Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherter

 

Leitsatz (amtlich)

Der Schädiger, der einem arbeitsunfähig verletzten Sozialversicherten den Fortkommensschaden ersetzen muß, hat mit Inkrafttreten des § 119 SGB X für Schadenfälle seit dem 1.7.1983 Defizite in der Abführung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung auch insoweit durch entsprechende Zahlungen an den Versicherungsträger auszugleichen, als die Beitragslücken für Monatsteile entstanden sind.

 

Normenkette

BGB §§ 842-843; SGB X § 119; RVO § 1233 Abs. 1, § 1250 Abs. 3

 

Tatbestand

Am 27. August 1983 wurde der 1964 geborene Dietmar S., der bei der klagenden LVA rentenversichert ist, bei einem Verkehrsunfall verletzt. Während der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit erhielt er nach Erschöpfung seiner Lohnfortzahlungsansprüche vom 8. Oktober bis 13. November und vom 15. bis 28. November 1983 Krankengeld von der Betriebskrankenkasse seiner Arbeitgeberin. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden in dieser Zeit nicht gezahlt.

Die Beklagte hat als Haftpflichtversicherer des Schädigers für die Unfallfolgen einzustehen. Die Parteien streiten allein darum, ob die Beklagte auch für die während der Krankengeldzahlung nicht entrichteten Rentenversicherungsbeiträge aufzukommen hat, die sich bei einem Bruttoarbeitsentgelt des Dietmar S. von 3 948,48 DM und einem Beitragssatz von 18,5 % für diesen Zeitraum auf 730,47 DM belaufen.

Nach Auffassung der Klägerin umfaßt der Schadensersatzanspruch des Sozialversicherten auch die Beitragsdefizite für mit Pflichtbeiträgen teilweise belegte Monate. Dieser Anspruch des Dietmar S. sei gemäß § 119 Satz 1 SGB X auf sie übergegangen. Die Beklagte meint dagegen, § 119 SGB X habe die Voraussetzungen für einen übergangsfähigen Schadensersatzanspruch des Versicherten gegenüber der früheren Rechtslage nicht verändert; die Vorschrift sehe nur in Satz 2 eine andere Bewertung eingegangener Beiträge vor. Für teilweise mit Pflichtbeiträgen belegte Monate sei wegen des "Aufstockungsverbotes" gemäß §§ 1250 Abs. 3, 1233 Abs. 1 RVO auch weiterhin kein Ersatzanspruch des Versicherten gegeben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Sprungrevision der Klägerin führte zur Verurteilung gemäß dem Klageantrag.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Landgericht, dessen Urteil in VersR 1986, 86 abgedruckt ist, meint, zu den gemäß §§ 842, 843 BGB zu ersetzenden Erwerbs- und Fortkommensschäden des Sozialversicherten gehörten zwar auch die Nachteile, die er dadurch erleide, daß in der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit keine Versicherungsbeiträge abgeführt würden. Diese Schäden seien aber nur dann über den Ersatz von Beiträgen für eine freiwillige Weiterversicherung auszugleichen, wenn für den Verletzten die Möglichkeit einer solchen Versicherung bestehe. Daran fehle es im Streitfall.

II.

Die Ausführungen des Landgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1.

Zutreffend sind allerdings die Erwägungen, von denen das Landgericht zunächst ausgeht.

Hat ein Schädiger wegen der von ihm verursachten Arbeitsunfähigkeit eines Sozialversicherten gemäß §§ 842, 843 BGB, § 11 StVG dessen Erwerbs- und Fortkommensschäden zu ersetzen, so hat er auch die Nachteile auszugleichen, die dem Verletzten durch eine Unterbrechung in der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen entstehen; denn der Verletzte ist vom Schädiger schadensrechtlich in seiner Eigenschaft als Sozialversicherter hinzunehmen, der in ein System sozialer Lebensvorsorge eingebettet ist. Die Pflicht zur Ersatzleistung entsteht grundsätzlich nicht erst im Versicherungsfall, also dann, wenn die Störung im Aufbau der sozialen Lebensvorsorge für den Verletzten spürbar wird. Vielmehr haben der Schädiger und gegebenenfalls - wie hier - sein Haftpflichtversicherer (§ 3 PflVG) prinzipiell schon bei Entstehung der Beitragslücken dafür zur sorgen, daß eine unfallbedingte Verkürzung späterer Versicherungsleistungen von vornherein ausgeschlossen wird. Die Ersatzpflicht setzt nicht voraus, daß eine nachteilige Beeinflussung der (späteren) Rente bereits feststeht; schon die Möglichkeit einer Rentenverkürzung reicht aus, um vom Schädiger den Ersatz der Beiträge zur freiwilligen Fortsetzung der sozialen Vorsorge verlangen zu können. Ein darauf gerichteter Ersatzanspruch des Verletzten ist allerdings nur dann gegeben, wenn das Rentenversicherungsrecht ihm einen Weg zur Fortentrichtung von Beiträgen eröffnet, auf dem er in wirtschaftlich sinnvoller Weise einem späteren Rentennachteil vorbeugen kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Weiterversicherung nicht vorliegen oder eine freiwillige Versicherung keinen der Pflichtversicherung gleichwertigen Schutz bietet, so bleibt der Verletzte mit seinem Ausgleichsanspruch für eine Rentenverkürzung auf die konkrete Schadensberechnung bei Eintritt des Versicherungsfalles angewiesen.

Diese von der Revision nicht in Frage gestellten Grundsätze stehen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteile vom 10. April 1954 - VI ZR 61/53 - VersR 1954, 277, 278; vom 17. Januar 1967 BGHZ 46, 332, 333 ff.; vom 11. Juli 1969 - VI ZR 49/68 - VersR 1969, 907, 909; vom 18. Oktober 1977 BGHZ 69, 347, 348 ff.; vom 25. Oktober 1977 - VI ZR 150/75 - VersR 1977, 1158; vom 12. Juni 1979 - VI ZR 80/78 - VersR 1979, 1104, 1105; vom 24. Februar 1981 - VI ZR 154/79 - VersR 1981, 477, 478; vom 12. April 1983 BGHZ 87, 181, 182 ff. vom 8. November 1983 - VI ZR 214/82 - VersR 1984, 237; vom 17. Dezember 1985 - VI ZR 152/84 - VersR 1986, 391 und vom 18. Februar 1986 - VI ZR 55/85 - zur Veröffentlichung bestimmt).

2.

Im Ergebnis nicht zu folgen ist aber der Ansicht des Landgerichts, die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz der während der Arbeitsunfähigkeit des Dietmar S. nicht abgeführten Rentenversicherungsbeiträge erworben.

a)

Rechtsfehlerfrei ist auch insoweit die Ausgangserwägung des Landgerichts, die Vorschrift des § 119 Satz 1 SGB X habe keine Grundlage für einen originären Anspruch des Rentenversicherungsträgers auf Ersatz ihm nicht zugeflossener Beiträge geschaffen, sondern eine Legalzession für Schadensersatzansprüche des Versicherten begründet. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Durch sie sollte, wie die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 9/95 S. 29; BR-Drucks. 526/80 S. 29) ausweist, nicht zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers eine Pflicht zum Ersatz von Drittschäden begründet, sondern zum Schutz des Sozialversicherten dessen bisherige Freiheit zur beliebigen Verwendung der ihm als Schadensausgleich gezahlten Versicherungsbeiträge beseitigt werden, um sicherzustellen, "daß der Verletzte später Sozialleistungen erhält, die auch die Zeit der Verletzung umfassen". Deshalb kommt es, wie das Landgericht richtig sieht, für die Berechtigung des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs darauf an, ob Dietmar S. ein entsprechender Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zustand.

b)

Im Ansatz zu Recht, wenn auch ohne nähere Begründung, bejaht das Landgericht ferner die Voraussetzungen für einen Anspruch des Verletzten auf Ausgleich der Beitragslücke, die ihm durch die Nichtentrichtung der Pflichtbeiträge während seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit entstanden ist. Zwar führen fehlende Pflichtbeiträge für Teile eines (Kalender-) Monats weder zu etwa nur beschränkt anrechenbaren Ausfallzeiten (§§ 1258, 1259 RVO), noch zu Nachteilen bei der Erfüllung von Wartezeiten (§§ 1246 ff. RVO), da die betreffenden Monate insoweit gemäß § 1250 Abs. 3 RVO voll als Versicherungszeiten angerechnet werden. Daß der betreffende Kalendermonat mit einem geringeren Pflichtbeitrag belegt ist, beeinträchtigt aber, wie auch die Revisionserwiderung nicht in Frage stellt, die gemäß § 1255 RVO von der tatsächlichen Beitragsleistung abhängige persönliche Bemessungsgrundlage des Versicherten. Wegen dieser Schmälerung der für die Höhe der Rente maßgeblichen Werteinheiten besteht die für einen Fortkommensschaden im Sinne der §§ 842, 843 BGB ausreichende Möglichkeit einer späteren Rentenverkürzung (vgl. Senatsurteile vom 17. Januar 1967, 18. Oktober 1977 und 12. Juni 1979 = aaO). Der Pflicht des Schädigers zum Ausgleich dieses Nachteils kann nicht entgegengehalten werden, daß sich bei Eintritt des Versicherungsfalles ein Mißverhältnis zwischen dem Beitragsaufwand zur Weiterversicherung und dem Rentenertrag herausstellen könne. Zum einen kann sich bei der Berechnung des im Versicherungsfall erreichten persönlichen Bemessungsfaktors auch das Gegenteil ergeben, daß nämlich der Aufwand für die Beiträge geringer war als die laufende Rentenminderung, die ohne die Beitragsleistungen entstanden wären (Senatsurteil vom 17. Januar 1967 = aaO). Zum anderen müssen solche Wirtschaftlichkeitserwägungen für den zivilrechtlichen Schadensausgleich aber auch deshalb außer Betracht bleiben, weil es nach § 249 BGB gerade die Aufgabe des Ersatzanspruchs ist, den verletzten Sozialversicherten von den Risiken zu entlasten, die sich für ihn aus der vom Schädiger zu verantwortenden Störung im Aufbau seiner sozialen Lebensvorsorge ergeben (vgl. Senatsurteile vom 18. Oktober 1977 und vom 8. November 1983 = aaO). Im Streitfall besteht jedenfalls die Möglichkeit einer späteren Rentenverkürzung (vgl. die Beispiele bei Sauerzapf in Amtl. Mitt. LVA Rheinpr. 1985, 349, 350 ff.).

c)

Rechtlich zutreffend geht das Landgericht schließlich davon aus, daß bis zum 30. Juni 1983 grundsätzlich keine Möglichkeit bestand, Beitragsausfälle für Teilmonate durch freiwillige Zahlungen auszugleichen. Eine insoweit gemäß §§ 1234 Abs. 1, 1408 Abs. 2 RVO mögliche Höherversicherung war nicht geeignet, den Rentenverkürzungsschaden des Versicherten systemgerecht aufzufangen (Senatsurteil vom 12. April 1983 = aaO S. 187 f.). Eine Weiterversicherung gemäß § 1233 RVO kam in der Regel ebenfalls nicht in Betracht, da, wie gesagt, teilweise mit Pflichtbeiträgen belegte Monate nach § 1250 Abs. 3 RVO voll angerechnet werden und deshalb eine "Aufstockung" mit freiwilligen Beiträgen ausschied (ständ. Rspr.; vgl. BVerfGE 49, 192, 210 f.; BSGE 41, 41 ff. - Großer Senat = SozR 2200 Nr. 13 zu § 1259 RVO; BSG SozR 2200 Nr. 21 zu § 1233 RVO; BSG SozR Nr. 2 zu § 1446 RVO a. F.). Dem stehen die eingangs genannten Senatsurteile nicht entgegen. Soweit der erkennende Senat in einzelnen dieser Entscheidungen die Verurteilung zur Erstattung von Beiträgen auch für Teilmonate nicht beanstandet hat, beruhte dies darauf, daß in jenen Fällen die Möglichkeit zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die gesamten pflichtbeitragslosen Zeiten für das Revisionsverfahren streitlos gestellt worden war (vgl. Senatsurteile vom 12. Juni 1979 = aaO S. 1105 und vom 12. April 1983 = aaO S. 188 f.).

d)

Anlaß zu rechtlichen Bedenken gibt aber die Ansicht des Landgerichts, der Anspruch des Dietmar S. auf Erstattung nicht abgeführter Pflichtbeiträge für die Teilmonate Oktober und November 1983 scheitere daran, daß insoweit auch unter Berücksichtigung des nunmehr geltenden § 119 SGB X ein dem System der Sozialversicherung gerecht werdender Schadensausgleich nicht möglich sei.

Die Frage, ob nach Einführung des § 119 SGB X an den Anforderungen für den Schadensausgleich von Beitragsdefiziten unverändert festzuhalten ist, wie sie der erkennende Senat in den eingangs genannten Entscheidungen für die Zeit bis zum 30. Juni 1983 dargelegt hat, oder ob der gesetzlichen Neuregelung über die Beseitigung von Nachteilen bei der Anrechnung von Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten (§§ 1248 Abs. 3, 1251 Abs. 2, 1259 Abs. 3, 1260 RVO) hinaus auch Bedeutung für den Individualausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem zukommt, ist umstritten. Nach einer Auffassung setzt der gesetzliche Forderungsübergang des § 119 Satz 1 SGB X voraus, daß der Sozialversicherte nach den bisherigen Grundsätzen Schadensersatz verlangen kann, so daß - wie vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift - ein Ausgleich für nicht entrichtete Pflichtbeiträge für Teilmonate auch weiterhin weder im Wege der freiwilligen Weiterversicherung noch der Höherversicherung in Betracht kommt (so LG Berlin VersR 1986, 247; Gitter, SGB/RVO-Gesamtkommentar § 119 SGB X Anmerkung 2 und 6; v. Maydell/Schellhorn, Gemeinschaftskomm. zum SGB X 3, § 119 Rdn. 29; Geigel/Plagemann, Haftpflichtprozeß 19. Aufl. 30. Kap. Rdn. 138; Küppersbusch VersR 1983, 193, 207; Hüffer VersR 1984, 197, 203 und 1009, 1011; v. Einem Amtl. Mitt. LVA Rheinpr. 1983, 424, 429, NJW 1984, 1222 f., NJW 1985, 2630 f. und Zbl. Soz. Vers. 1985, 33, 34; nicht eindeutig: Schmitt SGb 1983, 465, 468 f.; unentschieden: Donath VersR 1984, 401; zwischen den §§ 1233 und 1234 RVO differenzierend: Stelzer ZBl. Soz. Vers. 1984, 97, 102 f., VersR 1985, 710, 712 ff. und NJW 1985, 182, 183). Nach anderer Ansicht hat § 119 SGB X nunmehr die Lücke geschlossen, die nach den rentenversicherungsrechtlichen Vorschriften bislang einem systemgerechten Schadensausgleich im Zeitpunkt der Entstehung von Beitragsdefiziten entgegenstand (so Grüner/Dalichau/Podlech/Prochnow, SGB X/3 § 119 Anm. 2; Clausing/Dörr/Herrmann/Schöning, SGB X § 119 Anm. 4.2; Hauck/Heines, SGB X/3 K § 119 Rdn. 11, 14 f.; Ritze DRV 1983, 589, 603 f., VersR 1983 214, 217 ff. und NJW 1983, 2624 f.; André BG 1983, 716, 720; Pappai BKK 1983, 97, 101; Deinhardt VersR 1984, 697, 705; Sauerzapf = aaO; für § 1234 RVO auch Stelzer = aaO).

Der erkennende Senat hält die letztere Ansicht für zutreffend.

aa)

Die Einführung des § 119 SGB X dient, wie sich aus der Gesetzesbegründung (= aaO) ergibt, dem Ziel, den Versicherten vor Einbußen an Sozialleistungen wegen ausgebliebener Beitragszahlungen zu schützen. Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber dem Versicherten bei fremdverschuldeter Arbeitsunfähigkeit die Aktivlegitimation für den Anspruch auf Ersatz seines Beitragsschadens entzogen und auf den Sozialversicherer als Treuhänder übertragen, der die nunmehr zweckgebundenen Schadensersatzleistungen einzuziehen und zu Gunsten des Versicherten als Pflichtbeiträge zu verbuchen hat. Das angestrebte Ziel würde aber nur unvollkommen erreicht, wenn sich die Legalzession nicht auch auf den durch den Schädiger verursachten Ausfall an Pflichtbeiträgen für Teilmonate bezöge, der sich, wie dargelegt, über die persönliche Bemessungsgrundlage des § 1255 RVO auf die Höhe der späteren Sozialleistungen auswirken kann. Bliebe dem Geschädigten insoweit nur die Möglichkeit, erst nach Eintritt des Versicherungsfalles den durch solche Minderbeiträge entstandenen Rentenschaden geltend zu machen, so hätte er das Risiko einer inzwischen eingetretenen Insolvenz des Schädigers zu tragen, was mit dem auf Verbesserung seiner sozialen Absicherung gerichteten gesetzgeberischen Ziel des § 119 SGB X schwerlich zu vereinbaren wäre. Überdies würde in der Mehrzahl der Schadensfälle mit längerer Arbeitsunfähigkeit eine wenig praktikable Zerteilung der Schadensregulierung in einen alsbaldigen Ausgleich für die mit Beiträgen unbelegten Kalendermonate und einen erst im Versicherungsfall durchzuführenden Ausgleich für die Rentenverkürzung auf Grund der teilbelegten Beitragsmonate erforderlich sein, was weder der erstrebten Verbesserung des Schutzes des Versicherten, noch den Interessen des Schädigers und gegebenenfalls seines Haftpflichtversicherers an einer alsbaldigen abschließenden Schadensregulierung gerecht würde und auch dem Bedürfnis nach klaren, einfach zu handhabenden Maßstäben für den Schadensausgleich (Senatsurteile vom 18. und 25. Oktober 1977 = aaO) nicht entsprechen würde.

Daß die in § 119 SGB X angeordnete Legalzession mit ihrer auf den sozialen Schutz verletzter Versicherter ausgerichteten Zielsetzung trotz des insoweit schwachen Wortlauts den Ausgleich für Beitragslücken bei Teilmonaten nicht aussparen wollte, kann nicht nur den Kommentierungen der seinerzeit mit dem Gesetzesvorhaben befaßten Mitarbeiter des zuständigen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (vgl. André, Pappai, Hauck/Heines = aaO), sondern auch der Gesetzesbegründung mit dem dortigen Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. Oktober 1977 (= aaO) entnommen werden. In dieser hat der erkennende Senat ebenso wie schon in seinem vorausgegangenen Urteil vom 17. Januar 1967 (= aaO) ausdrücklich auf die Beeinträchtigung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage des Versicherten durch fehlende Pflichtbeiträge hingewiesen und die Pflicht des Schädigers, Beitragsausfälle bereits nach ihrer Entstehung zu regulieren, von der versicherungsrechtlichen Möglichkeit eines solchen Ausgleichs abhängig gemacht. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung, die nach der Gesetzesbegründung "fortgeführt" werden sollte, ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu sehen, mit § 119 SGB X dem zivilrechtlichen Grundsatz der Naturalrestitution für die Sozialversicherung des Verletzten beitragsrechtlich zur Durchsetzung zu verhelfen. So verstanden, dient die Regelung des § 119 Satz 2 SGB X, nach der die auf Grund der Legalzession bei dem Rentenversicherer eingegangenen Beiträge als Pflichtbeiträge gelten, der Anpassung des Beitragsrechts der Sozialversicherung an die Ziele der Naturalrestitution des zivilrechtlichen Schadensausgleichs. Damit ist nunmehr auch insoweit die von der Rechtsprechung für den Ersatz von Beitragsdefiziten geforderte Möglichkeit eines dem System der sozialen Vorsorge gerecht werdenden Ausgleichs gegeben. Dieser neuen Rechtslage haben die Rentenversicherer ihre Verwaltungspraxis angepaßt. Während nach bisherigem Recht die Zahlung von freiwilligen Beiträgen für teilweise bereits mit Pflichtbeiträgen belegte Monate vom Rentenversicherungsträger gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2 SGB IV als unwirksam zu beanstanden war, werden ab 1. Juli 1983 die über § 119 Satz 1 SGB X zum Ausgleich von Beitragslücken eingegangenen Beiträge gemäß § 119 Satz 2 SGB X als Pflichtbeiträge angesehen und als solche behandelt (vgl. Nr. 118 der "Auslegungsfragen zum SGB X 3. Kap." im VDR-Rundschreiben Nr. 9/83 - abgedr. u. a. bei Sauerzapf = aaO S. 355; siehe auch Grüner/Dalichau/Podlech/Prochnow = aaO).

Die mit § 119 SGB X geschaffene Möglichkeit zur Beitragszahlung für teilweise bereits mit Pflichtbeiträgen belegte Monate kann zur Überzeugung des Senats aus den dargelegten Gründen nicht ohne Auswirkung auf die Ersatzpflicht des Schädigers bleiben; sie hat den schadensrechtlichen Individualausgleich in das System der Sozialversicherung hinein verlängert. Eine derartige Auswirkung sozialrechtlicher Regelungen auf zivilrechtliche Vorschriften über den Schadensausgleich ist, wie sich unter anderem aus den §§ 636, 637 RVO ergibt, dem geltenden Recht nicht fremd. Sozialversicherungsrechtlich gesehen stellt § 119 SGB X neben § 1304 a Abs. 6 RVO eine weitere Ausnahme von dem sogenannten "Aufstockungsverbot" der §§ 1250 Abs. 3, 1233 Abs. 1 RVO dar, das eine nachträgliche Manipulation der Rentenhöhe durch den Sozialversicherten ausschließen soll (BVerfGE 49, 192, 211) und in dieser Zielsetzung von einer Naturalrestitution durch den Schädiger nach § 249 BGB nicht beeinträchtigt wird.

Dieses Verständnis des § 119 SGB X muß, wie dem Senat bewußt ist, auch zu entsprechenden Folgerungen für die - hier nicht zu entscheidenden - Fälle geringerer Beitragszahlung bei fremdverschuldetem Minderverdienst führen (zur früheren Rechtslage siehe Senatsurteil vom 12. April 1983 = aaO), da sich die dort eintretende Beeinträchtigung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage im Kern nicht von derjenigen bei einer Beitragszahlung für Monatsteile unterscheidet; die Frage der "Teilmonate" begründet insoweit keine versicherungsrechtliche Sonderproblematik.

bb)

Dem der Vorschrift des § 119 SGB X nach Ansicht des Senats zukommenden Regelungsgehalt steht auch nicht die Vorschrift des § 1385 b RVO entgegen, die, wie das Landgericht meint, zum 1. Januar 1984 das Problem des anhängigen Rechtsstreits im Sinne einer Beitragspflicht des Krankenversicherungsträgers mit der Folge gelöst habe, daß dem Rentenversicherungsträger ein Ersatzanspruch gegen den Schädiger zu versagen sei. Diese Auffassung verkennt die Bedeutung des § 1385 b RVO. Hiernach erbrachte Leistungen des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung sind keine Beiträge zur Aufrechterhaltung des versicherungsrechtlichen Status des Verletzten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie führen nicht zu Beitragszeiten des Versicherten, sondern mit ihnen werden Ausfallzeiten finanziert. In diesem Sinne haben die sogenannten "Trägerbeiträge" nicht den Ausgleich eines fremdverursachten Beitragsdefizits zum Ziel, sondern dienen lediglich der Beteiligung am Finanzierungsaufwand der Rentenversicherung (Senatsurteil vom 18. Februar 1986 = aaO). Schon aus diesem Grunde ist die Vorschrift des § 1385 b Abs. 1 RVO nicht geeignet, die Auffassung des Landgerichts zu stützen. Überdies sind etwaige gemäß § 1385 b Abs. 1 RVO eingegangene Finanzierungsbeiträge vom Rentenversicherungsträger nach § 1385 b Abs. 3 RVO zu erstatten, wenn und soweit sie mit Beiträgen nach § 119 SGB X zusammentreffen.

cc)

Nicht durchgreifend ist auch das Argument des Landgerichts, der Vorschrift des § 119 SGB X könne ein solcher Regelungsgehalt deshalb nicht zukommen, weil sie nicht in das Vierte Buch der Reichsversicherungsordnung aufgenommen worden sei. Die Vorschrift betrifft sowohl die in den §§ 115 ff. SGB X normierte Materie des Forderungsübergangs als auch das in der Reichsversicherungsordnung geregelte Recht der Rentenversicherung; sie erfaßt im übrigen mit ihrem Satz 1 nicht nur diese Versicherungsart, sondern prinzipiell auch andere Sozialversicherungsverhältnisse, wenn sie auch ihr Hauptanwendungsfeld im Bereich der Rentenversicherung findet und daneben lediglich in Ausnahmefällen für die Krankenversicherung von Bedeutung sein mag (vgl. Hauck/Heines = aaO Rdn. 10).

dd)

Dem dargelegten Regelungsgehalt des § 119 SGB X stehen schließlich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken aus Art. 3 GG wegen Benachteiligung solcher Sozialversicherter entgegen, die ohne Fremdverursachung arbeitsunfähig erkrankt sind und für die gemäß § 1250 Abs. 3 RVO eine Aufstockung der für Teilmonate entrichteten Pflichtbeiträge durch freiwillige Beitragsleistungen auch weiterhin nicht möglich ist. Das richtige "Vergleichspaar" für die Frage, ob eine sachwidrige Ungleichbehandlung vorliegt, wird nicht von den durch Fremdverschulden und den in anderer Weise arbeitsunfähig gewordenen Personen gebildet, sondern von den Sozialversicherten mit fremdverursachter Arbeitsunfähigkeit und den arbeitsfähig gebliebenen, weiterbeschäftigten Versicherten. Das folgt aus der in § 249 BGB normierten Pflicht des Schädigers zur Herstellung des ohne die Schädigung bestehenden Zustandes. Bei dieser nach Ansicht des Senats allein maßgeblichen Vergleichsbetrachtung liegt aber keine Ungleichbehandlung vor.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456293

BGHZ, 330

NJW 1986, 2247

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