Entscheidungsstichwort (Thema)

Betrug und Steuerhinterziehung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch ein ausschließlich zum Zwecke der illegalen Arbeitskräftevermittlung gegründetes oder betriebenes Wirtschaftsunternehmen stellt in der Regel keine kriminelle Vereinigung dar.

 

Normenkette

StGB § 129

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 30.10.1981)

 

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 30. Oktober 1981 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges, Umsatzsteuerhinterziehung und Lohnsteuerhinterziehung in jeweils elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Tatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) hat es verneint. Hiergegen sowie gegen die Berechnung des Betrugsschadens und der hinterzogenen Lohnsteuer richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.

I. 1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte in der Zeit von Anfang Januar 1976 bis zu seiner Festnahme am 16. Juni 1979 an mindestens elf Subunternehmen – teilweise gleichzeitig – als wirtschaftlicher Inhaber oder Mitinhaber beteiligt. Diese Subunternehmen beschäftigten sich ausschließlich mit dem entgeltlichen Verleih von Arbeitskräften an – vornehmlich auf dem Bausektor tätige – Drittunternehmer, ohne daß hierfür eine Erlaubnis gemäß Art. 1 § 1 Abs. 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) vorlag. Die Arbeitnehmer waren größtenteils nicht im Besitz gültiger Arbeitspapiere. Nach dem Plan des Angeklagten sollten die Subunternehmen durch systematische Einsparung von Umsatz- und Lohnsteuer sowie von Sozialversicherungsbeiträgen (Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) möglichst hohe Gewinne erwirtschaften. Zu diesem Zweck wurden die Arbeitnehmer in drei Fällen gar nicht – insoweit hat der Senat wegen des Vorwurfs des Betruges das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt – und in den übrigen acht Fällen nur zu einem geringen Teil bei den zuständigen Sozialversicherungsträgern angemeldet.

Die Lohnabzugsbeträge und die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung wurden den Arbeitnehmern als Teil des vereinbarten Lohnes ausbezahlt. Die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung und die nicht entrichtete Umsatzsteuer bildeten im wesentlichen den Gewinn der Subunternehmen.

Der Angeklagte ging in allen Fällen der Gründung von Subunternehmen nach einem festen Tatschema vor. Er suchte jeweils eine Person aus, die als gutgläubiger Strohmann nach außen hin die Funktion des Betriebsinhabers bzw. Hauptgesellschafters einzunehmen und für das anzumeldende Gewerbe ihren Namen zu geben hatte. Dieser Person oblag es, das Gewerbe bei den zuständigen Stellen anzumelden, Unbedenklichkeitsbescheinigungen beizubringen, sich steuerlich erfassen zu lassen und geschäftliche Urkunden – teilweise blanko im voraus – zu unterzeichnen. Von der eigentlichen Geschäftsführung blieben die Strohmänner, die ein wöchentliches Entgelt von 200–600 DM erhielten, ausgeschlossen. Bei der Gründung von Subunternehmen mit Strohmännern zog der Angeklagte in den Fällen B II 1 (UA 20 ff), B II 2 (UA 24 ff), B II 7 (UA 42 ff), B II 8 (UA 47 ff), B II 10 (UA 60 ff) und B II 11 (UA 64 ff) noch eine weitere, mit den strafbaren Praktiken derartiger Subunternehmergeschäfte vertraute Person hinzu, mit der er sich in die Geschäftsführungstätigkeit und in den Gewinn teilte. In den übrigen Fällen beteiligte er jeweils zwei eingeweihte Tatgenossen. Bei den Geschäftsbeziehungen mit den Drittfirmen benutzte er nicht selten Falschnamen. Die Abrechnung mit diesen Firmen erfolgte über Scheinwerkverträge; eine ordnungsgemäße Buchführung war nicht vorhanden. Bestand die Gefahr der Entdeckung, so wurden die wenigen Unterlagen vernichtet oder beiseitegeschafft, das Subunternehmen eingestellt und abgemeldet, die illegale Tätigkeit als solche jedoch häufig unter neuen Namen und zusammen mit anderen Personen fortgesetzt.

2. Das Landgericht hat den Tatbestand der Gründung einer bzw. der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) als nicht erfüllt angesehen. Es ist zu der Überzeugung gelangt, die Beweisaufnahme habe das Bild eines nicht geschlossenen Täterkreises ergeben, dessen Angehörige sich in den Subunternehmen jeweils lose, ohne die für eine Vereinigung im Sinne dieser Bestimmung erforderliche Organisation zusammengefunden hätten. Es sei lediglich der gemeinsame Wille zur Verwirklichung des Tatschemas vorhanden gewesen, was rechtlich über die von § 25 Abs. 2 StGB erfaßte Mittäterschaft nicht hinausgehe (UA 199).

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich in erster Linie gegen die Verneinung der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) richtet, ist nicht begründet.

1. Unter einer Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB ist der auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenschluß von mindestens drei Personen zu verstehen, die bei Unterordnung des Willens des einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (BGHSt 10, 16, 17; BGH NJW 1966, 310, 312; BGH NJW 1978, 433, insoweit in BGHSt 27, 325 nicht abgedruckt; BGHSt 28, 147). Damit unterscheidet sich die kriminelle Vereinigung von der bloßen Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, die lediglich die gemeinschaftliche Tatbegehung, also ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken der Tatgenossen mit Täterwillen voraussetzt.

Der Unterschied zur weiteren Form kriminellen Zusammenwirkens mehrerer, nämlich der Bande (vgl. § 244 Abs. 1 Nr. 3, § 250 Abs. 1 Nr. 4 StGB, § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG 1981) liegt darin, daß bei dieser mindestens zwei Mitglieder (BGHSt 23, 239) ein kriminelles Gemeinschaftsinteresse verfolgen müssen, wobei zwar ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl gefordert wird, jedoch eine lose Zusammenfügung ohne besondere Organisationsform ausreicht (BGH NStZ 1982, 68; BGH bei Holtz MDR 1977, 282). Eine gegenseitige Verpflichtung der Mitglieder wird ebensowenig vorausgesetzt (BGH GA 1974, 308) wie eine abschließende Rollenverteilung (BGH, Urteil vom 1. September 1977 – 2 StR 276/77). Demgegenüber verlangt die kriminelle Vereinigung ein gewisses Mindestmaß an fester Organisation; verbindet drei Täter nur der Wille, vorübergehend gemeinsam Straftaten wie Diebstähle, Betrügereien oder Urkundenfälschungen zu begehen, so reicht auch der Umstand, daß einer der Anführer ist, der die größere Übersicht hat und dem daher im wesentlichen die Planung als Aufgabe zufällt, nicht aus, um eine solche feste Organisation annehmen zu können (BGH NStZ 1982, 68; BGH bei Holtz MDR 1977, 282).

2. Danach können in den vom Angeklagten beherrschten Subunternehmen kriminelle Vereinigungen aus mehreren Gründen nicht gesehen werden.

a) Das Erfordernis des mitgliedschaftlichen Zusammenwirkens von mindestens drei Personen bei Gründung oder Betätigung der Vereinigung läßt bereits diejenigen Fälle aus der Tatbestandsmäßigkeit herausfallen, in denen neben einem eingeweihten Tatgenossen nur gutgläubige Strohmänner eingeschaltet waren, die weder Kenntnis vom Tatschema noch von der strafbaren Zielsetzung der Subunternehmen hatten. Es fehlt hier an der subjektiven Einbindung in die kriminellen Ziele der Organisation und deren entsprechende Willensbildung. Denn die in einer kriminellen Vereinigung zusammengefaßten Mitglieder müssen sich bewußt sein, daß es bei Verfolgung ihrer Pläne – nicht nur gelegentlich und beiläufig – zur Begehung erheblicher Straftaten kommen kann, und müssen dies auch wollen (BGHSt 27, 325, 328).

b) Auch in den übrigen Fällen liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer kriminellen Vereinigung nicht vor. Die Gründung einer Einzelfirma oder einer Personen- oder Kapitalgesellschaft zur Beteiligung am Wirtschaftsleben stellt, auch wenn die Mitglieder beim Betrieb eines solchen Unternehmens Straftaten begehen wollen, regelmäßig für sich allein noch nicht die Bildung einer kriminellen Vereinigung dar. Eine solche muß – über den Zusammenschluß zur Begehung bestimmter einzelner Straftaten hinaus – eine gewisse organisatorische Selbständigkeit aufweisen. Es ist erforderlich, daß aus einer fest organisierten Vereinigung heraus Straftaten geplant oder begangen werden. Dies wäre hier möglicherweise der Fall, wenn sich der Angeklagte und seine eingeweihten Mittäter bereits vor der Gründung einzelner Subunternehmen zusammengeschlossen hätten mit dem Ziel, aus dieser Vereinigung heraus – in wechselnder Besetzung – solche Unternehmen zu gründen, um den Staat und die Sozialversicherungsträger durch Hinterziehung von Steuern und betrügerische Nichtentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen systematisch zu schädigen. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Sachverhalts sind nach den Feststellungen jedoch nicht gegeben.

c) Schließlich fehlt es nach den Feststellungen, deren Vollständigkeit auch die Revision nicht bezweifelt, bei den einzelnen Subunternehmen an einem durch die Art der Organisation gewährleisteten Gesamtwillen, dem sich die einzelnen Mitglieder als für sie maßgeblich untergeordnet hätten. Ein für die Beteiligten verbindlicher übergeordneter Gruppenwille lag danach ebensowenig vor wie das Bewußtsein, einem einheitlichen, auf eine gewisse Dauer angelegten und organisatorisch festgefügten kriminellen Verband anzugehören. Demgegenüber kommt es, wie das Landgericht zutreffend ausführt, nicht darauf an, in welchem Maße die ausgeführten Straftaten vorgeplant und organisiert waren.

d) Auch unter dem Blickwinkel des durch § 129 StGB geschützten Rechtsguts kann die Bestimmung hier keine Anwendung finden. Die kriminelle Vereinigung unterscheidet sich im Grad der Gefährdung von für die öffentliche Sicherheit wesentlichen Rechtsgütern deutlich von der Bande. § 129 StGB soll die erhöhte kriminelle Intensität erfassen, die in der Gründung oder Fortführung einer festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet, die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte Gefährlichkeit für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft mit sich bringt. Daher ist die Anwendbarkeit der Bestimmung vom Bundesgerichtshof bisher nur bejaht worden bei Vereinigungen, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit (BGHSt 27, 325: Gefangenengruppe mit dem Ziel des bewaffneten Kampfes; BGH NJW 1975, 985: mehrwöchige gewalttätige Hausbesetzung; vgl. auch BGHSt 28, 147: Sprengstoffattentäter) oder für die Volksgesundheit (BGH NStZ 1981, 303: internationaler Rauschgifthändlerring) darstellten. Diese einengende Auslegung des Begriffs der kriminellen Vereinigung findet ihre Bestätigung in § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Danach ist § 129 Abs. 1 StGB nicht anzuwenden, wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist.

3. Auch die Beanstandung, das Landgericht habe die Höhe der hinterzogenen Lohnsteuern und des Betrugsschadens fehlerhaft berechnet, ist nicht begründet. Der Tatrichter war insoweit auf Schätzungen angewiesen, da in den Subunternehmen eine ordnungsgemäße Buchführung nicht vorhanden war und Belege, wie Rapportzettel und Rechnungen, vom Angeklagten und seinen Mittätern beiseitegeschafft wurden. Damit konnte weder die Zahl der in den einzelnen Subunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer noch ihre Steuerklasse noch die Höhe des von ihnen zu entrichtenden Krankenversicherungsbeitrages im einzelnen festgestellt werden (UA 69/70).

Die vom Landgericht aufgrund der Aussagen von sachverständigen Zeugen, die im Subunternehmerbereich tätig waren (UA 177/178), vorgenommene Schätzung des Bruttolohnanteils mit 70 % des Nettoumsatzes (UA 70) ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für die Zugrundelegung des niedrigsten Lohnsteuersatzes von 22 % und des niedrigsten Sozialversicherungsbeitragssatzes von 29,5 bzw. 30,2 %. Das Landgericht ist bei der Berechnung vom Bruttolohnanteil des jeweiligen Subunternehmens ausgegangen, also von dem Gesamtbetrag, von dem Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge – wären sie entrichtet worden – hätten abgezogen werden müssen. Eine andere Berechnungsmethode stand angesichts der Unmöglichkeit von Feststellungen über die einzelnen Arbeitsverhältnisse hier nicht zur Verfügung. Insbesondere war eine Berechnung auf Nettolohnbasis ausgeschlossen. Das Landgericht war außerstande, den tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelten – wie es in der Entscheidung BGHSt 30, 265, 266 auf der Grundlage eines anderen Sachverhalts gefordert wird – die Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung zuzuschlagen und aus der so gebildeten Summe die Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen. Schließlich begegnet auch der Sicherheitsabschlag von 30 % bei der Berechnung der betrügerisch nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge keinen rechtlichen Bedenken.

 

Unterschriften

Salger, Knoblich, Ruß, Engelhardt, Goydke

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237547

BGHSt

BGHSt, 202

Nachschlagewerk BGH

StV 1983, 197

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