Leitsatz (amtlich)

Bei einem Opernsänger ist auch bei einer länger als sieben Tage dauernden Gastspieltätigkeit eine selbständige Tätigkeit jedenfalls dann anzunehmen, wenn er sich nur für die Übernahme einer Rolle, wenn auch in mehreren Aufführungen innerhalb einer Spielzeit, verpflichtet.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 4

 

Tatbestand

Der Kläger ist als Opernsänger an der Oper in X. fest angestellt. Daneben gastierte er im Streitjahr an verschiedenen deutschen Bühnen. Streitig ist, ob die Honorare des Theaters in Y., das ihm 15 Vorstellungen als ... garantiert hatte, Einkünfte aus selbständiger Arbeit sind, die als Nebeneinkünfte aus künstlerischer Tätigkeit nach § 34 Abs. 4 EStG tarifbegünstigt versteuert werden können.

Nach der schriftlichen Vereinbarung vom 18. März 1968 zahlte das Theater in Y. für jede Vorstellung, in der der Kläger mitwirkte, ein Bruttohonorar von 900 DM und die tatsächlich angefallenen Reisekosten, sowie für jeden Tag, an dem er an Proben teilnahm, 50 DM und für die gesamte Probenzeit einschließlich der Premiere die Kosten für zwei Reisen. Probenzeit (15. bis 27. Juli und 9. bis 28. September 1968), Schlußproben (24. bis 25. September 1968) und voraussichtliche Premiere (28. September 1968) waren festgelegt. Es galt als vereinbart, daß diese gastweise Verpflichtung gegenüber allen anderen Verpflichtungen - außer an der Oper in X. - den Vorrang hat. Die in dieser Vereinbarung garantierten 15 Vorstellungen konnten, falls der Kläger davon einzelne absagte, um die Zahl der abgesagten Vorstellungen vermindert werden, wobei dem Theater in Y. das Recht zugestanden wurde, für die abgesagten Vorstellungen andere Sänger oder andere Gäste zu verpflichten. Im Streitjahr fanden neun vorstellungen statt. Das Theater in Y. behielt auf die Honorare (8 100 DM) Lohnsteuer auf einer zweiten Lohnsteuerkarte ein.

Der Kläger behandelte seine Aufwendungen für diese Gastspieltätigkeit in Höhe von 4 357 DM als Betriebsausgaben und beantragte die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) rechnete die Einnahmen aus der Gastspieltätigkeit in Y. den Einkünften aus nichtselbstänidger Arbeit hinzu und berücksichtigte lediglich 2 877 DM für Fahrtkosten nach Y. als zusätzliche Werbungskosten. Es stützte sich dabei vor allem auf einen Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10. September 1954 S 2171 - 10 381/V B - 2, ESt-Kartei der OFD in Düsseldorf-Köln-Münster, Anweisung 2 zu § 19 EStG, nach dem die Einkünfte eines Opernsängers als Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit anzusehen sind, wenn die Gastspieltätigkeit länger als sieben Tage dauert und zwar auch dann, wenn das Gastspiel nicht in sieben aufeinanderfolgenden Tagen abgewickelt wird, sofern es sich um ein einheitliches Gastspiel handelt.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG führte in seiner in den EFG 1972, 534 veröffentlichten Entscheidung u. a. aus. Der Auffassung des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen in dem genannten Erlaß könne das Gericht in dieser generellen Form nicht folgen. Auch der BFH gehe in dem Urteil vom 6. November 1970 VI 385/65 (BFHE 100, 320, BStBl II 1971, 22) nicht von einer so starren zeitlichen Abgrenzung aus, sondern stelle vornehmlich darauf ab, ob der Künstler während der Dauer des Vertrages als frei oder unfrei anzusehen sei. Es komme darauf an, ob das Theater im wesentlichen über die Arbeitskraft des Gastsängers verfügt habe. - Für eine Eingliederung in den Theaterbetrieb könne vor allem die Verpflichtung des Klägers sprechen, am Probenbetrieb des Ensembles teilzunehmen. Aus dem Text der schriftlichen Vereinbarung lasse sich eine direkte Verpflichtung, an jeder Probe teilzunehmen, nicht ableiten, da er nur für jeden Tag der Probenteilnahme 50 DM habe erhalten sollen und "für die gesamte Probenzeit einschließlich Premiere" nur zwei Reisen nach Y. vergütet worden seien. In der für 1969 getroffenen Vereinbarung heiße es sehr deutlich, daß der Kläger "fertig studiert" zu den Proben in Y. habe eintreffen sollen. Selbst eine Teilnahme an den Proben führe nicht in jedem Fall zur Annahme eines Dienstverhältnisses. Der Kläger habe nach unwidersprochenem Vortrag bei den Proben selbst Einfluß auf die künstlerische Art und Weise der Darbietung nehmen können. Der Kläger habe auch weiterhin nach ausdrücklicher Vereinbarung mit dem Theater in Y. in erster Linie seinem Arbeitgeber, der Oper in X., zur Verfügung gestanden. Zwar seien die Termine vorher mit dem Kläger abgestimmt worden, man habe jedoch jederzeit mit der Möglichkeit gerechnet, daß der Kläger zu diesen Terminen nicht in der Lage gewesen sei, aufzutreten. Es sei ihm sogar weitgehend freigestellt gewesen, die Zahl der garantierten Vorstellungen zu kürzen, wobei das Theater in Y. die Rolle des Klägers an diesen Tagen anderweitig habe besetzen dürfen. Von einer Bindung des Klägers an das Theater in Y. könne hiernach nur im Sinn einer auf Monate angelegten freien Mitarbeit als prominenter Bühnenkünstler gesprochen werden. Der Kläger sei danach nicht als abhängiger Arbeitnehmer in den Organismus des Theaters in Y. eingegliedert gewesen, so daß ihm die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG, deren übrige Voraussetzungen vorlägen, zu gewähren sei.

Die Revision des FA wird wie folgt begründet. Der Kläger habe sich für längere Zeit an das Theater in Y. verpflichtet und habe an fast allen Proben teilgenommen. Er habe im Rahmen der Gastverträge dem Theater in Y. seine Arbeitskraft geschuldet und insoweit in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers gestanden. Denn er habe sich von vornherein für längere Zeit an das Theater in Y. verpflichtet, es habe sich um wiederholte Darbietungen gehandelt, denen für die gesamte Spielzeit eine einzige Vereinbarung zugrunde gelegen habe. Bei 15 Gastspielen innerhalb der Spielzeit liege kein einzelnes Gastspiel mehr vor, sondern eine einheitliche Verpflichtung mit Einordnung in das Unternehmen des Arbeitgebers. Das Vergütungsrisiko des Klägers reiche für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit nicht aus (BFH-Urteile VI 385/65; vom 20. Januar 1972 IV R 1/69, BFHE 104, 169, BStBl II 1972, 214). Zu Unrecht meine das FG, der Umstand, daß der Kläger weiterhin in erster Linie der Oper in X. habe zur Verfügung stehen sollen, spreche gegen seine Eingliederung in das Theaterunternehmen. Die Haupttätigkeit eines Arbeitnehmers habe regelmäßig Vorzug vor der Nebentätigkeit des zweiten Arbeitsverhältnisses. In der Regelung, daß die gastweise Verpflichtung am Theater in Y. gegenüber allen anderen Verpflichtungen - außer an der Oper in X. - den Vorrang habe, sei eine echte Bindung und Eingliederung zu sehen. Aus der Aufnahme der genauen Probenzeiten in die schriftlichen Vereinbarungen und aus der Tatsache, daß der Kläger im Jahre 1958 an 23 Proben teilgenommen habe, sei zu entnehmen, daß er tatsächlich auch die Pflicht gehabt habe, an den Proben teilzunehmen. Die ausschließliche Verlagerung des Unternehmerrisikos auf das Theater in Y. komme auch darin zum Ausdruck, daß das Theater dem Kläger ohne Rücksicht auf den finanziellen Erfolg oder Mißerfolg der Oper für die Spielzeit 15 Vorstellungen garantiert habe. - Es sei auch auf das BFH-Urteil vom 6. Oktober 1971 I R 207/66 (BFHE 103, 421, BStBl II 1972, 88) Bezug zu nehmen. Zwar stimme die Tätigkeit eines Fernsehfilm-Schauspielers nicht in allen Teilen mit der Tätigkeit eines Gastsängers völlig überein. Der Sänger schulde aber in gleicher Weise bei der Einstudierung und Aufführung einer Oper seine volle Arbeitskraft. Daß Proben und Aufführungen nicht eine solch enge Zeitspanne über dauerten, wie bei der Herstellung eines Fernsehfilms, könne der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers nicht entgegenstehen, da dies typisch für eine Oper sei.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist nicht begründet.

Mit Recht ist das FG davon ausgegangen, daß der Regelung des genannten Erlasses, wonach bei jeder länger als sieben Tage dauernden Gastspieltätigkeit eine nichtselbständige Tätigkeit des Gastspielers anzunehmen sei, nicht zu folgen ist, daß es vielmehr darauf ankommt, ob der Künstler während der Dauer des Vertrages als frei oder unfrei anzusehen ist und ob das Gastspieltheater im wesentlichen über die Arbeitskraft des Gastsängers verfügt hat. Diese für die Abgrenzung zwischen selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit wesentlichen Merkmale können nicht durch die Einführung einer zeitlichen Begrenzung von sieben Tagen ersetzt werden.

Für die Frage, ob der Kläger in den Theaterbetrieb eingegliedert war, hat das FG ferner mit Recht darauf abgestellt, ob er verpflichtet war, an den Proben teilzunehmen, und ob er bei den Proben selbst Einfluß auf die künstlerische Art und Weise der Darbietung nehmen konnte. Wenn das FG zu dem Ergebnis kam, daß eine Verpflichtung zur Teilnahme an den Proben nicht bestand, andererseits aber der Kläger bei den Proben selbst Art und Weise der Darbietung künstlerisch beeinflussen konnte, so ist der Senat an diese tatsächlichen Feststellungen gebunden, da begründete Einwendungen hiergegen nicht vorgebracht worden sind (§ 118 Abs. 2 FGO). Das FG hat auch zutreffend die Umstände als gegen eine Eingliederung sprechend gewertet, daß der Kläger nach ausdrücklicher Vereinbarung mit dem Theater in Y. auch weiterhin in erster Linie seinem Arbeitgeber, der Oper in X. zur Verfügung stand, und vor allem, daß ihm vertraglich freigestellt war, von sich aus die Zahl der Gastvorstellungen ohne Nachholverpflichtung zu kürzen, wobei das Theater in Y. seine Rolle an diesen Tagen anderweitig besetzen durfte. Die Schlußfolgerung des FG, daß der Kläger trotz der vereinbarten Verpflichtung, 15 Gastspiele als ... zu geben, nicht in den Betrieb des Theaters in Y. eingegliedert war, muß nach Auffassung des Senats jedenfalls dann als unbedenklich erscheinen, wenn sich ein Gastopernsänger nur für die Übernahme einer Rolle, wenn auch in mehreren Aufführungen innerhalb einer Spielzeit, verpflichtet.

Demgegenüber kann das Vorbringen des FA zu keiner anderen Beurteilung führen. Aus der Aufnahme der genauen Probenzeiten in die schriftliche Vereinbarung oder der Tatsache, daß der Kläger an 23 Proben teilgenommen hat, läßt sich noch keine Verpflichtung zur Teilnahme an den Proben entnehmen. Dem Kläger muß im eigenen Interesse die Möglichkeit offenstehen, an den Proben teilzunehmen, schon um seine eigenen künstlerischen Auffassungen bei der Gestaltung der Aufführung durchzusetzen und seine Gastrolle nach Niveau und künstlerischem Gepräge mit den anderen Rollen zum Gesamtbild einer Aufführung zusammenzufügen, die seinem Ansehen als Gastopernsänger nicht abträglich werden kann. Das FA übersieht, daß auch bei einem einmaligen oder einem weniger als sieben Tage dauernden Gastspiel in gleicher Weise Verständigungsproben zwischen Gastopernsänger einerseits und Ensemble und Orchester andererseits üblich sind und daß diese Proben nicht der Einstudierung der Rolle des Gastopernsängers dienen.

Der Kläger wendet sich schließlich mit Recht gegen die Gleichstellung des Gastopernsängers mit einem Fernsehfilm-Schauspieler. Während der Fernsehfilm-Schauspieler für die Dauer der Fernsehfilm-Arbeiten zur Verfügung stehen und unter ständiger Führung durch den Regisseur Szene für Szene durchproben und abspielen muß, bis sie nach Gutdünken des Regisseurs aufzeichnungsreif und sendefertig ist, bringt der Gastopernsänger lediglich seine fertig einstudierte Rolle - nach Verständigungsproben - in der Aufführung des Gastspieltheaters dar. Die zutreffende Auffassung, wonach die Mitwirkung eines Schauspielers an der Herstellung eines Fernsehfilms in der Regel eine nichtselbständige Arbeit ist (BFH-Urteil I R 207/66) und die Vergütungen für die Mitwirkung von Schaupielern bei Fernsehfilmen und Fernsehproduktionen in der Regel Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind (BFH-Urteil IV R 1/69), rechtfertigt danach keine Folgerungen für die Tätigkeit eines Gastopernsängers, der einem fremden theater für eine Rolle, wenn auch in mehreren Aufführungen innerhalb einer Spielzeit, zur Verfügung steht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70495

BStBl II 1973, 636

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