Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Hat eine Kapitalgesellschaft für eine streitige verdeckte Gewinnausschüttung die Kapitalertragsteuer nach Auffassung des Finanzamts zu Unrecht nicht einbehalten, so darf das Finanzamt die Kapitalgesellschaft für die Kapitalertragsteuer in der Regel nur dann haftbar machen, wenn es beachtliche Gründe dafür anführen kann, warum die Steuerpflicht der Einkünfte nicht ausschließlich im Veranlagungsverfahren des Gesellschafters erörtert und geklärt werden soll.

 

Normenkette

EStG § 44 Abs. 5; KapStDV § 13

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die beschwerdeführende GmbH im Jahr 1957 an ihre Gesellschafter verdeckt einen Gewinn ausschüttete und für die darauf entfallende Kapitalertragsteuer haftbar gemacht werden kann.

Die Bfin., an der A. und seine Ehefrau zu 3/4 und zu 1/4 beteiligt waren, bezahlte im Jahr 1957 eine Einkommensteuer-Abschlusszahlung für ihren Gesellschafter. Das Finanzamt forderte mit Bescheid vom 6. Oktober 1958 die Bfin. auf, die auf die Zahlung der Einkommensteuer entfallende Kapitalertragsteuer bis 20. Oktober 1958 abzuführen, weil in der Bezahlung der Einkommensteuer der beherrschenden Gesellschafter eine verdeckte Gewinnausschüttung zu sehen sei und die Bfin. für die Abführung der Kapitalertragsteuer hafte (ß 20 Abs. 1 Ziff. 1, § 43 Abs. 1 Ziff. 1, § 44 Abs. 5 EStG 1955). Die Bfin. war der Auffassung, daß eine verdeckte Gewinnausschüttung nicht vorliege, weil sie auf den ihr gegen die Gesellschafter zustehenden Anspruch auf Ersatz der verauslagten Einkommensteuer nicht verzichtet und deshalb ihren Gesellschaftern nichts zugewandt habe.

Finanzamt und Finanzgericht waren der Auffassung, daß eine verdeckte Gewinnausschüttung im Jahr 1957 vorliege und die Haftbarmachung der Bfin. berechtigt sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. der Bfin. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Weder das Finanzamt noch das Finanzgericht haben die Frage geprüft, ob die Haftbarmachung der Bfin. für die Kapitalertragsteuer unabhängig von der Frage, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung vorlag, einen Ermessensmißbrauch des Finanzamts darstellte. Wie im Urteil des Bundesfinanzhofs VI 314/56 U vom 20. Februar 1959 (BStBl 1959 III S. 202, Slg. Bd. 68 S. 531) im einzelnen ausgeführt ist, gebührt dem endgültigen Verfahren der Veranlagung des Gläubigers der Einkünfte zur Einkommensteuer der Vorrang vor dem nur vorläufigen Verfahren des Steuerabzugs vom Kapitalertrag. Da der Sinn und Zweck des Steuerabzugs vom Kapitalertrag als einer Form der Einkommensteuervorauszahlung des Gesellschafters im wesentlichen darin besteht, einen Teil der für die Ausschüttung vom Gesellschafter geschuldeten Einkommensteuer sofort fällig werden zu lassen, ist die Haftbarmachung des Schuldners des Kapitalertrags nach § 44 Abs. 5 EStG 1955 nicht gerechtfertigt, wenn das Finanzamt im Zeitpunkt der Haftbarmachung ebenso schnell den empfangenden Gesellschafter zur Einkommensteuer heranziehen und von ihm eine entsprechende Abschlußzahlung verlangen konnte. Das gilt um so mehr, als weder das Finanzamt noch der Steuerpflichtige im Verfahren der Einkommensteuerveranlagung des Steuerpflichtigen an die im Steuerabzugsverfahren ergangene Entscheidung gebunden ist (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 624/54 U vom 28. März 1956, BStBl 1956 III S. 174, Slg. Bd. 62 S. 468).

Diese Grundsätze sind bei der Haftbarmachung des Arbeitgebers für die Lohnsteuer seines Arbeitnehmers sowie bei Haftbarmachung der Kapitalgesellschaft für Gewinnausschüttungen an ihren Gesellschafter zu beachten (siehe auch Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 134/57 U vom 18. Juli 1958, BStBl 1958 III S. 384, Slg. Bd. 67 S. 290). Auf die gegen die Haftbarmachung oder gegen die Natur der Ausschüttung geltend gemachten Einwendungen im Haftungsverfahren kommt es nicht an. Es ist nicht zutreffend, daß durch die Einschränkung der Möglichkeiten, den Schuldner des Kapitalertrages für eine sachlich den Gläubiger treffende Einkommensteuervorauszahlung in Anspruch zu nehmen, die Vorschrift des § 44 Abs. 5 EStG 1955 im Ergebnis außer Kraft gesetzt werde. Denn es sind zahlreiche Fälle denkbar, in denen prozeß- oder verwaltungsökonomische oder finanzpolitische Erwägungen die Haftbarmachung des Schuldners rechtfertigen. Zu ihnen gehören z. B. die Fälle, in denen die Einkommensteuerveranlagung des Gläubigers im Zeitpunkt der Haftbarmachung des Schuldners noch nicht durchgeführt werden konnte oder die streitigen Einkünfte mehreren von verschiedenen Finanzämtern veranlagten Gläubigern zuflossen und der Sachverhalt auch im Interesse einer gleichmäßigen rechtlichen Beurteilung zweckmäßigerweise in einem einheitlichen Verfahren geklärt wird. Erwägungen des Finanzausgleichs unter den Ländern oder die größere Sachkunde des Körperschaftsteuer-Veranlagungsbeamten können nicht als entscheidend angesehen werden. In der Regel wird der Steuerpflichtige ein berechtigtes Interesse daran haben, daß der ihn betreffende Sachverhalt von dem für ihn zuständigen Finanzamt beurteilt wird, wenn nicht besondere Gründe eine Abweichung von diesem Grundsatz rechtfertigen. Soweit das Haftungsverfahren zweckdienlich ist, muß in Kauf genommen werden, daß die Entscheidung im Verfahren der Haftbarmachung für das Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren des Gläubigers nicht verbindlich ist. Es wird, worauf das Finanzamt mit Recht hinweist, im Ergebnis doch eine gewisse Bindung in dem vorhergehenden Verfahren der Haftbarmachung herbeigeführt.

Da das Finanzgericht die Frage nicht prüfte, ob das Finanzamt die Bfin. haftbar machen durfte, muß die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden, ohne daß der Senat die Möglichkeit hat, zu dem sachlichen Streit Stellung zu nehmen, weil möglicherweise eine andere Kammer des Finanzgerichts oder ein anderer Senat des Bundesfinanzhofs für diese Entscheidung zuständig sein wird. Das Finanzgericht wird die Frage erörtern, ob das Finanzamt nicht ebenso gut die Gläubiger im Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren hätte in Anspruch nehmen können, zumal für diese Einkommensteuerveranlagung dasselbe Finanzamt zuständig war.

Außerdem ist folgendes zu beachten. Wenn die inzwischen rechtskräftig gewordene Einkommensteuerveranlagung der Ehegatten für 1957 die streitige verdeckte Gewinnausschüttung nicht berücksichtigte, obwohl dem zuständigen Veranlagungsbeamten der den Gegenstand des Haftungsverfahrens bildende Sachverhalt bekannt war, so kann der Haftungsbescheid unabhängig von der Frage, ob das Finanzamt durch die Inanspruchnahme der Bfin. sein Ermessen verletzte, nur dann aufrechterhalten werden, wenn die Möglichkeit einer Wiederaufrollung der Einkommensteuerveranlagung nicht ausgeschlossen werden kann. Sobald nämlich feststeht, daß die streitigen Einkünfte bei dem Gläubiger nicht mehr erfaßt werden können, muß die Kapitalertragsteuer dem Schuldner nach § 13 der Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung 1956 erstattet werden. Aus der Natur der Kapitalertragsteuer als einer Form der Einkommensteuervorauszahlung ergibt sich, daß der Schuldner nur solange für die Kapitalertragsteuer haftbar gemacht werden kann und die Haftbarmachung nur solange berechtigt ist, als noch die Möglichkeit der Erfassung dieser Einkünfte bei der Einkommensteuerveranlagung des Gläubigers besteht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410300

BStBl III 1962, 107

BFHE 1962, 281

BFHE 74, 281

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