Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Nettolohnvereinbarung bei lediglich irrtümlich unterbliebenem Lohnsteuerabzug

 

Leitsatz (NV)

Unterbleibt ein Lohnsteuerabzug, weil die Beteiligten eines Dienstverhältnisses irrtümlich von freier Mitarbeit ausgehen, sind als Arbeitslohn die zugeflossenen Einnahmen (Barlohn und Sachbezüge) zu erfassen und nicht ein hochgerechneter Bruttolohn, der sich ergäbe, wenn den zugeflossenen Beträgen die auf sie entfallenden Lohnsteuerbeträge zugerechnet würden.

 

Normenkette

EStG § 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 19 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für die Firma R-GmbH und den Steuerberater T im Streitjahr 1989 als Arbeitnehmerin oder als freie Mitarbeiterin auf Honorarbasis (Einkünfte aus selbständiger Arbeit) tätig war.

Für das Streitjahr 1989 schätzte das früher zuständige Finanzamt (FA) wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung die Besteuerungsgrundlagen. Dabei ging es im Einkommensteuerbescheid vom 21. Dezember 1992 von einem Arbeitslohn in Höhe von ... DM und anzurechnenden Lohnsteuerabzugsbeträgen in Höhe von ... DM aus. In einem Änderungsbescheid vom 24. Februar 1993 setzte der nunmehr zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) nach Auswertung eines strafrechtlichen Ermittlungsberichts einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von ... DM an; er ging davon aus, daß keine Lohnsteuerabzugsbeträge einbehalten worden sind. Im Laufe des Einspruchsverfahrens reichte die Klägerin die Einkommensteuererklärung 1989 ein. Darin erklärte sie unter Beifügung eines Jahresabschlusses 1989 und der Gewinn- und Verlustrechnung 1989 einen Gewinn i. S. des § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von ... DM aus der früheren Mitarbeit in einer Steuerberaterkanzlei. Das FA blieb in der Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 1993 bei seiner Auffassung, daß die Klägerin als Arbeitnehmerin einen Bruttolohn in Höhe von 48 363 DM bezogen habe. Dazu führte es u. a. folgendes aus:

"Das Finanzamt hat auch entgegen dem Vortrag der Ef keinen Nettolohn unterstellt. Es hat vielmehr von den ausgezahlten Nettobeträgen auf die Bruttobeträge hochgerechnet. Dies ist aber nicht der Fall, den der BFH in dem von der Ef zitierten Fall (Bundessteuerblatt 1992 Teil II S. 443) unter einer Nettolohnvereinbarung verstanden hat. Der BFH versteht darunter diejenigen Fälle, in denen von vornherein die Übernahme der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber vereinbart wird. Bei derartigen Fällen stellt die Übernahme der Lohnsteuer einen geldwerten Vorteil dar, der seinerseits wie der Lohn zu versteuern ist. Demgegenüber hat das Finanzamt nur vom ausgezahlten bzw. zustehenden Nettogehaltsbetrag auf den Bruttoarbeitslohn hochgerechnet. Der so ermittelte Bruttoarbeitslohn ist steuerlich bei der Ef anzusetzen. Hierbei ist zu beachten, daß die hierauf entfallende Lohnsteuer etc. nicht einbehalten bzw. abgeführt wurde."

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es ging davon aus, daß die Klägerin im Streitjahr 1989 noch als Arbeitnehmerin tätig war; erst ab 1990 sei dieses Arbeitsverhältnis in ein freies Mitarbeiterverhältnis auf Honorarbasis umgeschlagen. Zwar könne, so führt das FG aus, davon ausgegangen werden, daß bereits ab 1989 ein freies Mitarbeiterverhältnis zwischen den Vertragsparteien gewollt gewesen sei. Für die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin im Streitjahr 1989 spreche aber, daß die von der Klägerin bis Ende 1989 ausgeübte Tätigkeit nur im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses habe ausgeübt werden können, da der Schwerpunkt der Tätigkeit im Bereich der untergeordneten Bürotätigkeit gelegen habe. Diese Tätigkeit werde typischerweise aufgrund der erforderlichen Eingliederung in den Organisationsprozeß und aufgrund der insoweit bestehenden Weisungsgebundenheit -- hinsichtlich Ort, Zeit und Art der Durchführung der Arbeiten -- im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses abgewickelt. Gegen die Höhe des vom FA angesetzten Arbeitslohns bestünden keine Bedenken. Die in der Einspruchsentscheidung mit ... DM angesetzten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seien nicht zu hoch veranschlagt worden.

Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung der Vorentscheidung und nach Abänderung der Einspruchsentscheidung und des Einkommensteuerbescheids 1989 die Herabsetzung der Einkommensteuer auf ... DM; hilfsweise begehrt sie die Zurückverweisung der Sache an das FG. Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus: Die Vorentscheidung gehe zu Unrecht davon aus, daß sie, die Klägerin, im Streitjahr 1989 in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe. Die Unterscheidung des FG zwischen untergeordneten und höherwertigen Tätigkeiten werde den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr gerecht. Denn Tätigkeiten, die zur Büroorganisation gehörten und die das FG als untergeordnete Arbeiten eingestuft habe, würden breitflächig als selbständige Leistungen von Unternehmern angeboten, und zwar ange fangen vom einfachen Telefonservice über Termingestaltung und deren Überwachung, Kopier- und Schreibarbeiten bis hin zum kompletten Büroservice. Diese Arbeiten erforderten eine höhere persönliche Qualifikation als die Tätigkeit von Werbedamen, die der Bundesfinanzhof (BFH) als selbständig tätig beurteilt habe (BFH-Urteil vom 14. Juni 1985 VI R 150--152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661). Sie, die Klägerin, habe einen funktionierenden Bürobetrieb geschuldet. Dafür habe sie gerade im Streitjahr 1989 überproportionale Leistungen erbringen müssen, ohne eine Zusatzvergütung zu erhalten. Mehrarbeit ohne Zusatzvergütung sei ein typisches Kriterium selbständigen unternehmerischen Handelns. Wenn man dazu noch berücksichtige, daß auch nach der Vertragsgestaltung eine selbständige Tätigkeit und nicht ein Arbeitsverhältnis gewollt gewesen sei, so habe das FG nicht zur Annahme einer unselbständigen Tätigkeit kommen dürfen. Die Vorentscheidung könne auch bei Annahme eines Arbeitsverhältnisses deshalb keinen Bestand haben, weil der Lohn, obwohl sämtliche Zuflüsse bekannt gewesen seien, vom FA geschätzt worden sei. Das FA habe -- vom FG gebilligt -- zu Unrecht die zugeflossenen Beträge als Nettolohn angesehen und auf einen Bruttolohn hochgerechnet. Nur die zugeflossenen Beträge hätten aber der Besteuerung zugrunde gelegt werden dürfen.

Das FA tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen. Ergänzend trägt es vor, die Besteuerungsgrundlagen seien nicht geschätzt worden. Es sei auch keine Nettolohnbesteuerung unterstellt worden. Vielmehr seien die von der Steuerfahndung festgestellten Nettoauszahlungsbeträge auf einen Bruttoarbeitslohn hochgerechnet worden. Damit sei kein Nettosteuersatz, sondern der niedrigere Bruttosteuersatz angewendet worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur Feststellung der der Klägerin zugeflossenen Lohnbezüge.

1. Bei der von der Klägerin eingelegten, auf § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Revision VI R 12/96 und bei der nach Zulassung durch den Senat auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten erneut eingelegten Revision VI R 99/96 handelt es sich um das nämliche Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden ist. Da die nach Zulassung durch den Senat erneut eingelegte Revision zulässig ist, kommt es auf die Zulässigkeit der zuvor eingelegten Revision nicht mehr an (vgl. BFH-Urteil vom 8. Oktober 1991 VIII R 52/90, BFH/NV 1992, 323, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin im Streitjahr 1989 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Frage, wer Arbeitnehmer ist, nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei müssen die für und gegen ein Arbeitsverhältnis sprechenden Merkmale gegeneinander abgewogen werden. In diese Würdigung ist auch einzubeziehen, wie das zu beurteilende Vertragsverhältnis ausgestaltet worden ist, sofern die Vereinbarungen ernsthaft gewollt und tatsächlich durchgeführt worden sind (z. B. BFH-Urteile vom 23. Oktober 1992 VI R 59/91, BFHE 170, 48, BStBl II 1993, 303, und in BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661, jeweils m. w. N.).

Das FG ist zwar davon ausgegangen, daß die Vertragsparteien bereits ab 1989 ein freies Mitarbeiterverhältnis gewollt hatten. Es ist aber aufgrund der tatsächlichen Tätigkeit der Klägerin zu dem Ergebnis gekommen, daß diese im Streitjahr 1989 noch als Arbeitnehmerin tätig geworden ist. Damit hat das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles den zu beurteilenden Sachverhalt dahingehend gewertet, daß der Vertrag im Jahre 1989 noch nicht durchgeführt worden ist, weil die Klägerin die angestrebten in Eigeninitiative zu erbringenden Arbeiten noch nicht geleistet hat. Diese Gesamtwürdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlichen Ausführungen in der Vorentscheidung.

3. Die Vorentscheidung ist aber aufzuheben, weil sie rechtsfehlerhaft den vom FA bei der Einkommensteuerveranlagung der Klägerin zugrunde gelegten Arbeitslohn übernommen hat. Das FA hat nicht etwa die der Klägerin tatsächlich zugeflossenen Barzuwendungen und sonstigen geldwerten Vorteile als Arbeitslohn angesetzt. Es hat vielmehr die Zuflüsse, weil davon keine Lohnsteuer einbehalten worden war, auf -- wie es in der Einspruchsentscheidung ausgedrückt ist -- einen Bruttolohn heraufgerechnet. Die Vorentscheidung enthält keine Feststellungen darüber, wie das FA rechnerisch vorgegangen ist. Offenbar hat es aber wohl die Lohnsteuerbeträge, um die bei ordnungsgemäßem Lohnsteuerabzug die Auszahlungen an die Klägerin zu kürzen gewesen wären, den zugeflossenen Geldbeträgen und Sachzuwendungen hinzugerechnet. Diese Methode erweist sich als unzutreffend. Die Vertragsparteien sind irrig davon ausgegangen, daß kein Lohnsteuerabzug durchzuführen war. Damit sind die der Klägerin zugeflossenen Beträge und zugeflossenen geldwerten Vorteile (Sachzuwendungen) bereits der um Lohnsteuerbeträge nicht gekürzte Bruttoarbeitslohn. Dieser ist bei der Veranlagung zur Einkommensteuer als Einnahme aus nichtselbständiger Arbeit anzusetzen. Bei der der Steuerfestsetzung nachfolgenden Abrechnung ist allerdings auch keine Lohnsteuer zu berücksichtigen, weil keine Lohnsteuerbeträge einbehalten worden sind.

Da das FA dem (ungekürzt an die Klägerin ausgezahlten) Bruttolohn die in diesem Lohn enthaltene Lohnsteuer noch hinzugerechnet hat, ist es bei der Veranlagung von einem zu hohen Arbeitslohn ausgegangen. Die Vorentscheidung ist aus diesem Grunde aufzuheben.

4. Der Senat ist nicht in der Lage durch zuerkennen. Die Vorentscheidung enthält keine Feststellungen dazu, welcher Arbeitslohn der Klägerin im Streitjahr 1989 tatsächlich zugeflossen ist. Zwar bezieht sich das FG auf die Einspruchsentscheidung; aber auch dieser lassen sich die tatsächlichen Lohnzuflüsse nicht entnehmen. Daher wird das FG im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, welcher Barlohn und welche geldwerten Vorteile der Klägerin im Streitjahr 1989 zugeflossen sind. Dieser und nicht etwa ein um Lohnsteuer hochgerechneter Lohn ist bei der Einkommensteuerveranlagung zugrunde zu legen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422275

BFH/NV 1997, 656

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