Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Der Kläger ist seit 1937 selbständiger Baustoffhändler. Seinen auf den 30. Dezember 1974 datierten, nach dem Eingangsstempel der Beklagten bei dieser am 1. Januar 1975 eingegangenen Antrag auf Versicherungspflicht als selbständiger Erwerbstätiger nach § 2 Abs. 1 Nr. 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 10. Juli 1975 mit der Begründung ab, der Kläger habe die Antragsfrist versäumt. Der Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1975) und die Klage (Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 22. September 1976) hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 20. April 1977 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Die in Artikel 2 § 1a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) geregelte Frist für die Stellung des Antrages auf Versicherungspflicht als selbständiger Erwerbstätiger nach § 2 Abs. 1 Nr. 11 AVG sei für den Kläger am 31. Dezember 1974 abgelaufen. Bei dieser Frist handele es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, gegen deren Versäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorgesehen sei. Die Vorschrift des § 32 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVfG) vom 25. Mai 1976 (BGBl. I, 1253) sei nicht anzuwenden. Die Beklagte verstoße mit der Berufung auf die Fristversäumung auch nicht gegen Treu und Glauben.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger, das LSG habe den Antrag zu Unrecht als verspätet angesehen. Es habe nicht genügt, daß die Beklagte lediglich einen Nachtpförtner eingesetzt und nur die Briefe mit dem Eingangsstempel des 31. Dezember 1974 versehen habe, die von der Post (bei der Beklagten) eingeworfen worden seien; die Beklagte habe am 31. Dezember 1974 dafür sorgen müssen, daß "die Post in Berlin" entweder angewiesen wurde, die bis 24.00 Uhr eingehenden Briefe sofort an die Beklagte zu übersenden oder, daß einer ihrer Angestellten die bis 24.00 Uhr eingehende Post "beim Berliner Postamt abholt". Ferner habe das LSG das - insoweit nicht veröffentlichte - Urteil des erkennenden Senats vom 26. Mai 1971 - 12/11 RA 118/70 -, (Die Beiträge 1971, 340) nicht beachtet, in dem entschieden worden sei, daß es für die Wahrung einer materiell-rechtlichen Ausschlußfrist ausreiche, wenn der Brief mit dem die Frist wahrenden Schriftstück so zeitgerecht zur Post gegeben werde, daß er nach der gewöhnlichen Brieflaufzeit rechtzeitig vor Fristablauf zugehe.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),das Urteil des LSG und das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 1975 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als selbständig Erwerbstätigen pflichtzuversichern.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist begründet; das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG hat unwidersprochen und damit für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, daß der Kläger bereits 1937 eine selbständige Erwerbstätigkeit aufgenommen hat; es ist deshalb auch zutreffend davon ausgegangen, daß die Antragsfrist nach der durch Art 2 § 2 Nr. 2 des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl. I, 1965) mit Wirkung vom 19. Oktober 1972 in das AnVNG eingefügten Vorschrift des Art 2 § 1a AnVNG für den Kläger am 31. Dezember 1974 abgelaufen ist. Weiter ist das LSG unangefochten davon ausgegangen, daß die Beklagte die für sie bestimmte Post aus den Postschließfächern bei den Postämtern Berlin 77, Berlin 11 und Berlin 31 sowie beim Fernamt am 31. Dezember 1974 letztmals um 14.00 Uhr abgeholt hat, daß sich bei dieser Post die Antragsschrift des Klägers vom 30. Dezember 1974 nicht befunden und daß diese Antragsschrift den Eingangsstempel der Beklagten vom 1. Januar 1975 erhalten hat. Aus diesem Sachverhalt hat das LSG geschlossen, daß die Antragsschrift des Klägers der Beklagten erst am 1. Januar 1975 und damit am Tage nach dem Ablauf (= Erlöschen) der Frist des § 2 Abs. 1 Nr. 11 RRG i.V.m. Art 2 § 1a AnVNG zugegangen ist; insoweit handelt es sich nicht um eine tatsächliche Feststellung, sondern um eine rechtliche Schlußfolgerung, die der vollen Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (Palandt, BGB, 37. Aufl., § 130 Anm. 2a).

Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht gerechtfertigt. Der Eingangsstempel der Poststelle der Beklagten allein läßt im vorliegenden Fall keine Feststellung zu, wann, wo und wie der Brief mit der Antragsschrift des Klägers in den Verfügungsbereich der Beklagten gelangt ist. Das LSG wird vielmehr zunächst festzustellen haben, auf welchem Wege der Brief mit der Antragsschrift des Klägers in den Verfügungsbereich der Beklagten gelangt ist und weshalb die Antragsschrift das Eingangsdatum vom 1. Januar 1975 erhalten hat. Rückschlüsse auf diese entscheidungserheblichen Tatsachen lassen möglicherweise auch die Zusatzvermerke zum Eingangsstempel oder die Aussagen der Bediensteten der Beklagten zu, die die Post abgeholt und den Eingang vermerkt haben. Besondere Bedeutung kommt der noch zu treffenden Feststellung zu, ob der Brief noch am 31. Dezember 1974 zwischen 14.00 Uhr und 24.00 Uhr in ein Postschließfach der Beklagten bei einem der vorgenannten Postämter einsortiert worden ist. Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 2. September 1977 - 12 RAr 46/76 - (SozR 4100 § 81 Nr. 3) entschieden, daß fristgebundene Anträge als der Behörde mit dem Zeitpunkt des Einsortierens in ein von ihr unterhaltenes Postschließfach zugegangen gelten. Zwar wird für den Regelfall angenommen, daß bei der Abholung der Post aus einem Postschließfach Briefe nicht schon mit dem Einsortieren, sondern erst mit dem Zeitpunkt zugegangen sind, in welchem das Postschließfach normalerweise geleert wird (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - , Urteil vom 31. Januar 1964 - VI C 101.63 - NJW 1964, 788; Bundesfinanzhof - BFH - , Beschluß vom 3. August 1978 - 6 R 73/78 - Bundessteuerblatt 1978 II, 649 -, beide mit weiteren Nachweisen). Davon abweichend hat aber das BVerwG (a.a.O.) für die bestimmenden verfahrensrechtlichen Erklärungen z.B. für die Erhebung des Widerspruchs, den Zeitpunkt der Einlegung des Schriftstücks in das Schließfach des Empfängers als Zeitpunkt des Zuganges bei diesem angesehen (anderer Ansicht insoweit Urteil des 10. Senats des Bundessozialgerichts - BSG - vom 11. August 1976 - 10 RV 225/75 -, BSGE 42, 140, 142 = SozR 1500 § 84 Nr. 1). Das BVerwG hat dies damit gerechtfertigt, daß es in diesen Fällen allein auf den Zugang in den Machtbereich des Empfängers ankomme, weil die Möglichkeit der Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten des Verkehrs hier nicht erforderlich sei. Diesen Rechtsgrundsatz hat der erkennende Senat in dem bereits erwähnten Urteil vom 2. September 1977 - 12 RAr 46/76 - (SozR 4100 § 81 Nr. 3) auch auf fristgebundene Anträge an eine Verwaltungsbehörde ausgedehnt; er hat für einen Antrag nach § 81 Abs. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) entschieden, daß ein solcher Antrag als der Behörde mit dem Zeitpunkt des Einsortierens in das von ihr unterhaltene Postschließfach zugegangen gilt. An der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsansicht hält der Senat auch für diesen Fall fest. In dem Urteil vom 2. September 1977 (a.a.O.) ist bereits dargelegt worden, daß zwischen der Wahrung einer Verfahrensfrist und der Einhaltung einer materiell-rechtlichen Antragsfrist in dieser Hinsicht kein Unterschied besteht. Auch demjenigen, der eine materiell-rechtliche Frist gegenüber einer Behörde zu wahren hat, muß es jedenfalls dann gestattet sein, diese Frist voll auszuschöpfen, wenn es für den Empfänger der fristgebundenen Erklärung nicht erforderlich ist, daß er sofort Kenntnis von ihrem Inhalt erhält. Das ist bei dem vom Kläger gestellten Antrag auf Pflichtversicherung als Selbständiger der Fall. Die Beklagte muß diesem Antrage entsprechen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Für sie kommt es daher nicht entscheidend auf die sofortige Kenntnis vom Inhalt des Antrages, sondern nur auf dessen fristgerechten Eingang in ihrem Verfügungsbereich an. Der Verfügungsbereich der Beklagten erstreckt sich auch auf die von ihr unterhaltenen Postschließfächer; die Einlegung in ein solches Postschließfach bewirkt den Zugang des Schriftstückes im Zeitpunkt der Einlegung, ohne daß es auf den Zeitpunkt der Abholung der Post aus diesem Postschließfach durch die Beklagte ankommt.

Falls das LSG die Einlegung des Briefes mit der Antragsschrift des Klägers in ein Postschließfach feststellt, ergeben sich weitere Möglichkeiten der Tatsachenfeststellung durch die Prüfung, wann am 31. Dezember 1974 bei den Berliner Postämtern, bei denen die Beklagte Postschließfächer unterhalten hat, Postsendungen aus dem Absendebereich des Klägers eingegangen und noch an diesem Tage zwischen der letzten Postabholung durch die Beklagte und 24.00 Uhr in eines der von der Beklagten unterhaltenen Postschließfächer einsortiert worden sind. Läßt sich feststellen, daß die Antragsschrift des Klägers bis zum 31. Dezember 1974, 24.00 Uhr, in den Verfügungsbereich der Beklagten - einschließlich der Einlegung in ein Postschließfach der Beklagten - gelangt ist, hat der Kläger die Antragsfrist gewahrt. Wird dagegen festgestellt, daß der Brief erst am 1. Januar 1975 in den Verfügungsbereich der Beklagten gelangt ist, erweist sich der Ausgangspunkt des LSG als zutreffend. Kann nicht festgestellt werden, daß der Brief des Klägers noch am 31. Dezember 1974 zwischen der letzten Abholung der Post der Beklagten aus ihren Postschließfächern und 24.00 Uhr in ein Postschließfach der Beklagten einsortiert worden oder auf andere Weise in den Verfügungsbereich der Beklagten gelangt ist, kann auch die Wahrung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Nr. 11 AVG nicht festgestellt werden. Insoweit trifft die Feststellungslast (objektive Beweislast) grundsätzlich den Kläger. Allerdings könnte, wenn das LSG etwa feststellen sollte, daß die Beklagte die von ihr unterhaltenen Postschließfächer am 31. Dezember 1974 nicht zur üblichen Zeit geleert hat, hier möglicherweise zugunsten des Klägers nach dem in § 444 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken eine Beweiserleichterung in Betracht kommen (vgl. BSG-Urteil vom 27. April 1972 - 7 RU 17/69 - (SozR Nr. 13 zu § 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Ergeben die noch zu treffenden weiteren Ermittlungen des Berufungsgerichts, daß die am 31. Dezember 1974 abgelaufene Ausschlußfrist vom Kläger nicht eingehalten worden ist, so kann ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Nr. 11 AVG dient dem Erwerb eines Rechts, als das sich die Versicherungspflicht als selbständig Erwerbstätiger in erster Linie darstellt. Wie die vergleichbare Antrags-Ausschlußfrist des Artikels 4 § 2 des 2. Krankenversicherungs-Änderungsgesetzes (2. KVÄG) vom 21. Dezember 1970 - BGBl. I, 1770 - (vgl. dazu das Urteil des erkennenden Senats vom 25. Oktober 1976 - 12/3 RK 50/75 - SozR 5486 Artikel 5 Nr. 2) soll auch die Ausschlußfrist zur Beantragung der Versicherungspflicht als selbständig Erwerbstätiger verhindern, daß das Antragsrecht und damit das gesetzliche Rechtsverhältnis für unbestimmte Zeit in der Schwebe belassen wird. Deshalb muß, soll das Recht auf die Pflichtversicherung als selbständig Erwerbstätiger nicht erlöschen, der auf diese Versicherung gerichtete Antrag innerhalb der gesetzlich festgelegten materiell-rechtlichen Ausschlußfrist von zwei Jahren gestellt werden.

Entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht trägt der Kläger auch das Übermittlungsrisiko der Postbeförderung. Die Revision stützt ihre Ansicht allein auf das Urteil des erkennenden Senats vom 26. Mai 1971 - 12/11 RA 118/70 - (SGb 1971, 272 = Die Beiträge 1971, 340). Der erkennende Senat hat den in dieser Entscheidung vertretenen Rechtsstandpunkt aber in dem Urteil vom 25. Oktober 1976 - 12 RK 50/72 - (SozR 5486 Artikel 4 § 2 Nr. 2) insoweit aufgegeben und mit eingehender Begründung ausgeführt, daß die Vorschrift des § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die das Übermittlungsrisiko dem Absender einer Willenserklärung auferlegt, einen allgemeinen Grundsatz verkörpert, der auch für die empfangsbedürftigen öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen entsprechend gilt. An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch unter Berücksichtigung der von der Revision angeführten Gründe fest. Denn es liegt im Wesen einer materiell-rechtlichen Ausschlußfrist, daß die für ihren fruchtlosen Ablauf maßgebend gewesenen Ursachen grundsätzlich ohne Bedeutung sind. Die Ausschlußfrist wirkt daher, wie der erkennende Senat in dem letztgenannten Urteil unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG bereits ausgeführt hat, von Rechts wegen und unbedingt, es sei denn, daß aus besonderen Gründen durch Gesetz die Wiedereinsetzung vorgesehen ist. Das ist für die in § 2 Abs. 1 Nr. 11 AVG geregelte Frist nicht der Fall. Das LSG hat daher zutreffend nicht die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geprüft und insbesondere nicht untersucht, ob der Kläger die Antragsschrift noch so rechtzeitig zur Post gegeben hat, daß sie der Beklagten unter Berücksichtigung der gewöhnlichen Postlaufzeiten noch am 31. Dezember 1974 hätte zugehen können.

Auch die Vorschrift des § 32 VerwVfG ändert hieran nichts. Der Senat kann offenlassen, ob und inwieweit von dieser Vorschrift auch die materiell-rechtlichen Ausschlußfristen erfaßt werden (vgl. dazu Stelkens/Bonk/Leonhardt, VerwVfG, § 32 Rdnr. 6). Die Regelung des § 32 VerwVfG gilt, wie schon das LSG zutreffend dargelegt hat, nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 VerwVfG nicht für die Angelegenheiten der Sozialversicherung. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob § 32 VerwVfG und § 110 der Abgabenordnung vom 16. März 1976 (BGBl. I 613) - AO 1977 - Ausprägungen eines nunmehr für alle Bereiche des Verwaltungsverfahrens gültigen allgemeinen Grundsatzes sind, der für das Verfahren der Sozialversicherungsträger bis zum Inkrafttreten der noch im Gesetzgebungsverfahren befindlichen entsprechenden Vorschrift (vgl. § 26 des Entwurfes des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches -SGB X - Verwaltungsverfahren - BT-Drucks. 8/2034) entsprechend anzuwenden ist, so daß hiernach auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung einer materiell-rechtlichen Ausschlußfrist gegeben wäre. Die entsprechende Anwendung des § 32 VerwVfG und des § 110 AO 1977 scheitert hier allein schon daran, daß es sich bei beiden Vorschriften um eine Neuregelung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand handelt, die, soweit es um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung materiell-rechtlicher Ausschlußfristen geht, erst mit dem Inkrafttreten des VerwVfG und der AO 1977 am 1. Januar 1977 gelten. Wenn in diesen Gesetzen daher ein allgemeiner Grundsatz normiert worden sein sollte, so könnte er in diesem Fall, in dem die Ausschlußfrist bereits am 31. Dezember 1974 abgelaufen ist, nicht rückwirkend entsprechend angewendet werden.

Auch im Falle der Versäumung der Antragsfrist wird das LSG aber die Berufung des Klägers noch nicht ohne weitere Prüfung als unbegründet zurückweisen dürfen. Der Senat hat bereits in den - vom LSG auch nicht übersehenen - Urteilen vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 80/74 - (SozR 4100 § 72 Nr. 2 S. 4) und vom 25. Oktober 1976 - 12/3 RK 50/75 - (SozR 5486 Art 4 § 2 Nr. 1) entschieden, daß die Berufung auf die Versäumung einer gesetzlichen Ausschlußfrist dann rechtsmißbräuchlich ist, wenn die versäumte Frist für den Versicherungsträger von geringer Bedeutung ist und ganz erhebliche langfristig wirksame Interessen des Versicherten auf dem Spiel stehen. Diese Rechtsprechung steht nicht, wie das LSG annimmt, im Widerspruch zu dem Urteil des erkennenden Senats vom 28. April 1964 - 12/3 RJ 300/60 - (SozR Nr. 10 zu Art. 2 § 44 AnVNG). Die Entscheidungen stimmen bezüglich der rechtlichen Wirkung einer Ausschlußfrist überein. Darüber hinaus ist in dem Urteil vom 28. April 1964 nur die Frage der Nichtberücksichtigung des Fristablaufes aus Billigkeitserwägungen behandelt worden. Demgegenüber ist in dem Urteil vom 25. Oktober 1976 (SozR 5486 Art 4 § 2 Nr. 1) entschieden worden, unter welchen Voraussetzungen die Berufung auf die Ausschlußfrist statthaft ist und insbesondere, unter welchen Voraussetzungen ein Fall des Rechtsmißbrauches durch Ausnutzung einer formal zustehenden Rechtsposition vorliegt. Der Senat hält daher an seiner Rechtsprechung fest.

Ganz erhebliche langfristige Interessen des Klägers könnten im Hinblick darauf, daß der Kläger sich für die Zukunft zu annähernd gleichen Bedingungen auch freiwillig versichern konnte, nur auf dem Spiele stehen, wenn der Kläger sich neben der Wahrung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Nr. 11 AVG i.V.m. Art. 2 § 1a AnVNG auch die Möglichkeit erhalten hätte, durch die fristgerechte Stellung eines Antrages nach Art 2 § 49a AnVNG auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge das Versicherungsverhältnis für zurückliegende längere Zeiträume in ganz erheblichem Umfange günstiger zu gestalten. Auch insoweit wird das LSG daher erforderlichenfalls weitere Feststellungen zu treffen haben.

Stellt das LSG das erhebliche langfristige Interesse des Klägers fest, wird es schließlich noch das erhebliche Interesse der Beklagten konkreter als bisher zu prüfen haben.

Die Feststellung, für eine nur geringe Bedeutung der Anschlußfrist für die Beklagte ergebe sich kein Anhalt, reicht nicht aus, zumal da auch in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, daß es sich um die Begründung eines gesetzlichen Versicherungsverhältnisses handelt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 12

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