Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigung für entgehende Einnahmen

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Tätigkeit wird nicht i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG aufgegeben, wenn die Produktion nur in einem bestimmten Ort eingestellt, jedoch im Wege der Betriebsverlegung anderen Ortes wieder aufgenommen wird.

2. Auch bei einer Betriebsverlegung kann eine Entschädigung als Ersatz für entgehende Einnahmen i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gezahlt werden, wenn die Grundlage zum Abschluß einer unbestimmten Vielzahl von Geschäften über einen längeren Zeitraum entfällt.

 

Normenkette

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, b

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb bis zum 31. Januar 1978 ein Einzelunternehmen zur Herstellung und zum Vertrieb von Kunststoffteilen. Der Betrieb befand sich auf einem in H belegenen Grundstück. Am 18. Juni 1973 stellte der Kläger eine Bauvoranfrage zwecks Erweiterung seines Betriebsgebäudes. Die Voranfrage wurde abschlägig beschieden. Der Widerspruch hatte Erfolg. Das zuständige Gewerbeaufsichtsamt erhob jedoch Einwendungen. Im Rahmen weiterer Verhandlungen mit der Stadt H wurde dem Kläger bedeutet, daß sein Vorhaben in der geplanten Größenordnung nicht genehmigt werden könne, daß aber andererseits die Stadt bereit sei, dem Kläger bei einer denkbaren Betriebsverlagerung in ein Gewerbegebiet zu helfen. Sie stellte die Zahlung eines Betrages von 40 000 DM bis 50 000 DM in Aussicht. Mit Bescheid vom 11. Juli 1974 wurde die Baugenehmigung versagt. Daraufhin stellte der Kläger eine erneute Bauvoranfrage für einen Erweiterungsbau kleineren Umfangs. Entgegen der Bitte der Stadt H, der Genehmigung dieser erneuten Voranfrage zuzustimmen, verweigerte der zuständige Regierungspräsident die erforderliche Zustimmung. Daraufhin erging der Ablehnungsbescheid vom 25. März 1975, den der Kläger nach erfolglosem Widerspruchsverfahren mit der Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht anfocht.

Aus einer Stellungnahme der in dem Verwaltungsrechtsstreit beklagten Stadt H ergibt sich, daß der Kläger anläßlich eines Gesprächs über eine vergleichbare Erledigung des Prozesses mitgeteilt habe, er sei an einer Verlagerung seines Betriebes innerhalb der Stadt H nicht mehr interessiert und wolle einen anderen Betrieb seiner Branche außerhalb der Stadt übernehmen. Das bisherige Werksgelände solle nur noch für zwei bis drei Jahre als Lagerhalle genutzt werden. Die beklagte Stadt wies darauf hin, daß angesichts der - durch das Vergleichsgespräch eingetretenen - neuen Situation - wenn überhaupt - ein finanzielles Zugeständnis nur als Wertausgleich für einen späteren Abriß des Werksgebäudes in Betracht käme. Die Beteiligten des Verwaltungsrechtsstreits schlossen alsdann am 13. August 1976 einen Vergleich. In ihm verpflichtet sich der Kläger, die Produktion in dem derzeitigen Gewerbegebäude . . . spätestens am 31. Juli 1978 einzustellen. Die Stadt H verpflichtet sich, an den Kläger ,,zur Abgeltung aller aus der Verlagerung der Produktion und der Nichtgenehmigung von Erweiterungsbauten an der jetzigen Betriebsstelle eventuell sich ergebenden Ansprüche" einen Betrag von 60 000 DM spätestens am 31. Juli 1977 zu zahlen.

Die Stadt H zahlte den Vergleichsbetrag mit 59 950 DM im Juli 1977 an den Kläger.

Der Kläger bildete in der Bilanz zum 31. Dezember 1977 eine Rücklage für Ersatzbeschaffung in Höhe des gezahlten Entschädigungsbetrages. In der zum 31. Januar 1978 erstellten Aufgabebilanz löste der Kläger die Rücklage mit 60 000 DM zugunsten des tarifbegünstigten Aufgabegewinns auf.

Anläßlich einer Betriebsprüfung erhöhte der Prüfer zunächst die kurzfristigen Forderungen per 31. Dezember 1977 um den aufgrund des Vergleichs noch zu zahlenden Restbetrag von 50 DM. Im übrigen vertrat er die Auffassung, daß die Bildung der Rücklage für Ersatzbeschaffung nicht möglich sei. Den Antrag, die Entschädigung gleichwohl als zum Veräußerungsgewinn gehörend anzusehen, lehnte der Prüfer ab.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem Vorschlag des Prüfers. In dem unter Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts ergangenen geänderten Einkommensteuerbescheid 1977 vom 9. Juli 1981 erhöhte er unter Minderung des für 1978 erklärten Aufgabegewinns um 59 950 DM den laufenden Gewinn des Streitjahres 1977 um 60 000 DM.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt, soweit hilfsweise die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes beantragt worden war.

Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt das FA eine fehlerhafte Anwendung der Vorschrift des § 24 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das FG habe es unterlassen, in eine Prüfung einzutreten, ob die Entschädigung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ausfall von steuerpflichtigen Einnahmen stehe.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Unrecht hat das FG die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG bei der Vergleichszahlung als gegeben angesehen, weil es sich nach den von ihm getroffenen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, um eine Entschädigung ,,für die Aufgabe der Tätigkeit des Klägers in seinem bisherigen Betrieb" handele. Eine Tätigkeit wird nur ,,aufgegeben", wenn sie endgültig nicht mehr ausgeübt wird (vgl. Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 6. Aufl., § 24 Anm. 6). Dementsprechend wird eine gewerbliche Tätigkeit nicht i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG aufgegeben, wenn die Produktion nur in einem bestimmten Ort eingestellt, jedoch im Wege der Betriebsverlegung anderen Ortes wieder aufgenommen wird. Daß der Entschädigungsbetrag für eine endgültige Betriebsaufgabe und nicht wegen einer Betriebsverlegung gezahlt wurde, ist den tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, nach dem Wortlaut des vor dem FG wiedergegebenen Vergleichs ist die Entschädigung nicht für eine Aufgabe einer Tätigkeit im vorstehenden Sinne, sondern ,,zur Abgeltung aller aus der Verlagerung der Produktion und der Nichtgenehmigung von Erweiterungsbauten . . . eventuell sich ergebenden Ansprüche" gezahlt worden.

Zu prüfen war allerdings auch, ob die Voraussetzungen einer für entgehende Einnahmen gewährten Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gegeben sind. Insoweit kann das Revisionsgericht mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend in der Sache selbst entscheiden. Zwar heißt es in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils unter c), daß die Entschädigung durch den Verlust steuerpflichtiger Einnahmen bedingt sein müsse. Diese Ausführungen können jedoch nicht als tatsächliche Feststellungen verstanden, sondern nur im Zusammenhang mit der Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG durch das FG gesehen werden. Es erscheint allerdings möglich, daß die Entschädigung auch bei einer zunächst erwogenen Betriebsverlegung zumindest teilweise als Ersatz für entgehende Einnahmen geleistet wurde. Ungeachtet der Tatsache, daß der Kläger sich durch den Vergleichsabschluß nur verbindlich zur Produktionseinstellung auf dem bisherigen Betriebsgrundstück verpflichtet hatte, kann auch bei der erwogenen Betriebsverlegung die Grundlage zum Abschluß einer unbestimmten Vielzahl von Geschäften über einen längeren Zeitraum entfallen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. Juli 1978 IV R 43/74, BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9), wenn z. B. die Produktionsverlegung mit längerfristigen Produktionsausfällen oder wesentlichen Produktionseinschränkungen oder einem standortbedingten Wegfall wichtiger Geschäftsbeziehungen und damit einhergehenden Umsatzausfällen verbunden wäre. Sofern sich herausstellen sollte, daß die Entschädigung nicht nur zum (tarifbegünstigten) Ausgleich derartiger Einnahmeausfälle, sondern auch zur (nicht tarifbegünstigten) Abgeltung bestimmter erwarteter Produktionsverlegungskosten geleistet wurde, wird das FG nötigenfalls eine Aufteilung im Schätzungswege vorzunehmen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61676

BFH/NV 1988, 227

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