Leitsatz (amtlich)

Ein Mitglied des Aufsichtsrats einer Genossenschaft kann eine ehrenamtliche Tätigkeit im Sinne von § 4 Nr. 26 Buchstabe b UStG 1967 ausüben.

 

Normenkette

UStG 1967 § 4 Nr. 26 Buchst. b

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) betreibt einen Einzelhandel. Er ist Mitglied des Aufsichtsrats der "X-Genossenschaft eGmbH". Für diese Tätigkeit hat er im Jahre 1969 720 DM erhalten. Im angefochtenen Umsatzsteuerbescheid 1969 hat der Beklagte und Revisionskläger (FA) den Steuerpflichtigen wegen dieses Betrages zur Umsatzsteuer herangezogen.

Das FG hat der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage stattgegeben. Seine Entscheidung ist in EFG 1972 S. 209 veröffentlicht. Es ist der Auffassung, die geringfügige Pauschalvergütung habe der Steuerpflichtige nur für seine Auslagen und seine Zeitversäumnis erhalten. Er sei ehrenamtlich tätig geworden. Diese Tätigkeit sei daher gemäß § 4 Nr. 26 Buchstabe b UStG 1967 umsatzsteuerfrei.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 4 Nr. 26 UStG 1967. Eine unter Buchstabe b dieser Vorschrift fallende ehrenamtliche Tätigkeit für juristische Personen des Privatrechts komme nur in Betracht, wenn deren Funktionen und Ziele mit denen juristischer Personen des öffentlichen Rechts vergleichbar seien. Dies sei bei einer Einkaufsgenossenschaft, die im ausschließlichen individuellen Erwerbsinteresse ihrer Genossen arbeite, nicht der Fall. Die Aufsichtsratstätigkeit in einer Genossenschaft könne nicht anders beurteilt werden als die in einer Aktiengesellschaft. Eine Einkaufsgenossenschaft könne nicht mit berufsständischen Kammern und Arbeitgeberorganisationen verglichen werden, da diese Funktionen ausüben würden, die öffentlichen Funktionen nahekämen. § 4 Nr. 26 UStG 1967 befreie - bei richtiger Auslegung des Willens des Gesetzgebers - nur die Tätigkeit für solche Organisationen, die selbst nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt seien. Das seien juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie Idealvereine und vergleichbare Institutionen.

Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat zwar im Ergebnis zutreffend entschieden, daß eine Aufsichtsratstätigkeit für eine Genossenschaft ehrenamtlich ausgeübt werden kann. Es hat jedoch nicht beachtet, daß Steuerfreiheit zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 2 UStG 1967) führt.

Nach § 4 Nr. 26 Buchstabe b UStG 1967 ist die ehrenamtliche Tätigkeit unter bestimmten, im Streitfall erfüllten Voraussetzungen steuerfrei.

Zu den ehrenamtlichen Tätigkeiten gehören zunächst alle die Tätigkeiten, die in einem anderen Gesetz ausdrücklich als solche genannt werden. Unter den Wortlaut dieser Vorschrift fallen außerdem die Tätigkeiten, die man im allgemeinen Sprachgebrauch herkömmlicherweise als ehrenamtlich bezeichnet. Dies ist bei Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern von Genossenschaften der Fall, soweit diese ihre Tätigkeit unentgeltlich bzw. lediglich gegen Aufwandsentschädigung und nebenberuflich ausüben. Ihre Tätigkeit wird in der Literatur zum Genossenschaftswesen allgemein ausdrücklich als ehrenamtlich angesprochen (vgl. z. B. Faust, Genossenschaftswesen, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 1969, S. 22 und 125; Schultz, Genossenschaftswesen, Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin, 1970, S. 157; Paulick, Das Recht der eingetragenen Genossenschaft, Verlag C. F. Müller, Karlsruhe, 1956, S. 231; Lang-Weidmüller, Kommentar zum Genossenschaftsgesetz, 29. Aufl. 1971, § 24 Anm. 6 a, und Meyer-Meulenbach, Kommentar zum Genossenschaftsgesetz, 11. Aufl. 1970, § 24 Anm. 3). In Genossenschaftssatzungen wird diese Bezeichnung ebenfalls gebraucht, wie die Mustersatzung für Warengenossenschaften, Ausgabe September 1953 (Deutscher Genossenschaftsverlag eGmbH, Wiesbaden) und die Satzung für Kreditgenossenschaften m. b. H. (Raiffeisendruckerei Neuwied) zeigen. Schließlich bezeichnet auch das Bundessozialgericht (BSG) den unentgeltlich tätigen Vorsitzenden des Vorstandes einer Raiffeisenkasse als ehrenamtlich (BSG-Urteil 2 RU 146/56 vom 20. Dezember 1961, Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 16 S. 73 - BSGE 16, 73 -).

Die Verwendung des Begriffs ehrenamtlich läßt sich im Genossenschaftswesen damit erklären, daß die Genossenschaften ihrem Grundgedanken nach gemeinschaftliche Selbsthilfeeinrichtungen mit Selbstverwaltung sind und daß für sie deshalb schon bei ihrer Entstehung (vgl. F. W. Raiffeisen, Die Darlehnskassen-Vereine, 6. Aufl. 1923 die S. 70, 128, 214 und 239, wo in bezug auf Verwaltungsbzw. Aufsichtsräte von unbesoldeten Ehrenämtern gesprochen wird) Begriffe aus der Selbstverwaltung - in der den Ehrenämtern und den ehrenamtlichen Tätigkeiten herkömmlicherweise besondere Bedeutung zukommt - entlehnt worden sind.

Für die einschränkende Auslegung des FA ergeben sich weder aus dem Sinnzusammenhang noch aus dem Zweck noch aus der Entstehungsgeschichte (vgl. Beschluß des BVerfG 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960, BVerfGE 11, 126 [130]) von § 4 Nr. 26 UStG 1967 hinreichende Anhaltspunkte. Der Grund für die Schaffung der im ursprünglichen Entwurf des UStG 1967 aus systematischen Gründen nicht mehr für erforderlich gehaltenen Steuerbefreiung bestand darin, eine unterschiedliche Besteuerung der ehrenamtlichen Tätigkeiten zu vermeiden, die sich aus der Stellung der diese Tätigkeiten ausführenden Personen hätte ergeben können (vgl. zur Entstehungsgeschichte Schmidt, Die Steuerbefreiung der ehrenamtlichen Tätigkeit nach § 4 Nr. 26 UStG 1967, Umsatzsteuer-Rundschau 1968 S. 259 mit weiteren Hinweisen). Daraus kann nicht abgeleitet werden, daß die Befreiungsvorschrift nur solche Tätigkeiten umfassen sollte, die mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. Schmidt, a. a. O.) bzw. der Ausübung eines öffentlichen Ehrenamts (Peter, Kommentar zur Umsatzsteuer und Mehrwertsteuer, § 4 Nr. 26 Randbemerkung 8) vergleichbar sind. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme des FA, daß die Steuerfreiheit auf die Tätigkeiten beschränkt werden sollte, die für eine den öffentlichrechtlichen Körperschaften nach Ziel und Funktion vergleichbare juristische Person oder für ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigtes Unternehmen geleistet werden.

Unter Berücksichtigung der besonderen Stellung der Genossenschaften im Wirtschaftssystem vertritt daher der Senat die Auffassung, daß eine unentgeltlich oder nur gegen Ersatz der Aufwendungen ausgeübte Tätigkeit im Aufsichtsrat einer Genossenschaft nach allgemeinem Sprachgebrauch noch als eine ehrenamtliche Tätigkeit anzusehen ist. Mit Recht hat deshalb das FG den Steuerpflichtigen wegen dieser Tätigkeit gemäß § 4 Nr. 26 Buchstabe b UStG 1967 von der Umsatzsteuer freigestellt.

Nach § 15 Abs. 2 UStG 1967 führen steuerfreie Umsätze jedoch in bestimmtem Umfang zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug. Das FG ist in der angefochtenen Entscheidung weder auf diese Vorschrift eingegangen noch hat es tatsächliche Feststellungen zur Höhe der abziehbaren Vorsteuern getroffen. Aus diesem Grunde wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413318

BStBl II 1972, 844

BFHE 1972, 479

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