Leitsatz (amtlich)

a) § 266a StGB ist ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB.

b) Für die Unmöglichkeit normgemäßen Verhaltens ist im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB der Anspruchsteller darlegungs- und beweispflichtig (Bestätigung von BGH v. 15.10.1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 [379] = GmbHR 1997, 25 = AG 1997, 37 = MDR 1997, 151). An die Erfüllung der grundsätzlich bestehenden sekundären Darlegungslast des Geschäftsführers einer GmbH dürfen keine diese Verteilung der Vortragslast umkehrenden Anforderungen gestellt werden. Eine besondere Dokumentationspflicht zur Abwehr einer möglichen Haftung nach diesen Vorschriften besteht nicht. Auch die Verletzung der Insolvenzantragspflicht erhöht die sekundäre Darlegungslast des Geschäftsführers nicht.

c) Hätte der Insolvenzverwalter die Zahlungen an die Sozialkasse nach der InsO anfechten können, entfällt mangels Kausalität der Schaden (Bestätigung von BGH, Urt. v. 14.11.2000 - VI ZR 149/99, BGHReport 2001, 161 = MDR 2001, 453 = GmbHR 2001, 147 = ZIP 2001, 80). § 266a StGB begründet in der Insolvenzsituation keinen Vorrang der Ansprüche der Sozialkasse (Bestätigung von BGH v. 25.10.2001 - IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100 [106 f.] = BGHReport 2002, 84; Urt. v. 10.7.2003 - IX ZR 89/02, BGHReport 2003, 1241 = MDR 2003, 1376 = ZIP 2003, 1666). Der Geschäftsführer, der in dieser Lage die Arbeitnehmeranteile noch abführt, statt das Gebot der Massesicherung (§ 64 Abs. 2 GmbHG) zu beachten, handelt nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i.S.v. § 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG (Bestätigung von BGH v. 8.1.2001 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 [274 f.] = MDR 2001, 401 = BGHReport 2001, 197 m. Anm. Bormann = AG 2001, 303 = GmbHR 2001, 190 m. Anm. Felleisen).

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, § 266a; GmbHG § 64 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Urteil vom 16.01.2003; Aktenzeichen 7 U 1167/02)

LG Chemnitz

 

Nachgehend

OLG München (Urteil vom 29.09.2010; Aktenzeichen 20 U 2918/10)

OLG Naumburg (Urteil vom 31.03.2010; Aktenzeichen 5 U 115/09)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Dresden v. 16.1.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Beklagte war im Jahr 2000 Geschäftsführer der E. GmbH, auf deren am 18.8.2000 gestellten Antrag am 22.3.2001 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Für die Monate Mai, Juni und Juli 2000 blieb die spätere Gemeinschuldnerin die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung i.H.v. insgesamt 13.794,91 EUR schuldig. Die klagende Innungskrankenkasse verlangt als die zuständige Einzugsstelle von dem Beklagten, gestützt auf § 823 Abs. 2 i.V.m. § 266a StGB, Ersatz dieses Betrages.

Der Beklagte hat sich darauf berufen, ihm sei die Abführung der Arbeitnehmeranteile zu den Fälligkeitszeitpunkten nicht möglich gewesen. Die Gesellschaft habe weder über eigene noch über Kredit-Mittel verfügt, infolge einer gegen ihre - inzwischen ebenfalls insolvente - Alleingesellschafterin am 23.5.2000 von deren Hausbank verhängten Verfügungssperre sei auch die Gemeinschuldnerin ab diesem Zeitpunkt von allen weiteren Geldquellen abgeschnitten gewesen. Deswegen habe den Arbeitnehmern, die stattdessen Insolvenzausfallgeld erhalten hätten, für die Monate Mai - Juli 2000 kein Arbeitslohn gezahlt werden können. Er hat außerdem gemeint, im Hinblick auf seine von der Klägerin nicht beantwortete Korrespondenz habe er annehmen dürfen, dass die offenen Beträge gestundet worden seien. Schließlich hat er sich darauf berufen, dass der Klägerin kein Schaden entstanden sei, weil sie etwa abgeführte Beträge nach den insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften (§§ 129 ff., 143 InsO) hätte zurückgewähren müssen.

Gegen den Beklagten hat das AG Chemnitz einen rechtskräftigen Strafbefehl wegen Insolvenzverschleppung erlassen und diesen folgendermaßen begründet:

"Die E. ... GmbH war, was Sie auch wussten, spätestens ab dem 15.7.2000 außer Stande, ihre fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Ab diesem Zeitpunkt konnten die Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr an die ... abgeführt werden. Außerdem existierten seit diesem Zeitpunkt Lohnrückstände, und der Kontokorrentkreditrahmen bei der Sparkasse ... war überzogen".

Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Mit der von dem Berufungsgericht (OLG Dresden v. 16.1.2003 - 7 U 1167/02, GmbHR 2003, 422 = OLGReport Dresden 2003, 318 = ZInsO 2003, 376 = ZIP 2003, 360) zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Beklagte der ihn treffenden sekundären Darlegungslast, dass ihm die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zu den Fälligkeitszeitpunkten nicht möglich war, durch seinen Vortrag nicht nachgekommen, die spätere Gemeinschuldnerin habe weder eigene Mittel gehabt, noch habe sie Kreditmittel oder Gelder ihrer Alleingesellschafterin in Anspruch nehmen und nicht einmal die Löhne der Arbeitnehmer auszahlen können. Der Schaden der Klägerin könne auch nicht mit der Erwägung verneint werden, dass eine etwaige Zahlung an die Klägerin von dem Insolvenzverwalter mit Erfolg hätte angefochten werden können, denn Zahlungen an die Sozialkassen seien ggü. den Ansprüchen anderer Gläubiger der Gemeinschuldnerin privilegiert. Davon abgesehen komme es auf die Anfechtbarkeit nicht an, weil der Beklagte damit den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens erhebe, dieser ihm aber im Hinblick auf den Schutzzweck des § 266a StGB verwehrt sei. Schließlich könne sich der Beklagte nicht darauf berufen, sein Vorgehen habe mit dem Verbot des § 64 Abs. 2 GmbHG, nach Eintritt der Insolvenzreife keine Zahlungen mehr aus dem Gesellschaftsvermögen zu erbringen, in Einklang gestanden. Wenn der Geschäftsführer die Beitragspflicht erfülle, handele er vielmehr mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes i.S.v. § 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG und könne daher wegen der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nicht ggü. dem Insolvenzverwalter haftbar sein.

II. Dies hält in mehrfacher Hinsicht der revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand. Das Berufungsgericht misst dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in § 266a StGB unter Strafe gestellt hat, eine verfehlte Bedeutung zu und stellt demgemäß nicht nur überspannte Anforderungen an die sekundäre Behauptungslast des in Anspruch genommenen Geschäftsführers, sondern gelangt zu einer insgesamt unzutreffenden Einordnung der Haftung des Geschäftsführers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB in das Gesamtgefüge der Rechtsordnung.

1. Im Ausgangspunkt noch zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass es sich bei § 266a StGB um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handelt. Dies entspricht nicht nur der gefestigten Rechtsprechung des BGH (s. nur BGH v. 21.1.1997 - VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304 ff. = GmbHR 1997, 305 = MDR 1997, 460; v. 15.9.1997 - II ZR 170/96, BGHZ 136, 332 f. = GmbHR 1997, 1156; v. 16.5.2000 - VI ZR 90/99, BGHZ 144, 311 ff. = MDR 2000, 953 = GmbHR 2000, 816 m. Anm. Haase; Urt. v. 20.3.2003 - III ZR 301/01, WM 2003, 1876 [1878]), sondern auch der ganz h.M. im Schrifttum (Staudinger/Hager, BGB, 1999, § 823 Rz. G 42, m.w.N.; Soergel/Zeuner, BGB, 12. Aufl., § 823 Rz. 298 f.; Wagner in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 823 Rz. 359, 390 ff., m.w.N.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl., § 43 Rz. 69; Roth/Altmeppen, GmbHG, 4. Aufl., § 43 Rz. 48; Scholz/U.H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl., § 43 Rz. 275; Koppensteiner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl., § 43 Rz. 82; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 16. Aufl., § 43 Rz. 6; Medicus, ZGR 1998, 570 [582 f.]; i.E. auch Cahn, ZGR 1998, 367 ff. [376 f., 381]; a.A. Kiethe, ZIP 2003, 1957 f., unter Hinweis auf Stein, DStR 1998, 1055 [1056-1058]; Dreher, DB 1991, 2585; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl., § 43 Rz. 120). Von ihr abzugehen, besteht umso weniger Anlass, als der Gesetzgeber schon in der 11. Wahlperiode (BT-Drucks. 11/3445, 35) und erneut bei den Beratungen (BT-Drucks. 14/8221, 18) des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit (BGBl. 2002 I, 2787) hat deutlich werden lassen, dass er die ihm bekannte Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Haftung der Geschäftsleiter für die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung in seinen Willen aufgenommen hat.

2. Im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung befindet sich das Berufungsgericht ferner noch, soweit es davon ausgeht, dass der Geschäftsführer nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 266a StGB nicht haftet, soweit ihm die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zum Fälligkeitszeitpunkt mangels verfügbarer Mittel nicht möglich war, und den Sozialversicherungsträger auch hinsichtlich der Möglichkeit normgemäßen Verhaltens für darlegungs- und beweispflichtig erachtet (BGH v. 15.10.1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 [379 f.] = GmbHR 1997, 25 = AG 1997, 37 = MDR 1997, 151; Urt. v. 11.12.2001 - VI ZR 123/00, BGH v. 11.12.2001 - VI ZR 123/00, BGHReport 2002, 372 = MDR 2002, 453 = GmbHR 2002, 208 m. Anm. Haase = ZIP 2002, 261 [263]; v. 11.12.2001 - VI ZR 350/00, BGHReport 2002, 370 = GmbHR 2002, 213 = MDR 2002, 515 = ZIP 2002, 524; s.a. Beschl. v. 30.7.2003 - 5 StR 221/03, GmbHR 2004, 122 = ZIP 2003, 2213).

Mit Recht rügt die Revision jedoch, dass das Berufungsgericht diese von ihm richtig wiedergegebenen Grundsätze rechtsfehlerhaft angewandt hat. Verfehlt ist schon, dass das Berufungsgericht hinsichtlich der drei Fälligkeitstermine (15.6., 15.7.und 15.8.2000) nicht unterschieden hat, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass jedenfalls beim dritten Termin, drei Tage vor Anbringung des nach dem Ergebnis des Strafverfahrens ohnehin zu spät gestellten Insolvenzantrags, etwa vorher vorhandene Mittel längst aufgebraucht gewesen sein müssen. Obendrein stellt es die darlegungs- und beweispflichtige Sozialkasse - in Widerspruch zu seinem eigenen Ausgangspunkt - von jeder Darlegungspflicht frei, wenn es für hinreichend hält, dass diese sich auf den "ins Blaue" gehaltenen Vortrag beschränkt, die Gemeinschuldnerin sei zahlungsfähig gewesen und habe an andere Gläubiger Zahlungen erbracht. Gleichzeitig überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an den Vortrag des nur sekundär darlegungspflichtigen Geschäftsführers, wenn es seine Darlegung, dass die Gemeinschuldnerin über keinerlei finanzielle Mittel mehr verfügte, den Kreditrahmen bei der Hausbank längst überzogen hatte, von der Alleingesellschafterin wegen deren plötzlich eingetretenen eigenen finanziellen Schieflage nicht nur keine Geldmittel erhalten konnte, sondern sogar einem Rückzahlungsverlangen von Darlehensmitteln ausgesetzt war und aus allen diesen Gründen nicht einmal imstande war, auch nur einen Teil der Arbeitslöhne ab Mai 2000 auszuzahlen, für nicht hinreichend substantiiert angesehen hat. Nicht einmal den unstreitigen Umstand, dass der Beklagte wegen Insolvenzverschleppung rechtskräftig bestraft worden ist und dass der Tatvorwurf darin besteht, der Geschäftsführer habe trotz Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit ab spätestens 15.6.2000, als nämlich die Sozialversicherungsbeiträge für Mai 2000 fällig wurden, den gebotenen Insolvenzantrag nicht gestellt, hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang gewürdigt. Dazu bestand umso eher Anlass, als der Text des Strafbefehls nahe legt, dass das Strafverfahren auf Initiative der Klägerin eingeleitet worden ist, ihren Mitarbeitern, die in dem Strafbefehl als Zeugen aufgeführt worden sind, also die Unmöglichkeit der Gesellschaft bekannt war, der Zahlungspflicht nachkommen zu können.

Zu einem weiter gehenden Vortrag war der Beklagte im Rahmen der ihn treffenden sekundären Darlegungslast nicht verpflichtet. Das gilt auch im Hinblick auf den von dem Berufungsgericht herausgestellten Umstand, dass der Beklagte nur zögerlich mit dem Insolvenzverwalter zusammengearbeitet hat; denn die dem Geschäftsführer im Insolvenzverfahren nach den §§ 97, 22 Abs. 3 InsO auferlegten Pflichten dienen allein der effektiven Durchführung des Insolvenzverfahrens, nicht aber der Erleichterung der Anspruchsverfolgung durch Gläubiger des Leitungsorgans; nicht einmal für Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren dürfen die von dem organschaftlichen Vertreter erteilten Auskünfte gegen seinen Willen verwertet werden (§ 97 Abs. 1 S. 3 InsO).

3. Das Berufungsurteil unterliegt danach der Aufhebung. Eine eigene Entscheidung ist dem Senat verwehrt, weil der Klägerin, die sich in ihrem bisherigen prozessualen Vorgehen offensichtlich von der unzutreffenden Ansicht der beiden Tatsachengerichte hat leiten lassen, im Interesse eines fairen Verfahrens die Möglichkeit eröffnet werden muss, ihrer Darlegungspflicht zu genügen.

III. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin.

1. Aus einer möglichen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB ergeben sich keine besonderen Dokumentationspflichten, wie das Berufungsgericht für möglich erachtet. Deren angebliche Verletzung kann deswegen auch nicht zu einer faktischen Umkehr der Darlegungs- und Beweislast führen.

2. Ebenso wenig rechtfertigt die Verletzung der Insolvenzantragspflicht gesteigerte Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast des Geschäftsführers; im Gegenteil wird - wie auch der hier zu beurteilende Fall zeigt - eine verspätete Anbringung des Insolvenzantrags Anhaltspunkte dafür bieten, dass der Geschäftsführer zum Fälligkeitszeitpunkt seiner Zahlungspflicht nicht nachkommen konnte.

3. Sollte das Berufungsgericht auf Grund des wieder eröffneten Berufungsverfahrens erneut zu dem Ergebnis gelangen, dass der Beklagte mindestens an einem der drei Fälligkeitszeitpunkte imstande gewesen wäre, die geschuldeten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ganz oder teilweise an die Klägerin abzuführen, wird es sich mit dem Einwand des Beklagten auseinander zu setzen haben, dass die Pflichtverletzung nicht zu einem Schaden bei der Sozialkasse geführt hat, weil der Insolvenzverwalter die Zahlung mit Erfolg hätte anfechten können.

Der entsprechende Vortrag des Beklagten, dessen Richtigkeit mangels tatrichterlicher Feststellungen für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist, ist hinreichend substantiiert und schlüssig.

Das Berufungsgericht geht fehl, wenn es entgegen der gefestigten Rechtsprechung des BGH (BGH v. 25.10.2001 - IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100 [106 f.] = BGHReport 2002, 84; Urt. v. 30.4.1998 - IX ZR 141/97, ZinsO 1998, 141; Urt. v. 10.7.2003 - IX ZR 89/02, v. 10.7.2003 - IX ZR 89/02, BGHReport 2003, 1241 = MDR 2003, 1376 = ZIP 2003, 1666 [1667 f.]; Urt. v. 14.11.2000 - VI ZR 149/99, BGHReport 2001, 161 = MDR 2001, 453 = GmbHR 2001, 147 = ZIP 2001, 80), in der alle Argumente wiederholt gewürdigt worden sind, meint, die Ansprüche der Einzugsstelle seien gegenüber denjenigen anderer Gläubiger privilegiert. Aus der Strafbewehrung der Beitragsabführungspflicht lässt sich der von dem Berufungsgericht postulierte Vorrang nicht herleiten. Sie unterstreicht ausschließlich die große Bedeutung, die der Gesetzgeber der Erfüllung dieser Pflicht durch den Arbeitgeber bzw. - bei Kapitalgesellschaften - durch deren organschaftlichen Vertreter beimisst; sie besagt jedoch nichts darüber, ob gezahlte Beträge bei der Sozialkasse bleiben oder auf Insolvenzanfechtung hin zurückgewährt werden müssen. Das Rangverhältnis bestimmt sich vielmehr ausschließlich nach den Vorschriften der Insolvenzordnung, die bewusst und nach eingehenden Beratungen den früheren Vorrang der Sozialkassen im Interesse einer effektiven, dem Ziel der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger verpflichteten Durchführung des Insolvenzverfahrens abgeschafft hat.

Das von dem Berufungsgericht für richtig erachtete Vorgehen hätte zur Folge, dass diese Entscheidung des Gesetzgebers der Insolvenzordnung auf dem Umweg über ein extensives Verständnis des § 266a StGB ausgehebelt würde. Die in diesem Zusammenhang von dem Berufungsgericht angestellten Hilfserwägungen, nach denen sich der Geschäftsführer auf die später mögliche Insolvenzanfechtung als ein rechtmäßiges Alternativverhalten nicht soll berufen dürfen, stehen - wie es selbst richtig erkannt hat - in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 14.11.2000 - VI ZR 149/99, BGHReport 2001, 161 = MDR 2001, 453 = GmbHR 2001, 147 = ZIP 2001, 80); dieser verneint den Schaden deswegen, weil der Beitragsausfall - hätte der Geschäftsführer die Arbeitnehmeranteile bei Fälligkeit abgeführt - im Sinne einer Reserveursache ebenfalls eingetreten, die Kausalität der Unterlassung also zu verneinen wäre. Ein Fall rechtmäßigen Alternativverhaltens läge demgegenüber nur dann vor, wenn der Beklagte geltend machen würde, der verursachte Schaden wäre in gleicher Weise entstanden, wenn er eine von der verletzten Pflicht verschiedene andere selbstständige Pflicht erfüllt hätte (BGH, Urt. v. 17.10.2002 - IX ZR 3/01, MDR 2003, 84 = BGHReport 2003, 63 = WM 2002, 2325 f.).

4. Von der verfehlten Vorstellung, der Anspruch auf Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung sei privilegiert, ist schließlich die - als obiter dictum einzuordnende - Auffassung des Berufungsgerichts geprägt, ein Geschäftsführer, der in der in § 64 Abs. 2 GmbHG beschriebenen Situation Ansprüche von Einzugsstellen befriedige, handele mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i.S.v. § 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG. Dem ist der Senat (BGH v. 8.1.2001 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 [274 f.] = MDR 2001, 401 = BGHReport 2001, 197 m. Anm. Bormann = AG 2001, 303 = GmbHR 2001, 190 m. Anm. Felleisen) bereits früher entgegengetreten und hat ausgesprochen, dass die entsprechende Prüfung nicht in erster Linie an den allgemeinen Verhaltenspflichten, sondern an dem besonderen Zweck des § 64 Abs. 2 GmbHG auszurichten ist, im Vorgriff auf das spätere Insolvenzverfahren, auch wenn der gebotene Insolvenzantrag nicht unverzüglich oder gar erst nach Ablauf der höchstzulässigen Dreiwochenfrist gestellt wird, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. Nach dieser Entscheidung besteht in dem - nach dem als richtig zu unterstellenden Vortrag des Beklagten hier allerdings nicht gegebenen - Fall, dass der Geschäftsführer bei Insolvenzreife der Gesellschaft noch über Mittel verfügt und entweder nach § 64 Abs. 2 GmbHG oder nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB ersatzpflichtig zu werden droht, eine Pflichtenkollision, die zu einer Verneinung des deliktischen Verschuldens führen muss. Das steht nicht in Widerspruch zur Judikatur des 5. Strafsenats (BGH, Beschl. v. 30.7.2003 - 5 StR 221/03, GmbHR 2004, 122 = ZIP 2003, 2213), weil diese Entscheidung eine Fallgestaltung aus dem Jahr 1997 betrifft, als noch die Konkursordnung galt, die den Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung Vorrang einräumte (§ 61 Abs. 1 Nr. 1 lit. a KO); sie berücksichtigt jedoch nicht den inzwischen mit dem In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung eingetretenen Paradigmenwechsel.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1373045

BB 2005, 1905

DB 2005, 1321

DStR 2005, 1456

DStR 2005, 978

DStZ 2005, 463

WPg 2005, 778

NJW 2005, 2546

Inf 2005, 490

NWB 2005, 2695

BGHR 2005, 1138

GmbH-StB 2005, 202

EWiR 2005, 743

NZG 2005, 600

NZG 2005, 768

StuB 2005, 821

WM 2005, 1180

WuB 2007, 205

ZIP 2005, 1026

ZIP 2005, 2165

wistra 2005, 339

JZ 2005, 1115

MDR 2005, 1167

NJ 2005, 557

NZI 2005, 447

NZS 2005, 589

NZS 2005, 654

PStR 2005, 185

ZInsO 2005, 650

BKR 2005, 319

GmbHR 2005, 874

KSI 2005, 38

NJW-Spezial 2005, 364

BBBW 2007, 105

SJ 2005, 36

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