Leitsatz (amtlich)

1. Formlose Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheide können nicht rechtswirksam zugehen, wenn sie an nicht bestehende Antragsteller gerichtet sind, die bei Stellung fingierter Lohnsteuer-Jahresausgleichsanträge in betrügerischer Absicht erfunden wurden.

2. Wer zu Unrecht erstattete Lohnsteuer als Bote in Empfang nimmt, haftet nicht für die Zurückzahlung dieser Beträge. Eine Rückgabepflicht besteht aber dann, wenn jemand nach außen hin als Bote nicht bestehender Antragsteller auftritt, in Wirklichkeit aber als Strohmann für einen Dritten handelt, dem er diese Beträge weiterzuleiten hat.

 

Normenkette

AO § 91 Abs. 1 S. 2, § 229 Nr. 7

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Landesrechnungshof stellte im Jahre 1974 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) fest, daß der beim FA tätige Steueroberinspektors in 214 Fällen Lohnsteuer-Jahresausgleichsanträge fingiert, sie in seiner Eigenschaft als Sachbearbeiter der Lohnsteuerstelle bearbeitet und auf diese Weise das FA zu entsprechenden Lohnsteuererstattungen veranlaßt hatte. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hat S in den Antragsformularen u. a. den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als Erstattungsempfänger angegeben. Ein Teil der von S erschlichenen Lohnsteuererstattungen floß in der Zeit von November 1971 bis Juni 1973 auf drei verschiedene Konten des Klägers, der die jeweiligen Einzelbeträge zunächst S bar aushändigte und sie später auf dessen Konten überwies. Die Steuerfahndung konnte dem Kläger nicht nachweisen, daß er von den Straftaten des S gewußt oder davon irgendwie eine Vorstellung gehabt hat.

Das FA forderte von ihm mit Bescheid vom 26. Februar 1975 die Lohnsteuern zurück, die in den Jahren 1971 und 1973 über seine Konten gelaufen sind. Wegen der auf das Jahr 1972 entfallenden Beträge behielt es sich den Erlaß eines gesonderten Rückforderungsbescheides vor. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG gab der Klage statt. Es führte in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 612 (EFG 1977, 612) veröffentlichten Urteil u. a. aus:

Gegen die Zulässigkeit des Rechtswegs beständen keine Bedenken. Da das FA wegen des durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums die beantragten Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren durchgeführt, entsprechende Auszahlungsanordnungen verfügt und durch die Überweisungen vermeintliche Lohnsteuererstattungsansprüche habe erfüllen wollen, stelle ein Rechtsstreit über die "Rückabwicklung" dieser Vorgänge eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten im Sinne von § 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dar, zumal das FA die streitigen Beträge durch Steuerverwaltungsakt vom Kläger zurückgefordert habe. Das FA hätte die Rückforderung der erschlichenen Beträge allerdings auch vor den Zivilgerichten betreiben können.

Die Klage sei begründet, weil das FA keinen Anspruch gegen den Kläger auf Rückzahlung bzw. Wertersatz der über seine Konten gelaufenen Gelder habe.

Die Auszahlungsanordnungen und die übrigen den Überweisungen zugrunde liegenden bzw. ihnen entsprechenden Verfügungen des FA seien nicht als von vornherein nichtig anzusehen. Denn das FA habe diese Verwaltungsakte bewußt und gewollt erlassen und es habe ihnen - aus der Sicht eines neutralen Beobachters - die Nichtigkeit keineswegs "auf der Stirn gestanden". Es sei anzunehmen, daß das FA seine den jeweiligen Oberweisungen entsprechenden Erstattungsvergütungen u. a. durch Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs gegenüber dem Kläger konkludent und mit rückwirkender Kraft aufgehoben habe.

Da das FA den Kläger in den Auszahlungsanordnungen nicht als Empfangsberechtigten, sondern als Erstattungsempfänger und somit lediglich als Zahlstelle für die vermeintlichen Antragsteller des Lohnsteuer-Jahresausgleichs bezeichnet habe, fehle es an einem öffentlich rechtlichen Leistungsverhältnis zwischen ihm und dem FA, das das FA zu einer Rückforderung berechtige. Ein Leistungsverhältnis sei nur zwischen dem FA und S begründet worden. Der Kläger habe das auf seinen Konten eingegangene Geld jeweils unverzüglich und in vollem Umfang an S weitergeleitet. Die Erstattungsbeträge seien somit an den gelangt, der dem FA gegenüber unter fingierten Namen als Antragsteller aufgetreten sei und dem das FA die Lohnsteuererstattungen als dem vermeintlichen Empfangsberechtigten zugedacht habe. Der ungetreue S, der sich hinter den fingierten Antragstellern verborgen habe, sei nicht nur nach seinem Willen, sondern auch nach dem in den Erstattungsverfügungen zum Ausdruck kommenden Willen des FA der Adressat der Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheide gewesen, wenn auch unter den angegebenen falschen Namen. Die Erstattungsverfügungen seien dadurch wirksam bekanntgegeben worden, daß sie S, also einer existierenden Person, durch Eingang der Gelder auf den Konten des Klägers zugegangen seien, da er letzteren ausdrücklich zur Entgegennahme der Erstattungen ermächtigt habe. Der Kläger habe sich weder selbst als Adressat der Erstattungsverfügungen betrachtet, noch habe das FA ihn als solchen behandelt.

Da davon auszugehen sei, daß der Kläger von den Betrugshandlungen des S keine Kenntnis gehabt habe, komme eine Haftung des Klägers wegen vorsätzlichen Handelns zum Nachteil des FA nicht in Betracht. Er könne auch nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen selbst dann nicht haftbar gemacht werden, wenn ihm Fahrlässigkeit vorzuwerfen wäre, weil er S seine Konten zur Verfügung gestellt und auf die Rechtmäßigkeit der Erstattungen des FA vertraut habe. Ob der Kläger insoweit fahrlässig gehandelt habe und ggf., ob ein solcher Vorwurf angesichts der vom FA in der mündlichen Verhandlung eingeräumten Organisationsmängel und Systemfehler ins Gewicht falle, lasse das Gericht ausdrücklich dahingestellt. Wer von einem Steuerpflichtigen lediglich als Erstattungsadresse benannt werde, habe gegenüber dem FA bezüglich der Ermittlung und Feststellung des für die ordnungsmäßige Besteuerung maßgebenden Sachverhalts keine selbständigen Pflichten; er habe allenfalls die Pflicht evtl. Erstattungen in Empfang zu nehmen und an den Erstattungsberechtigten weiterzuleiten. Entsprechend habe der Kläger hier gehandelt.

Das FA hat gegen diese Entscheidung Revision eingelegt. Es rügt sinngemäß einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten sowie die Verletzung der §§ 37, 169 ff, 218 ff, 228 ff der Abgabenordnung (AO 1977). Es bringt u. a. vor:

Das FG habe offensichtlich das im zivilrechtlichen Bereicherungsrecht entwickelte Rechtsinstitut der Leistungskondiktion im Dreiecksverhältnis, nämlich im Verhältnis zwischen dem Anweisenden, Angewiesenen und Anweisungsempfänger auf den Bereich der steuerrechtlichen Erstattungsansprüche übertragen. Dies sei rechtlich nicht zulässig. Die Vorschriften über die Erstattung von Steuern in den §§ 37, 169 ff, 218 ff, 228 ff AO 1977 enthielten eine selbständige materiell-rechtliche Regelung, die dieses Rechtsgebiet abschließend ordne. Schuldner des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs sei nur der der die Erstattungsbeträge tatsächlich erhalten habe. Der Anspruch richte sich daher im Streitfall gegen den Kläger. Er sei zur Rückerstattung verpflichtet, soweit die Beträge durch Überweisung auf seine Konten in seine Verfügungsmacht gelangt seien. Diesem öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch stehe im Streitfall der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen.

Den Ausführungen des FG sei auch dann nicht zu folgen, wenn man auf den öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch die Grundsätze der zivilrechtlichen Leistungskondiktion im Dreiecksverhältnis analog anwende. Bei Fehlerhaftigkeit des Deckungsverhältnisses zwischen S als Anweisendem und dem FA als Angewiesenem bestehe ein Rückforderungsanspruch gegen S nur dann, wenn überhaupt eine Leistung vorliege. Sie müsse mit Wissen und Wollen des Benachteiligten, hier also des zuständigen Beamten des FA, herbeigeführt worden sein, der die maßgeblichen Verwaltungsakte unterzeichnet habe. Eine solche Kenntnis und ein derartiger Wille habe dem zuständigen Beamten im Streitfall gefehlt. Wie sich aus den im Klageverfahren in Fotokopie eingereichten fingierten Lohnsteuer-Jahresausgleichsanträgen ergebe, hätten die (angeblichen) Antragsteller dort nicht die Überweisung des jeweiligen Erstattungsbetrages auf das Konto des Klägers, sondern Auszahlungen an sich begehrt. Die entgegenstehenden Feststellungen des FG widersprächen insoweit dem klaren Inhalt der Akten. Gemäß diesen Anträgen habe der zuständige Sachgebietsleiter in den Lohnsteuer-Jahresausgleichs- und Auszahlungsanordnungen verfügt. Zur Überweisung der Beträge auf die Konten des Klägers sei es dadurch gekommen, daß S die Reinschriften der Auszahlungsanordnungen mit dem Zusatz versehen habe, die Leistungen sollten an den Kläger als Empfangsberechtigten erfolgen. Die Auszahlungen an den Kläger hätten somit dem Willen des zuständigen Beamten eindeutig widersprochen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Das FG hat im Streitfall die Zulässigkeit des Finanzrechtsweges zu Recht bejaht.

Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanz- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Hierzu gehört auch ein Streit über die Rechtmäßigkeit eines vom FA in Form eines Hoheitsaktes erlassenen Bescheides auf Rückforderung erstatteter Lohnsteuern.

2. Das FG hat den Kläger zu Unrecht als nicht zur Zurückerstattung verpflichtete "Zahlstelle" des S angesehen.

a) Der Kläger hat die über seine Konten gelaufenen Erstattungsbeträge von Anfang an ohne Rechtsgrund erhalten. Die Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheide brauchten entgegen der Ansicht des FG nicht widerrufen zu werden, da sie weder dem Kläger noch dritten Personen gegenüber rechtswirksam zugegangen sind.

Nach der Rechtslage aufgrund des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1971 und der bis zum 31. Dezember 1976 gültigen Reichsabgabenordnung (AO) bedurfte es im Verfahren über den Lohnsteuer-Jahresausgleich keines schriftlichen Bescheides, wenn dem Antrag des Steuerpflichtigen in vollem Umfang stattgegeben wird. Denn in einem solchen Fall ist in der Erstattung selbst ein formloser Bescheid zu erblicken (vgl. insbesondere Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. September 1966 VI 296/65, BFHE 87, 143, BStBl III 1967, 96, und vom 1. März 1974 VI 253/70, BFHE 111, 457, BStBl II 1974, 369). An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Ob eine andere rechtliche Beurteilung nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes ab 1975 und nach denen der Abgabenordnung geboten ist, läßt der Senat dahingestellt.

Formelle wie formlose Bescheide bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Bekanntgabe, d. h. sie müssen dem zugehen, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind (§ 91 Abs. 1 Satz 1 AO). Formlose Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheide wurden daher in den Streitjahren 1971 und 1973 durch Auszahlung der Erstattungsbeträge nur dann wirksam, wenn die Beträge dem zugehen, für den sie bestimmt waren.

Im Streitfall, wo den (fingierten) Lohnsteuer-Jahresausgleichsanträgen stets in vollem Umfang stattgegeben worden war, fehlte es an wirksamen Bekanntgaben der in den Erstattungen liegenden formlosen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheide. Sie konnten nicht rechtswirksam den Antragstellern zugehen, da letztere in Wirklichkeit nicht existierten. Die Rechtslage ist ähnlich den Fällen, in denen Bescheide nicht wirksam bekanntgegeben werden können, weil sie an eine nicht bestehende Gesellschaft gerichtet sind (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 91 AO Anm. 14 und § 211 AO Anm. 2).

Die in den Erstattungen liegenden formlosen Bescheide wurden den (nicht existenten) Antragstellern auch nicht dadurch rechtswirksam bekanntgegeben, daß das FA die Erstattungsbeträge auf die Konten des Klägers überwies. Denn da die Antragsteller von S erfunden waren, konnten erstere den Kläger nicht rechtswirksam zum Empfangsberechtigten bestellen. Die Bescheide sind auch dem hinter den (vermeintlichen) Antragstellern stehenden S - entgegen der Ansicht des FG - nicht dadurch rechtswirksam zugegangen, daß die Erstattungsbeträge auf den Konten des Klägers eingingen und dieser sie entsprechend den Vereinbarungen mit S anschließend auf dessen Konten weiterleitete. Denn der für die Willensbildung maßgebende Sachgebietsleiter des FA, der die Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfügungen abschließend zeichnete, hatte die in den Erstattungen liegenden Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheide nicht für S bestimmt. Er hätte die Auszahlungen auch nicht zugunsten des ungetreuen S verfügt, wenn er den wahren Sachverhalt gekannt hätte. Eine "Umadressierung" der formlosen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheide zugunsten des S wäre also von dem Willen des FA nicht getragen worden.

b) Das FA hat gegen den Kläger wegen der an ihn von Anfang an ohne Rechtsgrund erstatteten Lohnsteuern einen dem öffentlichen Recht angehörenden Rückforderungsanspruch.

Eine solche Forderung ist zwar in der Reichsabgabenordnung nicht besonders geregelt. Sie wird jedoch bei den in § 229 Nr. 7 AO geregelten Einsprüchen gegen "Bescheide über Rückforderungen erstatteter oder vergüteter Beträge" als existent vorausgesetzt. Läßt das Gesetz den Einspruch gegen Bescheide über Rückforderungsansprüche erstatteter Beträge zu, so kann auch seine Grundlage, nämlich der Rückforderungsanspruch selbst, nur dem öffentlichen Recht angehören (BFH-Urteil vom 29. Juni 1978 VI R 20/77, BFHE 125, 343, BStBl II 1978, 608 und die dort zitierte Literatur und Rechtsprechung). Davon ist zu Recht auch das FG ausgegangen.

Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung einen Rückforderungsanspruch bei von Anfang an zu Unrecht erstatteten Steuern bejaht (vgl. Urteile vom 27. August 1965 VI 97/64, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 144, Rechtsspruch 17, und in BFHE 111, 457, BStBl II 1974, 369, sowie vom 24. Juni 1977 VI R 175/74, BFHE 122, 510, BStBl II 1977, 805). Er hat betont, daß ein solcher Anspruch Ausdruck des übergeordneten und allgemein herrschenden Prinzips ist, daß der, der vom Staat auf Kosten der Allgemeinheit etwas zu Unrecht erhalten hat. grundsätzlich verpflichtet ist, das Erhaltene zurückzuzahlen. Er hat zuletzt noch in BFHE 125, 343, BStBl II 1978, 608 hervorgehoben, daß die Rückforderungsansprüche von Steuern dem öffentlichen Recht angehören, weil sie im Zusammenhang mit den Vorgängen zu sehen sind, auf denen die Erstattung von Steuern beruht. Sie sind mithin nichts anderes als umgekehrte Erstattungs- oder Vergütungsansprüche. Gleiche Grundsätze gelten auch für das Zollrecht (vgl. BFH-Urteil vom 20. November 1979 VII R 38/77, BFHE 129, 445, BStBl II 1980, 249) und für das allgemeine Verwaltungsrecht (vgl. Becker in die öffentliche Verwaltung 1973 S. 379 ff. - DÖV 1973, 379 ff. - und die dort unter Anm. 108 zitierte Rechtsprechung). An ihnen hält der erkennende Senat fest.

c) Der Kläger wäre zur Zurückzahlung nicht verpflichtet, wenn er nur Bote gewesen wäre.

Wird im Lohnsteuer-Jahresausgleich Lohnsteuer zu Unrecht erstattet, so ist in der Regel der, der die Lohnsteuererstattung erhalten hat, zu deren Rückgewähr verpflichtet. Der Senat tritt dem FG darin bei, daß sich der öffentlich-rechtliche Rückforderungsanspruch grundsätzlich nicht gegen den Zahlungsempfänger, sondern gegen den Berechtigten aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich, also in erster Linie gegen den Antragsteller, richtet, wenn der Zahlungsempfänger für letzteren lediglich als Bote oder, wie das FG es ausdrückt, als sogenannte "Zahlstelle" aufgetreten ist.

Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob der Grundsatz des zivilrechtlichen Bereicherungsrechts, es müsse eine unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen den Beteiligten stattgefunden haben, gemäß dem BFH-Urteil vom 19. Oktober 1976 VII R 104/73 (BFHE 120, 424) auch auf den öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch übertragbar ist. Sollte dies der Fall sein, so würde ein Bote oder Vertreter des Empfangsberechtigten, wenn er nicht zugleich im eigenen Namen auftritt, nicht zur Rückzahlung verpflichtet sein, weil sein Vermögen durch die Leistung nicht berührt wird, eine unmittelbare Vermögensverschiebung also nur zwischen dem Leistenden und dem Gläubiger des der Bereicherung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts eintritt (vgl. z. B. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 37. Aufl., § 812 Anm. 5 B b) bb) Abs. 1). Folgt man dieser Ansicht nicht, so ist jedenfalls beim öffentlich-rechtlichen Rückzahlungsanspruch entscheidend von dem Willen des FA auszugehen, bei Zahlungen an einen Boten die Leistung nicht mit befreiender Wirkung zu seinen Gunsten, sondern nur zugunsten des Vertretenen bewirken zu wollen. Im übrigen kann der, der erkennbar nur als Bote oder als Vertreter des Empfangsberechtigten auftritt, wie z. B. eine vom Empfangsberechtigten angegebene Bank, bei der letzterer ein Konto unterhält, nicht gegen seinen Willen in das Leistungsverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger, hier mithin in das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen FA und Lohnsteuerpflichtigen, hineingezogen werden. Der öffentlich-rechtliche Rückforderungsanspruch kann sich deshalb nur gegen den Vertretenen und nicht gegen den Vertreter oder Boten richten (so im Ergebnis auch Drenseck, Das Erstattungsrecht der Abgabenordnung, Dr. Peter Deubner-Verlag, S. 83, und Tiedtke, Finanz-Rundschau 1980 S. 1 rep. Sp. - FR 1980,1 rep. Sp. -).

d) Der Kläger ist jedoch zur Zurückzahlung verpflichtet, da er in Wirklichkeit nur Strohmann war.

Obwohl der Kläger nach außen hin als Bote, mithin als Zahlungsempfänger der vermeintlichen Antragsteller, aufgetreten ist, haftet er entgegen der Ansicht des FG dennoch für die Rückzahlung der empfangenen Beträge. Denn das FG hat bei der rechtlichen Beurteilung des Falles die Erkenntnis außer Betracht gelassen, daß der Kläger in Wirklichkeit Strohmann zugunsten des im Hintergrund bleibenden S war. Ein Strohmann aber ist, da er (anders als ein Bote oder Vertreter) im eigenen Namen auftritt, sowohl nach zivilrechtlichen (vgl. Palandt, a. a. O. , Abs. 2) wie auch nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen (vgl. zum Wohnungsbau-Prämienrecht die BFH-Urteile vom 24. Juli 1964 VI 149/63 U, BFHE 80, 272, BStBl III 1964, 571, und vom 30. Oktober 1964 VI 188/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 143 HFR 1965, 143 -, und vom 24. November 1967 VI R 8/66, BFHE 90, 569, BStBl II 1968, 295) zur Zurückzahlung der ihm überwiesenen Beträge verpflichtet, die er im Interesse des Hintermannes an sich nimmt.

Es kann in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben, ob das FG nach Lage der Akten zu der Feststellung kommen konnte, daß S in den gefälschten Lohnsteuer-Jahresausgleichsanträgen den Namen des Klägers als Empfangsberechtigten angegeben hat. Es kann ebenfalls dahingestellt bleiben, ob die Auszahlungen an den Kläger gemäß den Ausführungen des FA im Klageverfahren und im Revisionsverfahren dadurch bewirkt wurden, daß S den Namen des Klägers als Empfangsberechtigten nicht in die Lohnsteuer-Jahresausgleichsanträge und nicht auf die vom Sachgebietsleiter endgültig abzuzeichnenden innerdienstlichen Auszahlungsverfügungen (zugunsten der angeblichen Antragsteller der fingierten Lohnsteuer-Jahresausgleichsanträge) setzte, sondern diesen Namen als Empfangsberechtigten erst auf der Reinschrift dieser Verfügungen vermerkte. In beiden Fällen ist der Kläger entweder mit Wissen und Wollen des für Handlungen des FA maßgebenden Sachgebietsleiters oder wegen Täuschung dieses Beamten hinter dem Rücken des FA Teil nach außen hin als Empfangsberechtigter der vermeintlichen Antragsteller aufgetreten. In Wirklichkeit war er jedoch in allen hier zur Rede stehenden Erstattungsfällen Strohmann des im Hintergrund bleibenden S. Denn S war nur dadurch, daß er den Kläger nach außen hin zum Erstattungsberechtigten mit der Weisung einsetzte, die empfangenen Beträge an ihn, S, weiterzuleiten, in den Besitz der von ihm durch die fingierten Lohnsteuer-Jahresausgleichsanträge erschlichenen Lohnsteuererstattungsbeträge gelangt.

Der Kläger wollte im Streitfall auch Strohmann sein. Er wollte nicht als Vertreter des S, sondern im eigenen Namen auftreten und seine Funktion im Verhältnis zu S dem FA nicht offenbaren. Er hat dies auch getan, indem er entsprechend den vorerwähnten Weisungen handelte. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt gutgläubig war, weil er von S über dessen wahre Absicht, die Gelder für sich zu behalten, getäuscht worden war. Dieser gute Glaube beseitigt nicht den Umstand, daß der Kläger bei der Entgegennahme der nicht für ihn bestimmten Gelder bewußt im eigenen Namen aufgetreten ist. Er hat dies zugleich in der Absicht getan, S auf diese Weise vor seiner Behörde zu verstecken.

e) Der Kläger kann gegen den Rückforderungsanspruch aber ggf. Einreden erheben.

Er kann sich gegenüber dem FA zwar nicht darauf berufen, daß er die empfangenen Gelder nicht mehr besitze, sondern sofort an S weitergeleitet habe, da der im zivilrechtlichen Bereicherungsrecht herrschende Grundsatz der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB im öffentlichen Recht keine Anwendung findet (vgl. insbesondere BFH-Urteile in BFH 111, 457, BStBl II 1974, 369, und in BFHE 125, 343, BStBl II 1978, 608).

Der Geltendmachung des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs können jedoch entsprechend der vorgenannten Rechtsprechung des BFH die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstehen (so auch im allgemeinen Verwaltungsrecht, vgl. Becker, DÖV 1973,388).

Es kommt insoweit stets auf die Umstände des Einzelfalles an. Hierzu hat das FG jedoch - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen getroffen.

3. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da das FG aufgrund anderer rechtlicher Erwägungen einen Rückforderungsanspruch gegen den Kläger verneint hat.

Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Der Senat verweist die Sache an das FG zurück, damit es Feststellungen darüber nachholt, ob die Grundsätze von Treu und Glauben der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs ganz oder teilweise entgegenstehen. Im Rahmen der zu berücksichtigenden Umstände wird das FG u. a. den von ihm bisher ausdrücklich offengelassenen Fragen nachgehen müssen, ob dem Kläger grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, weil er die Täuschung durch S nicht erkannt hat, und ob ein solcher Schuldvorwurf ggf. deshalb nicht oder nur teilweise ins Gewicht fällt, weil beim FA evtl. Organisationsmängel und Systemfehler aufgetreten sind, ohne die die betrügerischen Machenschaften des S vier Jahre lang nicht unerkannt geblieben wären.

 

Fundstellen

BStBl II 1981, 44

BFHE 1981, 371

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