Leitsatz (amtlich)

Greift die Zwangsvollstreckung wegen einer Steuerforderung in das Eigentum eines Dritten ein, dann kann der Eigentümer, wenn die Sache während des Widerspruchsprozesses versteigert ist, zwar Herausgabe des Erlöses nach Bereicherungsgrundsätzen vom Vollstreckungsgläubiger und möglicherweise Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung vom Dienstherrn der Vollstreckungsorgane, aber nicht Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs verlangen.

 

Normenkette

GG Art. 14; BGB § 812; ZPO § 771

 

Verfahrensgang

KG Berlin

LG Berlin

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 18. November 1958 aufgehoben, soweit es zum Nachteil der Beklagten erkannt hat.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 24. Februar 1958 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Der Kläger hat die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Am 25. Mai 1955 erließ das Finanzamt Berlin-Wilmersdorf eine Pfändungsverfügung, mit der es den angeblichen Anspruch seines Steuerschuldners S… gegen einen Fuhrunternehmer O… in B… auf Herausgabe eines Volkswagens mit dem Kennzeichen … pfändete und dem Finanzamt zur Einziehung überwies. Der Fuhrunternehmer O… gab den Wagen dem Vollstreckungsbeamten zur Versteigerung heraus.

Der Kläger erhob Klage mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung in den Kraftwagen für unzulässig zu erklären, weil dieser sein Eigentum sei (§ 771 ZPO). Das Landgericht Berlin wies die Klage ab, doch gab das Kammergericht auf die Berufung des Klägers ihr durch Urteil vom 29. Januar 1957 statt, da es das Eigentum des Klägers für nachgewiesen ansah.

Während des Berufungsrechtszuges hatte die Finanzbehörde die Vollstreckung durchgeführt und den Kraftwagen verwertet. Der Kläger hatte durch seinen Rechtsanwalt zwar beim Landgericht einen Beschluß erwirkt, wonach die Zwangsvollstreckung in den streitigen Wagen „bis zur weiteren Entscheidung über den Einstellungsantrag des Klägers” einstweilen einzustellen sei, aber im Berufungsrechtszug eine weitere Einstellung nicht beantragt.

Der Kraftwagen hatte einen Erlös von 750 DM erbracht, den die Beklagte nach Abzug ihrer Lager- und Vollstreckungskosten von 382,80 DM mit 367,20 DM an den Kläger herausgab.

Der Kläger meint, die Beklagte habe pflichtwidrig und schuldhaft seine Eigentumsrechte verletzt. Sie habe den Einstellungsbeschluß mißachtet und mindestens den Ausgang des Berufungsrechtszuges abwarten, auch den Kläger von der bevorstehenden Versteigerung benachrichtigen müssen. Er behauptet, der Wagen habe einen Wert von 2.200 DM gehabt, und hat beantragt, Berlin zur Zahlung von 1.632,80 DM nebst Zinsen zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, ihre Beamten hätten rechtmäßig und keinesfalls schuldhaft gehandelt. Sie bestreitet auch die Angaben über den Wert des Wagens und weist darauf hin, daß der Kläger durch einen neuen Einstellungsbeschluß die Verwertung hätte verhindern können.

Das Landgericht hat die Klage mangels Verschuldens der Beamten abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Klaganspruch nur zu 2/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Klage in Höhe von 544,26 DM abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die volle Klagabweisung erstrebt. Der Kläger bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, daß die Finanzbeamten bei der Verwertung des Wagens in Ausübung öffentlicher Gewalt gehandelt und dabei die ihnen dem Kläger gegenüber obliegenden Amtspflichten schuldhaft verletzt hätten (§ 839 BGB 9, Art. 34 GG). Die Beamten hätten gewußt, daß das Kammergericht im Vorprozeß dem landgerichtlichen Urteil nicht folgte, sondern eine neue Beweisaufnahme durchführte. Sie hätten nun die Amtspflicht gehabt, die Klärung der Eigentumsverhältnisse abzuwarten und keine vollzogenen Tatsachen zu schaffen. Aber der Schaden wäre vermieden worden, wenn der Prozeßbevollmächtigte des Klägers einen Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung auch in der Berufungsinstanz gestellt hätte. Das darin liegende Verschulden sei dem Kläger zuzurechnen; eine Schadensteilung im Verhältnis 1: 2 sei angemessen (§ 254 BGB). Sonstige Anspruchsgrundlagen beständen nicht.

Die Revision meint insbesondere, das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Klägers hätte nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zur vollständigen Klagabweisung führen müssen.

Die Rüge ist begründet.

1) Ein Anspruch auf Schadensersatz kann vom Kläger nur aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG hergeleitet werden, denn die Bediensteten der Beklagten haben bei Ergreifen von Maßnahmen im Rahmen der Zwangsvollstreckung in Ausübung eines ihnen übertragenen Amtes im Sinne des Art. 34 GG gehandelt.

Das Berufungsgericht hat ein Verschulden der Vollstreckungsorgane der Beklagten im vorliegenden Fall auf Grund der besonderen Umstände bejaht. Es meint, die Beamten hätten während des Schwebens des Interventions-Prozesses bei dem damaligen Ergebnis der Beweisaufnahme und dem Inhalt des im damaligen Berufungsrechtszug ergangenen neuen Beweisbeschlusses, nachdem der Kläger eine weitere, den Kauf des streitigen Fahrzeugs durch ihn bestätigende Vertragsurkunde vorgelegt hatte, durch die vorzeitige Veräußerung des Wagens vor Durchführung der weiteren Beweisaufnahmen, keine vollzogenen Tatsachen schaffen dürfen; sie hätten damit rechnen müssen, daß der Kläger möglicherweise Eigentümer des Fahrzeugs war. Danach hatten die Beamten in der Tat gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, daß sie mit ihrer Vollstreckung in Vermögensrechte unbeteiligter Dritter übergriffen. Bei einer solchen Sachlage ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß das Kammergericht das Verhalten der Bediensteten der Beklagten, nämlich die Versteigerung des Pfandstücks während des Rechtsstreits ohne Benachrichtigung des Klägers bereits als schuldhafte Verletzung einer dem Kläger gegenüber obliegenden Amtspflicht gewertet hat. Die Revisionsbegründung hat das auch nicht weiter angegriffen.

2) Das Berufungsgericht hat den Schaden wegen mitwirkenden Verschuldens mit der Begründung geteilt, der Anwalt des Klägers habe es schuldhaft versäumt, den Schaden durch Erwirkung eines Einstellungsbeschlusses abzuwenden. Dabei hat das Berufungsgericht jedoch übersehen, daß die Amtshaftung nach § 839 BGB, Art. 34 GG bei fahrlässiger Amtspflichtverletzung nur subsidiär gilt; kann der Geschädigte bei fahrlässiger Amtspflichtverletzung auf andere Weise Ersatz verlangen, insbesondere von seinem Anwalt wegen Verletzung der Anwaltspflichten, dann haften der Beamte und der Dienstherr überhaupt nicht (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Der Kläger meint, dieser Grundsatz sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Bediensteten der Beklagten sogar vorsätzlich gehandelt hätten, doch greift dies nicht durch. Das Berufungsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, aus denen sich ergibt, daß die Beamten vorsätzlich gehandelt, nämlich bewußt und gewollt in Kenntnis der Pflichtwidrigkeit das Eigentum des Klägers verwertet haben. Die städtischen Organe durften sich an den das gesamte Vollstreckungsrecht beherrschenden Grundsatz halten, daß die Vollstreckungsbehörden auf Grund des Titels die im Gewahrsam des Schuldners befindlichen und äußerlich zu seinem Vermögen gehörenden Vermögensstücke bei der Vollstreckung erfassen und es Dritten überlassen dürfen, ihre angeblichen Rechte im Prozeßwege geltend zu machen. Dasselbe gilt, wenn die Sache – wie hier im Gewahrsam eines zur Herausgabe bereiten anderen Besitzers erfaßt wird. Außerdem hatte das Landgericht nach einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen, weil der Kläger nicht nachgewiesen habe, daß er Eigentümer des gepfändeten Wagens geworden sei. Der Einstellungsbeschluß des Landgerichts war, wie unten näher ausgeführt wird, außer Kraft getreten. Die Fortsetzung der Vollstreckung in einer derartigen Verfahrenslage konnte beim Fehlen weiterer Feststellungen nur als Pflichtverletzung und fahrlässige Mißachtung des etwaigen Eigentums des Klägers gewertet werden.

Der Kläger hatte allerdings im Berufungsrechtszug Beweis dafür angetreten, daß „den Finanzämtern durch eine interne Anordnung die Verwertung gepfändeter Gegenstände vor dem Abschluß über diese schwebenden Prozesse verboten” sei. Das Berufungsgericht hat den Beweis nicht erhoben und insoweit keine Feststellungen getroffen. Das nötigt jedoch nicht zur Aufhebung des Urteils, weil dieser Beweisantritt für die Annahme eines Vorsatzes der Beamten nicht ausreichte. Denn zur Bejahung des Vorsatzes der Beamten gehörte die Feststellung, daß sie diese Anordnung gekannt und bewußt mißachtet haben. Der Kläger hat zwar in der Revisionsverhandlung ausgeführt. Diese Anordnung sei den beteiligten Beamten „unzweifelhaft bekannt” gewesen. Der Kläger hatte jedoch für die Kenntnis in den Tatsacheninstanzen keinen Beweis angetreten; denn auch bei wohlwollender Auslegung kann eine entsprechende Behauptung aus dem erwähnten Beweisangebot nicht herausgelesen werden. Die Revisionserwiderung geht anrechnend weiter von einem allgemeinen Erfahrungssatz aus, daß eine so wesentliche Anordnung stets allen beteiligten Beamten bekannt sei. Das Berufungsgericht hat einen derartigen Erfahrungssatz jedoch nicht festgestellt; nach der Auffassung des Revisionsgerichts besteht ein solcher Erfahrungssatz auch nicht; im Gegenteil ist nach der Erfahrung nicht auszuschließen, daß Beamte die zahlreichen neben den gesetzlichen Vorschriften erlassenen internen Verwaltungsvorschriften nicht gegenwärtig haben, sondern vergessen, übersehen, bisweilen nicht einmal kennen.

Es bestehen weiterhin keine Bedenken gegen die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Anwalt des Klägers seine Anwaltspflichten fahrlässig verletzt hat, weil er es unterlassen hat, auch im Berufungsrechtszug einen Einstellungsantrag zu stellen. Einstellungsbeschlüsse nach §§ 771, 769 ZPO, § 328 RAbgO treten regelmäßig mit Erlaß des erstinstanzlichen Urteils außer Kraft. Das ergibt sich insbesondere aus § 770 ZPO und entspricht jetzt der übereinstimmenden Auffassung von Rechtslehre und Rechtsprechung (RGZ 42, 370; Dresden OLG 26, 385; KG OLG 29, 2, 189; Stein-Jonas ZPO § 769 I; Wieczorek, ZPO § 769 A II a; Zöller § 769, 1 b). Der Anwalt des Klägers mußte diese Rechtsprechung kennen oder sich damit vertraut machen. Die Fassung des Einstellungsbeschlusses des Landgerichts änderte an dieser mit Erlaß des Instanz-Urteils endenden Wirkung des Einstellungsbeschlusses nichts, denn sie enthielt im Gegenteil eine Einschränkung und keine zeitliche Erweiterung der Einstellungswirkung, weil das Landgericht nach dem Wortlaut des Beschlusses nicht einmal eine endgültige Entscheidung für die Dauer der Instanz erlassen wollte. Diese Einschränkung war für den Anwalt auch um so eher erkennbar, weil der Grund für diese Fassung in den ihm mitgeteilten erheblichen Bedenken des Landgerichts zu vermuten war, ob der Kläger wegen fehlender Übergabe Eigentum am Kraftwagen erworben haben könnte.

Die Revisionserwiderung hat weiter bemerkt, in Berlin bestehe die Gerichtspraxis, daß derartige Einstellungsbeschlüsse stets bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits wirken. Das Berufungsgericht hat eine solche Gerichtspraxis offenbar verneint. Es geht – entsprechend der allgemeinen Rechtslage – davon aus, daß der Einstellungsbeschluß mit Erlaß des landgerichtlichen Urteils außer Kraft getreten und diese Wirkung für den Prozeßbevollmächtigten des Klägers erkennbar gewesen sei. Ferner hat der Kläger in den Tatsacheninstanzen niemals vorgetragen, daß sein Anwalt einen neuen Einstellungsantrag deshalb unterlassen habe, weil er auf eine abweichende Gerichtspraxis in Berlin vertraut oder infolge Kenntnis der von ihm behaupteten internen städtischen Anordnung von einem erneuten Einstellungsantrag im Berufungsrechtszug abgesehen habe. Im Revisionsverfahren kann er mit einem entsprechenden neuen Vortrag nicht gehört werden. Im übrigen hätte der Anwalt, selbst wenn er an die Fortgeltung des Einstellungsbeschlusses geglaubt haben sollte, trotzdem einen neuen Einstellungsantrag stellen oder seine Auffassung durch eine Rückfrage beim Berufungsgericht klären lassen müssen, weil der Anwalt – ebenso wie ein Notar – verpflichtet ist, in zweifelhaften Fällen im Interesse seines Auftraggebers stets den sichersten Weg zu gehen (vgl. BGH III ZR 191/57 vom 18. Dezember 1958).

Der Kläger kann wegen dieser schuldhaften Vertragsverletzung seines Anwalts von diesem als Schadensersatz verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der Anwalt rechtzeitig einen Einstellungsbeschluß erwirkt hätte; dann wäre der hier geltend gemachte Schaden vermieden worden. Der Kläger hat somit die rechtliche Möglichkeit, anderweitig Ersatz zu erlangen; daß der Anwalt zahlungsunfähig sei, hat der Kläger nicht behauptet. Er kann deshalb von der Beklagten nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB keinen Schadensersatz beanspruchen, so daß dieses Klagebegehren in vollem Umfang unbegründet ist.

3) Das Urteil kann auch nicht mit anderer Begründung gehalten werden (§ 563 ZPO). Der in solchen Fällen regelmäßig bestehende Bereicherungsanspruch ist hier dadurch erledigt, daß die Beklagte den Versteigerungserlös nach Abzug der Vollstreckungskosten, also ihre restliche Bereicherung an den Kläger abgeführt hat. Andere Anspruchsgrundlagen bestehen nicht, insbesondere begründen rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahmen keine Entschädigungsansprüche wegen Eingriffs in das Eigentum. Ansprüche wegen Enteignung scheiden schon deshalb aus, weil als Enteignung nur der rechtmäßige hoheitliche Eingriff anzusehen ist, der dem Betroffenen ein Sonderopfer auferlegt, während rechtswidrige Eingriffe der öffentlichen Hand in die rechtlich geschützten Vermögenswerte des einzelnen als enteignungsgleiche Eingriffe unter bestimmten Voraussetzungen gewertet werden (vgl. BGHZ 6, 270), so daß höchstens Entschädigungsansprüche wegen enteignungsgleichen Eingriffs in Betracht kommen könnten. Der Bundesgerichtshof hat nun bereits in zwei ähnlich liegenden Fällen Enteignungsansprüche versagt, nämlich bei der fehlerhaften Eröffnung eines Konkursverfahrens (III ZR 25/58 vom 2. April 1959 = LM Nr. 21 zu GG Art. 14 Bb) sowie bei der ungerechtfertigten Anordnung und Vollziehung eines Steuerarrestes (III ZR 39/58 vom 25. Mai 1959 = BGHZ 30, 123). Die in diesen Entscheidungen aus dem Begriff der Enteignung entwickelten Grundsätze gelten entsprechend für den vorliegenden Fall eines Vollstreckungsverfahrens wegen einer Steuerforderung, das rechtswidrig in Vermögenswerte Dritter übergegriffen hat:

Bei der Zwangsvollstreckung – ausgehend von der Zivilprozeßordnung – stellt der Staat seine Machtmittel zur Durchsetzung eines durch die Gerichte festgestellten Individualanspruchs des Gläubigers gegen einen Schuldner zur Verfügung. Der zwangsweise Eingriff soll dabei nur Vermögensverschiebungen zwischen diesen bestimmten Parteien ermöglichen. Der Einsatz der Machtmittel des Staates bei der Zwangsvollstreckung wegen eines Anspruchs liegt zwar auch im staatlichen Interesse, weil der Staat zwecks Erhaltung des Rechtsfriedens und zur Verhinderung von Mißbräuchen sich die Anwendung dieser Zwangsmaßnahmen vorbehält, aber das ist für das Wesen des enteignenden Eingriffs nicht entscheidend. Denn eine Enteignung liegt nur vor, wenn einem Einzelnen im Interesse der Allgemeinheit ein Sonderopfer auferlegt wird. Enteignungsgleiche Eingriffe wiederum sind nur solche rechtswidrigen Eingriffe, die für den Fall ihrer gesetzlichen Zulässigkeit nach Inhalt und Wirkung enteignenden Charakter hätten. Bei der Enteignung ist die Leistung als solche wesentlicher, während die Person des Leistungspflichtigen nur von Bedeutung ist, soweit er gerade der einzige Besitzer des benötigten Gegenstandes ist, so daß die Person des Betroffenen für den Regelfall der Enteignung zurücktritt. Das zeigt den wesentlichen Unterschied zum hoheitlichen Eingriff im Vollstreckungsverfahren, bei dem sich immer nur die durch den Vollstreckungstitel genau bezeichneten Personen gegenüberstehen. Die gesetzmäßige Vollstreckung eines gerichtlich festgestellten Individualanspruchs ist danach niemals Enteignung. Die fehlerhafte Vollstreckung kann nicht anders behandelt werden, weil auch sie nicht den Staat in seiner Eigenschaft als Vollstreckungsorgan begünstigt. Deshalb kann ein im Zivilprozeß Verurteilter nicht auf Rückgewähr des Vollstreckungserlöses gegen den Staat mit der Behauptung klagen, das zugrundeliegende Urteil sei sachlich unrichtig, also rechtswidrig, oder die Vollstreckung verfahrenswidrig oder sonst unrichtig durchgeführt.

Nun liegt hier die Besonderheit vor, daß die Vollstreckung rechtswidrig in Vermögenswerte Dritter übergegriffen hat. Aber diese Fälle können nicht anders behandelt werden; denn auch dieses Opfer, das der Dritte dabei erleidet, wird ihm nicht zu Gunsten der Allgemeinheit auferlegt. Derartige Übergriff ergeben sich aus der besonderen und gewollten Regelung des Vollstreckungsrechts, das grundsätzlich den Vollstreckungsorganen die Befugnis verleiht, nach dem äußeren Bild, insbesondere den Gewahrsams- und Besitzverhältnissen zuzugreifen, und es dem etwa betroffenen Dritten überläßt, Übergriffe durch Klage abzuwehren und seine Rechte im Prozeßwege geltend zu machen. Versäumt dabei jemand diese Rechtsbehelfe dann kann er zwar zunächst einen Rechtsverlust erleiden, der jedoch nach Bereicherungsgrundsätzen ausgeglichen wird, aber nur zwischen dem Dritten und dem bereicherten Gläubiger. Der Dritte kann zwar einen Schaden erleiden, wenn die verbleibende Bereicherung seinen vollen Substanzverlust nicht deckt, aber dieses Sonderopfer wird ihm nicht zugunsten der Allgemeinheit, sondern zugunsten des Vollstreckungsgläubigers auferlegt, nämlich bei der zwangsweisen Durchsetzung der im Vollstreckungstitel festgesetzten Individualansprüche des Gläubigers gegen seinen Schuldner. Gegen den Staat als Vollstreckungsorgan, der zwar seine Machtmittel eingesetzt hat, aber dadurch in keiner Weise begünstigt ist, bestehen Erstattungsansprüche nur, wenn die beteiligten Bediensteten eine Amtspflichtverletzung begangen haben.

Dasselbe gilt für die Ansprüche gegen den Staat wegen seiner Tätigkeit als Vollstreckungsorgan, wenn die Vollstreckung eines Steuerbescheides irrigerweise in Vermögensstücke Dritter übergreift. Zwar ist der Steuerbescheid kein gerichtliches Urteil, aber er kommt in seiner Wirkung und Ausgestaltung dem Urteil sehr nahe, so daß die Vollstreckung eines Steuerbescheides hier wie die Zwangsvollstreckung eines Zivilurteils behandelt werden muß. Die Vollstreckung wegen einer in einem förmlichen Verfahren zwischen Steuerbehörde und Steuerschuldner festgestellten Zahlungsverpflichtung ist daher anders zu behandeln als die zwangsweise Durchsetzung eines sonstigen hoheitlichen belastenden Eingriffs. Der hier vorliegende fehlerhafte Zugriff auf fremdes Vermögen im Vollstreckungsverfahren kann deshalb ebenfalls nur nach Bereicherungs- oder Amtshaftungsgrundsätzen ausgeglichen werden.

Den Revisionsanträgen muß daher mit der Kostenfolge der §§ 91, 97 ZPO stattgegeben werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609526

BGHZ, 240

NJW 1960, 1461

MDR 1960, 651

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