Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. medizinische Vorsorge für Mütter und Väter. keine Erweiterung auf Pflegepersonen. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Wortlaut in § 24 Abs 1 S 1 Halbs 2 und S 2 SGB 5 ist derart eindeutig, dass er - ohne entsprechende gesetzgeberische Entscheidung - mit Blick auf § 31 SGB 1 nicht dahin erweiternd ausgelegt werden kann, dass auch andere Personen anspruchsberechtigt sind, die ähnlichen bzw vergleichbaren Belastungen wie ein Elternteil ausgesetzt sind (zB im Bereich der persönlichen Pflege Schwerpflegebedürftiger).

2. Dafür, dass die Beschränkung der Anspruchsberechtigung auf Mütter und Väter verfassungswidrig sein könnte, ist nichts ersichtlich.

 

Normenkette

SGB 1 § 31; SGB 5 § 24 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, S. 2; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 05.04.2006; Aktenzeichen L 5 KR 5113/04)

SG Stuttgart (Urteil vom 26.07.2004; Aktenzeichen S 8 KR 583/03)

 

Tatbestand

Die bei der beklagten Ersatzkasse versicherte, 1961 geborene berufstätige Klägerin ist kinderlos und pflegt in ihrem Haushalt ihren an multipler Sklerose erkrankten Lebensgefährten. Sie ist mit ihrem im August 2002 an die Beklagte herangetragenen Begehren, "stationäre medizinische Vorsorge für Mütter und Väter" gemäß § 24 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gewährt zu erhalten, im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen und ua ausgeführt, die Beklagte habe den Antrag rechtsfehlerfrei abgelehnt. Die Klägerin gehöre nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten, weil sie keine "Mutter" im biologischen bzw im funktionellen Sinne sei; die Pflege ihres Lebensgefährten stehe dem nicht gleich. Eine erweiternde Gesetzesauslegung sei nicht statthaft. Entgegenstehende Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen oder des Deutschen Müttergenesungswerks entfalteten keine Rechtswirkungen. Ebenso sei unerheblich, dass die Beklagte der Klägerin in der Vergangenheit entsprechende Leistungen gewährt habe. Im Übrigen ergebe sich aus im Berufungsverfahren vorgelegten gutachtlichen Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, dass die Klägerin auch die sachlichen Leistungsvoraussetzungen nicht erfülle, weil bei entsprechender Indikation zunächst ggf eine ambulante nervenärztliche Behandlung angezeigt sei (Urteil vom 5. April 2006).

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und stützt sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet und zurückzuweisen.

Ob die Beklagte die grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hinsichtlich des ersten Fragenkomplexes entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt hat, kann offen bleiben. Um den Erfordernissen für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zu entsprechen, muss eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt werden, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN; vgl Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 160 RdNr 6 ff). Der Rechtssache kommt gemessen an den genannten Kriterien grundsätzliche Bedeutung jedenfalls nicht zu.

Die Beschwerde hält sinngemäß die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob als "Mutter" iS von § 24 Abs 1 SGB V auch eine Frau anzusehen ist, die zwar weder Mutter im biologischen oder funktionellen Sinne ist, aber in ihrem Haushalt eine pflegebedürftige Person pflegt und bei der eine entsprechende, der Mutter-Kind-Situation vergleichbare Familienbelastungssituation besteht. Obwohl dazu umfangreiche Ausführungen gemacht werden, kann die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache insoweit nicht bejaht werden. Der Klärungsbedarf für eine Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren ist nämlich zu verneinen, wenn ihre zutreffende Beantwortung nach dem Inhalt der maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw dazu vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegen kann (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38). So verhält es sich hier, weil sich die Antwort ohne Weiteres, dh auch ohne dass es dafür eines Revisionsverfahrens bedürfte, schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Denn die zuletzt mit Wirkung vom 1. August 2002 ( durch das Gesetz zur Verbesserung der Vorsorge und Rehabilitation für Mütter und Väter vom 26. Juli 2002≪BGBl I 2874≫ ) neu gefasste, zum Gesetzestext gehörende Überschrift des § 24 SGB V lautet "Medizinische Vorsorge für Mütter und Väter". Danach kann es keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass die Leistungen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nur an die darin genannten Personen gewährt werden dürfen. Das Gesetz erhebt erkennbar die besondere Situation, die sich aus dem Verhältnis eines Elternteils zu seinem Kind im Rechtssinne ergibt, zur Anspruchsvoraussetzung. Auch in den erweiterten Voraussetzungen in § 24 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 SGB V ist nur von "Mutter-Kind-" bzw "Vater-Kind-Maßnahmen" die Rede. Dieser Wortlaut ist derart eindeutig, dass er - ohne entsprechende gesetzgeberische Entscheidung - mit Blick auf § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Vorbehalt des Gesetzes) nicht dahin erweiternd ausgelegt werden kann, dass auch andere Personen anspruchsberechtigt sind, die ähnlichen bzw vergleichbaren Belastungen wie ein Elternteil ausgesetzt sind, zB im Bereich der persönlichen Pflege Schwerpflegebedürftiger, ohne aber zugleich (auch) Mutter oder Vater zu sein. Auch in der Begründung zu Gesetzentwürfen und Änderungen des § 24 SGB V ist immer nur auf die Anspruchsberechtigung von "Müttern" (und die ursprünglich allein auf sie beschränkten Kuren) hingewiesen worden ( vgl zB Bundestags-Drucks 11/2237 S 169; Bundestags-Drucks 11/3480 S 51; Bundestags-Drucks 12/3608 S 78 ).

Dafür, dass die Beschränkung der Anspruchsberechtigung verfassungswidrig sein könnte, ist nichts ersichtlich. Wie der Senat - im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - bereits wiederholt entschieden hat, unterliegt es weitem gesetzgeberischen Ermessen, welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen werden (vgl zB BSGE 88, 166, 170 ff = SozR 3-2500 § 28 Nr 5 S 29 ff; BSG SozR 3-2500 § 28 Nr 6 S 39 ff; BSGE 76, 40, 42 f = SozR 3-2500 § 30 Nr 5 S 14; zuletzt BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 jeweils RdNr 25 mwN ≪Viagra≫). Ohne Belang ist insoweit ebenfalls, dass die Beschwerde geltend macht, die wortlautüberschreitende Leistungspflicht werde von den Rahmenempfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen und des Deutschen Müttergenesungswerks und in der Verwaltungspraxis der Krankenkassen anerkannt und habe in der Vergangenheit auch schon zu Leistungen geführt. Selbst wenn dies so zutreffen sollte, könnte aus einer rechtsfehlerhaften Verwaltungspraxis kein Anspruch auf künftige Gleichbehandlung im Unrecht hergeleitet werden ( vgl zB BVerfGE 50, 142, 166; Jarass in: Jarass/ Pieroth, GG, 8. Aufl 2006, Art 3 RdNr 36 mwN ).

Soweit die Klägerin mit weiteren Ausführungen geltend macht, der Frage, ob die Maßnahme im Rahmen des § 24 SGB V nicht "erforderlich" sei, wenn ambulante Maßnahmen ausreichten, komme ebenfalls grundsätzliche Bedeutung zu, kann dahinstehen, ob hieraus Revisionszulassungsgründe des § 160 Abs 2 Nr 1 oder Nr 2 SGG hergeleitet werden könnten. Werden nämlich von einem Gericht - wie hier vom LSG - mehrere selbstständige Begründungen angeführt, die den Urteilsausspruch schon jeweils für sich genommen tragen, muss in der Beschwerde für jede der Begründungen erfolgreich ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht werden ( vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 5, 38; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, Kap IX RdNr 51, 69 mwN) . Da es aber - wie dargelegt - bereits an einem Zulassungsgrund in Bezug auf die vom LSG hier als anspruchsausschließend angesehene Tatbestandsvoraussetzung "Mutter" fehlt, kommt es darauf, ob (auch) die zweite eigenständige Begründung des LSG zu Recht die Klageabweisung trägt, nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2245073

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