Leitsatz (amtlich)

Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so ist für die nach sachgemäßem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung (Vergleiche BSG 1957-01-18 6 RKa 7/56 = SozR Nr 3 zu § 193 SGG) der vermutliche Verfahrensausgang maßgebend. Bei der Entscheidung ist von dem im Zeitpunkt der Erledigung vorliegenden Sach- und Streitstand auszugehen; hängt die Entscheidung von der Auslegung schwieriger, umstrittener Rechtsfragen ab, so kann das Gericht davon absehen, zu allen für den Ausgang des Rechtsstreits bedeutsamen Rechtsfragen Stellung zu nehmen.

 

Normenkette

SGG § 193 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.

Das beklagte Land und die Beigeladenen tragen die ihnen erwachsenen Kosten des Rechtsstreits selbst. Das beklagte Land hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits im Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten; im übrigen trägt die Klägerin ihre Kosten selbst.

 

Gründe

Das Landesschiedsamt für Ärzte in F hatte mit Beschluß vom 2. Februar 1952 die Berufung der Klägerin gegen einen Beschluß des Schiedsamts für Ärzte beim Oberversicherungsamt W vom 12. Juni 1951 zurückgewiesen und festgestellt, daß die Klägerin zur Kassenpraxis nicht zugelassen gewesen sei. Die Anfechtungsklage der Klägerin hatte beim Sozialgericht (SG.) keinen Erfolg; das SG. sah die Klage als verspätet erhoben an. Das Landessozialgericht (LSG.) verwies auf die Berufung der Klägerin hin die Sache zur anderweiten Prüfung und Entscheidung an das SG. zurück; es hielt die vom SG. ausgesprochene Prozeßabweisung für rechtsirrig, weil mangels einer Rechtsbehelfsbelehrung in dem angefochtenen Beschluß des Landesschiedsamts die Klageerhebung am 30. Januar 1954 noch möglich gewesen sei. Mit der - nicht zugelassenen - Revision hat das beklagte Land geltend gemacht, daß aus Gründen der Rechtssicherheit für die Klageerhebung eine Frist von einem Jahr nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses angenommen werden müsse; es hält im übrigen die Entscheidung des Landesschiedsamts, das als Gericht anzusehen sei, für ohnehin unanfechtbar.

Während des Revisionsverfahrens wurde die Klägerin als Kassenärztin in F zugelassen. Die Klägerin beantragte nunmehr,

die Hauptsache für erledigt zu erklären und dem beklagten Land die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Auch das beklagte Land sieht die Hauptsache als erledigt an und beantragt,

die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen.

Grundlage für die Kostenentscheidung im sozialgerichtlichen Verfahren - auch in Fällen der vorliegenden Art - ist § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) (vgl. Beschluß des Senats vom 18. Januar 1957 - 6 RKa 7/56 -).

Das beklagte Land und die Beigeladenen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des § 193 Abs. 4 SGG (vgl. § 368 k Abs. 3 Satz 1 RVO in der Fassung des Gesetzes über Kassenarztrecht vom 17. August 1955 (BGBl. I S. 513) und § 414 Abs. 4 Satz 1 RVO in der Fassung des Gesetzes über die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen und der Ersatzkassen vom 17. August 1955 (BGBl. I S. 524)). Diese Beteiligten haben daher nach § 193 Abs. 4 SGG in jedem Fall die ihnen erwachsenen Kosten des Rechtsstreits selbst zu tragen (vgl. Urteil des Senats vom 29. Mai 1956 (Sozialrecht SGG § 193 Da 1 Nr. 2)).

Hinsichtlich der Kosten, die der Klägerin entstanden sind, ist nach sachgemäßem Ermessen zu entscheiden, bei dessen Ausübung vor allem der nach dem bisherigen Sach- und Streitstand zu beurteilende - vermutliche - Verfahrensausgang den Ausschlag gibt. Dabei gelten die gleichen Erwägungen, die der Bundesgerichtshof (BGH.) für den ähnlichen Sachverhalt des vom Gericht bei der Kostenentscheidung des § 91 a der Zivilprozeßordnung (ZPO) anzuwendenden "billigen Ermessens" angestellt hat (vgl. Beschluß vom 18. Februar 1954 in NJW 1954 S. 1038). Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache bereits gegenstandslos geworden, so kann es nicht Aufgabe der Kostenentscheidung sein, den Streitfall, der in mehrfacher Hinsicht zu rechtlichen Zweifeln Anlaß gibt, hinsichtlich aller für dessen mutmaßlichen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu überprüfen und die rechtlichen Zweifelsfragen auszuschöpfen. Eine solche Auffassung würde den Willen des Gesetzes verkennen, das Gericht zu entlasten und "seine Zeit und Arbeitskraft anderen, wichtiger und vordringlich erscheinenden Streitigkeiten zuzuwenden", wie der BGH. a. a. O. zutreffend betont.

Die demnach gebotene summarische Überprüfung des bisherigen Sach- und Streitstands ergibt, daß die Klägerin, die im Berufungsverfahren obgesiegt hat, vermutlich auch im Revisionsverfahren Erfolg gehabt hätte; denn es spricht viel dafür, die von der Revision zur Nachprüfung gestellten Fragen mit der herrschenden Meinung zugunsten der Klägerin zu beantworten, d. h. die Entscheidungen der hessischen Zulassungsinstanzen als - mit der Klage im sozialgerichtlichen Verfahren anfechtbare - Verwaltungsakte anzusehen, die mangels unterbliebener Rechtsbehelfsbelehrung im angefochtenen Verwaltungsakt auch nach Ablauf eines Jahres seit Zustellung noch angefochten werden konnten. Die der Klägerin erwachsenen außergerichtlichen Kosten der Rechtsmittelverfahren waren daher dem beklagten Land als voraussichtlich unterlegenem Rechtsmittelkläger aufzuerlegen. Hingegen muß die Entscheidung in der Sache selbst als völlig offen angesehen werden; über die entscheidende Frage, ob die Klägerin überhaupt zur Kassenpraxis zugelassen gewesen ist, sind in den Prozeßurteilen der Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen. Es erschien daher angebracht, daß die Beteiligten die Kosten des ersten Rechtszugs selbst tragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2290962

NJW 1957, 1334

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