Leitsatz (amtlich)

1. Bei der gem. § 2 Abs.2 Nr.1/2. Halbsatz AStG durchzuführenden Vergleichsrechnung sind unter den von dem Einkommen insgesamt zu entrichtenden Steuern sowohl die deutschen als auch die ausländischen Steuern zu verstehen.

2. Bei der Ermittlung der deutschen Einkommensteuer, die im Falle der unbeschränkten Steuerpflicht angefallen wäre, ist bei der gem. § 2 Abs.2 Nr.1/2. Halbsatz AStG durchzuführenden Vergleichsrechnung die Vorschrift des § 34c EStG betreffend die Anrechnung ausländischer Steuern zu berücksichtigen.

 

Normenkette

AStG § 2 Abs. 2 Nr. 1 Hs. 2; EStG § 34c

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 28.01.1981; Aktenzeichen III 72/77)

 

Tatbestand

Die im Jahre 1910 geborene verwitwete Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die deutsche Staatsangehörige ist, verzog im Jahre 1970 aus der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) nach X im Fürstentum Liechtenstein, wodurch ihre bis dahin ununterbrochen bestehende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht endete. Nach schriftlichen Bestätigungen der Fürstlich Liechtensteinischen Steuerverwaltung Vaduz vom ... 1976 wurde sie dort im Streitjahr auf der Grundlage eines von ihr angegebenen Gesamteinkommens von 140 000 DM zu einer Pauschalsteuer von 20 000 sFr, das entspricht 16 984 DM nach dem Umrechnungskurs am 31.Dezember 1972, herangezogen. Nach der dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) vorgelegten Einkommensteuererklärung erzielte die Klägerin im Streitjahr folgende Einkünfte:

DM

1. Einkünfte im Sinne der allgemeinen

beschränkten Einkommensteuerpflicht

gemäß § 49 des Einkommensteuergesetzes

(EStG):

a) Einkünfte aus Gewerbebetrieb

(Beteiligung an einer

Kommanditgesellschaft in B) ./. 54 933

b) Einkünfte aus selbständiger

Arbeit 24 682

c) Einkünfte aus Kapitalvermögen im

Sinne von § 20 Abs.1 Nrn.1 und 4

EStG (Dividenden, Erträge aus

festverzinslichen Wertpapieren) 11 103

Kapitalertragsteuer 2 776 DM

Ergänzungsabgabe

hierauf 77 DM

d) Einkünfte aus der Vermietung eines

Grundstückes in H 40 092

------

20 944

2. Einkünfte im Sinne der erweiterten

beschränkten Einkommensteuerpflicht

gemäß § 2 des Außensteuergesetzes (AStG):

a) Einkünfte aus Kapitalvermögen im

Sinne von § 20 Abs.1 Nr.4 EStG

(Zinsen aus Sparguthaben und

Darlehensforderungen) 51 786

b) Sonstige Einkünfte (aus Leibrenten) 5 605

------

57 391

3. Ausländische Einkünfte im Sinne von

§ 34c Abs.1 EStG 39 315.

Für das Streitjahr steht der Klägerin ein Verlustabzug gemäß § 10d EStG in Höhe von 21 603 DM aus dem Jahre 1971 zu. Eine Besteuerung aufgrund der allgemeinen beschränkten Steuerpflicht schied aus diesem Grunde aus.

Das FA sah die Klägerin als erweitert beschränkt steuerpflichtig gemäß § 2 AStG an und setzte die Einkommensteuer für 1972 auf der Grundlage der erklärten Einkünfte und unter Berücksichtigung der Sonderfreibeträge gemäß § 50 Abs.3 Satz 1 EStG in Höhe von 840 DM durch Bescheid vom 1.April 1976 auf 23 092 DM fest.

Den dagegen eingelegten Einspruch wies das FA zurück. Die Klägerin könne nicht nachweisen, daß die von ihrem Einkommen insgesamt zu entrichtenden Steuern mindestens 2/3 der Einkommensteuer betragen, die sie bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs.1 EStG zu entrichten hätte. Bei der Berechnung sei die zum Zwecke des Belastungsvergleichs durchzuführende Schattenveranlagung auf der Grundlage der unbeschränkten Steuerpflicht von der deutschen Steuer ohne Anrechnung ausländischer Steuern auszugehen.

Die gegen den Einspruchsbescheid erhobene Klage blieb erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 492 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt die Klägerin, daß § 2 Abs.2 AStG unrichtig angewandt worden sei.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer 1972 lediglich auf der Grundlage der allgemeinen beschränkten Steuerpflicht festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das Urteil des FG wird aufgehoben; die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 2 AStG ist eine natürliche Person, die in den letzten zehn Jahren vor dem Ende ihrer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs.1 Satz 1 EStG als Deutscher insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war und in einem ausländischen Gebiet ansässig ist, in dem sie mit ihrem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung unterliegt, und die wesentliche wirtschaftliche Interessen im Geltungsbereich des AStG hat, bis zum Ablauf von zehn Jahren nach dem Ende des Jahres, in dem ihre unbeschränkte Steuerpflicht geendet hat, über die beschränkte Steuerpflicht hinaus beschränkt steuerpflichtig mit allen Einkünften i.S. des § 2 Abs.1 Satz 1 erster Halbsatz EStG, die bei unbeschränkter Steuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i.S. des § 34c Abs.1 EStG sind.

Die Klägerin war in den letzten zehn Jahren vor der Beendigung ihrer unbeschränkten Steuerpflicht im Jahre 1970 als Deutsche mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig; denn sie war bis dahin ununterbrochen unbeschränkt steuerpflichtig. Die Klägerin hatte im Streitjahr wirtschaftliche Interessen im Geltungsbereich des AStG. Ihre Einkünfte, die bei unbeschränkter Steuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i.S. des § 34c Abs.1 EStG sind, betragen im Streitjahr mehr als 30 v.H. ihrer sämtlichen Einkünfte (§ 2 Abs.3 Nr.2 AStG). Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus einem Grundstück in H handelt es sich nicht um ausländische Einkünfte i.S. des § 34c Abs.1 EStG; sie betrugen 40 092 DM und damit mehr als 35 295 DM (30 v.H. der gesamten Einkünfte von 117 650 DM). Das Streitjahr 1972 liegt auch innerhalb des Zeitraums, der mit dem Ablauf des 10. Jahres nach dem Ende des Jahres endet, in dem die unbeschränkte Steuerpflicht weggefallen ist.

2. Der Besteuerung gemäß § 2 AStG steht der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14.Mai 1986 2 BvL 2/83 (BStBl II 1986, 628) wegen des Verlustabzugs gemäß § 10d EStG aus dem Jahre 1971 nicht entgegen. Nach dem Beschluß des BVerfG ist § 20 Abs.1 Buchst.a AStG insoweit nichtig, als die Vorschrift die Anwendung des § 2 Abs.1 und Abs.5 Satz 2 AStG auf die vom 1.Januar 1972 bis zum 21.Juni 1972 (einschließlich) zugeflossenen Einkünfte solcher Personen anordnet, bei denen nach der ursprünglich maßgebenden Rechtslage entweder in dieser Zeit nur die beschränkte Einkommensteuerpflicht des § 1 Abs.2 EStG 1971 bestanden hat und diese Pflicht vor dem 22.Juni 1972 jedenfalls für das Kalenderjahr 1972 ersatzlos geendet hat oder in dieser Zeit überhaupt eine Einkommensteuerpflicht nicht bestanden hat und eine solche Pflicht auch nicht im restlichen Kalenderjahr 1972 noch entstanden wäre. Aufgrund des Verlustabzugs ist nicht davon auszugehen, daß bei der Klägerin nach der ursprünglich maßgebenden Rechtslage in dem Zeitraum zwischen dem 1.Januar 1972 und dem 21.Juni 1972 überhaupt keine Einkommensteuerpflicht bestanden hat. Maßgebend für die teilweise Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs.1 Buchst.a AStG ist der Gesichtspunkt, daß die Änderung der ursprünglichen Rechtslage nur unbedenklich ist, soweit der Steuerpflichtige in dem maßgebenden Zeitraum einen Inlandsbezug in Form inländischer Einkünfte hat, die zur beschränkten Steuerpflicht führen.

Die Klägerin hat den Inlandsbezug nicht dadurch verloren, daß die zur beschränkten Steuerpflicht führenden inländischen Einkünfte bei der Berechnung des Einkommens um den Verlustabzug gekürzt werden. Der Verlustabzug beseitigt nicht den für die rückwirkende Änderung der Rechtsfolgen maßgebenden tatsächlichen Bezug der Einkünfte. Er ist lediglich als Auswirkung des Umstands anzusehen, daß die Klägerin bereits in dem vorangehenden Veranlagungszeitraum beschränkt steuerpflichtig war und dabei negative Einkünfte anfielen.

3. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um entscheiden zu können, ob die Klägerin in einem ausländischen Gebiet ansässig ist, in dem sie mit ihrem Einkommen nur einer niedrigen Einkommensteuer unterliegt. Zwar ist nach den von den Beteiligten nicht bestrittenen Feststellungen des FG im Streitjahr die Belastung durch die im Fürstentum Liechtenstein erhobene Einkommensteuer bei einer dort ansässigen unverheirateten Person mit einem steuerpflichtigen Einkommen von 150 000 DM um mehr als 1/3 geringer als die Belastung einer im Geltungsbereich des AStG ansässigen natürlichen Person durch die deutsche Einkommensteuer unter sonst gleichen Bedingungen.

Das FG ging jedoch bei der Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des zweiten Halbsatzes des § 2 Abs.2 Nr.1 AStG von unrichtigen Voraussetzungen aus. Danach ist auch bei Vorliegen der Voraussetzung des ersten Halbsatzes des § 2 Abs.2 Nr.1 AStG (30 v.H.-Grenze bei einer Vergleichsperson) keine niedrige Besteuerung gegeben, wenn der Steuerpflichtige nachweist, daß die von seinem Einkommen insgesamt zu entrichtenden Steuern mindestens 2/3 der Einkommensteuer betragen, die er bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs.1 EStG zu entrichten hätte.

Für diese Vergleichbarkeit hätte das FG die deutsche und ausländische Einkommensteuer ermitteln müssen, die angefallen wäre, wenn die Klägerin im Streitjahr unbeschränkt steuerpflichtig gewesen wäre. Unter der Bezeichnung vom Einkommen zu entrichtende Steuern sind sowohl die deutschen als auch die ausländischen Steuern zu verstehen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Zweck der Vorschrift. Abgestellt wird lediglich auf die von dem Einkommen zu entrichtenden Steuern, während der die niedrige Besteuerung betreffende Abs.2 des § 2 AStG sonst von der "in dem ausländischen Gebiet erhobenen Einkommensteuer" bzw. von "deutscher Einkommensteuer" spricht. Die eine weitere Sperre darstellende Vorschrift des § 2 Abs.6 AStG stellt ausdrücklich auf die im Falle der erweiterten beschränkten Steuerpflicht zu entrichtende inländische Steuer ab und vergleicht sie mit der inländischen Steuer, die anfiele, wenn der Steuerpflichtige unbeschränkt steuerpflichtig wäre und seinen Wohnsitz ausschließlich im Geltungsbereich des AStG hätte. Soweit die steuerliche Belastung im Falle der unterstellten unbeschränkten Steuerpflicht angesprochen wird, geht das Gesetz nicht von Steuern aus, die aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht entstanden sind. Das Gesetz spricht vielmehr von der Steuer, die bei unbeschränkter Steuerpflicht zu entrichten wäre.

§ 2 Abs.2 Nr.1 AStG soll eine Sperre für die Besteuerung gemäß § 2 AStG in der Weise bilden, daß § 2 AStG nicht zur Anwendung kommt, wenn die Belastung des Steuerpflichtigen, wäre er unbeschränkt steuerpflichtig geblieben, nur um weniger als die Hälfte höher wäre als die Belastung, die sich aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse ergibt. Es sollen damit nur Fälle erfaßt werden, in denen sich durch den Wegzug die steuerliche Situation wesentlich "zugunsten" des Steuerpflichtigen verbessert hat. Dies kann nur unter Einbeziehung aller, d.h. in- und ausländischer Steuern, ermittelt werden.

Der Einbeziehung der ausländischen Steuern in die Vergleichsberechnung kann nicht entgegengehalten werden, daß die Ermittlung der ausländischen Steuer, die bei der unterstellten unbeschränkten Steuerpflicht anfällt, umfangreiche Kenntnisse des ausländischen Steuerrechts voraussetzt. Es trifft zwar zu, daß die Ermittlung im Einzelfall schwierig sein kann, da nicht auf die tatsächlich entrichtete ausländische Steuer zurückgegriffen werden kann, sondern die ausländische Steuer zu ermitteln ist, die angefallen wäre, wenn bei gleichen Einkünften der Steuerpflichtige nicht beschränkt, sondern unbeschränkt steuerpflichtig gewesen wäre, d.h. also, seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hätte. Der Gesetzgeber hat jedoch durch die Einbeziehung der ausländischen Steuern diese Schwierigkeiten in Kauf genommen. Außerdem muß der Steuerpflichtige den entsprechenden Nachweis führen, was bedeutet, daß er den Nachteil zu tragen hat, wenn sich aufgrund des ausländischen Rechts nicht klären läßt, ob die für ihn günstige Rechtsfolge eintritt (vgl. zu einem ähnlichen Problem Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13.Oktober 1983 I R 11/79, BFHE 140, 2, BStBl II 1984, 181).

Aus § 2 Abs.2 Nr.1 AStG läßt sich entgegen der Ansicht des FG nicht herleiten, daß bei der Ermittlung der deutschen Einkommensteuer, die angefallen wäre, wenn die Klägerin im Streitjahr unbeschränkt steuerpflichtig gewesen wäre, die Vorschrift des § 34c EStG betreffend die Anrechnung ausländischer Steuer außer Betracht bleibt. Der Senat folgt insoweit nicht der Ansicht der Finanzverwaltung (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 11.Juli 1974 - IV C 1 - S 1340 - 32/74 Tz.2.2.3 Nr.2, BStBl I 1974, 442; a.A. Flick/Wassermeyer, Finanz- Rundschau 1974, 574, 577; Baranowski in Runge/Ebling/Baranowski, Die Anwendung des Außensteuergesetzes, S.12; Wöhrle/Schelle/Groß, Kommentar zum Außensteuergesetz, § 2 AStG Anm.III 4); Graf zu Ortenburg, Deutsches Steuerrecht 1975, 483, 488; Hellwig in Littmann/Bitz/Meincke, § 2 AStG Rz.4).

Durch die Zurückverweisung erhält das FG Gelegenheit, die notwendigen tatsächlichen Feststellungen bezüglich der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu treffen, die nach der ursprünglichen Rechtslage (vor Inkrafttreten des AStG) einem Steuerabzug mit Abgeltungswirkung unterworfen waren. Nach dem Beschluß des BVerfG in BStBl II 1986, 628 ist die auf § 2 Abs.1 und Abs.5 Satz 2 AStG bezogene Anordnung des § 20 Abs.1 Buchst.a AStG insoweit verfassungswidrig, als sie sich auf solche Einkünfte erstreckt, die dem Steuerpflichtigen vom 1.Januar 1972 bis zum 21.Juni 1972 (einschließlich) zugeflossen sind und die nach der ursprünglich maßgebenden Rechtslage einem Steuerabzug mit Abgeltungswirkung unterworfen waren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61426

BStBl II 1987, 363

BFHE 149, 37

BFHE 1987, 37

BB 1987, 1165

BB 1987, 1165-1165 (S)

DB 1987, 1179-1179 (T)

HFR 1987, 397-398 (ST)

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