Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen für Fahrten eines Unternehmers mit dem betriebseigenen PKW zwischen mehreren Betriebstätten seines Unternehmens sind in vollem Umfang als Betriebsausgaben abzugsfähig. Das gilt auch dann, wenn sich eine Betriebstätte und die Wohnung des Unternehmers auf demselben Grundstück befinden.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 5, § 9 Abs. 1 Nr. 4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Aufwendungen für Fahrten eines Unternehmers mit dem betriebseigenen PKW zwischen mehreren Betriebstätten seines Unternehmens in vollem Umfang als Betriebsausgaben abzugsfähig sind.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb in den Streitjahren 1969 bis 1971 eine Fabrik mit einer Betriebstätte H. und einer weiteren in M. Während in M. etwa 90 v. H. des Gesamtumsatzes produziert wurden, betrug der Ausstoß in H. nur 10 v. H. H. war Sitz der Geschäftsleitung. Als Betriebsgrundlage in H. diente ein gemischtgenutztes Grundstück, in dem sich auch die Wohnung des Klägers befand. Der Kläger war weitaus überwiegend in der Geschäftsleitung des Unternehmens in H. tätig. Er suchte aber fast regelmäßig die Betriebstätte in M. auf. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Kfz-Kosten, die der Kläger in vollem Umfang als Betriebsausgaben behandelt hatte, erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) im Anschluß an eine Betriebsprüfung mit lediglich 0,18 DM progefahrenem Kilometer an. Die Fahrten seien als solche zwischen Wohnung und Betriebstätte anzusehen (§ 4 Abs. 5, § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes 1969 - EStG -). An dieser Auffassung hielt das FA in der Einspruchsentscheidung fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 436 (EFG 1976, 436) veröffentlichten Urteil aus, die Fahrten des Klägers zwischen seinen beiden Betriebstätten seien Geschäftsreisen und die dadurch entstandenen Aufwendungen in vollem Umfang als Betriebsausgaben abzugsfähig gewesen. Eine Geschäftsreise sei nach Abschn. 119 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) gegeben, wenn der Steuerpflichtige aus betrieblichen Gründen mindestens 15 km von seiner regelmäßigen Betriebstätte vorübergehend tätig werde. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Soweit die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. November 1970 IV 168/64 (BFHE 100, 528, BStBl II 1971, 103) und vom 9. Oktober 1974 I R 128/73 (BFHE 114, 47, BStBl II 1975, 203) auch dahin verstanden werden müßten, daß Aufwendungen für betrieblich bedingte Fahrten zwischen mehreren Betriebstätten des Unternehmens nicht in vollem Umfange als Betriebsausgaben zu berücksichtigen seien, könne ihnen nicht gefolgt werden.

Gegen diese Entscheidung wendet sich das FA mit der vom FG gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassenen Revision. Es rügt Verletzung materiellen Rechts. Die Betriebstätte in H. könne nicht als Hauptbetriebstätte angesehen werden, da sie bezüglich der Fertigung nur eine untergeordnete Rolle spiele; der Schwerpunkt der beruflichen Existenz liege nicht allein in H. Das FG-Urteil widerspreche den Entscheidungen des BFH IV 168/64 und I R 128/73. Für die Richtigkeit der Auffassung des FA spreche auch das Urteil des BFH vom 8. November 1974 VI R 69/72 (BFHE 114, 92, BStBl II 1975, 177), wonach die Fahrten eines Arbeitnehmers, der in mehreren Beschäftigungsverhältnissen steht, auch dann als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG zu qualifizieren seien, wenn er die weiteren Arbeitsstätten unmittelbar von der ersten Arbeitsstätte aus anfährt.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist nicht begründet.

Das FG hat die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten zwischen den beiden Betriebstätten in H. und M. im Ergebnis zu Recht als voll abzugsfähige Betriebsausgaben angesehen.

1. Unstreitig handelt es sich bei den geltend gemachten Fahrtkosten um Betriebsausgaben i. S. des § 4 Abs. 4 EStG. Für die Entscheidung des Streitfalles kann aber dahingestellt bleiben, ob diese Fahrten als Geschäftsreisen i. S. des Abschn. 119 EStR zu qualifizieren sind, mit der Folge, daß z. B. auch Mehraufwendungen für Verpflegung aus Anlaß der Reisen als Betriebsausgaben anzuerkennen wären.

2. Es liegen nach Ansicht des erkennenden Senats jedenfalls keine Fahrten zwischen Wohnung und Betriebstätte i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 3 (i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 4) EStG vor, so daß eine Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs nicht in Betracht kommt.

a) Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 3 EStG geht zurück auf das Steueränderungsgesetz (StÄndG) vom 23. Dezember 1966 (BGBl I 1966, 702, BStBl I 1967, 2), wonach die früher für den Werbungskostenabzug maßgebende km-Pauschale von 0,50 DM (§ 26 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV - 1955) auf 0,36 DM gekürzt und diese Regelung zugleich auf den Bereich der Gewinnermittlung erstreckt wurde. Aufwendungen von Gewerbetreibenden für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb werden seither in gleichem Umfang wie entsprechende Aufwendungen der Arbeitnehmer berücksichtigt. Diese vom Gesetzgeber gewollte Gleichstellung ist vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluß vom 2. Oktober 1969 1 BvL 12/68 (BVerfGE 27, 58, BStBl II 1970, 140, Abschn. C II 3 c) besonders hervorgehoben und als mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar erklärt worden. Dieser Gleichstellungszweck ist im Hinblick auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) auch bei der Auslegung der Vorschrift des § 4 Abs. 5 EStG zu berücksichtigen.

b) Der Senat folgert hieraus, daß eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 4 Abs. 5 Satz 3 EStG über diesen Rahmen hinaus nicht gerechtfertigt ist. Die Vorschrift betrifft lediglich Fahrten von der Wohnung zur Betriebstätte (Arbeitsstätte). Im Streitfall fuhr der Kläger aber innerhalb seines Unternehmens von einer Betriebstätte zu einer anderen. Er bewegte sich ausschließlich im betrieblichen Bereich. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß sich die Betriebstätte in H. und die Wohnung des Klägers auf demselben Grundstück befinden. Es wäre nicht vertretbar, zwar für Fahrten von einer nur in geringer Entfernung von der Wohnung gelegenen Betriebstätte zu einer auswärtigen Betriebstätte den vollen Fahrtkostenabzug anzuerkennen, ihn jedoch abzulehnen, wenn sich die Betriebstätte - wie im Streitfall - etwa auf demselben Grundstück oder in demselben Gebäude wie die Privatwohnung befindet. Auch würde eine solche Unterscheidung praktisch kaum vollziehbar sein.

c) Die Grundsätze des BFH-Urteils IV 168/64 sind in Fällen der vorliegenden Art nicht einschlägig. Die Entscheidung befaßte sich nicht mit Fahrtkosten, sondern mit Verpflegungsmehraufwand. Sie betraf somit die Abgrenzung zwischen Betriebsausgaben und nichtabzugsfähigen Lebensführungskosten (§ 12 Nr. 1 EStG). Bei der hier zu entscheidenden Streitfrage handelt es sich dagegen um eine Abgrenzung innerhalb des Bereichs der Betriebsausgaben.

Aus denselben Gründen ist das FG auch nicht von der Entscheidung I R 128/73 abgewichen. Die Ausführungen in diesem Urteil stützen vielmehr das Ergebnis der Vorentscheidung. Der erkennende Senat hatte in dem Urteilsfall die Fahrten der Klägerin gerade nicht als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- oder Betriebstätte beurteilt, sondern als solche "von einer ihrer Betriebstätten zu jeweils einer anderen Betriebstätte".

Die Entscheidung widerspricht schließlich auch nicht dem Urteil VI R 69/72. Denn im Streitfall hat der Kläger, wie dargelegt die Fahrten ausschließlich innerhalb seines einen Unternehmens unternommen. Er hat nicht von seiner Wohnung aus mehrere selbständige Betriebe nacheinander aufgesucht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72829

BStBl II 1978, 564

BFHE 1979, 381

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