Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristberechnung bei Verzinsung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch in den Fällen, in denen eine Einkommensteuer-Nachzahlung zum 30. April des zweiten auf das Entstehungsjahr folgenden Jahres fällig wurde, entstand nach § 233a Abs.1 Satz 1 und Abs.2 AO 1977 --in der bis einschließlich 1993 geltenden Fassung-- i.V.m. § 238 AO 1977 grundsätzlich ein Zinsanspruch.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 108, 233a Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 238; EGAO 1977 Art. 97 § 15 Abs. 5; BGB §§ 187-188; EStG § 36 Abs. 1, 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 13.05.1992; Aktenzeichen XIII 213/91)

 

Tatbestand

I. Auf Grund der im Januar 1991 eingereichten Einkommensteuererklärung für 1989 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) am 27. März 1991 den Einkommensteuerbescheid gegenüber der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) und ihrem mit ihr zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagenden, inzwischen verstorbenen Ehemann, dessen Gesamtrechtsnachfolgerin die Klägerin ist. In dem Bescheid wurde die Steuerschuld auf 1 026 716 DM festgesetzt und die Zahlungsfrist für die auf dieser Basis ermittelte Nachforderung auf den 30. April 1991 bestimmt.

Im gleichen Bescheid setzte das FA, errechnet aus einer Zahlschuld von 168 341 DM (abgerundet 168 300 DM) für die Zeit vom 1. bis 30. April 1991 Nachzahlungszinsen (§ 233a der Abgabenordnung --AO 1977--) in Höhe von 841 DM (0,5 v.H. der Zahlschuld für einen vollen Monat) fest. Unberücksichtigt dabei blieb eine Umbuchung von 215,80 DM zugunsten der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes.

Die gegen die Zinsfestsetzung nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Die Aufhebung des angefochtenen Zinsbescheids (und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung) begründete das Finanzgericht (FG) im wesentlichen (vgl. im übrigen die Veröffentlichung in Entscheidungen der Finanzgerichte 1993, 5) wie folgt: Nach § 238 Abs.1 Satz 2 AO 1977 seien Zinsen nur für "volle Monate" zu zahlen. Das bedeute, daß zwischen Beginn und Ende des Zinslaufs mindestens ein Monat liegen müsse. Daran fehle es im Streitfall: Der Zinslauf habe am 1. April 1991 begonnen und schon am 30. April 1991, also vor Ablauf eines vollen Monats, geendet. Dies folge auch aus dem Gesetzeszusammenhang mit § 240 Abs.1 Satz 1 AO 1977, wonach Säumniszuschläge nur anfielen, wenn nach Fälligkeit, hier also nach Ablauf des 30. April 1991 gezahlt werde. Dieser Tag dürfe also bei Berechnung der Nachforderungszinsen nicht mitgerechnet werden. Infolgedessen betrage im Streitfall der für den Zinslauf maßgebliche Zeitraum keinen vollen Monat.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 233a Abs.2 Satz 3 i.V.m. § 238 Abs.1 Satz 2 AO 1977: Der Zinslauf habe im Streitfall zwar am 1. April 1991 begonnen und mit Ablauf des 30. April 1991 geendet, aber gleichwohl einen "vollen Monat" i.S. des Gesetzes betragen. Aus § 240 Abs.1 Satz 1 AO 1977 ergebe sich nichts anderes.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie ist unter Berufung auf das FG-Urteil der Ansicht, die Monatsfrist sei im Streitfall nicht vollendet gewesen.

Einen am 14. September 1994 unter Berufung auf § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 erlassenen Änderungsbescheid, der zu einer Erhöhung der Steuerfestsetzung auf 1 035 606 DM und zu einer weiteren Zinsfestsetzung von 1 804 DM (0,5 v.H. für 41 Monate --1. April 1991 bis 17. September 1994-- aus einer weiteren Nachforderung von --abgerundet-- 8 800 DM) führte, hat die Klägerin unter Berufung auf § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, ohne ihr Klagebegehren zu ändern.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).

1. Der Gegenstand der Revision hat sich durch den Antrag nach § 123 Satz 2 i.V.m. § 68 FGO inhaltlich nicht geändert. Die Klägerin hat den Bescheid vom 14. September 1994 zwar zum Verfahrensgegenstand gemacht, Inhalt und Ziel ihres Begehrens aber unverändert gelassen (vgl. zur Anpassung in solchen Fällen: Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., 1993, § 68 Rz.23). Dies entspricht auch den Prüfungsmöglichkeiten, die das Revisionsverfahren eröffnet (Gräber, a.a.O., § 123 Rz.2).

2. Die Revision des FA ist im wesentlichen begründet. Zu Unrecht ist das FG zu dem Ergebnis gekommen, die Voraussetzungen für die Zinsfestsetzung im Bescheid vom 27. März 1991 hätten deshalb nicht vorgelegen, weil der Zinslauf nicht einen vollen Monat betragen habe.

a) Gemäß § 233a Abs.2 Satz 1 AO 1977 beginnt der Zinslauf für die Verzinsung einer Steuernachforderung i.S. des § 233a Abs.1 AO 1977 fünfzehn Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Dieses Datum fiel hier, nachdem die zugrundeliegende Steuerschuld gemäß § 36 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit Ablauf des Jahres 1989 entstanden war, auf den 1. April 1991. Einigkeit besteht darin, daß der Zinslauf gemäß § 233a Abs.2 Satz 3 AO 1977 in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (zum Eingreifen der Gesetzesänderung vgl. Art.97 § 15 Abs.5 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung --EGAO 1977--) "mit der Fälligkeit der Steuernachforderung" endete und daß dieser Zeitpunkt hier nach § 36 Abs.4 Satz 1 EStG, der die Entrichtung von Abschlußzahlungen "innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids" anordnet, auf den 30. April 1991 fiel.

b) Die Zeit vom 1. bis 30. April ist --entgegen der Meinung des FG-- ein voller Monat i.S. des § 238 Abs.1 AO 1977, der für Höhe bzw. Berechnung der Zinsen in Satz 1 bestimmt, daß die Zinsen für jeden Monat einhalb vom Hundert betragen, außerdem in Satz 2, daß sie vom Tag des Beginns des Zinslaufs an nur für volle Monate zu zahlen sind und daß angefangene Monate außer Ansatz bleiben.

Daß der erste Tag und der letzte Tag des Zinslaufs beim Verständnis der maßgeblichen Zeiteinheit einzubeziehen sind, folgt daraus, daß ihr Anfang nach § 238 Abs.1 Satz 2 AO 1977 auf den Tag fixiert ist, "an dem der Zinslauf beginnt", und ihr Ende sich nach § 233a Abs.2 Satz 3 AO 1977 "mit der Fälligkeit" der Steuernachforderung deckt.

Im übrigen liegt dem Begriff "volle Monate" i.S. des § 238 Abs.1 Satz 2 AO 1977 dasselbe Zeitverständnis zugrunde wie der in § 238 Abs.1 Satz 1 AO 1977 für "jeden Monat" angeordneten Zinsberechnung oder wie ganz allgemein den Regelungen, in denen sonst auf die Zeiteinheit von "einem Monat" abgestellt ist. Weder im einen noch im anderen Fall ist es für die Konkretisierung dieser Zeiteinheit von Bedeutung, daß die ihren Anfang und ihr Ende markierenden Ereignisse mit dem ersten und dem letzten Tag des Monats zusammenfallen. Dieses für die Zinsregelung aus den §§ 233a Abs.2 Satz 3, 238 Abs.1 Satz 2 AO 1977 abzuleitende Prinzip entspricht den nach § 108 AO 1977 grundsätzlich auch für das Abgabenrecht maßgeblichen allgemeinen Auslegungsregeln für Fristen und Termine, wie sie in den §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB-- (vgl. dazu generell Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 108 AO 1977 Tz.8 ff.) festgelegt sind. Diesen Regeln ist zum streitigen Problem zu entnehmen, daß dann, wenn

- für den Anfang einer Frist (oder einer Zeiteinheit, hier

für den Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs.2 AO 1977) ein

Ereignis maßgebend ist (der Ablauf der fünfzehn Monate nach

Entstehung des Einkommensteueranspruchs für 1989), der Tag

nicht mitgerechnet wird, in den das Ereignis fällt (vgl.

§ 187 Abs.1 BGB);

- eine Frist (oder eine Zeiteinheit - § 233a Abs.2 Satz 1,

§ 238 Abs.1 AO 1977) nach Monaten bestimmt ist, die Frist

(die Zeiteinheit) im Falle des § 187 Abs.1 BGB mit Ablauf

desjenigen Tages des letzten Monats endigt, der durch seine

Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das

Ereignis fällt.

Im Streitfall folgt bereits aus dem Wortlaut des § 238 Abs.1 Satz 2 AO 1977, daß der Tag des Beginns der Frist (1. April 1991) in die Berechnung des vollen Monats einzubeziehen ist. Für den Tag des Fristendes ergibt sich dies aus § 36 Abs.4 Satz 1 EStG i.V.m. § 188 Abs.2 BGB. Danach hat der Steuerpflichtige die Abschlußzahlung innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids zu entrichten. Der --mit einfachem Brief zur Post gegebene-- Einkommensteuerbescheid für 1989 vom 27. März 1991 galt nach § 122 Abs.2 Nr.1 AO 1977 am 30. März 1991 als zugestellt. Also war die Abschlußzahlung bis zum Ablauf des 30. April 1991 --wie im Einkommensteuerbescheid 1989 zutreffend angegeben-- zu bezahlen. Da bei der Fristberechnung des Fälligkeitstages nach § 188 Abs.2 EStG der Fälligkeitstag mitzählt ("bis zum Ablauf"), endet auch der Zinslauf erst mit Ablauf des Fälligkeitstages.

Im übrigen ist es geradezu typisch für das Verständnis und die Berechnung einer in Monaten ausgedrückten zeitlichen Einheit im Rechtsleben, daß die Ereignisse, an die das Gesetz zu ihrer Bemessung anknüpft, die Zeitspanne selbst nicht verändern (insoweit nicht "mitgerechnet" werden), obwohl sie mit Beginn und Ende der Zeiteinheit zusammenfallen und diese dadurch faktisch verkürzen (ebenso für Rechtsmittelfristen: Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 23. November 1983 IV a ZB 13/83, Neue Juristische Wochenschrift 1984, 1358; vgl. auch Koch/Scholtz, Kommentar zur Abgabenordnung, 5.Aufl., 1996, § 238 Tz.3; Ziff.6 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung, BStBl I 1994, 472, 473, - a.M.: Tipke/Kruse, a.a.O, § 233a AO 1977 Rdnr.6 f.; Felix, Steuer-Kongreß-Report 1989, 402, 403).

c) Dieses Auslegungsergebnis steht --entgegen der Vorentscheidung-- nicht im Widerspruch zu § 240 AO 1977. Letztere Vorschrift schließt vielmehr "nahtlos" an die Zinsregelung i.S. der §§ 233a, 238 AO 1977 an, indem sie --für den Fall nicht rechtzeitiger Zahlung-- vom Ablauf des Fälligkeitstages an, also unmittelbar nach Ende des Zinslaufs, die Entstehung von Säumniszuschlägen anordnet.

3. Der Senat kann nicht durcherkennen, weil sich anhand der tatsächlichen Feststellungen des FG (aus seiner Sicht zu Recht) nicht entscheiden läßt, inwieweit das FA bei der Zinsberechnung von einer zutreffenden Bemessungsgrundlage ausgegangen ist, genauer gesagt, inwieweit es den Begriff der "Steuernachforderung" (vgl. dazu die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 27. September 1994 VIII B 21/94, BFHE 175, 516, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1995, 128, und vom 15. März 1995 I R 56/93, BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490) zutreffend angewandt hat. In diesem Zusammenhang könnte die "Umbuchung" in Höhe von 215,80 DM ebenso bedeutsam sein wie --je nach dem Entrichtungszeitpunkt-- die tatsächliche Begleichung der Restsumme. Das FG wird die hierzu erforderlichen Feststellungen nachzuholen und unter Beachtung der Senatsentscheidung rechtlich zu würdigen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66019

BStBl II 1997, 6

BFHE 181, 256

BFHE 1997, 256

BB 1997, 86 (Leitsatz)

DB 1997, 79-80 (Leitsatz und Gründe)

DStR 1997, 158-159 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 122 (Leitsatz)

DStZ 1997, 343-344 (Leitsatz und Gründe)

HFR 1997, 208-209 (Leitsatz)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge