Leitsatz (amtlich)

Ist die erste unterhaltsberechtigte Person i.S.d. § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO ein Kind, so ist für dieses der erhöhte Freibetrag der ersten Stufe und nicht lediglich der verminderte Freibetrag der zweiten Stufe maßgeblich.

 

Normenkette

ZPO § 850c Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Beschluss vom 11.11.2003; Aktenzeichen 3 T 567/03)

AG Hagen

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Hagen v. 11.11.2003 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.

Wert: 1.860 EUR

 

Gründe

I. Die Gläubigerin vollstreckt gegen den Schuldner wegen einer Hauptforderung i.H.v. 127.822,97 EUR nebst Zinsen und Kosten. Sie erwirkte vor dem AG einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der die im Einzelnen näher bezeichneten Rentenansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin zum Gegenstand hat. Nachdem der ledige Schuldner am 13.8.2003 Vater eines Sohnes geworden war, erklärte die Drittschuldnerin ggü. der Gläubigerin, den pfändbaren Teil der Versorgungsbezüge ab dem 1.9.2003 unter Zugrundelegung von Unterhaltsverpflichtungen ggü. einer Person berechnen zu wollen. Die Gläubigerin hat daraufhin beim Vollstreckungsgericht beantragt, dass sich der für den Sohn zu berücksichtigende Freibetrag, obwohl dieser die erste unterhaltsberechtigte Person sei, nach der zweiten Stufe des § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO zu richten habe. Das Vollstreckungsgericht hat den Antrag mit Beschluss v. 17.9.2003 als unzulässig zurückgewiesen; eine von § 850c Abs. 1 ZPO abweichende Entscheidung sei nur in den vom Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen möglich. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sie sich mit ihrer - zugelassenen - Rechtsbeschwerde.

II. Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts sehen die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO weder ein Antragsrecht des Gläubigers noch eine Ermächtigungsgrundlage für das Vollstreckungsgericht auf Herabsetzung der Freibeträge des § 850c Abs. 1 ZPO vor. Auch wenn es sich bei dem ersten Unterhaltsberechtigten i.d.R. um eine mit dem Schuldner in Hausgemeinschaft lebende Person und damit zumeist um den Ehegatten und bei weiteren Unterhaltsberechtigten um Kinder des Schuldners handele, rechtfertige dies keine Verminderung der Freibeträge für den Fall, dass ein Ehegatte nicht vorhanden sei. Ein mit der Führung eines eigenen Hausstandes verbundener Mehraufwand, der mit dem erhöhten Freibetrag der ersten Stufe abgegolten werden solle, sei auch bei anderen Unterhaltsberechtigten als dem Ehegatten nicht ausgeschlossen. Überdies sei der Wortlaut des § 850c Abs. 1 ZPO eindeutig, der bewusst typisierte und pauschaliert gewährte Pfändungsgrenzen vorsehe; der Gesetzgeber habe keine Möglichkeit geschaffen, den Freibetrag bei nur einem Unterhaltsberechtigten nach der zweiten Stufe festzusetzen.

2. Die Rechtsbeschwerde verweist demgegenüber auf die Gesetzgebungsmaterialien, wonach mit dem höheren Freibetrag für die erste unterhaltsberechtigte Person dem Umstand Rechnung getragen werden solle, dass es sich dabei regelmäßig um den Ehegatten des Schuldners handele, für den Mehraufwendungen für die Führung eines eigenen Haushalts anfielen. Der unter dem Schutz des Art. 6 I GG stehende unterhaltsberechtigte Ehegatte dürfe nach der Scheidung oder während der Trennungszeit nicht vermögenslos bleiben. Daher ordne § 850c Abs. 1 ZPO zur Sicherstellung seines Unterhalts einen Freibetrag an, der die Mehraufwendungen für die Führung eines eigenen Hausstandes berücksichtige. Bei den weiteren Unterhaltsberechtigten handele es sich hingegen zumeist um die Kinder des Schuldners. Für diese würden solche Mehraufwendungen nicht entstehen, zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfes werde zusätzlich Kindergeld gewährt. Dem Kind dürfe aber auf diese Weise nicht mehr Unterhalt zugewiesen werden als einem Ehegatten auf erster Stufe. Darin läge eine willkürliche Gleichbehandlung ungleich gelagerter Sachverhalte, die gegen Art. 3 I GG verstoße. Ebensowenig dürfe dem ersten Kind ein höherer Freibetrag zugebilligt werden als nachfolgenden Kindern. Der Anwendungsbereich des § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO sei mithin teleologisch zu reduzieren, den Interessen des pfändenden Gläubigers, dem zur Durchsetzung seiner Rechte ein eigenes Antragsrecht zustehe, der Vorrang einzuräumen.

3. Der Standpunkt des Beschwerdegerichts ist richtig.

a) Ist die erste unterhaltsberechtigte Person i.S.d. § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO ein Kind, so ist für dieses der erhöhte Freibetrag der ersten Stufe von 350 EUR monatlich und nicht lediglich der verminderte Freibetrag der zweiten Stufe von 195 EUR monatlich maßgeblich (ebenso Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 850c Rz. 4a; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 850c Rz. 6; Smid in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 850c Rz. 11; a.A. LG Verden v. 9.9.2002 - 1 T 157/02, JurBüro 2002, 660 = InVO 2003, 245; LG Bremen JurBüro 2003, 378; AG Traunstein JurBüro 2003, 146; AG Ibbenbühren JurBüro 2003, 155). Die Vorschrift des § 850c Abs. 1 bis 3 ZPO regelt i.V.m. der dem Gesetz als Anlage beigefügten Tabelle die Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen. Sie setzt in ihrem Abs. 1 S. 1 pfändungsfreie Grundbeträge für den Schuldner fest. Gewährt der Schuldner auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung einem (früheren) Ehegatten, einem (früheren) Lebenspartner, einem Verwandten oder nach §§ 1615l, 1615n BGB einem Elternteil Unterhalt, sieht Abs. 1 S. 2 zusätzliche Freibeträge vor, die es dem Schuldner ermöglichen sollen, diesen Unterhaltsverpflichtungen ordnungsgemäß nachzukommen. Für die Höhe der in Betracht kommenden Freibeträge unterscheidet das Gesetz lediglich zwischen der Ersten und den weiteren - bis zu fünf - unterhaltsberechtigten Personen; eine darüber hinausgehende Staffelung der Freibeträge ist nicht vorgesehen. Es kommt für Abs. 1 S. 2 allein auf die Anzahl der Personen an, die vom Schuldner Unterhaltsleistungen erhalten, ohne dass deren konkrete Lebensumstände zu berücksichtigen wären. Von einer einzelfallabhängigen Entscheidung hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen. Hinter dieser Pauschalierung der pfändungsfreien Beträge steht sein Bestreben, die Zwangsvollstreckung praktikabel zu gestalten und die Durchsetzung der Rechte des Gläubigers - in dessen wohlverstandenem Interesse - nicht unzumutbar zu erschweren. Denn ebenso wie dem Gläubiger nach Abs. 1 S. 2 der Einwand verwehrt ist, der Schuldner sei auf den pfändungsfreien Betrag nicht in voller Höhe angewiesen, kann der Schuldner keine Heraufsetzung der Pauschale mit der Begründung verlangen, der gesetzliche Freibetrag sei für ihn nicht auskömmlich. Zusätzlich wird dem Interesse des Drittschuldners Rechnung getragen, dem bei der Berechnung des pfändungsfreien Teils des Arbeitseinkommens eine einfache Handhabung der in § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO vorgesehenen Freibeträge und der gem. § 850c Abs. 3 ZPO ergangenen Pfändungstabelle ermöglicht werden soll.

b) Die Auffassung der Rechtsbeschwerde findet auch keine Stütze in den Gesetzgebungsmaterialien (vgl. den Entwurf eines Vierten und eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen; BT-Drucks. 8/693, 48 und BT-Drucks. 10/229, 41). Darin hat der Gesetzgeber zwar offen gelegt, von welchen Erwägungen er sich bei Ermittlung der für Arbeitseinkommen geltenden Pfändungsfreigrenzen hat leiten lassen. Diese Erwägungen stellen indes nur Kalkulationsgrundlagen dar, die im Gesetz selbst keinen Niederschlag gefunden haben (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2003 - IXa ZB 207/03, MDR 2004, 471 = BGHReport 2004, 556 = WM 2004, 398). Schon deshalb verbietet es sich, von den in § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO vorgegebenen Freibeträgen abzuweichen und dem Schuldner den erhöhten Freibetrag für die erste unterhaltsberechtigte Person deshalb zu verwehren, weil es sich bei dieser statt eines Ehegatten um ein Kind handelt, das nicht mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebt oder das aus sonstigen Gründen keinen Mehraufwand für eine gemeinsame Haushaltsführung veranlasst.

Davon abgesehen, ist der Gesetzgeber bei Festlegung der pfändungsfreien Beträge in § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO nur davon ausgegangen, dass im Allgemeinen die Kosten für die Wohnung höher liegen, wenn im - eigenen - Haushalt des Schuldners weitere unterhaltsberechtigte Personen leben, wobei diesem Haushalt neben dem Ehegatten regelmäßig Kinder angehören, für die dem Haushaltsvorstand Anspruch auf Kindergeld in unterschiedlicher Höhe zusteht. Damit wird nicht zugleich zum Ausdruck gebracht, dass davon abweichende Lebensumstände des Schuldners oder des betreffenden Unterhaltsberechtigten - über die Voraussetzungen des § 850c Abs. 4 ZPO hinaus - eine anderweitige Festsetzung des Freibetrages rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat den verheirateten Schuldner, der eine Familie gegründet hat, für die Bemessung der ersten und zweiten Stufe des Pfändungsfreibetrages zum Ausgangspunkt genommen. Damit wollte er der als typisch erachteten Lebenssituation eines erwachsenen Schuldners Rechnung tragen, die in einer Vielzahl von Vollstreckungsfällen anzutreffen ist und sich daher als geeignete Kalkulationsgrundlage erweist. Mit Blick auf eine möglichst zügige und vereinfachte Durchführung des Vollstreckungsverfahrens hat er bereits in den Gesetzgebungsmaterialien von weiteren Differenzierungen abgesehen. So wird nicht gesondert auf den geschiedenen Ehegatten abgehoben, der nicht mehr in dem - in den Materialien allein angesprochenen - Hausstand des Schuldners lebt, sondern einen eigenen begründet hat, wodurch ebenfalls Mehraufwendungen für die Kosten einer Wohnung entstehen. Schließlich wird bei den Kindern des Schuldners nicht unterschieden, in welcher Höhe Kindergeld gezahlt wird; der Freibetrag der zweiten Stufe ist für jedes Kind in gleicher Höhe festgesetzt. Auch ist die Höhe des Freibetrages nicht davon abhängig, ob der Schuldner als Haushaltsvorstand tatsächlich Kindergeldzahlungen erhält oder ob diese seinem getrennt lebenden, das Kind betreuenden Ehegatten zufließen. Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber das Leitbild eines verheirateten Schuldners mit Kindern lediglich als Orientierungshilfe für die Festsetzung der Freibeträge betrachtet hat. Dass § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO nicht nur diese Konstellation erfasst, liegt angesichts der in der Vorschrift erfolgten Aufzählung unterhaltsberechtigter Personen - neben Ehegatten, Lebenspartnern und Kindern auch Eltern und sonstige Verwandte - auf der Hand. Die von der Rechtsbeschwerde gesehene Ungleichbehandlung ist zudem im Wesen jeder Pauschale begründet und wird durch die damit verbundene Vereinfachung und Beschleunigung des Vollstreckungsverfahrens ausgeglichen. Sie ist auch deshalb sachlich gerechtfertigt, weil daraus folgende Nachteile - wie dargelegt - nicht nur den Gläubiger, sondern in gleicher Weise den Schuldner treffen können.

c) An die vom Gesetz bestimmten pfändungsfreien Beträge ist das Vollstreckungsgericht gebunden. Soll von ihnen abgewichen werden, bedarf es nach den §§ 850 ff. ZPO besonderer Voraussetzungen, die hier nicht gegeben sind. So kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine Person, welcher der Schuldner auf Grund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt, wenn sie über eigene Einkünfte verfügt (§ 850c Abs. 4 ZPO). Ferner ermöglicht § 850 f Abs. 2 ZPO auf Antrag des Gläubigers dem Vollstreckungsgericht, bei der Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO vorgesehene Beschränkung zu bestimmen, wenn dem Schuldner soviel belassen wird, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Nach § 850 f Abs. 3 ZPO kann im Falle einer Zwangsvollstreckung wegen anderer als der in Abs. 2 der Vorschrift bezeichneten Forderungen und der in § 850d ZPO aufgeführten Unterhaltsansprüche die Pfändbarkeit unter Berücksichtigung der Belange des Gläubigers und des Schuldners vom Vollstreckungsgericht nach freiem Ermessen festgesetzt werden, wenn sich das Arbeitseinkommen des Schuldners auf mehr als monatlich 2.815 EUR beläuft, solange dem Schuldner soviel belassen wird, wie sich bei einem Arbeitseinkommen von 2.815 EUR aus § 850c ZPO ergeben würde. Diese Vorschriften tragen den Belangen der am Vollstreckungsverfahren Beteiligten abschließend Rechnung. Kann sich ein Gläubiger auf sie nicht berufen, ist er weder bei Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses noch zu einem späteren Zeitpunkt (§ 850g ZPO) berechtigt, eine erweiterte Pfändung der Einkünfte des Schuldners zu beantragen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2003 - IXa ZB 207/03, MDR 2004, 471 = BGHReport 2004, 556 = WM 2004, 398). Es besteht aus den genannten Gründen auch keine Veranlassung, dem Gläubiger in entsprechender Anwendung des § 850c Abs. 4 ZPO das Recht zuzubilligen, beim Vollstreckungsgericht zu beantragen, den Schuldner für die erste unterhaltsberechtigte Person auf den verminderten Freibetrag der zweiten Stufe zu verweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1205660

BGHR 2004, 1593

EBE/BGH 2004, 4

FamRZ 2004, 1719

NJW-RR 2004, 1370

JurBüro 2004, 614

ZAP 2004, 1210

FPR 2004, 626

FPR 2006, 112

InVo 2004, 457

MDR 2004, 1382

MDR 2006, 967

Rpfleger 2004, 574

ZfF 2005, 15

NJW-Spezial 2004, 299

RENOpraxis 2005, 10

JWO-FamR 2004, 265

ProzRB 2005, 11

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