Tenor

Gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz wird beim 1. Senat angefragt, ob dem 3. Senat darin zugestimmt wird, daß der Begriff des Heilmittels (§ 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) auf nichtärztliche medizinische Dienstleistungen beschränkt ist.

 

Tatbestand

I

Der an einer krankheitsbedingten Minderung seiner cerebralen Leistungsfähigkeit leidende berufstätige Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Kostenübernahme der Ausstattung seiner Computeranlage mit spezieller Hard- und Software zur Durchführung eines häuslichen Hirnleistungstrainings. Sowohl das Sozialgericht (SG) als auch das Landessozialgericht (LSG) haben den Anspruch bereits deshalb für unbegründet erachtet, weil das Trainingsprogramm nicht von einem an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Arzt verordnet worden sei. Dabei hat das SG die Zusatzausrüstung für das computergestützte Hirnleistungstraining als Heilmittel iS des § 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eingestuft. Das LSG hat die Frage, ob diese Zusatzausrüstung den Heilmitteln oder den Hilfsmitteln (§ 33 SGB V) zuzuordnen sei, offengelassen.

Dem Senat liegt die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des LSG vom 23. März 1999 zur Entscheidung vor. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundessozialgerichts (BSG) für das Jahr 1999 ist der Senat nur dann zuständig, wenn es um den Anspruch eines Versicherten auf Versorgung mit einem Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung geht (vgl 3. Senat Ziff 1). Bei einem Rechtsstreit um die Versorgung eines Versicherten mit einem Heilmittel ist hingegen der 1. Senat zuständig (vgl 1. Senat Ziff 3).

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat beabsichtigt, über die Beschwerde zu entscheiden. Er erachtet sich als zuständig, weil es nach seiner Auffassung um einen Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel iS des § 33 SGB V geht. Der Begriff des Heilmittels iS des § 32 SGB V ist dahin auszulegen, daß er nur noch persönliche medizinische Dienstleistungen nichtärztlicher Leistungserbringer (§ 124 SGB V) umfaßt.

An der Entscheidung sieht sich der Senat jedoch gehindert, weil der 1. Senat in seinem Urteil vom 10. Mai 1995 – 1 RK 18/94 – (SozR 3-2500 § 33 Nr 15) die Ansicht vertreten hat, antiallergene Matratzen- und Kissenbezüge seien nicht den Hilfsmitteln zuzuordnen. Ein Gegenstand sei nur dann ein Hilfsmittel, wenn er den Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezwecke, also unmittelbar gegen die Behinderung gerichtet sei. Antiallergene Bezüge zählten nicht dazu, weil sie nicht das Ziel hätten, eine körperliche Behinderung auszugleichen. Insbesondere dienten sie nicht dem Zweck, die Ausübung beeinträchtigter Körperfunktionen zu ermöglichen, zu ersetzen, zu erleichtern oder zu ergänzen. Dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen ist ferner zu entnehmen, daß der 1. Senat auch die Eigenschaft als „Hilfsmittel, das im Einzelfall erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern” (§ 33 Abs 1 Satz 1, 1. Alternative SGB V), verneint hat, ohne dies allerdings näher zu begründen. Sächliche Mittel, deren bestimmungsgemäße Wirkung – wie bei den antiallergenen Bezügen – darin liegt, Krankheitszustände, wenn auch nur mittelbar, zu heilen oder zu bessern, sind nach dieser Entscheidung den Heilmitteln iS des § 32 SGB V zuzuordnen.

Ausgehend von dieser Rechtsprechung des 1. Senats könnte die für das computergestützte häusliche Hirnleistungstraining notwendige Hard- und Software nicht als Hilfsmittel iS des § 33 SGB V eingestuft werden, obgleich dieses Training das Ziel hat, den Erfolg der ärztlichen Behandlung der vorhandenen cerebrovaskulären Insuffizienz zu sichern (§ 33 Abs 1 Satz 1, 1. Alternative SGB V). Dem vom 1. Senat in den Vordergrund gestellten Zweck, ein körperliches Funktionsdefizit auszugleichen (2. Alternative), dient das Training hingegen nicht. Die Zusatzausrüstung müßte danach als Heilmittel eingestuft werden, weil der Gesundheitszustand des Klägers durch das Training im weiteren Sinne „gebessert” wird. Diese Zuordnung wäre ausgeschlossen, wenn der 1. Senat der Auffassung folgen würde, den Begriff des Heilmittels auf nichtärztliche medizinische Dienstleistungen zu beschränken und alle sächlichen Mittel einheitlich den Hilfsmitteln zuzuordnen. Das geltende Recht läßt aus Sicht des Senats eine solche Neuabgrenzung der Begriffe Heilmittel und Hilfsmittel im Bereich des SGB V zu. Sie erscheint auch sachlich geboten.

III

Die Reichsversicherungsordnung (RVO) enthielt keine Definition des Begriffs des Heilmittels (§ 182 RVO). Allgemein ging man jedoch von folgendem Begriffsinhalt aus: Heilmittel dienen der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit durch Beseitigung oder Milderung der Krankheitserscheinungen während der Heilbehandlungsdauer. Als Heilmittel galten vorwiegend sächliche Mittel einschließlich gewisser, außerhalb der gewöhnlichen ärztlichen Tätigkeit liegender äußerlicher Einwirkungen auf den Körper wie Massagen, heilgymnastische Übungen, Bäder usw, wenn sie vom Arzt lediglich verordnet, nicht aber überwacht werden, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Krankenbehandlung stehen und einen Heilerfolg herbeiführen oder sichern sollen (BSGE 33, 263, 264 = SozR Nr 2 zu § 187 RVO; BSGE 37, 138, 139 = SozR 2200 § 187 Nr 1; BSGE 42, 16, 18 = SozR 2200 § 182 Nr 14; BSG SozR 2200 § 182 Nr 60; Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien vom 26. Februar 1982 Beilage Nr 32/82 zum BAnz Nr 125, Abschnitt A 1 = DOK 1982, 621 = BKK 1982, 269).

Wenngleich sich dem allgemeinen Wortsinne nach auch Arzneimittel als Heilmittel (im weitesten Sinne) auffassen lassen, sind unter Heilmitteln im engeren Sinne Sachleistungen verstanden worden, die im Unterschied zu Arzneimitteln angewendet werden (BSGE 28, 158, 159 = SozR Nr 30 zu § 182 RVO). Die Begriffsbestimmung in den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien vom 26. Februar 1982 Abschnitt A Ziff 1.21 lautete insoweit: „Sächliche Mittel, die zur Behandlung einer Krankheit eingesetzt und überwiegend äußerlich angewendet werden, ohne Arzneimittel zu sein”. Dienstleistungen waren damit zwar nicht ausgeklammert; vgl bereits die Richtlinien des Reichsausschusses für Ärzte und Krankenkassen für die wirtschaftliche Verordnung von Heilmitteln vom 24. Februar 1933 (AN 1933, IV 100), das Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I S 1881) § 10 Nr 3 sowie den Ausschußbericht zum Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz (KVEG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1578), BT-Drucks 9/977 S 22 zu Art 1 Nr 3. Die Rechtsprechung (BSGE 28, 158, 160 = SozR Nr 30 zu § 182 RVO; BSGE 33, 30, 31 = SozR Nr 46 zu § 182 RVO) führte insbesondere Bäder und Massagen als Heilmittel an, setzte jedoch bei der Zuordnung zu den Heilmitteln sowohl iS von § 182 Abs 1 Nr 1 RVO aF, § 193 RVO aF als auch von § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO idF des RehaAnglG voraus, daß bei einer Dienstleistungen umfassenden Heilmaßnahme jedenfalls zusätzlich zu diesen sächliche Mittel angewendet wurden. Heilmaßnahmen, die diesen Anforderungen nicht entsprachen, sind von der Rechtsprechung lediglich wie Heilmittel behandelt, diesen also gleichgestellt worden (BSGE 42, 16, 17 = SozR 2200 § 182 Nr 14; BSGE 48, 258, 263 = SozR 2200 § 182 Nr 47; BSG SozR 2200 § 182 Nr 48; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand Mai 1998, § 27 RdNr 350 und § 32 RdNr 35).

Hilfsmittel unterschieden sich nach ursprünglicher Vorstellung von den Heilmitteln dadurch, daß sie nicht der therapeutischen Einflußnahme dienen, sondern nach beendetem Heilverfahren zur Erhaltung oder Herstellung der Arbeitsfähigkeit erforderlich sind, um bestehende körperliche Defekte auszugleichen (vgl den durch das RehaAnglG aufgehobenen § 187 Nr 3 RVO), wobei es genügt, daß „die beeinträchtigte bzw erschwerte Funktion ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt wird” (BSGE 51, 206, 207 = SozR 2200 § 182b Nr 19). Das Hilfsmittel sollte an die Stelle eines nicht oder nicht voll funktionsfähigen Körperorgans treten und soweit wie möglich dessen Funktion übernehmen, um auf diese Art die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder herzustellen, wobei es, wie von der Rechtsprechung zum früheren Recht mit Blick auf nicht im Erwerbsleben stehende Versicherte entwickelt worden ist, nicht nur auf die Arbeitsfähigkeit im Erwerbsleben ankommt, sondern auch auf die Schulfähigkeit von Schülern und bei Rentnern darauf, daß diejenigen Fähigkeiten erhalten oder hergestellt werden, die notwendig sind, um am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (BSGE 33, 263, 265 ff = SozR Nr 2 zu § 187 RVO; BSG SozR 2200 § 182 Nr 60; Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien vom 26. Februar 1982 aaO). Diese schon zu § 187 Nr 3 RVO aF vertretene Auslegung mußte erst recht gelten, nachdem diese Vorschrift durch das RehaAnglG aufgehoben worden war; die Krankenkassen waren seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, dh seit dem 1. Oktober 1974, auch für die medizinische Rehabilitation zuständig geworden, indem in Ergänzung zu § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst c RVO durch § 182b RVO idF des RehaAnglG (nF) bestimmt worden war, daß der Versicherte einen Anspruch auf diejenigen Hilfsmittel hat, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen.

Mit der Neufassung des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO durch das RehaAnglG wurde auch die Unterscheidung des früheren Rechts nach kleineren und größeren Heilmitteln (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO aF, § 193 Abs 2 RVO aF) aufgehoben. Die kleineren Heilmittel waren bis dahin nach § 182 Abs 1 Nr 1 RVO aF kostenfrei als Regelleistung zu gewähren, während die größeren Heilmittel gemäß § 193 Abs 1 und 2 RVO aF lediglich als freiwillige Mehrleistungen bewilligt oder bezuschußt werden konnten. Der Unterschied zwischen größeren und kleineren Heilmitteln bestand nicht in der Art oder Gattung der Mittel, sondern lag, soweit nicht Brillen und Bruchbänder zu gewähren waren, nur im Wert begründet (BSGE 28, 158, 159 = SozR Nr 30 zu § 182 RVO; BSGE 33, 30, 31 = SozR Nr 46 zu § 182 RVO). Nach der Neuregelung hatten die Krankenkassen alle erforderlichen Kosten für Heilmittel zu tragen, und zwar in voller Höhe. Die Absätze 1 bis 3 des § 182f RVO idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I S 1857) galten allerdings entsprechend für Bagatell-Heilmittel, wenn sie im Anwendungsgebiet der ausgeschlossenen Arzneimittel verwendet wurden (§ 182f Abs 4 RVO idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1982). Brillen, die nach heutiger Rechtslage (vgl BT-Drucks 11/2237 S 174 zu § 33 E) zu den Hilfsmitteln zählen (vgl § 33 Abs 1 SGB V: Sehhilfen), gehörten nach früherem Recht zu den kleineren Heilmitteln (BSG Urteil vom 10. Dezember 1975 – 8 RU 66/75 –). Nach § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO nF stellten Brillen nunmehr eine besondere Leistungsart neben den Heilmitteln dar. Eine entsprechende Zuordnung gilt heute noch im Bereich der Kriegsopferversorgung (vgl § 11 Abs 1 Nr 3 Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫). Die besondere Aufführung der Brillen im früheren und geltenden Recht ist historisch zu erklären (BSGE 33, 263, 265 = SozR Nr 2 zu § 187 RVO).

Bestimmend für den Begriff des Heilmittels war seine Abgrenzung zum Begriff des Hilfsmittels. Nach dem früheren Recht des § 187 Nr 3 RVO idF bis zum Inkrafttreten des RehaAnglG vom 7. August 1974 konnte die Satzung der Krankenkasse Hilfsmittel „gegen Verunstaltung und Verkrüppelung” zubilligen, die nach beendigtem Heilverfahren nötig sind, um die Arbeitsfähigkeit herzustellen oder zu erhalten. Es handelte sich um eine satzungsmäßige Mehrleistung. Die nach dem Wortlaut des § 187 Nr 3 RVO bestehende Beschränkung der Gewährung von Hilfsmitteln auf die Herstellung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit hatte bei allen nicht im Erwerbsleben stehenden Versicherten zu Schwierigkeiten geführt, die aber von der Rechtsprechung in der oben erwähnten Weise überwunden worden waren.

An die Stelle dieser nicht mehr ausreichenden Vorschrift war seit dem 1. Oktober 1974 § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst c RVO nF getreten. Hiernach umfaßte die Krankenpflege Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel. Nach § 182b RVO idF des RehaAnglG und des KVEG vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1578) hatte der Versicherte Anspruch auf Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen, soweit sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Der Anspruch umfaßte auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel. Wählte der Versicherte ein aufwendigeres Hilfsmittel als notwendig, hatte er die Mehrkosten selbst zu tragen. Diese für die Krankenversicherung geltenden Vorschriften lehnten sich an die allgemeine Vorschrift des § 10 Nr 4 RehaAnglG sowie an die für die Unfallversicherung und Rentenversicherung geltenden Regelungen (§ 557 Abs 1 Nr 4 RVO, § 1237 Nr 4 RVO, beide Vorschriften idF des RehaAnglG) an. In der amtlichen Begründung zu dem Entwurf des RehaAnglG zu § 182b RVO (BT-Drucks 7/1237 S 64) ist folgendes ausgeführt: „Nach § 187 Nr 3 RVO kann die Kasse Hilfsmittel gegen Verunstaltung und Verkrüppelung zubilligen, die nach beendetem Heilverfahren nötig sind, um die Arbeitsfähigkeit herzustellen oder zu erhalten. Diese Umschreibung des Hilfsmittels reicht für die Leistungen zur Rehabilitation nicht aus, so daß der Begriff des Hilfsmittels gegenüber der Fassung des § 187 Nr 3 RVO erweitert und in die Neuregelung die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel einbezogen werden. Im übrigen erhält der Versicherte auf die in dieser Vorschrift bezeichneten Leistungen einen Rechtsanspruch.”

IV

In Übereinstimmung mit den zum 31. Dezember 1988 außer Kraft getretenen Vorschriften der RVO gibt auch das SGB V (§ 32) keine Definition dessen, was unter Heilmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu verstehen ist. Der Begriffsinhalt wird ebenso vorausgesetzt wie derjenige der Begriffe Arznei- und Verbandmittel (§ 31 SGB V). Näher umrissen hat das Gesetz lediglich den Hilfsmittelbegriff (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V). Danach haben Versicherte „Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen”, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V (Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis) ausgeschlossen sind. Die in § 182b RVO noch enthaltene Möglichkeit der Gewährung eines „Hilfsmittels, das erforderlich ist, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen”, ist nach dem Wortlaut des § 33 Abs 1 SGB V zwar weggefallen. Damit sollte aber keine Einschränkung des Leistungsanspruchs der Versicherten verbunden sein, weil nach § 11 Abs 2 Satz 1 SGB V zu den „Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V) iS des § 11 Abs 1 Nr 4 SGB V auch medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation gehören, die notwendig sind, um einer drohenden Behinderung oder Pflegebedürftigkeit vorzubeugen, sie nach Eintritt zu beseitigen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten” (vgl BT-Drucks 11/2237 S 174 zu § 33 E).

Im Bereich der Heilmittel werden hingegen nur einzelne Arten von Heilmitteln und Heilmittelgruppen aufgeführt. § 32 Abs 2 Satz 2 SGB V beschränkt den Anwendungsbereich der dortigen zuzahlungsrechtlichen Gleichstellungsregelung auf Massagen, Bäder und Krankengymnastik. § 124 Abs 1 SGB V betrifft diejenigen „Heilmittel, die als Dienstleistungen abgegeben werden” und nennt Leistungen der physikalischen Therapie, der Sprach- und der Beschäftigungstherapie. Schließlich ist § 107 Abs 2 Nr 2 SGB V zu nennen, der Heilmittel einschließlich Krankengymnastik sowie Bewegungs-, Sprach-, Arbeits- und Beschäftigungstherapie anspricht.

Daraus geht hervor, daß die nichtärztlichen medizinischen Dienstleistungen, die – wie ausgeführt – nach altem Recht zum Teil nur „wie Heilmittel” behandelt worden sind, nunmehr als Heilmittel dominieren. Allerdings sollten nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch die sächlichen Mittel, die in der Vergangenheit für die Begriffsbildung von entscheidender Bedeutung waren, weiterhin zu den Heilmitteln gerechnet werden, soweit sie den sonstigen Anforderungsmerkmalen genügten. Das ergibt sich insbesondere aus § 124 Abs 1 SGB V, der eine Regelung für „Heilmittel, die als Dienstleistungen abgegeben werden”, enthält. Träfe diese Kennzeichnung auf alle Heilmittel zu, wäre der einschränkende Nebensatz entbehrlich. Auch die Formulierung des § 107 Abs 2 Nr 2 SGB V spricht für die Einbeziehung sächlicher Mittel in den Heilmittelbegriff. Bestätigt wird das durch die Entstehungsgeschichte des § 32 SGB V. In der Begründung zum Entwurf des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) werden die sächlichen Heilmittel ausdrücklich aufgeführt. So heißt es zu § 32 Abs 1 E SGB V: „Die Vorschrift entspricht dem bisher geltenden Recht (§ 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO). Zu den Heilmitteln gehören neben den sog sächlichen Heilmitteln vor allem Dienstleistungen wie zB Krankengymnastik, Bewegungs- und Beschäftigungstherapie sowie Sprach-, Sprech- und Stimmtherapie” (BR-Drucks 200/88 S 173). Und zur Zulassungsregelung des § 124 SGB V (vgl § 133 Abs 1 E SGB V) heißt es ua: „Neben sächlichen Gegenständen ordnet die Rechtsprechung den Heilmitteln auch Dienstleistungen zu, und zwar solche Behandlungsmaßnahmen, die wie Heilmittel angewendet werden und deren Zweck erfüllen (vgl BSGE 42, 16 ff). Diese rechtliche Zuordnung wird aufrechterhalten” (BR-Drucks 200/88 S 204).

Die herkömmliche Vorstellung von der Aufteilung der sächlichen Mittel in Heil- und Hilfsmittel hat nach dem Wortlaut der §§ 32 und 33 SGB V also zunächst auch im neuen Krankenversicherungsrecht fortbestanden. Der unmittelbare Zusammenhang mit der Krankenbehandlung war das Kriterium, durch das sich Heil- und Hilfsmittel voneinander unterscheiden (BSGE 33, 263, 264 f = SozR Nr 2 zu § 187 RVO; BSGE 37, 138, 139 = SozR 2200 § 187 Nr 1). Während Hilfsmittel dazu bestimmt sind, fortbestehende gesundheitliche Defizite körperlicher, aber auch geistig-seelischer Art (vgl § 27 SGB V und § 1 Abs 1 RehaAnglG) im Rahmen des Möglichen auszugleichen oder erträglicher zu gestalten, sind Heilmittel zur therapeutischen Einflußnahme auf den Krankheitszustand bestimmt, werden also zu Heilzwecken oder zur Sicherung eines Heilerfolgs eingesetzt (BSG SozR 2200 § 182 Nr 60; BSG SozR 2200 § 182b Nr 18). Einem Heilzweck dienen Mittel, die geeignet sind, eine Erkrankung zu heilen, zu bessern oder vor einer Verschlimmerung zu bewahren. Eine unmittelbare Heilwirkung ist demgegenüber nicht erforderlich. Es genügt, wenn das Mittel in bezug auf eine bestimmte Gesundheitsstörung schädigende Einflüsse vom Körper abhält und somit die konkrete Erkrankung zwar nur mittelbar, aber doch gezielt bekämpft. Der Zusammenhang zur Krankenbehandlung ist auch in zeitlicher Hinsicht erforderlich (BSG SozR Nr 3 zu § 193 RVO).

Diese Abgrenzungskriterien bestimmen bis heute die Rechtsprechung zum Heil- und Hilfsmittelbegriff in der GKV. Sie hat sich aus Sicht des Senats als unbrauchbar erwiesen. Die Zweckbezogenheit des Heilmittelbegriffs erschwert die Zuordnung und macht sie nahezu unmöglich, wo es darum geht, ob ein sächliches Mittel der Verhütung oder Linderung von Krankheitsbeschwerden dient (§ 27 Abs 1 Satz 1 SGB V) oder zur Sicherung eines Heilerfolgs eingesetzt wird (dann Heilmittel) oder ob es „den Erfolg der Krankenbehandlung sichert” (dann Hilfsmittel, vgl § 33 Abs 1 Satz 1 1. Alternative SGB V). Die Tatbestandsmerkmale stimmen nicht nur teilweise überein, sondern lassen sich insbesondere auch dann nicht klar voneinander unterscheiden, wenn es um die Frage geht, ob eine Krankenbehandlung – zB bei chronischen Erkrankungen oder Zuständen, die immer wieder einmal der Behandlung bedürfen – noch andauert oder schon abgeschlossen ist. Ob ein bestimmtes sächliches Mittel Heil- oder Hilfsmittel ist, hing nicht selten vom jeweiligen Blickwinkel ab. Nach BSGE 30, 151, 153 f = SozR Nr 37 zu § 182 RVO ist die Armprothese für ein Kind eher als Heilmittel zu werten, wenn sich durch deren Anpassung mit anschließender Übungsbehandlung eine nicht unwesentliche Besserung der Körperfunktionen erreichen läßt. In der Entscheidung des BSG SozR Nr 3 zu § 193 RVO ist ein wegen Wirbelsäulen-Tbc verordnetes Stützkorsett als Heilmittel angesehen worden, weil es nicht nach Abschluß der Behandlung Funktionsbeeinträchtigungen ausgleichen, sondern den Erfolg der noch andauernden Behandlungsmaßnahmen sichern sollte. Gegen die BSG-Entscheidung SozR 2200 § 182b Nr 24, die ebenso wie BSGE 66, 245 = SozR 3-2500 § 33 Nr 1 Einmalwindeln den Hilfsmitteln zugeordnet hat, ist der Einwand erhoben worden, daß diese Einlagen die Feuchtigkeitseinwirkungen auf die Haut herabsetzen und daher auch Heilmittel sein könnten (Töns, DOK 1984, 432, 436). Ein Rollstuhl, der nach herkömmlichem Verständnis als Hilfsmittel angesehen wird, ist als Heilmittel eingestuft worden, wenn er während der stationären Behandlung zur Entlastung der Beine benötigt wird (Bayerisches LSG, Urteil vom 21. November 1974, KVRS 2230/10). Auch die Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der GKV (HMVO) vom 13. Dezember 1989 (BGBl I S 2237) zählt Gegenstände auf, die nach altem Recht als Heilmittel gewertet worden sind; vgl § 1 Nr 2 (Leibbinden; s ErsK 1988, 257, 272), § 2 Nr 2 (Armtragetücher; ErsK 1988, 257, 259) und § 2 Nr 4 (Augenklappen; s ErsK aaO).

V

Die Spitzenverbände der Krankenkassen hatten schon vor Inkrafttreten des SGB V mit Blick auf diese unscharfen, nahezu willkürlichen Einstufungen aufgrund einer Besprechung vom 9. Dezember 1988 die Auffassung vertreten, daß für die Abgrenzung zwischen Heil- und Hilfsmitteln eine „objektive Entscheidungsgrundlage” geschaffen werden müsse, die eine Gleichbehandlung der Versicherten unabhängig von der medizinischen Zweckbestimmung im Einzelfall gewährleiste. Sie sind zu dem Ergebnis gelangt, daß Heilmittel iS von § 32 SGB V nur Dienstleistungen der nach § 124 SGB V zugelassenen Personen seien, während alle sächlichen Mittel oder technischen Produkte, die als serienmäßige Produkte unverändert oder nach handwerklicher Zurichtung abgegeben würden, als Hilfsmittel betrachtet werden müßten.

Die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 17. Juni 1992 (BAnz Nr 183b S 13), die am 1. Oktober 1992 in Kraft getreten sind, haben in Übereinstimmung mit dieser Stellungnahme der Spitzenverbände in Abschnitt A Ziff I folgende Begriffsbestimmungen vorgenommen:

„1 Heilmittel sind persönliche medizinische Leistungen. Zu ihnen gehören:

1.1 Maßnahmen der physikalischen Therapie (siehe Abschnitt B)

1.2 Sprachtherapie (siehe Abschnitt G)

1.3 Beschäftigungstherapie (siehe Abschnitt D)

2 Hilfsmittel sind sächliche medizinische Leistungen. Zu ihnen gehören:

2.1 Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel

2.2 Sehhilfen (siehe Abschnitt E)

2.3 Hörhilfen (siehe Abschnitt F)

2.4 Sächliche Mittel oder technische Produkte, die dazu dienen, Arzneimittel oder andere Therapeutika, die zur inneren Anwendung bestimmt sind, in den Körper zu bringen (zB Spritzen, Inhalationsgeräte und ähnliche Applikationshilfen)

2.5 Änderungen, Instandsetzungen und Ersatzbeschaffungen von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch.”

Damit hat der Bundesausschuß jedoch keine rechtlich verbindliche Regelung zur Neubestimmung der Begriffe Heilmittel und Hilfsmittel getroffen. Den Richtlinien kommt insoweit keine normative Kraft zu. Zur Ausklammerung aller Heilzwecken dienenden sächlichen Mittel, die nach § 182 RVO bzw § 32 SGB V und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher als Heilmittel eingestuft werden, und für ihre Zuordnung zu den Hilfsmitteln iS des § 33 SGB V fehlt es an einer Ermächtigung des Bundesausschusses. Zwar hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen auch die gesetzliche Aufgabe, Richtlinien über die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung und häusliche Krankenpflege zu beschließen (§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V), in diesem Rahmen einen Katalog verordnungsfähiger Heilmittel aufzustellen sowie die Zuordnung der Heilmittel zu Indikationen zu regeln (§ 92 Abs 6 Nrn 1 und 2 SGB V). Dabei hat er sich jedoch an der gegebenen Rechtslage zur Abgrenzung von Heil- und Hilfsmitteln zu orientieren. Eine Ermächtigung des Bundesausschusses zur Neubestimmung dieser Begriffe in Richtlinien ist weder in § 92 SGB V noch in einer anderen Vorschrift dieses Gesetzes enthalten; eine solche Ermächtigung dürfte bei Anlegen des Wesentlichkeitsmaßstabs auch verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen.

In der Sache möchte der Senat aber in Zukunft dieser neuen Abgrenzung der Begriffe Heil- und Hilfsmittel folgen. Der praktische Nutzen einer solchen klaren, jede Überschneidung der Begriffsinhalte vermeidenden – und nicht zuletzt auch gerichtliche Zuständigkeiten eindeutig festlegenden – Abgrenzung ist nicht zu bezweifeln. Findet die Begriffsbestimmung der Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien Anwendung, bleibt die Abgabe sächlicher Mittel unabhängig davon zuzahlungsfrei, ob diese im Einzelfall zu Heilzwecken verordnet worden sind. Denn für Hilfsmittel iS von § 33 SGB V ist anders als nach § 32 SGB V keine Zuzahlung zu leisten. Prüfung und Kenntlichmachung der Zweckbestimmung werden entbehrlich. Die prozentuale Zuzahlung nach § 32 Abs 2 SGB V beschränkt sich dann auf die Abgabe persönlicher therapeutischer Dienstleistungen durch Nicht-Ärzte.

Die vorgesehene Neubestimmung des Heilmittelbegriffs verstößt nach Auffassung des Senats nicht gegen die gesetzliche Regelung des § 32 SGB V. Bei der Formulierung der §§ 32, 107 und 124 SGB V hat der Gesetzgeber den Begriff des Heilmittels nicht selbst definiert, sondern einen offenen Begriff gewählt, der die bis dahin entwickelte Rechtsprechung lediglich aufgegriffen und übernommen, nicht aber für die Zukunft festgeschrieben hat. In einem neueren Gesetz hat sich der Gesetzgeber die in den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien vom 17. Juni 1992 enthaltenen neuen Begriffe der Heil- und Hilfsmittel zu eigen gemacht. Im Zuge der Reform des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung durch das Gesetz vom 7. August 1996 (BGBl I S 1254), das am 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist, hat er im Sozialgesetzbuch – Siebtes Buch (SGB VII) die neuen Begriffe für diesen Bereich ausdrücklich übernommen. In der amtlichen Begründung zu § 30 SGB VII (BR-Drucks 13/2204, S 83) heißt es dazu: „Die Vorschrift definiert den Begriff der Heilmittel entsprechend der Praxis, die sich in der gesetzlichen Krankenversicherung herausgebildet hat.” Demgemäß sind nach § 30 SGB VII Heilmittel nunmehr (nur noch) „alle ärztlich verordneten Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfen. Hierzu gehören insbesondere Maßnahmen der physikalischen Therapie sowie der Sprach- und Beschäftigungstherapie”. Nach § 31 Abs 1 SGB VII sind demgegenüber Hilfsmittel „alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel”. Diese Entwicklung zeigt, daß der Gesetzgeber die neue Begriffsbestimmung für sachdienlich und zweckmäßig hält. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken, sie künftig auch im Bereich der GKV anzuwenden. Daß der Wortlaut der §§ 32, 124 und 107 SGB V bislang noch nicht im gleichen Sinne geändert worden ist, steht nicht entgegen; daraus kann nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber die Bereiche Unfallversicherung und Krankenversicherung unterschiedlich behandelt wissen will.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175542

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