Leitsatz (amtlich)

Beitragszahlungen des späteren Gemeinschuldners an einen Sozialversicherungsträger benachteiligen die anderen Konkursgläubiger regelmäßig auch insoweit, als sie auf Arbeitnehmeranteile zu verrechnen sind (Bestätigung von BGH v. 25.10.2001 - IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100 ff. = BGHReport 2002, 84 = MDR 2002, 418).

Die mindestens halbjährige Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen kann hinreichend auf eine Zahlungseinstellung hindeuten.

Kennt ein im Geschäftsleben nicht unerfahrener Konkursgläubiger alle für das Vorliegen einer Zahlungseinstellung wesentlichen Tatsachen, so kennt er die Zahlungseinstellung auch dann, wenn er die aus den Tatsachen zwingend abzuleitenden Schlussfolgerungen nicht zieht; das gilt regelmäßig auch dann, wenn dieser Gläubiger mit mehr als einmonatiger Verzögerung nach Stellung eines Konkursantrags vollständig befriedigt wird.

 

Normenkette

KO §§ 29-30; StGB § 266a; KO § 102 Abs. 2; StGB § 30 Nr. 1 Fall 2, Nr. 2

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.02.2002; Aktenzeichen 16 U 57/01)

LG Darmstadt

 

Nachgehend

OLG Köln (Urteil vom 10.11.2010; Aktenzeichen 2 U 118/03)

LG Bochum (Urteil vom 04.02.2010; Aktenzeichen 3 O 284/09)

OLG Düsseldorf (Urteil vom 19.11.2009; Aktenzeichen I-12 U 186/08)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats in Darmstadt des OLG Frankfurt am Main v. 28.2.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter im Konkurs über das Vermögen der G. S. GmbH (nachfolgend: GmbH oder Gemeinschuldnerin). Diese kam seit Juni 1998 ihren Beitragsverpflichtungen gegenüber der verklagten Sozialversicherungsträgerin nicht nach. Ein von dieser am 8.9.1998 veranlasster Pfändungsversuch bei der GmbH blieb mangels pfändbarer Gegenstände erfolglos. Mit Schreiben v. 23.9.1998 beantragte die Beklagte unter Berufung darauf, dass die GmbH zahlungsunfähig sei, die Eröffnung des Konkursverfahrens wegen Beitragsrückständen i. H. v. 85.143,08 DM für die Monate Juni bis August 1998.

Am 23.12.1998 überwies der Geschäftsführer der GmbH an die Beklagte zur Tilgung sämtlicher Beitragsrückstände 144.048,79 DM. Mit Schreiben vom selben Tage erklärte daraufhin die Beklagte ihren Konkursantrag für erledigt. Zwei Wochen vorher hatte das Finanzamt O. a. M. wegen Steuerschulden i. H. v. fast 600.000 DM die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH beantragt. Auf Grund dieses Antrags wurde das Konkursverfahren am 30.12.1998 eröffnet.

Der Kläger ficht die an die Beklagte geleistete Zahlung auf Grund des § 30 Nr. 1 Fall 2 KO an. Das LG hat der Rückzahlungsklage stattgegeben, das OLG hat sie abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Anfechtungsvoraussetzungen seien nicht erfüllt. Auf den von der Beklagten selbst gestellten Konkursantrag v. 23.9.1998 könne der Kläger den Rückgewähranspruch nicht stützen, weil die Beklagte diesen Antrag für erledigt erklärt und er deshalb nicht zur Eröffnung des Konkursverfahrens geführt habe.

Der Kläger habe den ihm obliegenden Beweis dafür, dass die Beklagte die Zahlung in Kenntnis einer Zahlungseinstellung der GmbH entgegengenommen habe, nicht erbracht. Aus dem fruchtlosen Pfändungsversuch lasse sich eine solche Kenntnis schon deshalb nicht herleiten, weil der Geschäftsführer der GmbH dabei gegenüber dem Vollziehungsbeamten erklärt habe, eine Zahlungseinstellung liege nicht vor, und zugleich Zahlungen auf die rückständigen Beiträge binnen wenigen Tagen zugesagt habe. Dass die GmbH diese Zahlungszusage sodann nicht eingehalten habe, hätte an einem momentanen finanziellen Engpass liegen können. Auch der Umstand, dass es sich bei den Beitragsrückständen um strafbewehrte Forderungen (§ 266a StGB) handele, reiche nicht aus, um eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit zu begründen. Denn es gebe keinen Erfahrungssatz, dass ein Schuldner, der mit Sozialversicherungsbeiträgen über einige Monate in Rückstand gekommen sei, bis zum Ausgleich dieser Beiträge seine übrigen Gläubiger nicht befriedige. Dass die Beklagte ihren eigenen Konkursantrag auf Zahlungsunfähigkeit der GmbH gestützt habe, rechtfertige ebenfalls nicht den sicheren Schluss auf positive Kenntnis einer Zahlungseinstellung. Konkursanträge würden häufig - nach der Behauptung der Beklagten auch von dieser selbst - auf Grund der bloßen Vermutung oder Befürchtung, der Schuldner könne zahlungsunfähig sein, gestellt, um den Schuldner auf diese Weise - für den Fall einer irrigen Annahme der Zahlungsunfähigkeit oder als Druckmittel - zu einer alsbaldigen Zahlung zu veranlassen. Im Gegenteil sei der Umstand, dass der Geschäftsführer der GmbH letztlich nicht nur die dem ersten Konkursantrag zu Grunde liegenden, sondern die gesamten Beitragsrückstände abgedeckt habe, geeignet, eine Vermutung der Zahlungseinstellung auszuräumen.

II.

Demgegenüber rügt die Revision: Bis zum 23.12.1998 sei die GmbH mit den gesamten Beiträgen seit 1.6.1998 in Rückstand geraten. Eine halbjährige Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen mache ohne weiteres eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners glaubhaft. Sogar nach dem Zahlungsversprechen des Geschäftsführers der GmbH v. 18.9.1998 sei diese mehr als drei Monatsbeiträge schuldig geblieben. Eine bloße Zahlungsstockung liege nicht mehr vor, wenn der Gemeinschuldner mit einem wesentlichen Teil seiner Verbindlichkeiten länger als etwa einen Monat in Rückstand gerate. Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung wirke grundsätzlich fort. Sie könne nur dadurch beseitigt werden, dass die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen würden. Dies stehe zur Beweislast der Beklagten. Ein Gläubiger wie die Beklagte, der selbst davon ausgehe, der Schuldner sei zahlungsunfähig, könne sich - falls die Zahlungsunfähigkeit tatsächlich vorliege - nicht darauf berufen, diese habe ihm den Umständen nach nicht bekannt sein müssen.

III.

Das Berufungsgericht unterstellt, dass der Geschäftsführer der GmbH die angefochtene Zahlung für diese und aus ihrem Vermögen geleistet habe. Dann ist die Zahlung auf Grund des eigenen Vorbringens der Beklagten gem. § 30 Nr. 1 Fall 2 KO anfechtbar.

1. Durch die Zahlung hat die Beklagte wegen ihrer fälligen Beitragsforderungen - nach dem vom Berufungsgericht zu Grunde gelegten Sachverhalt - Befriedigung aus dem Vermögen der Gemeinschuldnerin erlangt. Dadurch wurden die Konkursgläubiger, entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung, auch insoweit benachteiligt, als die Zahlung auf die von den Arbeitnehmern zu entrichtenden Beitragsanteile zu verrechnen war (vgl. BGH v. 25.10.2001 - IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100 [104 ff.] = BGHReport 2002, 84 = MDR 2002, 418; Urt. v. 11.4.2002 - IX ZR 211/01, BGHReport 2002, 803 = MDR 2002, 1027 = ZIP 2002, 1159 [1160]; OLG Frankfurt v. 23.5.2002 - 16 U 182/01, OLGReport Frankfurt 2002, 254 = ZIP 2002, 1852 [1856 f.]). Entsprechendes hat der Senat bereits für die vom Arbeitgeber einbehaltenen Lohnanteile der Arbeitnehmer angenommen, die zunächst nicht, sondern erst in der kritischen Zeit an das Finanzamt abgeführt wurden (BGH, Beschl. v. 18.11.1993 - IX ZR 20/93 , zu OLG Köln v. 16.12.1992 - 13 U 160/92, OLGReport Köln 1994, 18 = NJW-RR 1993, 928 [929]; ebenso OLG Schleswig ZInsO 2003, 129 [130]; ZinsO 2003, 187 f.). An dieser Auffassung hält er fest.

a) Die vom OLG Dresden (OLG Dresden v. 16.1.2003 - 7 U 1167/02, GmbHR 2003, 422 = ZIP 2003, 360 [364]) dagegen - ohne konkrete Beziehung zu einem anfechtungsrechtlichen Streitgegenstand - erhobenen Bedenken sind unbegründet. Aus Strafvorschriften, insbesondere aus § 266a Abs. 1 StGB, ist allgemein kein Vorrang gegenüber dem Gleichbehandlungsgrundsatz in der Insolvenz abzuleiten. Dieser gilt - von den inzwischen auslaufenden Vorschriften des § 59 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 und § 61 Abs. 1 KO sowie § 13 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 und § 17 Abs. 3 GesO abgesehen - gleichermaßen für private wie hoheitliche Gläubiger. Auch der Rechtsgrund der Konkursforderung - sei er vertraglich, deliktisch, aus einem dinglichen Rechtsverhältnis abgeleitet oder hoheitlich - begründet in der Insolvenz des Schuldners grundsätzlich keine Besserstellung gegenüber anderen Ansprüchen. Insbesondere sind die Arbeitnehmer des Gemeinschuldners in gleicher Weise geschädigt, wenn sie ihren eigenen Lohn nicht erhalten, wie wenn die für sie zu entrichtenden Lohnsteuer- oder Sozialversicherungsbeiträge nicht geleistet werden. Ferner führen aufgedeckte Straftaten nicht selten zum Konkurs des Straftäters; in solchen Konkursverfahren erlangt kein Opfer allein wegen der Art seiner Schädigung einen Vorrang.

Dem steht das Urteil des 5. Strafsenats des BGH v. 28.5.2002 (BGH, Urt. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02, GmbHR 2002, 1026 = ZVI 2002, 312 [313 f.]; vgl. auch Richter, NZI 2002, 121 [126]) nicht entgegen. Es befasst sich mit der Pflicht von Arbeitgebern im Vorfeld ihrer Insolvenz und lehnt ein Treuhandverhältnis zwischen diesen Arbeitgebern und ihren Arbeitnehmern hinsichtlich der einbehaltenen Lohnanteile sogar ausdrücklich ab. Wenn der 5. Strafsenat im Anschluss an den VI. Zivilsenat des BGH (BGH v. 21.1.1997 - VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304 [309] = MDR 1997, 460 = GmbHR 1997, 305) sodann annimmt, die Pflicht des Arbeitgebers zur Abführung der sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbeiträge gehe der Bezahlung anderer Verbindlichkeiten vor, besagt diese Gewichtung persönlicher Schuldnerpflichten nicht, dass der Sozialversicherungsträger auch im Falle einer anschließenden Insolvenz des Arbeitgebers derartige Beiträge behalten darf. Insbesondere kann beiden Entscheidungen die Annahme eines Vorrangverhältnisses des § 266a StGB gegenüber § 30 Nr. 1 Fall 2 KO umso weniger entnommen werden, als in ihnen darüber nicht zu befinden war.

Für eine Sonderstellung der Sozialkassen im Konkurs des Arbeitgebers - sogar gegenüber Gläubigern mit älteren Forderungen - geben auch die Gesetzgebungsmaterialien nichts her. § 266a Abs. 1 StGB soll das Beitragsaufkommen der Sozialversicherungsträger gegenüber "untreueähnlichen Handlungen von Arbeitgebern" schützen (Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, 25 zu Nr. 5; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum 2. WiKG, BT-Drucks. 10/5058, 31 zu Art. 1 Nr. 5). Die Gesetzesbegründung stellt auf den aktiv tätigen Arbeitgeber ab und will "auch Gefahren für die Personen, mit denen der Täter in wirtschaftlicher Beziehung steht", verringern. Denn "ein solcher Täter kann unter Umständen auf diese Weise ... andere Personen, die ihm Kredite gewähren, über seine Kreditwürdigkeit täuschen. Außerdem können auf diese Weise gesetzestreue Mitbewerber benachteiligt werden" (amtl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, 26 zu Nr. 5). Eine Einschränkung des konkursrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes hätte demgegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen. Dass eine Sonderstellung der Sozialversicherungsträger gerade im Konkurs des Arbeitgebers nicht beabsichtigt war, ergibt sich vielmehr aus § 266a Abs. 6 StGB. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht von einer Bestrafung unter bestimmten weiteren Voraussetzungen absehen, wenn dem Arbeitgeber trotz ernsthafter Bemühungen die fristgemäße Zahlung nicht möglich war. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber erklärtermaßen solchen Betriebsinhabern entgegenkommen, denen es zum Zeitpunkt der Lohnauszahlung nicht möglich ist, ihren Verpflichtungen vollständig nachzukommen, ohne dass sie deswegen bereits Konkurs anmelden müssten: Reichen ihre Mittel zunächst nur aus, die Arbeitnehmer netto voll zu entlohnen, sollen sie nicht einen Betrieb schließen müssen, um zugleich die Sozialabgaben an die Einzugsstelle entrichten zu können (amtl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, 26 zu Nr. 5).

b) Der Vortrag der Parteien ergibt auch nicht, dass die Gemeinschuldnerin die Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungsbeiträgen auf Grund eines Treuhandverhältnisses abgeführt hat, welches allgemeinen zivilrechtlichen Regeln entspricht. Das Arbeitsverhältnis als solches begründet weder kraft Rechtsgeschäfts noch kraft eines tatsächlichen Treueverhältnisses für den Arbeitgeber die Pflicht, die Vermögensinteressen seiner Arbeitnehmer wahrzunehmen (BGH BGHSt 6, 314 [317 f.]; Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, 27 zu Nr. 5 m. w. N.).

Im vorliegenden Fall hat nach Darstellung der Beklagten der Geschäftsführer der GmbH das Geld aus seinem Privatvermögen aufgebracht; daran hatten weder die Beklagte noch die Arbeitnehmer der GmbH eine Treugeberstellung. Gemäß der Behauptung des Klägers dagegen hat der Geschäftsführer 145.000 DM auf seinen eigenen Gesellschaftsanteil an die GmbH eingezahlt; sofort anschließend sind vom selben Konto die geschuldeten Beiträge i. H. v. 144.048,79 DM an die Beklagte gezahlt worden. An dem allgemeinen Konto der GmbH wurde ebenfalls kein Treuhandverhältnis zu Gunsten Dritter begründet. Ein solches entsteht - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - nicht ohne weiteres mit einer Lohnauszahlung an die Arbeitnehmer (zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. außer BGH v. 25.10.2001 - IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100 [105 ff.] = BGHReport 2002, 84 = MDR 2002, 418; Urt. v. 24.6.2003 - IX ZR 75/01, z.V.b. in BGHZ; v. 24.6.2003 - IX ZR 120/02, z.V.b.).

2. Im Zeitpunkt der Zahlung hatte die GmbH ihre Zahlungen im Allgemeinen eingestellt. Eine Zahlungseinstellung i. S. v. § 102 Abs. 2 KO kann auch vorliegen, wenn der Schuldner noch einzelne - sei es auch beträchtliche - Zahlungen erbringt, sofern daneben wesentliche fällige und eingeforderte Schulden unerfüllt bleiben (BGH, Urt. v. 11.7.1991 - IX ZR 230/90, MDR 1991, 962 = ZIP 1991, 1014 [1015]; v. 13.4.2000 - IX ZR 144/99, MDR 2000, 904 = ZIP 2000, 1016 [1017], jeweils m. w. N.). Als der Geschäftsführer der GmbH am 23.12.1998 die hier angefochtene Zahlung von 144.048,79 DM leistete, konnte die GmbH unstreitig fällige Steuerschulden von 597.858,89 DM nicht mehr entrichten. Damit blieb jedenfalls ein wesentlicher Teil ihrer Schulden unerfüllt.

3. Die Zahlungseinstellung war dem zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten sogar auf der Grundlage ihres eigenen tatsächlichen Vortrags i. S. v. § 30 Nr. 1 Fall 2 KO bekannt.

a) Dieser Sachbearbeiter kannte alle für die Zahlungseinstellung der GmbH maßgeblichen Tatsachen: Wegen eigener Beitragsforderungen von 61.442,65 DM für die Zeit ab 1.6.1998 hatte die Beklagte bei der GmbH fruchtlos vollstreckt. Deren Geschäftsführer hatte zwar das Vorliegen einer Zahlungseinstellung geleugnet und Teilzahlungen bis zum 18.9.1998 angekündigt. Diese blieben aber aus, so dass die Beklagte mit Schreiben v. 23.9.1998 - wegen Forderungen von inzwischen 85.143,08 DM - einen Konkursantrag gegen die GmbH stellte und diesen ausdrücklich auf Zahlungsunfähigkeit stützte. Sie fügte hinzu, dass "nicht zu erwarten ist, dass sich in der Finanzlage des Arbeitgebers etwas ändern wird" (S. 2 des Konkursantrags der Beklagten v. 23.9.1998 als Anlage 2 zur Klageschrift). Nach der hier angefochtenen Zahlung v. 23.12.1998 beantragte die Beklagte, die Kosten des in der Hauptsache für erledigt erklärten Verfahrens der Schuldnerin aufzuerlegen, und begründete dies mit dem Hinweis, dass "der Antragsgrund erst im Nachhinein beseitigt wurde" (Schriftsatz der Beklagten v. 23.12.1998 an das Konkursgericht O. als Anlage 2 zur Klageschrift).

Die Grenze von einer noch unschädlichen Zahlungsstockung zur Zahlungseinstellung war schon auf der Grundlage des § 102 Abs. 2 KO überschritten, wenn der Schuldner wesentliche Verbindlichkeiten nicht innerhalb eines Monats zu tilgen vermochte (BGH, Urt. v. 27.4.1995 - IX ZR 147/94, MDR 1996, 162 = WM 1995, 1113 [1114 f.]). Demzufolge scheidet im vorliegenden Fall eine bloße Zahlungsstockung aus, nachdem die GmbH - entgegen ihr Ankündigung - auch im Oktober 1998 keine Zahlungen geleistet hatte.

Beitragsrückstände gegenüber Sozialversicherungsträgern haben im Allgemeinen eine erhebliche Bedeutung für die Zahlungsfähigkeit des Schuldners. Denn erfahrungsgemäß sind Unternehmer schon wegen der Strafandrohung des § 266a StGB bestrebt, solche Beitragsrückstände zu vermeiden. Die mindestens halbjährige Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen kann deshalb bereits hinreichend auf eine Zahlungseinstellung hindeuten (OLG Celle ZInsO 2002, 979 [980, 983]; OLG Köln KTS 2000, 441 f; Heidelberger Kommentar zur InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 14 Rz. 13 m. w. N.). Im vorliegenden Falle war die GmbH im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung mit sechs Monatsbeiträgen in Rückstand geraten. Zudem waren die Rückstände ständig angewachsen.

b) Allerdings macht die Beklagte geltend, sie habe zwar ihren eigenen Konkursantrag auf Zahlungsunfähigkeit der GmbH gestützt. Es sei jedoch mittlerweile nicht unüblich, dass im Geschäftsleben oftmals nur noch unter dem Druck eines Konkursantrages Zahlungen geleistet würden und daraufhin die entsprechenden Anträge wieder zurückgenommen werden könnten. Beispielsweise habe die AOK F. in den ersten drei Monaten des Jahres 1999 insgesamt 597 Insolvenzanträge gestellt, von denen 382 nach Zahlung wieder zurückgenommen worden seien. Dies belege, dass die betroffenen Schuldner nicht zahlungsunfähig gewesen seien. Konkursanträge würden häufig bereits auf Grund fehlgeschlagener Vollstreckungsversuche und der daran anknüpfenden Vermutung des Gläubigers von einer Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gestellt, um auf diese Weise - sollte die Vermutung unzutreffend sein - den Schuldner zu rascher Zahlung zu veranlassen. So habe sie, die Beklagte, auch in diesem Falle den Antrag auf Konkurseröffnung lediglich als Druckmittel eingesetzt, um die Gemeinschuldnerin zur Zahlung zu bewegen. Die Stellung des Konkursantrages sage daher nichts über eine Kenntnis der Beklagten hinsichtlich der Zahlungseinstellung aus.

Der Konkursgläubiger kennt die Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners i. S. v. § 30 Nr. 1 Fall 2 KO schon, wenn er die zu Grunde liegenden Tatsachen kennt, an die jedermann mit seiner Verkehrserfahrung verständigerweise die Erwartung knüpft, dass der Schuldner wesentliche Zahlungen so gut wie sicher nicht wird erbringen können (BGH, Urt. v. 27.4.1995 - IX ZR 147/94, MDR 1996, 162 = WM 1995, 1113 [1116]). Dass ein im Geschäftsleben nicht unerfahrener Gläubiger, der alle für das Vorliegen einer Zahlungseinstellung wesentlichen Tatsachen kennt, die daraus zwingend abzuleitenden Schlussfolgerungen nicht zieht, schließt seine Kenntnis im Rechtssinne nicht aus. Die Beklagte meint, wenn sie selbst ihre geltend gemachten Forderungen erfüllt erhalte, brauche sie nicht von einer Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auszugehen. Dies trifft jedoch nicht zu. Ein Gläubiger, der nach einem eigenen Eröffnungsantrag von dem betroffenen Schuldner Zahlungen erhält, darf deswegen allein grundsätzlich nicht davon ausgehen, dass auch die anderen, nicht antragstellenden Gläubiger in vergleichbarer Weise Zahlungen erhalten (BGH v. 20.11.2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178 [189 f.] = BGHReport 2002, 218 = MDR 2002, 415).

IV.

Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden (§ 563 ZPO n. F.). Denn die Beklagte behauptet sinngemäß, dass der Geschäftsführer G. S. die angefochtene Zahlung an sie durch Bareinzahlung unmittelbar aus eigenem Vermögen entrichtet habe. Trifft dies zu, dann hätte die Zahlung eines Dritten nicht die Gläubiger der GmbH benachteiligt.

Die Frage, aus wessen Vermögen die Zahlung von 144.048,79 DM geflossen ist, wird nicht bereits durch die vorgelegten Urkunden abschließend geklärt. Zwar hat der Kläger den Einzahlungsbeleg eingereicht, der die S. GmbH als Einzahlerin ausweist und als Verwendungszweck die Betriebsnummer der Beklagten für diese GmbH nennt. Ferner ist im Kassenbuch der GmbH für den 23.12.1998 ein Eingang von 145.000 DM als "Bareinlage G. S. " und sofort anschließend ein Zahlungsausgang i. H. v. 144.048,79 DM an die Beklagte verbucht. Außerdem hat der Geschäftsführer G. S. mit Anwaltsschreiben v. 16.2.1999 u. a. eine Einlage von 145.000 DM in die GmbH für den 23.12.1998 zu den Konkursakten angemeldet. Die tatsächliche Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit insbesondere des Einzahlungsbelegs spricht für die Behauptung des Klägers, dass das Geld aus dem Vermögen der GmbH abgeflossen ist.

Demgegenüber will die Beklagte die Angaben auf dem Beleg über die Bareinzahlung lediglich als Bezeichnung des Verwendungszwecks betrachten. Der angebotene Beweis zur Erschütterung der Anscheinsvermutung kann ihr nicht abgeschnitten werden.

 

Fundstellen

DB 2003, 2383

BGHR 2003, 1241

NJW-RR 2003, 1632

EWiR 2004, 197

KTS 2003, 659

WM 2003, 1776

WuB 2003, 989

ZIP 2003, 1666

InVo 2004, 48

MDR 2003, 1376

NZI 2003, 542

NZS 2004, 140

ZInsO 2003, 755

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