Entscheidungsstichwort (Thema)

Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten bei Stückzinsen als negativen Einkünften aus Kapitalvermögen

 

Leitsatz (amtlich)

Erwirbt ein Steuerpflichtiger am Ende eines Jahres Bundesobligationen, dann scheitert trotz bestehender Überschußerzielungsabsicht die Berücksichtigung der gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG dieses Jahres jedenfalls dann an § 42 AO 1977, wenn bereits im Zeitpunkt des Erwerbs feststeht, daß bis zur Veräußerung zu Beginn des Folgejahres unter Einbeziehung der Vermögensebene ein Verlust eintreten wird und sich dieses Wertpapiergeschäft deshalb nur im Falle seiner steuerlichen Anerkennung aufgrund der Freibetragsregelung in § 20 Abs. 4 EStG für den Steuerpflichtigen vorteilhaft auswirken würde.

 

Normenkette

EStG § 20 Abs. 2 Nr. 3; AO 1977 § 42

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Dok.-Nr. 0145796; EFG 1998, 885)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammenveranlagte Ehegatten. Der Kläger erwarb am 30. Dezember 1996 Bundesobligationen im Nennwert von 140 000 DM zum Kurswert von 140 448 DM. Diese Obligationen waren am 20. Januar 1997 mit einer Zinsgutschrift von 11 725 DM fällig. Am 30. Dezember 1996 zahlte der Kläger Stückzinsen in Höhe von 11 171,32 DM.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1996 machte der Kläger die gezahlten Stückzinsen als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte mit der Begründung keine negativen Einkünfte an, daß keine Einkunftserzielungsabsicht vorliege.

Der Kläger trug mit der Klage vor, er habe eine Überschußerzielungsabsicht gehabt: Die erhaltenen Stückzinsen hätten die gezahlten um 553,68 DM überstiegen. Unter Berücksichtigung der Bankspesen von 73 DM und des Kursrückgangs vom Kauf bis zur Einlösung von 448 DM sei auch wirtschaftlich betrachtet ein Überschuß von 32,68 DM verblieben.

Das FA wandte dagegen ein, für den Erwerb der Wertpapiere seien keine wirtschaftlich einleuchtenden Gründe erkennbar. Im Streitfall sei tatsächlich entgegen der Darstellung der Kläger ein wirtschaftlicher Verlust von 325,32 DM eingetreten. Denn es sei davon auszugehen, daß der Erwerb der Bundesobligationen fremdfinanziert sei und die Zinsen schätzungsweise 358 DM betragen hätten. Bei Anerkennung der im Streitjahr gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen ergebe sich für die Kläger eine Steuerersparnis von 3 838 DM. Allein diese Steuerersparnis könne das Motiv für die Anschaffung der Wertpapiere gewesen sein.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es entschied, eine steuermindernde Berücksichtigung der grundsätzlich zu negativen Einnahmen führenden gezahlten Stückzinsen scheitere im Streitfall an § 42 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 885 veröffentlicht.

Die Kläger rügen mit der Revision eine fehlerhafte Anwendung des § 42 AO 1977.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 24. März 1997 dahin zu ändern, daß Stückzinsen in Höhe von 11 171,32 DM als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht angenommen, daß die Stückzinsen deshalb nicht bei den Einkünften der Kläger aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) als vorab entstandene negative Einnahmen zu berücksichtigen sind, weil die vom Kläger gewählte Gestaltung die Voraussetzungen des Mißbrauchs i.S. des § 42 Satz 1 AO 1977 erfüllt.

1. Die Beteiligten und das FG sind übereinstimmend und zutreffend davon ausgegangen, daß die vom Erwerber festverzinslicher Wertpapiere gezahlten Stückzinsen gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG in der ab dem 1. Januar 1994 gültigen Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz --StMBG--) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I, 2310, BStBl I 1994, 50) im Jahre der Zahlung vorab entstandene negative Einnahmen sein können. Zwar waren nach § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG in seiner bis einschließlich 1993 gültigen Fassung (vgl. § 52 Abs. 20 Satz 4 EStG i.d.F. des StMBG) die beim Erwerb von festverzinslichen Wertpapieren gezahlten Stückzinsen negative Einnahmen erst im Zeitpunkt des Zuflusses der vom Steuerpflichtigen aus den entsprechenden Wertpapieren erzielten Zinseinnahmen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. März 1996 VIII R 56/94, BFH/NV 1997, 17). Der Satz 2 des § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG ist durch das StMBG mit der Folge aufgehoben worden, daß insoweit wieder das Zu- und Abflußprinzip des § 11 EStG maßgebend ist (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59). Die Einstufung der gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen ist dadurch aber nicht beeinflußt worden. Der Begründung für die Gesetzesänderung ist vielmehr zu entnehmen, daß auch nach der Streichung des Satzes 2 weiterhin negative Einnahmen (vgl. dazu grundsätzlich BFH-Urteil vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184) vorliegen (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59) und mithin ausschließlich der Abzugszeitpunkt neu bestimmt werden sollte (vgl. auch Scheurle, Der Betrieb 1994, 502). Dementsprechend geht auch die Finanzverwaltung davon aus, daß seit 1994 die vom Erwerber der Wertpapiere entrichteten Stückzinsen im Veranlagungszeitraum des Abflusses negative Einnahmen aus Kapitalvermögen sind (vgl. H 154 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1996).

2. Die Berücksichtigung der gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG des Streitjahres 1996 kann im Streitfall nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß der Kläger keine Überschußerzielungsabsicht gehabt habe. Denn dem Kläger kann eine derartige Absicht nicht abgesprochen werden.

Bei der Ermittlung des Einkommens für die Einkommensteuer sind nur solche positiven oder negativen Einkünfte anzusetzen, die unter die Einkünfte des § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 EStG fallen. Kennzeichnend für diese Einkunftsarten ist, daß die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen der Erzielung positiver Einkünfte oder Überschüsse dienen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so fallen die wirtschaftlichen Ergebnisse auch dann nicht unter eine Einkunftsart, wenn sie sich ihrer Art nach unter § 2 Abs. 1 EStG einordnen ließen. Auch bei den Überschußeinkünften (§ 2 Abs. 1 Nrn. 4 bis 7 EStG) ist eine einkommensteuerrechtlich relevante Betätigung oder Vermögensnutzung nur dann gegeben und wird der Tatbestand der Einkunftserzielung nur dann erfüllt, wenn die Absicht besteht, auf Dauer gesehen nachhaltig Überschüsse zu erzielen (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 766, unter C. IV. 3. c (2) der Entscheidungsgründe; BFH-Urteile vom 23. März 1982 VIII R 132/80, BFHE 135, 320, BStBl II 1982, 463, und vom 27. März 1996 I R 87/95, BFHE 180, 332, BStBl II 1996, 473, 474, betreffend Einkünfte aus Kapitalvermögen). Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ist jede Kapitalanlage gesondert zu beurteilen (BFH-Urteil vom 27. Juni 1989 VIII R 30/88, BFHE 157, 541, BStBl II 1989, 934, 936). Es ist nicht auf das Ergebnis der Vermögensnutzung eines oder weniger Jahre, sondern auf das positive Gesamtergebnis der voraussichtlichen Vermögensnutzung abzustellen; steuerfreie Veräußerungsgewinne sind aber nicht in diese Betrachtung einzubeziehen (BFH in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 766; in BFHE 135, 320, BStBl II 1982, 463).

Im Streitfall hat der Kläger aus der kurzfristigen Kapitalanlage in Bundesobligationen einen ertragsteuerlichen Überschuß erzielt. Die Zinsgutschrift von 11 725 DM führt abzüglich der Stückzinsen von 11 171,32 DM und der vom FG geschätzten Finanzierungskosten von 358 DM zu einem Überschuß von 195,68 DM. Die Finanzierungskosten der Kapitalanlage waren als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG) abziehbar (vgl. BFH-Urteile vom 21. Juli 1981 VIII R 154/76, BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37; in BFHE 157, 541, BStBl II 1989, 934, 936) und deshalb in die ertragsteuerliche Beurteilung einzubeziehen. Gegen Grund und Höhe der Schätzung der Finanzierungskosten haben die Kläger mit der Revision keine Einwendungen mehr erhoben. Die Anschaffungs- und Anschaffungsnebenkosten sowie der Veräußerungspreis und die Veräußerungskosten waren nicht zu berücksichtigen, weil sie --anders als die Finanzierungskosten-- der nichtsteuerbaren Vermögensebene zuzuordnen sind (BFH in BFHE 157, 541, BStBl II 1989, 934).

3. Das danach vom Kläger mit einer Überschußerzielungsabsicht im ertragsteuerlichen Sinne getätigte Wertpapiergeschäft ist vom FG aber zutreffend als rechtsmißbräuchlich i.S. des § 42 AO 1977 beurteilt worden.

a) Nach § 42 Satz 1 AO 1977 kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Gestaltungsmißbrauch in diesem Sinne ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gegeben, wenn die gewählte rechtliche Gestaltung unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17. Januar 1991 IV R 132/85, BFHE 163, 449, BStBl II 1991, 607; vom 7. Juli 1998 VIII R 10/96, BFHE 186, 534). Die genannten Merkmale müssen kumulativ erfüllt sein. Ein Mißbrauch in diesem Sinne kann auch vorliegen, wenn eine unangemessene Gestaltung für die Verwirklichung des Tatbestandes einer begünstigenden Gesetzesvorschrift gewählt wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 31. Juli 1984 IX R 3/79, BFHE 142, 347, BStBl II 1985, 33; vom 28. November 1990 X R 109/89, BFHE 163, 264, BStBl II 1991, 327; vom 16. Januar 1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541; BFH-Beschluß vom 3. Februar 1993 I B 90/92, BFHE 170, 197, BStBl II 1993, 426, 428). Gleiches muß gelten, wenn durch eine unangemessene Gestaltung die Voraussetzungen für das Vorliegen negativer Einnahmen und einer daraus resultierenden Steuererstattung erfüllt werden. Dies trifft im Streitfall zu.

b) Das vom Kläger getätigte Wertpapiergeschäft sollte ausschließlich der Steuerminderung dienen und ist durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht zu erklären. Denn obwohl der Kläger einen ertragsteuerlichen Überschuß aus dem Geschäft erzielt hat, hat es unter Einbeziehung der Vermögenssphäre zu dem vom FG errechneten Verlust von 325,32 DM geführt. Abweichend von der Ermittlung des ertragsteuerlichen Ergebnisses waren bei der Prüfung des wirtschaftlichen Erfolgs unter Berücksichtigung der Vermögenssphäre zusätzlich als Aufwendungen die Anschaffungskosten (140 448 DM) und die Bankspesen (73 DM) und als Einnahmen der Endfälligkeitsbetrag (140 000 DM) zu berücksichtigen.

Das Entstehen dieses "wirtschaftlichen Verlustes" in der Zeit vom 30. Dezember 1996 bis zur Fälligkeit am 20. Januar 1997 stand für den Kläger auch bereits im Zeitpunkt des Erwerbs der Bundesobligationen fest. Denn alle Positionen, die in die Ermittlung des Ergebnisses dieses Wertpapiergeschäfts eingeflossen sind, waren dem Kläger im Zeitpunkt des Erwerbs am 30. Dezember 1996 bekannt.

Das Wertpapiergeschäft kann deshalb einzig und allein durch die Steuerersparnis motiviert gewesen sein, die sich dann ergeben würde, wenn im Streitjahr negative Einnahmen berücksichtigt würden, während sich im Folgejahr die Zinserträge wegen des Freibetrags gemäß § 20 Abs. 4 EStG nicht steuererhöhend auswirken würden. Die erstrebte Steuerersparnis hat das FG unwidersprochen auf mehr als 3 800 DM beziffert. Die im Folgejahr 1997 angefallenen Zinserträge von 11 725 DM lagen unterhalb des Sparerfreibetrags (§ 20 Abs. 4 EStG) und der Werbungskostenpauschale (§ 9a Abs. 1 Nr. 1 b EStG) von insgesamt 12 200 DM. Die erstrebte Steuerersparnis hat also den "wirtschaftlichen Verlust" aus dem Wertpapiergeschäft in Höhe von 325,32 DM weit überwogen.

c) Die gewählte Gestaltung war auch unangemessen. Eine Rechtsgestaltung ist unangemessen, wenn verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in der gewählten Weise verfahren wären (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541, 542, m.w.N.). Auch wenn insbesondere umständliche, komplizierte, schwerfällige oder gekünstelte Rechtsgestaltungen als unangemessen bezeichnet werden können (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 10. November 1993 I S 9/93, BFH/NV 1994, 685, 686), schließt dies nicht aus, daß auch ein seiner Art nach alltägliches und übliches Geschäft unangemessen sein kann. Dies ist bei einem Wertpapiergeschäft jedenfalls dann anzunehmen, wenn für den Steuerpflichtigen bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses feststeht, daß das Geschäft bei Einbeziehung der Vermögensebene zu einem Verlust führt und es sich deshalb ausschließlich im Falle seiner steuerlichen Anerkennung vorteilhaft für ihn auswirken würde. Ein solches Rechtsgeschäft ist unangemessen, weil eine verständige Partei es in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts überhaupt nicht abgeschlossen hätte.

d) Gemäß § 42 Satz 2 AO 1977 entsteht der Steueranspruch bei einem Mißbrauch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstanden wäre. Im Streitfall hätte der Kläger bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung die Bundesobligationen überhaupt nicht erworben. Deshalb hat die Vorinstanz zu Recht entschieden, daß bei der Steuerfestsetzung für das Streitjahr die Anschaffung der Bundesobligationen und somit die Zahlung der Stückzinsen nicht zu berücksichtigen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 55674

BFH/NV 2000, 107

BStBl II 1999, 769

BFHE 189, 408

BFHE 2000, 408

BB 1999, 2342

DB 1999, 2292

DStR 1999, 1848

DStRE 1999, 906

DStZ 2000, 49

HFR 1999, 993

StE 1999, 687

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