Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückgriff auf die wegen eines unfallbedingten Arbeitsausfalls nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Der SVT kann nicht gemäß § 1542 RVO als Verdienstausfallschaden des versicherten Geschädigten vom Schädiger Sozialversicherungsbeiträge erstattet verlangen für die Zeit, in der der Geschädigte in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung beitragsfrei versichert ist.
  2. Zu den Grenzen der sog. "Gruppentheorie" für den Übergang von Schadensersatzforderungen auf den SVT nach § 1542 RVO.
 

Normenkette

RVO § 1542

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. April 1979 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.

 

Tatbestand

Am 21. März 1977 wurde der bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherte V. bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Für die Unfallfolgen haben die Beklagten in Höhe von 40 % einzustehen, wie inzwischen außer Streit ist. Die Klägerin hat an V. u.a. Krankengeld für 131 Tage in Höhe von 5.786,27 DM gezahlt. Sie nimmt deshalb Rückgriff bei den Beklagten.

Die Parteien streiten nur noch darüber, ob sich die Klägerin auf den Haftungsanteil der Beklagten für den Nettoverdienstausfall (40 % von 5.786,27 DM = 2.314,50 DM) beschränken lassen muß oder ob sie, wie sie fordert, einen weiteren Betrag von (40 % von 1.581,17 DM =) 632,47 DM für Sozialversicherungsbeiträge erstattet verlangen kann, die ohne den Arbeitsunfall von dem Bruttoverdienst des V. hätten abgeführt werden müssen.

Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klägerin diesen Mehrbetrag von 632,47 DM nicht zugesprochen.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Mehrforderung weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin bei den Beklagten wegen des an V. zu zahlenden Krankengelds nicht auf die Sozialversicherungsbeiträge Rückgriff nehmen, die ohne dessen unfallbedingten Arbeitsausfall Bestandteil seines (Brutto-)Arbeitsverdienstes gewesen wären. Das Berufungsgericht führt dazu aus: V. sei in Höhe dieser Beiträge nicht geschädigt, weil er in dem maßgebenden Zeitraum in der Sozialversicherung beitragsfrei gewesen sei, ohne dadurch versicherungsmäßig schlechter gestellt zu sein. Zum Ersatz von durch die Beitragsbefreiung für den SVT eingetretenen Nachteilenseien die Beklagten nicht verpflichtet.

II.

Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

1.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Klägerin wegen des Krankengeldes Regreß bei den Beklagten nur insoweit nehmen kann, als V. durch die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit geschädigt worden ist. Ersatz der durch den Versicherungsfall ausgelösten Sozialleistungen als eigenen "Schaden" kann der SVT vom Schädiger nicht verlangen; diese Leistungen erweitern dessen zivilrechtliche Einstandspflicht nicht. Anderes ergibt sich weder aus dem Gesichtspunkt der Drittschadensliquidation noch aus § 1542 RVO; diese Vorschrift stellt nur sicher, daß auf Kosten des SVT weder der Schädiger entlastet noch der sozialversicherte Geschädigte doppelt entschädigt wird. All das bezweifelt offensichtlich auch die Revision nicht.

2.

Im Ergebnis ist dem Berufungsgericht auch darin zu folgen, daß demnach die Klägerin aufgrund ihrer durch Wortlaut und Zweckbestimmung des § 1542 RVO begrenzten Rechtsstellung Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für den hier maßgebenden Zeitraum nicht verlangen kann.

a)

Die Revision kann ihren gegenteiligen Standpunkt nicht auf die Grundsätze stützen, nach denen der Schädiger als Verdienstausfallschaden nicht nur den Nettoverdienst, sondern auch die zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge ersetzen muß, wenn und solange an den sozialversicherten Verletzten während seines unfallbedingten Ausfalls von seinem Arbeitgeber Lohn oder Gehalt fortzuentrichten ist (BGHZ 43, 378, 381 ff; Senatsurteil vom 16. November 1965 - VI ZR 197/64 = VersR 1966, 89 und vom 11. November 1975 - VI ZR 128/74 = VersR 1976, 340 m.w.Nachw.). In diesen Fällen müssen die Sozialversicherungsbeiträge als Bestandteil des Arbeitsverdienstes, der dem Verletzten ohne das Eintreten seines Arbeitgebers entgehen würde, in die Ersatzpflicht des Schädigers für den Verdienstausfallschaden deshalb einbezogen werden, weil das von dem Arbeitgeber fortzuentrichtende Arbeitsentgelt nach den gesetzlichen Vorschriften beitragspflichtig zur Sozialversicherung ist und daher der Ausgleichszweck der Ersatzleistung nicht voll verwirklicht würde, wenn der Schädiger diese Beitragspflicht nicht mitzuübernehmen brauchte. Diese Erwägungen treffen auf Fallgestaltungen, in denen wie hier der Anspruch auf Lohnfortzahlung erschöpft ist, und der Verletzte nunmehr das bis dahin ruhende (§ 189 RVO) Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung erhält, nicht zu. Mit dem Ende der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber ist der Verletzte für die Zeit seiner vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit in der Krankenversicherung (§ 383 RVO) und (für die ersten 24 Monate) in der Rentenversicherung (§ 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO; § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 SGB IV) beitragsfrei. Diese Befreiung kommt grundsätzlich auch dem Schädiger zugute, sofern nicht der Verletzte einer Verkürzung seiner Versicherungsansprüche ausgesetzt ist, weil er in der Ausfallzeit keine Beiträge zur Sozialversicherung erbringt.

b)

Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht deshalb an, daß übergangsfähige Schadensersatzansprüche im Blick auf die Mitgliedschaft des V. zur gesetzlichen Krankenversicherung nicht entstanden sind, weil die Beitragsfreiheit (§ 383 Abs. 1 RVO) für V. keine Schlechterstellung in dieser Versicherung bedeutet hat.

Insoweit belastet die Beitragsfreistellung nur die Klägerin; wegen dieser sie als "mittelbar Geschädigte" treffenden Belastung kann sie keinen Rückgriff bei den Beklagten nehmen (vgl. Senatsurteil vom 21. Oktober 1969 - VI ZR 67/68 = VersR 1970, 40, 41).

c)

Nicht näher auseinandergesetzt hat sich das Berufungsgericht mit der im übrigen auch von der Klägerin in den Tatsacheninstanzen nicht weiter verfolgten Frage, ob V. als Folge der beitraglosen Ausfallzeit Nachteilen in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgesetzt ist und deshalb von den Beklagten die Mittel zur Überbrückung des Ausfalls durch eine freiwillige Weiterversicherung verlangen konnte (vgl. dazu zuletzt Senatsurteile vom 18. Oktober 1977 - VI ZR 21/76 = BGHZ 69, 347 und vom 25. Oktober 1977 - VI ZR 150/75 = VersR 1977, 1158 m.w. Nachw.). Jedoch beanstandet die Revision auch das ohne Erfolg. Denn selbst wenn V. solche Ersatzansprüche erworben hätte, könnte die Klägerin auf sie für ihren Regreß nach § 1542 RVO nicht zugreifen. Insoweit fehlt es an dem inneren Zusammenhang ihrer Versicherungsleistungen zu dem von dem Schädiger zu ersetzenden Schaden, der für den Rückgriff nach § 1542 RVO vorauszusetzen ist (Senatsurteile vom 20. März 1973 - VI ZR 19/72 = VersR 1973, 566 und vom 10. April 1979 - VI ZR 268/76 = VersR 1979, 640, jeweils mit w.Nachw.; ferner auch Senatsurteil vom 25. Oktober 1977 = aaO).

Dieser innere Zusammenhang wird entgegen der Auffassung der Revision nicht schon dadurch hergestellt, daß dem Krankengeld der Klägerin "Lohnersatzfunktion" zukommt (Senatsurteile vom 11. Mai 1976 - VI ZR 51/74 = VersR 1976, 756 und vom 3. Mai 1977 - VI ZR 235/75 = VersR 1977, 768, 770), es also Belastungen des Verletzten mit dem Verdienstausfall auffangen soll, als dessen Schadensfolgen auch die Störungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vom Schädiger auszugleichen sind. Zwar wird im allgemeinen die für den Regreß des SVT erforderliche sachliche Kongruenz von Versicherungsleistung und Schadensersatzanspruch schon dann bejaht, wenn beide derselben Schadensgruppe (hier: dem Erwerbs- und Fortkommensschaden i.S. von § 842 BGB) dienen, ohne daß der SVT die Deckung des konkreten Schadenspostens durch seine Leistung nachweisen muß (Senatsurteile vom 11. Mai 1976 = aaO; vom 10. April 1979 - VI ZR 268/76 = a.a.O. m.w.Nachw.). Diese Sichtweise der "Gruppentheorie" ist jedoch auf die Aufgabe beschränkt, die Schadensregulierung zu erleichtern (dazu schon Senatsurteile vom 28. Januar 1958 - VI ZR 308/56 = VersR 1958, 161 und vom 8. November 1960 - VI ZR 183/59 = VersR 1960, 1122, 1124); sie macht nicht die Prüfung entbehrlich, ob Sinn und Zweck des § 1542 RVO die Inanspruchnahme des Ersatzanspruchs durch den SVT anstelle des Geschädigten rechtfertigen (BGHZ 44, 382, 387; 54, 377, 380; Senatsurteile vom 20. März 1973 - VI ZR 19/72 = aaO; vom 25. September 1973 - VI ZR 49/72 = VersR 1974, 162, 164). Insbesondere darf die "Gruppentheorie" nicht dazu führen, das Rückgriffsrecht des SVT über den Zweck des § 1542 RVO hinaus auf Schadensposten auszudehnen, für die sich das Zusammentreffen der Ausgleichssysteme von Sozialversicherung und Individualhaftung, das § 1542 RVO zum Gegenstand hat, gar nicht stellen kann, z.B. weil das Risiko, das sich im Schadensfall verwirklicht hat, von vornherein von der Deckung durch die Versicherung ausgenommen ist (vgl. Senatsurteile vom 20. März 1973 = aaO; vom 10. April 1979 = aaO; vgl. auch zu § 67 VVG = BGHZ 25, 340, 343; 44, 382, 387; 47, 308, 311; BGH Urteile vom 21. November 1957 - II ZR 82/56 = VersR 1958, 15; vom 28. Januar 1958 = aaO; vom 26. März 1968 - VI ZR 188/66 = VersR 1968, 786, 787). Die Einbeziehung solcher Schadensposten, für die von der Versicherung von vornherein keine Deckung zu erlangen ist, in den Forderungsübergang auf den SVT gemäß § 1542 RVO allein wegen ihrer nominellen Zugehörigkeit zu der Schadensart ("Gruppe"), der die Versicherungsleistung dient, würde den Zweck des Ersatzanspruchs gegen den Schädiger verfehlen, den Schaden (nur) des "unmittelbar" Geschädigten auszugleichen. Sie würde einem anderen Zweck dienen, nämlich der Entlastung des SVT von Versicherungsaufwand, der für andere Aufgaben bestimmt ist. Das kann nach dem zuvor Gesagten den Rückgriff gemäß § 1542 RVO nicht rechtfertigen.

Zu diesem dem Forderungsübergang auf den SVT entgegenstehenden Ergebnis würde auch der Rückgriff eines SVT auf die Mittel führen, die der Schädiger zur Überbrückung einer Störung in der Sozialversicherung des Verletzten durch freiwillige Weiterversicherung zur Verfügung stellen muß. Aufgabe des Ersatzanspruchs ist es, den bestehenden Sozialversicherungsschutz für den Geschädigten hier gerade deshalb zu ergänzen, weil dieser die Risiken, von denen der Schädiger den Geschädigten entlasten soll, nicht ausreichend deckt. Diese Aufgabe des Schadensausgleichs, Lücken im Versicherungsschutz aufzufangen, schließt hier von vornherein die von § 1542 RVO vorausgesetzte Überschneidung der Entschädigungsleistungen aus der Sozialversicherung der Individualhaftung aus. Es wäre mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar, wenn ein SVT dem Verletzten diese Mittel, die der Schädiger ihm zur Überbrückung von Lücken des Versicherungsschutzes schuldet, aus der Hand nehmen könnte, um damit den eigenen Versicherungsaufwand zu decken, der für diese Risiken, die der Ersatzanspruch dem Geschädigten abnehmen soll, gerade nicht eingesetzt wird. Für den Übergang der Forderung auf den SVT nach § 1542 RVO fehlt es an der sachlichen Gleichartigkeit von Versicherungsleistung und Schadensersatz (so im Ergebnis auch Gunkel/Hebmüller, Die Ersatzansprüche nach § 1542 RVO, 3. Aufl. I - 138; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl. § 1542 Anm. 15).

3.

Demnach hat das Berufungsgericht der Klägerin einen Rückgriff auf Sozialversicherungsbeiträge zu Recht versagt.

 

Unterschriften

Dunz

Scheffen

Dr. Steffen

Dr. Kullmann

Dr. Ankermann

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456474

NJW 1981, 1846

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