Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellungslast bei der Bildung einer Rückstellung

 

Leitsatz (NV)

Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, zur Rechtfertigung der von ihm begehrten Rückstellungen konkrete Tatsachen darzulegen, soweit das nach den betrieblichen Verhältnissen zumutbar ist. Ist dies nicht in ausreichendem Maße geschehen, geht das zu seinen Lasten.

 

Normenkette

EStG § 5 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Sie wurden im Streitjahr (1979) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die erstmalige Steuerfestsetzung mit Bescheid vom 24. August 1981 erfolgte gemäß §164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Kläger betrieb ein Baugeschäft, das er am 31. August 1979 an die X-GmbH veräußerte. Die auf den 31. August 1979 erstellte Abschlußbilanz wies zwei Rückstellungen für Garantieverpflichtungen in Höhe von insgesamt ... DM aus, die bereits im Vorjahr (1978) gebildet worden waren. Bei einer 1980 durchgeführten, die Jahre 1973 bis 1978 umfassenden Außenprüfung war es hinsichtlich der Rückstellungen nicht zu Beanstandungen gekommen.

Mit Schreiben vom 5. Juli 1985 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger verschiedene Fragen zu den Einkommensteuererklärungen 1979 und 1980 (u.a. zu den Garantierückstellungen) mit der Bitte um Beantwortung innerhalb eines Monats. Eine Antwort ging zunächst nicht ein. Mit abschließender Zeichnung durch den zuständigen Sachgebietsleiter verfügte das FA am 25. November 1985 die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1979, indem es die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erhöhte und die Garantierückstellungen auflöste, was zu einer Erhöhung des laufenden Gewinns aus Gewerbebetrieb um ... DM führte.

Unmittelbar zuvor, nämlich am 13. November 1985, war beim FA das Antwortschreiben auf die am 5. Juli 1985 gestellten Fragen eingegangen, in dem u.a. ausgeführt wird: "Die ausgewiesenen Rückstellungen betreffen zwei Bauvorhaben, für die ... auch eine Inanspruchnahme durch Schadensersatzzahlungen erfolgte. Die Problematik war bereits Besprechungspunkt der letzten Bp." Auf der Rückseite des Schreibens befindet sich folgender Vermerk des FA vom 29. November 1985: "Schreiben im Augenblick nicht mehr beachtet, da Verjährung droht. Es waren auch nach Antwort Fragen offengeblieben. StB S ( ... ) entsprechend informiert. Es wird evtl. Rechtsbehelf eingelegt." Der Sachgebietsleiter hatte am 14. November 1985 Ausführungen in einem Vermerk zugestimmt, in dem es heißt: "Wegen der Verjährung wird nunmehr aus Sicherheitsgründen die Garantierückstellung in voller Höhe aufgelöst und dem laufenden Gewinn hinzugerechnet."

Am 9. Dezember 1985 erließ das FA einen endgültigen Änderungsbescheid, gegen den die Kläger Einspruch einlegten. Die in der Zeit vom 10. März bis 10. April 1986 vorgenommene Außenprüfung führte zwar zur erneuten Anerkennung der Garantierückstellungen, jedoch aus anderen Gründen zu einer Erhöhung des gewerblichen Gewinns (unstreitig) um ... DM. Mit Bescheid vom 3. November 1986 änderte das FA die Steuerfestsetzung für 1979 demzufolge erneut. Der nach erfolglosem Vorverfahren gegen die Änderungsbescheide vom 5. Dezember 1985 und vom 3. November 1986 erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 553 veröffentlichten Urteil statt.

Mit der Revision rügt das FA unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (u.a. die Entscheidungen vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BFHE 169, 503, BStBl II 1993, 259, und 1. Oktober 1981 IV B 13/81, BFHE 134, 223, BStBl II 1982, 133) die Verletzung der §§125 und 162 AO 1977.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und, da die Sache spruchreif ist, zur Abweisung der Klage (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Entgegen der Auffassung des FG handelt es sich bei der Auflösung der in der Bilanz zum 31. August 1979 gebildeten bzw. aus der Vorjahresbilanz übernommenen Garantierückstellungen und damit bei der im Dezember 1985 verfügten Änderung des Einkommensteuerbescheids 1979 nicht um eine Entscheidung des FA, die mit den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verwaltung nicht vereinbar wäre, was in Ausnahmefällen zu einer Nichtigkeit des Verwaltungsakts führen kann (vgl. BFH- Beschluß vom 30. November 1987 VIII B 3/87, BFHE 151, 354, BStBl II 1988, 183, m.w.N.). Das FA ist insbesondere nicht willkürlich verfahren. Willkürliches Verhalten des FA bei dem Bescheid vom 9. Dezember 1985 scheidet deshalb aus, weil die Kläger zum damaligen Zeitpunkt aus der Sicht des FA die Voraussetzungen für den Ansatz der strittigen Rückstellungen in der Bilanz zum 31. Dezember 1979 nicht nachgewiesen hatten.

Nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung können Rückstellungen für ungewisse Schulden gebildet werden, die rechtlich noch nicht entstanden, aber wirtschaftlich im abgelaufenen Geschäftsjahr verursacht sind oder dieses Jahr betreffen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 1969 I R 15/68, BFHE 96, 101, BStBl II 1969, 581). Es genügt aber nicht die bloße Möglichkeit einer Inanspruchnahme. Es muß eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, daß der Steuerpflichtige wegen eines im wesentlichen vor dem Bilanzstichtag verwirklichten Tatbestandes in Anspruch genommen werden wird. Im Einklang mit dieser Auffassung ist für die Bildung von Garantierückstellungen Voraussetzung, daß eine künftige Inanspruchnahme auf Garantieleistungen wahrscheinlich ist (BFH-Urteil vom 13 Dezember 1972 I R 7-8/70, BFHE 107, 521, BStBl II 1973, 217). Da ein objektiver Maßstab für die Wahrscheinlichkeit künftiger Garantieleistungen nur aus der Erfahrung gewonnen werden kann, legt die Rechtsprechung auf die Erfahrung, die der Steuerpflichtige in seinem eigenen Betrieb in der Vergangenheit machte, entscheidendes Gewicht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. Juni 1983 IV R 41/81, BFHE 140, 30, BStBl II 1984, 263, und vom 17. Februar 1993 X R 60/89, BFHE 170, 397, BStBl II 1993, 437). Der Steuerpflichtige ist deshalb verpflichtet, zur Rechtfertigung der von ihm begehrten Rückstellungen konkrete Tatsachen darzulegen, soweit das nach den betrieblichen Verhältnissen zumutbar ist. Ist dies nicht in ausreichendem Maße geschehen, geht das zu Lasten des Steuerpflichtigen. Denn er trägt die Feststellungslast für steuerentlastende Tatsachen mit der Folge, daß ein Ansatz einer Rückstellung für Garantieverpflichtungen in der Bilanz nicht zulässig ist, wenn die von ihm behaupteten Umstände nicht feststellbar sind (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562).

Das bedeutet für den Streitfall, daß das FA aus der aus seiner Sicht bestehenden damaligen Beweislage die richtige Folgerung gezogen hat, als es im Zusammenhang mit der abschließenden Überprüfung der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§164 AO 1977) durchgeführten Steuerfestsetzung für das Streitjahr wegen der seiner Ansicht nach unzureichenden Mitwirkung des Klägers bei der Aufklärung der für die Bildung der strittigen Rückstellungen maßgebenden Faktoren diese Rückstellungen vor Eintritt der Festsetzungsverjährung aufgelöst hat. Der Kläger mußte wegen der Vorbehaltsfestsetzung 1979 mit einer abschließenden Prüfung durch das FA rechnen, zumal in dieses Jahr die Betriebsveräußerung an die GmbH fiel. Nach den Feststellungen des FG hatte das FA mit den Ermittlungen, die auch die Garantierückstellungen umfaßten und bis zum Erlaß des Änderungsbescheids nicht abgeschlossen werden konnten, im Juli 1985 -- knapp sechs Monate vor Ablauf der Verjährungsfrist -- begonnen. Wenn das FA nicht nur wegen der seiner Ansicht (trotz der im November 1985 erfolgten Beantwortung der an den Kläger gestellten Fragen) weiterhin bestehenden Zweifel, sondern auch um der drohenden Festsetzungsverjährung zu begegnen, die Rückstellungen aufgelöst hat, kann dieses Vorgehen jedenfalls nicht als willkürlich angesehen werden. Davon sind offensichtlich auch die Kläger ausgegangen, denn in ihrem Schreiben vom 13. Dezember 1985, mit dem sie sich gegen die geänderte Steuerfestsetzung vom 9. Dezember 1985 wenden, wird die Frage der Nichtigkeit des Bescheids nicht angesprochen, sondern der Einspruch damit begründet, die Voraussetzungen für den Ansatz von Garantierückstellungen in der Bilanz zum 31. Dezember 1979 in Höhe von insgesamt ... DM seien gegeben.

Ist danach der Änderungsbescheid vom 9. Dezember 1985 wirksam ergangen, wurde der Ablauf der Festsetzungsfrist durch den am 13. Dezember 1985 eingelegten Einspruch nach §171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 gehemmt. Nach dieser Vorschrift läuft, wenn vor Fristablauf ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Änderung einer Steuerfestsetzung gestellt wird, die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden wird. Eine Entscheidung über den Einspruch ist unstreitig erst nach Abschluß der Außenprüfung erfolgt. Die Frist über die geänderte Festsetzung der Einkommensteuer 1979 war daher bei Ergehen des Einkommensteuerbescheids vom 3. November 1986 noch nicht nach §169 Abs. 1 AO 1977 abgelaufen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67471

BFH/NV 1998, 1217

BBK 1998, 1062

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