Leitsatz (amtlich)

a) Der nicht selbst auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätige Unternehmer, der neben seinem nach § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII haftungsprivilegierten Verrichtungsgehilfen lediglich nach §§ 831, 823, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner haftet, ist gegenüber dem Geschädigten nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses von der Haftung für erlittene Personenschäden freigestellt (vgl. § 840 Abs. 2 BGB); ein im Innenverhältnis zwischen dem Verrichtungsgehilfen und dem Geschäftsherrn etwa bestehender arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch bleibt dabei außer Betracht.

b) Die Haftung des nicht auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätigen Unternehmers bleibt im Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses auf die Fälle beschränkt, in denen ihn nicht nur eine Haftung wegen vermuteten Auswahl- und Überwachungsverschuldens gem. § 831 BGB, sondern eine eigene "Verantwortlichkeit" zur Schadensverhütung, etwa wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten oder wegen eines Organisationsverschuldens trifft.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 831, 840 Abs. 1-2; SGB VII § 106 Abs. 3, Alt. 3

 

Verfahrensgang

OLG Hamm

LG Hagen

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Hamm v. 2.12.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin war als Reinigungskraft bei der Firma W. GmbH angestellt. Bei dieser Firma handelt es sich um ein Tochterunternehmen der Beklagten, das beauftragt ist, den in den Krankenhäusern der Beklagten anfallenden Müll zu entsorgen.

Als die Klägerin am späten Nachmittag des 23.3.1999 auf der Intensivstation eines dieser Krankenhäuser einen Müllsack aus einem Behälter zog, stach sie sich an einer gebrauchten Injektionsnadel in den rechten Oberschenkel und in den rechten Daumen. Die Nadel befand sich samt Spritze in dem Müllsack, obwohl sie in einem hierfür vorgesehenen gesonderten Gefäß hätte gelagert und entsorgt werden müssen.

Im Januar 2000 wurde bei der Klägerin eine Hepatitis-C-Infektion diagnostiziert. Die Klägerin sieht die Ursache dieser Infektion in der Verletzung v. 23.3.1999 und nimmt die Beklagte auf Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt sowie ihre Pflicht zum Ersatz materieller und künftiger immaterieller Schäden der Klägerin festgestellt. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Beklagte zum Ersatz des der Klägerin entstandenen Schadens verpflichtet.

Die Haftung der Beklagten scheitere nicht an § 104 Abs. 1 SGB VII. Der Arbeitsunfall der Klägerin sei allein deren Stammbetrieb, der Firma W. GmbH, zuzurechnen, nicht aber der Beklagten. Zwar handele es sich bei der W. um ein Tochterunternehmen der Beklagten, das in deren Konzernabschluss einbezogen sei, auch gehörten der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten, deren Geschäftsführer und deren Prokurist dem Aufsichtsrat der W. GmbH an, so dass die Beklagte maßgeblichen Einfluss auf Geschäftsführung und Leitung der W. GmbH habe. Doch sei nach der Definition des § 136 Abs. 3 SGB VII als Unternehmer i. S. d. § 104 Abs. 1 SGB VII derjenige anzusehen, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zu Vor- oder Nachteil gereiche. Ausschlaggebend sei daher die Rechtsform, in der das Unternehmen betrieben werde. Da keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die W. GmbH das Geschäftsrisiko des Reinigungsunternehmens nicht selbst trage, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin nicht für die W. GmbH, sondern für die Beklagte tätig geworden sei.

Auch nach §§ 105, 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII sei die Haftung der Beklagten nicht ausgeschlossen, da die Haftungsprivilegierung wegen betrieblicher Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte jedenfalls nicht zu Gunsten eines auf der gemeinsamen Betriebsstätte nicht selbst tätig gewordenen Unternehmers greife. Da die Beklagte nicht selbst tätig geworden sei, fehle es an dieser Voraussetzung der Haftungsprivilegierung.

Schließlich sei die Haftung auch nicht nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses ausgeschlossen. Danach beschränkten sich in Fällen, in denen wie hier einer der Gesamtschuldner haftungsprivilegiert sei, der andere jedoch nicht, die Ansprüche der geschädigten Person gegen den nicht haftungsprivilegierten Gesamtschuldner auf das, was im Innenverhältnis der Gesamtschuldner auf diesen endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nicht gestört wäre. Dem Mitarbeiter der Beklagten, bei dem davon ausgegangen werden müsse, dass ihm nur leichteste Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden könne, stehe ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch gegen die Beklagte zu. Da dieser der Regelung in § 840 Abs. 2 BGB vorgehe, habe die Beklagte im Innenverhältnis den Schaden insgesamt zu tragen, so dass die Klägerin von ihr Ersatz in vollem Umfang verlangen könne.

II.

Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsgericht allerdings mit Recht davon ausgegangen, dass kein Haftungsausschluss zu Gunsten der Beklagten nach § 104 Abs. 1 SGB VII eingreift. Haftungsprivilegiert als "Unternehmer" i. S. d. § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII ist hier nicht die Beklagte als "Mutterunternehmen" sondern die Reinigungsfirma W. GmbH selbst, bei der die Klägerin beschäftigt ist.

a) Nach § 104 SGB VII entfällt grundsätzlich die Haftung des Unternehmers für einen Personenschaden, den ein in seinem Unternehmen tätiger Unfallversicherter durch einen Arbeitsunfall erlitten hat. "Unternehmer" ist nach der Legaldefinition des § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens "unmittelbar" zum Vor- oder Nachteil gereicht. Wer dies im Einzelfall ist, ist nach dem Gesamtbild unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3/2, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, § 136 Rz. 17, m. w. N.; Hauck/Graeff, § 136 Rz. 20-23; KK/Ricke, § 136 Rz. 24 ff.; Mehrtens, § 136 Rz. 8; Lauterbach/Watermann, § 136 Rz. 21 ff.; Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 136 SGB VII Rz. 18-21). Dabei kommt der Rechtsform ausschlaggebende Bedeutung zu (BGH, Urt. v. 4.10.1988 - VI ZR 7/88, MDR 1989, 151 = VersR 1988, 1276; BSGE 23, 83 [85 f.]; BSGE 45, 279 [281]; KK/Ricke, § 136 Rz. 30a).

Im Streitfall ist die Firma W., eine GmbH, gegenüber der Beklagten, bei der es sich ebenfalls um eine GmbH handelt, als juristische Person ein rechtlich selbstständiger Unternehmer. An dieser rechtlichen Ausgestaltung muss sich die Beklagte für die Beurteilung ihrer Teilhabe an dem "Unternehmen W." auch in Bezug auf den Beurteilungsrahmen des § 104 Abs. 1 SGB VII festhalten lassen. Daran vermag weder die wirtschaftliche Verflechtung beider Unternehmen als Mutter- und Tochterunternehmen noch der Umstand etwas zu ändern, dass im Aufsichtsrat der Firma W. GmbH der Aufsichtsratsvorsitzende, der Geschäftsführer und der Prokurist der Beklagten tätig sind. Denn entgegen der Auffassung der Revision führen weder die teilweise Personenidentität noch die damit verbundenen Einflussmöglichkeiten der Beklagten auf ihr Tochterunternehmen dazu, dass die W. lediglich als "eine - wenn auch juristisch verselbständigte - Abteilung des Krankenhausunternehmens" zu betrachten wäre.

b) Entgegen der Auffassung der Revision ist der vorliegende Fall auch nicht mit demjenigen vergleichbar, welcher dem Senatsurteil v. 26.11.2002 (BGH, Urt. v. 26.11.2002 - VI ZR 449/01, MDR 2003, 332 = BGHReport 2003, 275 = VersR 2003, 348) zu Grunde lag. Dort ging es nicht um die Haftungsprivilegierung der Gemeinde nach § 104 SGB VII als (gemeinsamer) Träger der Schule und der Skipiste, auf der sich der Unfall eines Schülers beim Sportunterricht ereignet hatte. Vielmehr ging es um die Haftungsprivilegierung des beklagten Leiters der gemeindlichen Sportstättenverwaltung nach § 106 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 105 Abs. 1 SGB VII als im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung des Sportunterrichts in den Schulbetrieb eingegliederter Betriebsangehöriger des "Unternehmens Schule". Soweit der Senat zuvor die Revision des verletzten Schülers (BGH - VI ZR 338/98) gegen das seine Klage auf Ersatz seines Personenschadens gegen die Gemeinde abweisende Urteil des OLG Dresden (OLG Dresden v. 14.10.1998 - 6 U 1485/98, OLGReport Dresden 1999, 330 = NJW-RR 1999, 902) nicht zur Entscheidung angenommen hatte, so beruhte dies darauf, dass die Gemeinde als Träger der Schule (vgl. § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII) und zugleich der Sportstätte haftungsprivilegierter Unternehmer i. S. d. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII war. Davon unterscheidet sich maßgeblich der vorliegende Fall, in welchem die Klägerin den Unfall im Rahmen ihrer Tätigkeit für die mit der Beklagten als Unternehmer i. S. d. § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII nicht identische Firma W. GmbH erlitten hat.

2. Das Berufungsgericht ist weiter mit Recht und von der Revision unbeanstandet davon ausgegangen, dass die Beklagte auch nicht nach § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII haftungsprivilegiert ist. Denn die Haftungsfreistellung nach dieser Norm könnte - falls es sich um eine gemeinsame Betriebsstätte gehandelt haben sollte - nur zu Gunsten des Mitarbeiters der Beklagten wirken, der die Spritze vorschriftswidrig in den Müllsack getan hat, nicht jedoch für die Beklagte, die nicht selbst auf der Betriebsstätte tätig war (BGH v. 3.7.2001 - VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209 [212] = MDR 2001, 1239 = BGHReport 2001, 680; v. 3.7.2001 - VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214 [217] = MDR 2001, 1238 = BGHReport 2001, 678; Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 434/01, BGHReport 2003, 1204 = MDR 2003, 1232 = ZIP 2003, 1604 [1606]).

3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist jedoch - wie die Revision mit Recht geltend macht - eine Haftung der Beklagten aus §§ 831, 823 BGB auf Ersatz des der Klägerin entstandenen Personenschadens nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs ausgeschlossen.

a) Danach können in den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre (st. Rspr., BGH BGHZ 61, 51 [55]; Urt. v. 23.4.1985 - VI ZR 91/83, BGHZ 94, 173 [176] = MDR 1985, 834; Urt. v. 17.2.1987 - VI ZR 81/61, NJW 1987, 2669 [2670]; Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 434/01, BGHReport 2003, 1204 = MDR 2003, 1232 = ZIP 2003, 1604 [1606]). Die Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, dass einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten durch eine gesetzliche Unfallversicherung, nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden alleine tragen zu lassen (grundlegend BGH BGHZ 61, 51 [53 ff.]). Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat der Senat den Zweitschädiger "in Höhe des Verantwortungsteils" freigestellt, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinwegdenkt (BGH BGHZ 61, 51 [53 f.]; Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 434/01, BGHReport 2003, 1204 = MDR 2003, 1232 = ZIP 2003, 1604 [1606]). Dabei ist unter "Verantwortungsteil" die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der eigene Anteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen (BGH. Urt. v. 23.1.1990 - VI ZR 209/89, BGHZ 110, 114 [119] = MDR 1990, 530 und Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 434/01, BGHReport 2003, 1204 = MDR 2003, 1232 = ZIP 2003, 1604 [1606]).

b) Denkt man das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII hinweg, so würde die Beklagte nach §§ 831, 823, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner aus vermutetem Auswahl- oder Überwachungsverschulden für ihren Mitarbeiter und Verrichtungsgehilfen haften, der die gebrauchte Spritze, an der sich die Klägerin verletzt hat, vorschriftswidrig in den Müllsack getan hat. Ist neben demjenigen, welcher nach § 831 BGB zum Ersatz des von einem anderen verursachten Schadens verpflichtet ist, auch der andere für den Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander nach § 840 Abs. 2 BGB der andere allein verpflichtet. Insoweit ist "ein anderes bestimmt" i. S. d. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB. Dies beruht auf dem Grundgedanken, dass in den Fällen, in denen auf der einen S. nur eine Gefährdungshaftung oder eine Haftung aus vermutetem Verschulden, auf der anderen S. jedoch erwiesenes Verschulden vorliegt, im Innenverhältnis derjenige den ganzen Schaden tragen soll, der nachweislich schuldhaft gehandelt hat (OLG Schleswig v. 29.6.1989 - 16 U 201/88, NJW-RR 1990, 470; Stein in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 840 Rz. 25; Palandt/Thomas, BGB, 62. Aufl., § 840 Rz. 10). Demgemäß entspricht es der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass derjenige, der seinerseits eine Pflicht verletzt hat, im Innenausgleich sich nicht mit Erfolg darauf berufen kann, in der Erfüllung eben dieser Pflicht nicht genügend überwacht worden zu sein (BGH, Urt. v. 23.1.1990 - VI ZR 209/89, BGHZ 110, 114 [122] = MDR 1990, 530, m. w. N.). Hätte mithin der Erstschädiger im Innenverhältnis zur Beklagten die Verantwortung für die Schadensentstehung ohne die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII alleine zu tragen, so wäre es nicht gerechtfertigt, die Beklagte als Zweitschädiger im Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses gleichwohl für den Personenschaden der Klägerin (endgültig) haften zu lassen.

c) An diesem Ergebnis ändert sich - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nichts durch einen etwa bestehenden arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch des Erstschädigers gegen die Beklagte.

Die Frage, ob bei der Bestimmung des Haftungsanteils des Unternehmers abweichend von der Regelung des § 840 Abs. 2 BGB der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch Berücksichtigung zu finden hat, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (bejahend: OLG Oldenburg r+s 2002, 65; Lemcke, r+s 1999, 376 [377]; r +s 2000, 23 [24] und r +s 2001, 371; Otto, NZV 2002, 10 [15 f.]; verneinend: OLG München NZV 2003, 472m. zustimm. Anm. Tischendorf; Imbusch, VersR 2001, 1485; Tischendorf, VersR 2002, 1188). Sie ist unter Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte zu verneinen.

Der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch ist ein Rechtsinstitut des Arbeitsrechts, das den Arbeitnehmer aus Gründen der sozialen Fürsorgepflicht seines Arbeitgebers von den wirtschaftlichen Folgen einer - für ihn unter Umständen ruinösen - Haftung für bereits leicht fahrlässig begangene Fehler entlastet, die er im Zusammenhang mit den Risiken seines Arbeitsverhältnisses begeht (BGH BGHZ 16, 111 [116]; BGHZ 16, 200 [207]; BAGH BAGE 5, 1 [7]). Dieser soziale Bezug zum Arbeitsverhältnis kommt insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass der Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber nur abgestuft nach seinem Verschuldensgrad haftet: Bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er nicht, bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit haftet er grundsätzlich allein und bei normaler Fahrlässigkeit haftet er quotenmäßig, wobei die Gesamtumstände von Schadensanlass und Schadensfolgen nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen sind. Zu den Umständen, die den innerbetrieblichen Schadensausgleich und mithin auch den arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch determinieren und denen je nach Lage des Einzelfalls ein unterschiedliches Gewicht beizumessen ist, gehören neben dem Grad des dem Arbeitnehmer anzulastenden Verschuldens die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch eine Versicherung abdeckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie enthalten ist. Auch können unter Umständen die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, wie etwa die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter, seine Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten zu berücksichtigen sein (BAG BAGE 5, 1 [7] sowie BAG v. 25.9.1997 - 8 AZR 288/96, VersR 1998, 895 [896]).

Diese Besonderheiten des innerbetrieblichen Schadensausgleichs gelten grundsätzlich jedoch nur im Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie beschränken weder Haftpflichtansprüche von außerhalb des Betriebes stehenden Dritten (st. Rspr.: BGH v. 19.9.1989 - VI ZR 349/88, MDR 1990, 142 = CR 1990, 525 = VersR 1989, 1197 [1198]; v. 23.1.1990 - —VI ZR 209/89, MDR 1990, 530 = VersR 1990, 387 [388]; v. 21.12.1993 - —VI ZR 103/93, MDR 1994, 452 = VersR 1994, 477 [478]; BAG VersR 1958, 54 [55]) noch können sie umgekehrt bei einer Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers im Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses die haftungsrechtliche "Verantwortlichkeit" des Arbeitgebers im Verhältnis zum geschädigten außenstehenden Dritten erweitern. Denn die Verteilung des Risikos im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzw. die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gehen den Geschädigten grundsätzlich nichts an (so bereits Gamillscheg, VersR 1967, 513 [516]).

Im Übrigen hat der Senat bereits entschieden, dass beim gestörten Gesamtschuldverhältnis vertragliche Regelungen zur Haftungsfreistellung zwischen Erst- und Zweitschädiger grundsätzlich nur berücksichtigt werden, wenn die Haftungsfreistellung nicht nur die wirtschaftlichen Folgen der Haftung, sondern zugleich auch die Zuständigkeit zur Schadensverhütung umfasst; ansonsten entfalten sie keine Außenwirkung (BGH v. 23.1.1990 - VI ZR 209/89, BGHZ 110, 114 [119 f.] = MDR 1990, 530 und Urt. v. 17.2.1987 - VI ZR 81/86, MDR 1987, 749 = NJW 1987, 2669). Dies betraf zwar Fälle, in denen es um eine vertragliche Haftungsfreistellung des Zweitschädigers im Verhältnis zum haftungsprivilegierten Erstschädiger ging, die sich im Rahmen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs für einen Anspruch des Geschädigten gegen den Zweitschädiger nachteilig auswirken konnte. Ob dies auch umgekehrt in den Fällen gilt, in denen der Zweitschädiger den Erstschädiger vertraglich von den Haftungsfolgen freistellt und sich hieraus ein Argument für die rechtliche Beurteilung des arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs im Rahmen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs gewinnen lässt (OLG München NZV 2003, 472; Imbusch, VersR 2001, 1485), kann letztlich dahinstehen, da sich die Nichtberücksichtung des arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs im Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses bereits aus dessen oben dargelegter Rechtsnatur ergibt.

Soweit in der Literatur (Imbusch, VersR 2001, 1485) schließlich vertreten wird, aus den Urteilen des BGH, nach denen ein Haftungsfreistellungsanspruch des Arbeitnehmers bei Bestehen einer zu seinen Gunsten eingreifenden (Kfz-) Pflichtversicherung entfällt (BGH BGHZ 27, 62; v. 3.12.1991 - VI ZR 378/90, BGHZ 116, 200 = MDR 1992, 453 sowie Urt. v. 8.12.1971 - IV ZR 102/70, VersR 1972, 166), lasse sich ein "übergreifendes Prinzip" ableiten, dass er eines solchen Schutzes auch beim Eingreifen des Haftungsprivileges der §§ 105, 106 SGB VII nicht bedarf, kann auch dies letztlich offen bleiben, da der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch bereits aus den oben genannten Gründen außer Betracht bleiben muss.

Zudem würde seine Berücksichtigung im Außenverhältnis beim gestörten Gesamtschuldverhältnis zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass der Geschädigte in den Fällen, in welchen dem haftungsprivilegierten Erstschädiger leichtere oder mittlere Fahrlässigkeit zur Last fiele, gegen den Arbeitgeber weiter gehende Schadensersatzansprüche geltend machen könnte als in den zumeist auch in ihren Folgen für den Verletzten schwereren Fällen grober oder gröbster Fahrlässigkeit. Da in Letzteren ein Freistellungsanspruch grundsätzlich nicht besteht, griffe im Gegensatz zu den leichteren Fällen nach wie vor der Einwand des Arbeitgebers aus dem gestörten Gesamtschuldverhältnis durch und der Verletzte ginge leer aus - ein schwerlich zu rechtfertigendes Ergebnis (Tischendorf, VersR 2002, 1188 [1192]). Insoweit könnte es auch dem Betriebsfrieden schaden, wenn der haftungsprivilegierte Erstschädiger als Zeuge im Prozess des Geschädigten gegen seinen Arbeitgeber in den Konflikt geraten würde, einerseits im Interesse einer Haftungsreduzierung seines Arbeitgebers sein eigenes Verhalten im Lichte eines möglichst hohen Verschuldensgrades darzustellen, andererseits aber Gefahr liefe, bei grober Fahrlässigkeit vom Sozialversicherungsträger nach § 110 SGB VII in Regress genommen zu werden (Otto, NZV 2002, 10 [16]).

Schließlich würden im Außenverhältnis gleich gelagerte Fälle ohne sachlichen Grund ungleich behandelt. Haftungsprivilegierte Personen i. S. d. §§ 106 Abs. 3, 3. Alt., 105 Abs. 1 SGB VII können sowohl Betriebsangehörige als auch Nicht - Betriebsangehörige sein (vgl. amtl. Begründung BT-Drucks. 13/2204, 100). Stünde der haftungsprivilegierte Verrichtungsgehilfe, der bei einer betrieblichen Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte den Versicherten eines anderen dort tätigen Unternehmens verletzt, nicht in einem Arbeitsverhältnis zu dem nach § 831 BGB haftenden Unternehmer, hätte der Geschädigte jedenfalls gegen diesen nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses im Hinblick auf § 840 Abs. 2 BGB keinen Anspruch auf Ersatz seines Personenschadens, weil insoweit ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch zu Gunsten des Erstschädigers nicht in Betracht käme. Dann aber besteht kein sachlich gerechtfertigter Grund, den Arbeitgeber im Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses abweichend von der gesetzlichen Wertung der Verantwortlichkeit im Verhältnis zum Verrichtungsgehilfen nur deshalb haften zu lassen, weil im Innenverhältnis zwischen diesem und ihm ein Arbeitsverhältnis besteht.

4. Nach alledem kann der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch im Rahmen der wertenden Betrachtungsweise des gestörten Gesamtschuldverhältnisses keine Rolle spielen. Hierdurch wird die Rechtsprechung des Senats, dass nur der auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätige Unternehmer nach § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII haftungsprivilegiert ist, nicht infrage gestellt. Vielmehr bleibt die Haftung des nicht auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätigen Unternehmers im Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses regelmäßig in den Fällen erhalten, in denen ihn nicht nur eine Haftung wegen vermuteten Auswahl- und Überwachungsverschuldens gem. § 831 BGB, sondern eine eigene "Verantwortlichkeit" zur Schadensverhütung, etwa wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten oder wegen eines Organisationsverschuldens trifft (Otto, NZV 2002, 10 [16]; Imbusch, VersR 2001, 1485 [1488]). Das Berufungsgericht wird Gelegenheit haben, diesem Punkt, den es - von seinem Standpunkt aus konsequenterweise - nicht in seine Überlegungen miteinbezogen hat, im Rahmen der neuen Verhandlung nachzugehen. Ggf. wird es auch Feststellungen dazu zu treffen haben, ob es sich tatsächlich um eine gemeinsame Betriebsstätte i. S. d. Senatsrechtsprechung gehandelt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1099295

BGHZ 2004, 9

NJW 2004, 951

BGHR 2004, 441

EBE/BGH 2004, 46

EWiR 2004, 989

JurBüro 2004, 563

ZIP 2004, 465

JA 2004, 587

JuS 2004, 454

MDR 2004, 395

NZV 2004, 188

VersR 2004, 202

ZfS 2004, 161

RÜ 2004, 173

LMK 2004, 61

ZfSSV 2007

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