und des Beitragsrechts während der Ausbildung möglichst zu vermeiden (versicherungsrechtliche Kontinuität; BSG SozR 2200 § 172 Nr 15 mit Hinweis auf BT-Drucks 7/3640 S 5). Das muß auch die von Studenten hochschulrechtlich geforderten berufspraktischen Tätigkeiten mit einschließen, die das SGB V ebenso wie vorher die RVO in der seit 1. Juli 1975 geltenden Fassung hinsichtlich der Versicherungs- und Beitragspflicht dem Studium gleichstellt (§ 5 Abs 7, § 245 SGB V bzw § 165 Abs 6 Satz 2 und 3, § 180 Abs 3b RVO). Wären entgeltliche Praktikantenverhältnisse nicht von § 5 Abs 1 Nr 10 SGB V erfaßt, bestünde mangels eindeutiger Anwendbarkeit von § 7 Nr 1 SGB V die Gefahr, daß geringfügig beschäftigte Praktikanten unversichert bleiben oder daß der betroffene Personenkreis während der Ausbildung mehrfach die Versicherung wechseln muß. Entgeltliche Praktikantenverhältnisse können daher krankenversicherungsrechtlich nicht anders behandelt werden als unentgeltliche.

Von der Versicherung nach § 5 Abs 1 Nr 10 SGB V konnte sich der Kläger nach § 8 Abs 1 Nr 5 SGB V befreien lassen. Da er die Befreiung mit Schreiben vom 22. September 1989 rechtzeitig beantragt und keine Leistungen der Beklagten in Anspruch genommen hat (§ 8 Abs 2 Satz 1, 2 SGB V), sind die Voraussetzungen für eine Befreiung vom 24. Juli 1989 an erfüllt. Außerdem hat der Kläger Anspruch auf Erstattung der von seiner Ausbildungsvergütung einbehaltenen Arbeitnehmeranteile an den Beiträgen zur Krankenversicherung (§ 26 SGB IV). Insoweit hat die Revision Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Kostenerstattung an die Beigeladene zu 1) ist nicht veranlaßt, da sie sich am Verfahren nicht beteiligt hat. Eine Beteiligung der Beigeladenen zu 2) und 3) an der Kostenlast ist nicht geboten, da die Klage hinsichtlich dieser Versicherungszweige keinen Erfolg hatte.

 

Fundstellen

DStR 1994, 949 (K)

RegNr, 21334 (BSG-Intern)

BR/Meuer SGB IV § 7, 03-02-94, 12 RK 78/92 (LT1)

USK, 9403 (LT1)

Die Beiträge 1994, 619-627 (LT1)

SozR 3-2500 § 5, Nr 15 (LT1)

SozVers 1995, 19-22 (T)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge