1.1.1 Abgrenzung zu mitbestimmungsfreien Einzelfallmaßnahmen

Die Mitbestimmungsrechte gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG bestehen in der Regel nur in allgemeinen, kollektiven Angelegenheiten und nicht bei Einzelfallmaßnahmen ohne Bezug zur übrigen Belegschaft.

 
Praxis-Beispiel

Kein Mitbestimmungsrecht in Einzelfällen:

  • Festlegung einer individuellen Arbeitszeit für einen einzelnen Arbeitnehmer im Hinblick auf besondere persönliche Belange
  • Anordnung des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Tag nach § 5 Abs. 1 EntgFZG
  • Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einen einzelnen Arbeitnehmer, sofern darüber Einvernehmen besteht (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG)

Es muss jeweils aus Sinn und Zweck der infrage stehenden Regelung entnommen werden, ob ein kollektiver Bezug vorhanden ist. Der kollektive Bezug entfällt nicht schon deshalb, weil der Arbeitgeber bereits einzelvertragliche Vereinbarungen mit den betroffenen Arbeitnehmern geschlossen hat.[1] Eine mitbestimmungsfreie einzelvertragliche Regelung liegt nur dann vor, wenn sie durch individuelle Umstände des einzelnen Arbeitsverhältnisses und nicht durch ein betriebliches Regelungsbedürfnis (z. B. allgemeine Arbeitsmarktzulagen zur Mitarbeitergewinnung) veranlasst worden ist.[2] Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG ist damit an das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands gebunden.[3]

1.1.2 Mitbestimmung bei einseitigen eilbedürftigen Maßnahmen

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bleibt auch in den sogenannten Eilfällen bestehen, in denen eine baldige Regelung erfolgen muss, der Betriebsrat aber noch nicht seine Zustimmung erteilt hat. Ein Eilfall liegt regelmäßig vor, wenn schnelles Handeln erforderlich ist, aber der Zeitpunkt des Ereignisses nicht ohne Weiteres vorhersehbar ist (Lkw stand im Stau und muss noch entladen werden). Eine mit § 100 BetrVG (vorläufige personelle Maßnahmen) vergleichbare Regelung sieht § 87 BetrVG nicht vor. Außerdem hat der Gesetzgeber in § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht für die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit vorgesehen, obwohl derartige Maßnahmen in der Regel kurzfristig angeordnet werden müssen. Hier müssen sich Arbeitgeber und Betriebsrat damit behelfen, dass sie eine Rahmenbetriebsvereinbarung abschließen, die das Vorgehen in Eilfällen regelt.[1] Voraussetzung ist eine unvorhersehbare und so schwerwiegende Situation, in der der Betriebsrat entweder nicht erreichbar oder nicht zur rechtzeitigen Beschlussfassung in der Lage ist, der Arbeitgeber aber sofort handeln muss, um vom Betrieb oder den Arbeitnehmern nicht wiedergutzumachende Schäden abzuwenden. Dann wird in aller Regel aber schon ein Notfall vorliegen (dazu sogleich).[2] Nach richtiger Auffassung des Hessischen LAG kann der Arbeitgeber zunächst dann alleine entscheiden, wenn es sich um einen Notfall handelt und wenn sofort gehandelt werden muss, um von dem Betrieb oder den Arbeitnehmern Schaden abzuwenden, oder wenn er willkürlich seine Zustimmung verweigert. Die Beteiligung des Betriebsrats soll dann unverzüglich nachgeholt werden.[3]

1.1.3 Einschränkung der Mitbestimmungsrechte

In Notfällen kann das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beschränkt sein. Ein Notfall soll dann vorliegen, wenn eine plötzliche, nicht vorhersehbare Situation eintritt, die zur Verhinderung nicht wiedergutzumachender Schäden zu unaufschiebbaren Maßnahmen zwingt.[1]

 
Praxis-Beispiel

Wann liegt ein "Notfall" vor?

Bei Ausbruch eines Brandes, beim Auftreten einer Überschwemmung oder bei Explosionsgefahr.

Als Faustformel für die Abgrenzung kann die Frage dienen, ob dieser Situation mit betriebsorganisatorischen Mitteln rechtzeitig bei vorausschauender Planung hätte begegnet werden können. Von daher werden nur Extremsituationen als Notfälle angesehen werden können. Eine Betriebsvereinbarung, die dem Arbeitgeber in Not- und Einfällen eine zunächst alleinige Entscheidung im Regelungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zustand, war mit Blick auf den Regelungszusammenhang der in der Betriebsvereinbarung geregelten Gegenstände wegen eines Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam.[2]

1.1.4 Mitbestimmungsrecht auch im Probelauf

Für das Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten ist es gleichgültig, ob der Arbeitgeber seine beabsichtigte Maßnahme kurzfristig oder auf Dauer anlegt. Von daher umfasst das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auch die Fälle, in denen der Arbeitgeber mitbestimmungspflichtige Maßnahmen zunächst nur probeweise durchführen will.[1]

Das ist z. B. bei Probeläufen von Programmen zur Auswertung von betrieblichen und personenbezogenen Daten der Fall, oder bei der "probeweisen" Einführung eines Personalinformationssystems.

[1] L...

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