Leitsatz (amtlich)

Auf vertraglicher Grundlage gewährte Renten wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sind nach § 850 Abs. 1 Nr. 1 unpfändbar.

 

Normenkette

ZPO § 850b

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten zu 2 werden die Urteile des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 12. Mai 1976 und der 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 28. Mai 1975 insoweit, als zum Nachteil der Beklagten zu 2 erkannt ist, und im Kostenpunkt geändert.

Die Klage gegen die Beklagte zu 2 wird abgewiesen.

Die der Beklagten zu 2 in erster und zweiter Instanz auferlegten Kosten fallen der Klägerin zur Last, die auch die Kosten der Revision zu tragen hat.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin erwirkte am 27. November 1973 ein rechtskräftiges Urteil gegen Rolf P… auf Zahlung von 31.381,56 DM nebst Zinsen. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen blieben erfolglos.

Der am Rechtsstreit nicht mehr beteiligte Beklagte zu 1 ist der Schwiegervater, die Beklagte zu 2 (künftig Beklagte) die Ehefrau des Rolf P…. Dieser hatte im Oktober 1972 einen Unfall erlitten, durch den er arbeitsunfähig wurde. Am 18. Juni 1973 trat er seine Invalidenrenten, die er von verschiedenen Versicherungen aufgrund seines Arbeitsunfalls bezog, der Beklagten ab.

Die Klägerin nahm die Beklagte aufgrund von §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 7 AnfG in Anspruch. Sie beantragte, die Beklagte zur Duldung der Zwangsvollstreckung in die am 18. Juni 1973 abgetretenen Forderungen des Rolf P… gegen die Landesversicherungsanstalt O…-B…, die Bauberufsgenossenschaft H…, die A… Lebensversicherungs-AG und die S…-unfallversicherung zu verurteilen.

Das Landgericht verurteilte die Beklagte, die Zwangsvollstreckung in die Ansprüche gegen die A… Lebensversicherungs-AG und die S…-Unfallversicherung zu dulden und wies die weitergehende Klage ab. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten zurück.

Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, daß die Abtretung der Rentenansprüche insoweit, als das Landgericht der Klage stattgegeben habe, wirksam sei. § 400 BGB sei nicht anwendbar, weil § 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO sich nicht auf vertragliche Rentenansprüche beziehe. Der Wortlaut dieser Bestimmung sei nicht eindeutig. Sie müsse indessen im Interesse des Gläubigerschutzes restriktiv ausgelegt werden und beschränke sich demnach auf Haftpflichtrenten. Die Beklagte sei daher gemäß § 7 AnfG zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet, denn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AnfG seien gegeben.

II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist streitig, ob auch vertragliche Rentenansprüche unpfändbar sind (jetzt § 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

a) Das Reichsgericht hat die Frage verneint (so insbesondere RGZ 52, 49, 51; RGZ 148, 137, 141; RG JW 1921, 108). Damals fielen allerdings – anders als nach der jetzigen Fassung – lediglich die nach § 843 BGB wegen der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichtenden Geldrenten, also Haftpflichtrenten, unter den, Pfändungsschutz. Das ist ersichtlich der Grund für die Rechtsprechung des Reichsgerichts gewesen.

b) Der Bundesgerichtshof, hat die Frage noch nicht entschieden. Er hat nur zu § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ausgeführt, ein Unterhaltsanspruch verliere seinen Charakter als einer auf dem Gesetz beruhenden Unterhaltsrente nicht dadurch, daß er vertraglich geregelt worden sei (BGHZ 31, 210, 218).

c) Im neueren Schrifttum wird überwiegend angenommen, daß auch auf vertraglicher Grundlage gewährte Invalidenrenten unpfändbar seien (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 35. Aufl. § 850 b Anm. 2; Thomas/Putzo, ZPO, 8. Aufl. § 850 b Anm. 2; Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl. § 850 b Anm. – II 1; Wieczorek, Großkommentare der Praxis, ZPO 2. Aufl. § 850 b Rdnr. B I a; Prölss/Martin, VVG, 21. Aufl. § 15 Anm. 2 A b; a. A. Falkmann/Hubernagel, Die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen, 3. Aufl. LPfVO, § 4 Anm. 1; Bruck/Möller, Großkommentare der Praxis VVG, 8. Aufl. § 15 Anm. 25; Sieg in Festschrift für Klingmüller 1974, 447, 464). Eine nähere Begründung für die eine oder andere Ansicht wird meist nicht gegeben, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt. Einerseits heißt es, die Ansicht des Reichsgerichts sei überholt, nachdem der einschränkende Zusatz „nach § 843 BGB” entfallen sei (Stein/Jonas, ZPO, 18. Aufl. § 850 b Fußn. 1 und 19. Aufl. § 850 b Fußn. 12). Andererseits meint Sieg (a.a.O.), es fehle an einer einigermaßen sicheren Abgrenzung zu den in § 850 Abs. 3 b aufgeführten Renten, falls vertragliche Invalidenrenten unter § 850 b Abs. 1 Nr. 1 fielen.

2. Der Senat ist der Auffassung, daß auch Unfall- und Invaliditätsrenten, die auf vertraglicher Grundlage beruhen, nach § 850 b Abs. 1 Nr. 1 unpfändbar sind. Dafür sprechen der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift sowie die Interessenlage von Schuldner und Gläubiger.

a) Nach dem Wortlaut der Bestimmung sind

„Renten, die wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind”

unpfändbar.

Das Berufungsgericht meint, „der gesetzliche Wortlaut” deute darauf hin, daß diese Vorschrift sich auf Haftpflichtrenten beschränke; jedoch passe er auch auf Renten, die auf vertraglicher Grundlage beruhen.

Aus dem Wortlaut ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß in § 850 b Abs. 1 Nr. 1 lediglich Haftpflichtrenten gemeint seien. Es ist nur von Renten, also im Gegensatz zu einer Kapitalleistung von wiederkehrenden Leistungen die Rede. Da sich hieraus keine Einschränkung auf Haftpflichtrenten ergibt, liegt es nahe, daß auch auf vertraglicher Grundlage gewährte Renten unter § 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO fallen.

b) Das wird durch die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift bestätigt. Ursprünglich enthielt die Zivilprozeßordnung, in der die Unpfändbarkeit von Forderungen in § 749 geregelt war, keine dem heutigen § 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO entsprechende Bestimmung (RGBl. 1877, 83, 220; vgl. auch Hahn, Die gesamten Materialien zur Civilprozeßordnung, 2. Abteilung S. 1549). Erst durch das Gesetz, betreffend Änderungen der Civilprozeßordnung vom 17. Mai 1898 (RGBl. 256, 310) erhielt § 749 Abs. 3 folgende Fassung:

„Die nach § 843 des Bürgerlichen Gesetzbuches wegen einer Verletzung des Körpers und der Gesundheit zu entrichtende Geldrente ist nur soweit der Pfändung unterworfen, als der Gesamtbetrag die Summe von 1.500 DM für das Jahr übersteigt.”

In der Begründung zu dem Entwurf dieses Gesetzes heißt es, der Schuldner solle gegen die Pfändung einer solchen Geldrente, die ihm nach § 843 BGB wegen einer Verletzung seiner Gesundheit zustehe, geschützt werden. Der wirtschaftliche Zweck dieser Rente rechtfertige es, ihre Pfändung in gleicher Weise zu beschränken wie die Pfändung des Arbeits- oder Dienstlohnes (Materialien zur Civilprozeßordnung. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Änderungen der Civilprozeßordnung S. 115, 243). § 749 Abs. 3 wurde in der Neubekanntmachung der Civilprozeßordnung vom 20. Mai 1898 (RGBl. 410, 574) zu § 850 Abs. 3 ZPO. In der Folgezeit wurde die Höhe des pfändungsfreien Betrages verschiedentlich geändert (vgl. insbesondere Bekanntmachung über die Einschränkung der Pfändbarkeit von Lohn-, Gehalts- und ähnlichen Ansprüchen vom 17. Mai 1915, RGBl. 285; Verordnung über Lohnpfändung vom 29. Juni 1919, RGBl. 589; Gesetz, betr. Änderung der Verordnung über Lohnpfändung vom 23. Dezember 1921, RGBl. 1657; Fünfte Verordnung über Lohn- und Gehaltspfändung vom 17. Januar 1924, RGBl. I 25). Im übrigen blieb es bei der Vorschrift des Jahres 1898. Auch in der Neufassung der Zivilprozeßordnung vom 13. Mai 1924 (§ 850 Abs. 3, RGBl. I 437, 531) wurde die Regelung des Jahres 1898 beibehalten. In dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Zwangsvollstreckung vom 24. Oktober 1934 (§ 850 g Nr. 1, RGBl. I 1070, 1072) wurde die Vorschrift dahin geändert, daß die nach § 843 BG B zu entrichtenden Geldrenten unpfändbar waren.

Durch die Verordnung zur einheitlichen Regelung des Pfändungsschutzes für Arbeitseinkommen vom 30. Oktober 1940 (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 LPfVO, RGBl. I 1451) erhielt die Vorschrift ihre jetzt noch geltende Fassung. Durch diese Verordnung wurden die Pfändungsschutzvorschriften in der Zivilprozeßordnung gestrichen und besonders geregelt, weil das Lohnpfändungsrecht im gesamten Gebiet des „Großdeutschen Reiches” anwendbar sein sollte, die Zivilprozeßordnung aber noch nicht in allen Teilen galt (Volkmar, Die Lohnpfändungsverordnung vom 30. Oktober 1940 in Deutsche Justiz 1940, 1234). Aus welchen Gründen der Hinweis auf § 843 BGB fallen gelassen wurde, ist nicht ersichtlich; auch bei Volkmar (a.a.O.) findet sich dazu nichts. Die Lohnpfändungsverordnung wurde mit dem Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20. August 1953 (BGBl. I 952) aufgehoben und deren § 4 Abs. 1 Nr. 1 als § 850 b Abs. 1 Nr. 1 in die Zivilprozeßordnung eingefügt. In der Begründung des Entwurfs dieses Gesetzes (BR-Drucksache Nr. 55/52 vom 9. Februar 1952) wird zur Beibehaltung des bisherigen Wortlauts nichts gesagt. In der Fassung der Zivilprozeßordnung vom 3. Dezember 1976 (BGBl. I 3281) ist gleichfalls die Regelung des Jahres 1940 beibehalten worden.

Vom Jahre 1898 bis zum Jahre 1940 waren also lediglich gemäß § 843 BGB zu leistende Renten beschränkt pfändbar bzw. unpfändbar. Seit der Lohnpfändungsverordnung vom 30. Oktober 1940 sind allgemein Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit entrichtet werden, grundsätzlich unpfändbar. Daß der Gesetzgeber bei Erlaß der Lohnpfändungsverordnung wie der Gesetze vom 20. August 1953 (a.a.O.) sowie vom 13. Dezember 1976 (a.a.O.) die ursprüngliche Beschränkung auf Ansprüche aus § 843 BGB, also auf Haftpflichtrenten, übersehen haben sollte, kann nicht angenommen werden. Es liegt vielmehr nahe, daß diese Beschränkung im Jahre 1940 aus sozialpolitischen Gründen fallen gelassen wurde, und daß es in den Jahren 1953 wie 1976 aus den gleichen Gründen bei dieser Regelung verblieb. Das läßt darauf schließen, daß der Pfändungsschutz des § 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch auf vertraglicher Grundlage beruhende Rentenansprüche umfaßt.

c) Hierfür spricht der auch bei der Zwangsvollstreckung erforderliche Interessenausgleich zwischen Schuldner und Gläubiger.

Die Zwangsvollstreckung ist Ausübung staatlichen Hoheitsrechte; sie gehört in allen ihren Teilen dem öffentlichen Recht an (RGZ 128, 81, 85). Der Staat dient daher bei der Zwangsvollstreckung nicht allein den Interessen des Gläubigers. Er hat auch die Belange des Schuldners zu wahren und soziale sowie gesamtwirtschaftliche Auswirkungen der Zwangsvollstreckung im Rahmen des Gesetzes zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich, daß entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht im Interesse des Gläubigerschutzes eine restriktive Auslegung des § 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO geboten ist und daß demnach auf vertraglicher Absprache beruhende Invalidenrenten vom Pfändungsschutz auszunehmen sind. Vielmehr ist bei der Zwangsvollstreckung grundsätzlich auf einen Ausgleich zwischen den Interessen des Schuldners und denjenigen des Gläubigers zu achten (vgl. Schönke/Baur, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 8. Aufl. S. 5).

Der Pfändungsschutz von Geldrenten, die wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind, dient der Sicherung der Existenz des Schuldners. Es soll verhindert werden, daß er seine Existenzgrundlage verliert. Es ist nicht einzusehen, weshalb dieser Schutz nur einem von einem Dritten geschädigten Schuldner zustehen soll und weshalb ein Schuldner, der aufgrund eines Vertrages einen Anspruch auf eine Rente wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit hat, schlechter gestellt werden soll. Dies gilt auch und insbesondere dann, wenn der Schuldner durch einen Versicherungsvertrag Vorsorge für eine von einem Dritten nicht verschuldete Invalidität getroffen hat.

Andererseits ist den Interessen des Gläubigers dadurch Rechnung getragen, daß die gemäß § 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO geschuldeten Bezüge nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften gepfändet werden können, wenn die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners nicht zu einer Befriedigung des Gläubigers geführt hat und wenn die Pfändung nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht (§ 850 b Abs. 2 ZPO). Damit sind die berechtigten Interessen des Gläubigers ausreichend gewahrt. Es wäre nicht verständlich, daß das Arbeitseinkommen des Schuldners einer Pfändung nur beschränkt zugänglich ist, daß indessen eine wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit gezahlte Rente, die für den Schuldner meist ebenso wie das Arbeitseinkommen Existenzgrundlage ist, unbeschränkt gepfändet werden könnte, nur weil sie auf vertraglicher Grundlage beruht.

d) Schließlich ist auch das Bedenken von Sieg (a.a.O.) unbegründet, daß es an einer einigermaßen sicheren Abgrenzung zu den nach § 850 Abs. 3 b ZPO dem Arbeitseinkommen des Schuldners zuzurechnenden Renten fehle, wenn vertragliche Renten unter § 850 b Abs. 1. Nr. 1 fallen; denn diese Renten werden nur im Falle der Invalidität gezahlt, während für die Renten gemäß § 850 Abs. 3 ZPO Invalidität nicht Voraussetzung ist.

3. Die Invalidenrenten des Rolf P… sind infolgedessen auch insoweit, als das Landgericht der Klage stattgegeben hat und das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen hat, nicht pfändbar und infolge, dessen gemäß § 400 BGB nicht abtretbar. Die Abtretungen an die Beklagte sind demnach unwirksam. Darüber, ob die Voraussetzungen des § 850 b Abs. 2 ZPO gegeben sind und ob mithin eine Pfändung nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften möglich ist, kann das Prozeßgericht nicht befinden. Diese Entscheidung obliegt dem Vollstreckungsgericht (BGH Urteil 31. Oktober 1969 – V ZR 138/66 = NJW 1970, 282 = WM 1969, 1492 m. w. Nachw.). Sie wurde hier nicht getroffen.

III. Nach allem geht die auf das Anfechtungsgesetz gestützte Klage in Leere. Sie war deshalb unter Abänderung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen. Infolgedessen hat die Klägerin gemäß § 91 ZPO auch die der Beklagten in den Vorinstanzen auferlegten Kosten und diejenigen des Revisionsverfahrens zu tragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609670

BGHZ, 206

NJW 1978, 950

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