Verfahrensgang

OLG Nürnberg (Entscheidung vom 15.01.1992)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 15. Januar 1992 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin, ein Wäschereibetrieb, unterhält in Bad W. eine Wäschereigroßbetriebsanlage, in der aufgrund des zwischen ihrer Rechtsvorgängerin und dem Beklagten geschlossenen Vertrages vom 30. Juli 1974 sämtliche im Betrieb "Kurzentrum Bad W." anfallende Wäsche gewaschen und gebrauchsfertig bearbeitet wurde. Der Beklagte kündigte mit Schreiben vom 10. April 1989 den Wäschereivertrag zum 31. Dezember 1989 unter Hinweis auf § 8 Abs. 2 des Vertrages und weiterhin mit Schreiben vom 23. Juli 1990 zum 31. Dezember 1990.

Die Klägerin widersetzt sich der Kündigung des Vertrages. Sie begehrt die Feststellung, daß der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag vom 30. Juli 1974 durch die Kündigung vom 10. April 1989 nicht zum 31. Dezember 1989 aufgelöst sei, sondern über den 31. Dezember 1989 hinaus fortbestehe. Der Beklagte erachtet die Kündigung für wirksam und beantragt Klageabweisung.

Das Begehren der Klägerin hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt sie ihr Feststellungsbegehren weiter. Der Beklagte tritt der Revision entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht führt vor allem aus, der Klägerin sei zuzugeben, daß der Wäschereivertrag vom 30. Juli 1974 keine Vereinbarungen über eine ordentliche Kündigung enthalte. In seinen §§ 8 Nr. 2 und 10 Nr. 2 seien die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Halbjahres aufgeführt. Da durch die Vereinbarung ein Dauerschuldverhältnis begründet worden sei, sei darüber hinaus die Kündigung nach § 242 BGB aus wichtigem Grund zulässig, auch wenn die Parteien dies nicht ausdrücklich vorgesehen hätten. Allerdings dürfe auch eine Kündigung dieser Art nicht auf Umstände gestützt werden, die dem Gefahrenbereich des Kündigenden entstammten.

Einer Entscheidung darüber, ob die in dem Kündigungsschreiben vom 10. April 1989 erwähnten Gründe oder ein sonstiger wichtiger Grund eine außerordentliche Kündigung rechtfertigten, bedürfe es jedoch nicht, weil das Vertragsverhältnis durch eine ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 1989 beendet worden sei. Es liege ein Dauerschuldverhältnis vor, wobei offenbleiben könne, ob und inwiefern der Vertrag Elemente eines Dienst- oder Werkvertrages aufweise. Beide Parteien handelten jedenfalls wirtschaftlich selbständig und in Verfolgung ihrer eigenen Interessen. Da der Vertrag unbefristet sei, somit nur durch Kündigung beendet werden könne, und Vorschriften über ein ordentliches Kündigungsrecht fehlten, seien die Vorschriften der §§ 624, 723 BGB entsprechend anzuwenden. Ein solches ordentliches Kündigungsrecht sei weder durch Parteivereinbarung noch durch konkludentes Handeln ausgeschlossen. Hieraus folge, daß eine nach Treu und Glauben zu bemessende Kündigungsfrist einzuhalten sei, die in entsprechender Anwendung des § 624 BGB mindestens sechs Monate betrage. Die in dem Schreiben vom 10. April 1989 ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei in eine ordentliche Kündigung umzudeuten. Auf die Kündigung des Beklagten vom 24. Juli 1990 komme es nicht an, weil das Vertragsverhältnis bereits zum Jahresende 1989 beendet worden sei.

II.

Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern, wie die Revision mit Recht rügt.

1.

Die Revision nimmt die Beurteilung des Berufungsgerichts hin, es komme auf die Kündigung des Beklagten vom 24. Juli 1990 nicht an.

Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die in dem hier maßgeblichen Kündigungsschreiben vom 10. April 1989 aufgeführten Gründe oder ein sonstiger wichtiger Grund eine außerordentliche Kündigung des Vertrages rechtfertigen. Es ist daher revisionsrechtlich zugunsten der Klägerin, die das Vorliegen dieser Gründe bestritten hat, davon auszugehen, daß kein Grund für eine außerordentliche Kündigung des Vertrages bestanden hat.

2.

Zu Recht greift die Revision die Ausführungen des Berufungsgerichts an, mit denen dieses ein ordentliches Kündigungsrecht bejaht hat.

Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob und inwiefern das zwischen den Parteien bestehende Dauerschuldverhältnis Elemente eines Dienst- oder Werkvertrages aufweist. Die von ihm getroffenen Feststellungen sprechen dafür, daß werkvertragliche Elemente überwiegen. Die Frage kann auch hier offenbleiben. Dem Berufungsgericht kann allerdings nicht darin gefolgt werden, daß die Vorschriften der §§ 624, 723 BGB entsprechend anzuwenden seien, weil Vorschriften über ein ordentliches Kündigungsrecht fehlten. Das Berufungsgericht hat insoweit nicht berücksichtigt, daß die §§ 624, 723 BGB nur dann entsprechend angewendet werden können (BGH NJW 1972, 1128, 1129; Palandt/Heinrichs, BGB, 52. Aufl., 1993, Einl. vor § 241 Rdn. 22), wenn das ordentliche Kündigungsrecht nicht durch vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen worden ist.

Die Revision macht in diesem Zusammenhang zu Recht geltend, das Berufungsgericht habe die hier einschlägige Vorschrift in § 8 Abs. 2 nicht hinreichend gewürdigt. Die Vorschrift lautet (im Zusammenhang):

"§ 8

Vertragsdauer, Vertragsauflösung

1.

Diese Vereinbarung wird auf unbestimmte Dauer abgeschlossen.

2.

Falls ein Vertragsteil wiederholt - trotz Abmahnung - gröblich gegen diese Vertragspflichten verstößt, ist der andere berechtigt, diesen Vertrag mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Halbjahres zu kündigen. Die Kündigung bedarf der Schriftform per Einschreiben.

3.

..."

Das Berufungsgericht setzt sich mit dem von der Klägerin ausdrücklich erörterten Gesichtspunkt, daß die Vertragsparteien durch die Regelung in § 8 Abs. 1 eine ordentliche Kündigung des auf unbestimmte Dauer eingegangenen Vertrages ausschließen wollten, nicht auseinander. Es nimmt als selbstverständlich an, gemäß § 8 Abs. 2 und anderer Bestimmungen des Vertrages sei ein ordentliches Kündigungsrecht weder durch ausdrückliche Vereinbarung noch durch konkludentes Handeln ausgeschlosssen.

Auch wenn die Auslegung vertraglicher Vereinbarungen zuvörderst Aufgabe des Tatrichters ist und seine Auslegung vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob gegen den Wortlaut, Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen worden ist und die maßgeblichen Feststellungen in verfahrenswidriger Weise getroffen worden sind, schöpft das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin zur Auslegung dieser Vertragsklausel nicht aus (§ 286 ZPO). Da die Parteien in § 8 des Vertrages eine Kündigung selbst bei groben Vertragsverstößen nur unter den weiteren Voraussetzungen erfolgloser Abmahnung und Einhaltung einer dreimonatigen Frist zum Ende des Halbjahres vorgesehen haben, liegt es nahe, daß sie die Möglichkeiten zur Beendigung des Vertrags äußerst restriktiv regeln wollten. Es ist zumindest nicht selbstverständlich und bedürfte besonderer Erörterung, wenn die Parteien selbst bei groben Vertragsverstößen noch eine Fortsetzung des Vertrages von bis zu nahezu sechs weiteren Monaten vorgesehen, gleichzeitig aber eine freie Kündigungsmöglichkeit mit Frist von sechs Monaten zugelassen hätten.

III.

Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden; die Voraussetzungen des § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO liegen nicht vor.

1.

Der Senat könnte von einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht dann absehen, wenn er, wie der Beklagte in seiner Revisionserwiderung geltend macht, von einer Sittenwidrigkeit des auf unbestimmte Dauer geschlossenen Vertrages ausgehen müßte. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, daß dieser Gesichtspunkt, soweit ersichtlich, in den Vorinstanzen nicht erörtert wurde und vor allem keinen Eingang in das Berufungsurteil gefunden hat. Die Feststellung der für und gegen eine Sittenwidrigkeit überlanger vertraglicher Bindung sprechenden Umstände bleibt aber dem Tatrichter vorbehalten (BGH NJW 1979, 2149, 2150; 1985, 2693, 2694, 2695; NJW-RR 1986, 982, 984).

Insoweit können auch die Umstände, die zum Abschluß des Vertrages geführt haben, von Bedeutung sein.

2.

Für die Beantwortung der Frage, ob der hier auf unbestimmte Dauer abgeschlossene Vertrag gegen § 138 BGB verstößt und deshalb nichtig ist, wird auf folgendes hingewiesen:

Als Ausgangspunkt der Prüfung hat zu gelten, daß die gesetzliche Regelung des BGB-Werkvertragsrechts keine zeitliche Begrenzung zulässiger Bindungen kennt (BGH NJW-RR 1986, 982, 983). Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat hierzu dargelegt, daß der das Schuldrecht bestimmende Grundsatz der allgemeinen Vertragsfreiheit auch die Möglichkeit eröffnet, rechtsgeschäftliche Bindungen über einen langen Zeitraum einzugehen. Grundsätzlich verstößt das weder gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) noch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB; BGHZ 64, 288, 290). Abgesehen von Sonderregelungen bezüglich Miet- und Pachtverträgen hängt bei allen anderen Dauerschuldverhältnissen die Wirksamkeit einer vereinbarten langfristigen oder gar einer zeitlich unbegrenzten Bindung davon ab, ob und inwieweit das nach den gegebenen Umständen des Einzelfalls mit dem Grundsatz von Treu und Glauben und den guten Sitten vereinbar ist (BGHZ 64, 288, 290; ausdrücklich im Anschluß hieran OLG München, OLGZ 1982, 192 ff.). Mit Rücksicht darauf hat der VIII. Zivilsenat im konkreten Fall sogar befunden, daß bei Wärmeversorgungsverträgen das Recht zur ordentlichen Kündigung ohne zeitliche Begrenzung ausgeschlossen werden kann (BGHZ aaO). Er hat hierbei maßgeblich auf die Interessenlage der Vertragspartner abgestellt (BGHZ a.a.O. S. 291; vgl. dazu auch aus jüngster Zeit BGH NJW 1993, 1133, 1134). Von daher lassen sich die Gesichtspunkte, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Bierlieferungsvertrag (BGH WM 1970, 1402; 1972, 1224; 1973, 357; 1974, 1042; 1975, 307; 1975, 85; 1984, 88) oder zu Wärmeversorgungsverträgen bestimmt haben, nicht schematisch auf jede andere Sachverhaltsgestaltung, so auch nicht auf die vorliegende, übertragen. Es kann vor allem entscheidend darauf ankommen, ob und welche besonderen betrieblichen Einrichtungen die Klägerin geschaffen und welche besonderen Investitionen sie mit Rücksicht auf den hier in Rede stehenden Wäschereivertrag von unbestimmter Dauer getätigt hat (vgl. zu diesen Gesichtspunkten BGHZ 64, 292). Erst die Zusammenschau mit anderen vertraglichen Bestimmungen ermöglicht eine sichere Beurteilung, ob und in welchem Umfang der Beklagte in seiner Selbständigkeit und wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit beschränkt ist, vor allem auch, ob er der Klägerin gleichsam auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist (BGHZ 64, 291). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, daß das Werkvertragsrecht etwa wegen mangelhafter Werkleistung Gewährleistungsansprüche eröffnet (§§ 633 ff. BGB), und ferner, in welchem Umfang der Beklagte auf die Preisgestaltung Einfluß nehmen kann. Im vorliegenden Fall, in dem der Beklagte ein marktstarker Nachfrager sein dürfte, ist eine wirtschaftliche Abhängigkeit möglicherweise deshalb nur beim Vorliegen weiterer Umstände anzunehmen, weil von einem solchen Nachfrager erwartet werden kann, daß er schon bei Abschluß des Vertrages seine Interessen umfassend wahren kann. Schließlich ist auch zu erwägen, daß die Kündigungsklausel des § 8 Abs. 2 geeignet sein könnte, dem Beklagten ausreichenden Schutz seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu sichern (zu diesem Gesichtspunkt etwa BGHZ 64, 293).

Die Kündigung ist im vorliegenden Fall nach rund 15-jähriger Laufzeit ausgesprochen worden. Darüber hinausgehende zeitliche Bindungen werden in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes überwiegend kritisch beurteilt (zusammenfassend hierzu etwa Hiddemann, WM 1975, 942).

IV.

Dem Berufungsgericht war auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen.

 

Fundstellen

NJW-RR 1993, 1460-1461 (Volltext mit red. LS)

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