Leitsatz (amtlich)

Auch wenn ein Steuerpflichtiger seine Erklärung für richtig halten konnte, bedeutet das nicht, daß eine mangelnde Aufklärung des FA immer eine Pflichtverletzung darstellt.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige ist in dem Jahr 1959 Vorstandsvorsitzender einer AG gewesen. Ende 1959 hat er von der AG ein von ihm bereits bewohntes Einfamilienhaus für 115 000 DM gekauft.

Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1959 hatte das FA als Einkünfte des Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit zunächst nur das Gehalt angesetzt. Später zog es mit seiner Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO auch den Vorteil heran, der darin liege, daß die AG ihm das Haus unter dem Verkehrswert überlassen habe. In der Einspruchsentscheidung setzte es den Vorteil mit 63 800 DM (statt bisher 88 000 DM) an.

Das FG hielt zwar die Berichtigung der Veranlagung für zulässig, setzte aber die Einkommensteuer niedriger fest, nachdem es ein Obergutachten von dem Bewertungsamt der Stadt eingeholt hatte. Es kam zu dem Ergebnis, daß die AG zur Zeit des Verkaufs von einem Fremden 162 200 DM hätte erzielen können, so daß der dem Steuerpflichtigen zugewendete Vorteil 47 200 DM betrage. In diesen 47 200 DM sah das FG einen einmaligen Sachbezug, dessen Wert nach § 34 Abs. 3 EStG auf die Jahre 1957, 1958 und 1959 zu verteilen sei. Außerdem strich es rund 1 440 DM Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der minderjährigen Tochter des Steuerpflichtigen zugeflossen seien.

Mit seiner Revision rügt der Steuerpflichtige die unrichtige Anwendung von § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO. Nach seiner Ansicht waren dem FA zur Zeit der ersten Veranlagung alle für die Beurteilung des Falles wesentlichen Tatsachen bekannt gewesen, weil es gewußt habe, daß er das Haus von seiner Arbeitgeberin zu einem Preise von 115 000 DM erworben und welchen Einheitswert das Haus gehabt habe. Auf jeden Fall habe das FA seine Aufklärungspflicht verletzt. Es sei keineswegs ungewöhnlich, daß Gesellschaften ihren prominenten Vorstandsmitgliedern Wirtschaftsgüter zu Vorzugspreisen überließen. Wenn der Lohnsteuerprüfer anläßlich der Prüfung der AG festgestellt habe, daß der Kaufpreis unter den von der AG aufgewandten Herstellungskosten gelegen habe, so sei das eine Feststellung, auf die auch das FA hätte kommen können und müssen. Selbst wenn man aber eine neue Tatsache annähme, wäre diese doch nicht geeignet, die Richtigkeit der ursprünglichen Veranlagung in Frage zu stellen. Wie er es in seiner Einkommensteuererklärung angegeben habe, seien ihm nur seine Gehaltsbezüge zugeflossen. Vom Zufluß eines geldwerten Vorteils könne keine Rede sein. Der Preis sei zwischen ihm und der AG nach rein sachlichen Gesichtspunkten ausgehandelt, wobei auch eine Rolle gespielt habe, daß einerseits ihm der Bau eines Hauses, ähnlich wie einem Kaufanwärter, schon bei Dienstantritt zugesagt worden sei und andererseits die AG die Vorteile der erhöhten Absetzungen in Anspruch genommen habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision kann keinen Erfolg haben.

Entgegen der Ansicht des Steuerpflichtigen hat das FG das Vorliegen neuer Tatsachen zu Recht bejaht. Im Zeitpunkt der ersten Veranlagung hat das FA weder gewußt noch wissen können, daß dem Steuerpflichtigen aus seinem Arbeitsverhältnis neben den Gehaltsbezügen ein Sachvorteil zugeflossen war.

Die erste Veranlagung für das Jahr 1959 ist im November 1960 unterschrieben worden. Zu dieser Zeit sind in den Vermögensteuerakten enthalten gewesen einmal die Veräußerungsmitteilung, aus der Käufer, Verkäufer und Kaufpreis des Grundstücks ersichtlich sind, und zum anderen die Mitteilung vom 18. März 1960 über die Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1960, aus der der Einheitswert zu ersehen ist.

Geht es wie im Streitfall um die Einkommensteuerveranlagung, so sind dem FA grundsätzlich alle die Tatsachen bekannt gewesen, die sich zu der Zeit der Veranlagung aus den Einkommensteuerakten ergeben haben. Daß im vorliegenden Fall die genannten Mitteilungen nicht zu den Einkommensteuerakten, sondern zu den Vermögensteuerakten ergangen waren, kann, wie dem Steuerpflichtigen zuzugeben ist, nicht ohne weiteres dazu führen, daß die aus ihnen ersichtlichen Tatsachen für die Einkommensteuerveranlagung als unbekannt gelten müßten. Beide Akten werden bei derselben Stelle geführt. Sind Mitteilungen für die Einkommensteuer und die Vermögensteuer wichtig, so kann es nicht entscheidend sein, ob der Beamte eine Mitteilung in der einen oder anderen Akte ablegt. Ist eine solche Mitteilung lediglich für die Vermögensteuerakten ergangen, so ist es Sache des sie zu den Akten nehmenden Beamten, sie auch für die Einkommensteuerakten auszuwerten. Im Streitfall kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Beamte die zu den Vermögensteuerakten genommenen Mitteilungen auch zu den Einkommensteuerakten hätte nehmen müssen. Selbst wenn er das getan hätte, wären dadurch dem FA bei der Einkommensteuerveranlagung doch nur die Tatsache des Verkaufs, der Kaufpreis und die Beziehung "Käufer/Verkäufer = Arbeitnehmer/ Arbeitgeber" bekannt gewesen, nicht aber auch die Tatsachen, aus denen sich der Zufluß eines Sachvorteils ergab, nämlich die Herstellungskosten der AG und die sonstigen Umstände, die auf einen über dem Kaufpreis liegenden Verkehrswert des Hauses schließen ließen.

Dem Steuerpflichtigen ist zwar zuzugeben, daß das FA eine ihm später bekanntgewordene Tatsache als schon bei der Veranlagung bekannt gegen sich gelten lassen muß, wenn es die Tatsache bei richtiger Erfüllung seiner Aufklärungspflicht vor der Veranlagung hätte aufdecken können. Auch wenn man mit dem Steuerpflichtigen davon ausgeht, daß die Aufgabe eines Veranlagungsbeamten nicht lediglich darin besteht, die Angaben des zu veranlagenden Steuerpflichtigen einfach zu übernehmen, kann es doch nicht Aufgabe des Beamten sein, jeder nur irgendwie denkbaren Möglichkeit nachzugehen. So recht der Steuerpflichtige darin haben mag, daß gerade in Fällen der vorliegenden Art, wo es sich um Vereinbarungen zwischen Kapitalgesellschaften und ihren Vorstandsmitgliedern handelt, die Finanzämter Anlaß zu Rückfragen hätten, so waren hier doch die dem FA bekannten Tatsachen nicht so eindeutig, daß sie die Vermutung nahelegen mußten, das Einfamilienhaus sei dem Steuerpflichtigen weit unter seinem Verkehrswert verkauft worden. Daß eine Rückfrage möglich gewesen und vielleicht von einem Beamten, der ähnlich wie der die Lohnsteuerprüfung bei der AG durchführende Beamte gedacht hätte, auch gestellt worden wäre, besagt nicht, daß die Unterlassung der Rückfrage eine Pflichtverletzung war. Man wird zwar mit dem Steuerpflichtigen davon ausgehen müssen, daß § 222 AO einen Ausgleich zwischen den einander widersprechenden Grundsätzen der Rechtssicherheit einerseits und der materiellen Richtigkeit andererseits bringt. Man mag dieser Regelung auch entnehmen können, daß Fehler der Steuererklärung grundsätzlich zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, während das FA die Fehler der Aufklärung und Veranlagung trägt. Das kann aber nicht dazu führen, von einem Aufklärungsfehler des FA nur um deswillen zu sprechen, weil die Aufklärung möglich gewesen wäre. Wenn auf der einen Seite immer wieder - und mit Recht - betont wird, daß dem Steuerpflichtigen nicht von vornherein mit Mißtrauen begegnet werden darf, und wenn in diesem Zusammenhang sogar der Vorwurf der Belästigung erhoben wird, kann auf der anderen Seite eine Pflichtverletzung durch mangelnde Aufklärung auch nur dann bejaht werden, wenn die dem Beamten mitgeteilten oder sonst bekannten Tatsachen eindeutig zu Bedenken Anlaß gaben. Der Senat hat keinen Zweifel, daß der Steuerpflichtige seine Erklärung von seinem Standpunkt aus für richtig gehalten hat. Daß ihn kein Verschulden trifft, besagt aber nicht, daß das FA eine Pflichtverletzung beging, wenn es die Angaben des Steuerpflichtigen in die Veranlagung übernahm.

Daß das FG den Zufluß eines Sachvorteils bejahte, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Dem Steuerpflichtigen ist zwar zuzugeben, daß derjenjge, der ein Haus für private Zwecke kauft und hierbei einen niedrigen Preis erzielt, wegen des ihm in dieser Weise zugeflossenen Vorteils nicht notwendigerweise Einkünfte hat. Wird der niedrige Preis aber einem Arbeitnehmer von dessen Arbeitgeber gewährt, so liegen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vor, wenn die Gewährung gerade im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis erfolgt. Daß diese Voraussetzung der Gewährung im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis im Streitfall gegeben ist, kann nach der Einlassung des Steuerpflichtigen und der vom FG eingeholten Auskunft der AG nicht zweifelhaft sein. Ebenso ist - immer vorausgesetzt, daß das Haus dem Steuerpflichtigen unter dem Verkehrswert verkauft worden ist - der Zufluß eines Sachvorteils zu bejahen. Der Steuerpflichtige und die AG mögen einen ihnen den Umständen nach durchaus angemessen erscheinenden Preis vereinbart haben. Die Frage, ob dem Steuerpflichtigen ein Vorteil gewährt worden ist, kann aber nur nach objektiven Gesichtspunkten entschieden werden. Mag einem Arbeitnehmer im Hinblick auf sein Arbeitsverhältnis ein Wirtschaftsgut "geschenkt" oder billig überlassen werden; die Frage, ob und in welcher Höhe ihm dadurch ein Vorteil zufließt, beurteilt sich nach "den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts" (vgl. § 8 EStG).

Hiervon ist auch das FG ausgegangen. Wenn es unter Zugrundelegung des von ihm eingeholten Gutachtens zu einem (geschätzten) Verkehrswert von 162 200 DM gekommen ist, so ist das eine Beweiswürdigung und Feststellung, wie sie gerade dem FG als Tatsacheninstanz obliegt (§ 96 FGO). Der BFH als Revisionsinstanz ist an die Feststellung gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Das FG ist bei seiner Beweiswürdigung auf die Einwendungen des Steuerpflichtigen eingegangen. Es hat insbesondere auch der Tatsache Rechnung getragen, daß der Steuerpflichtige als Erwerber des Hauses nicht die erhöhten Absetzungen des § 7b EStG hat in Anspruch nehmen können. Daß es gegen die Denkgesetze oder gegen Verfahrensgrundsätze verstoßen hätte, ist nicht zu erkennen.

Welche Bedeutung dem Vorbringen des Steuerpflichtigen beizumessen ist, ihm sei das Haus wie einem Kaufanwärter zugesagt worden, braucht hier nicht geprüft zu werden. Daß er tatsächlich als Kaufanwärter behandelt worden sei, ist in keiner Weise dargetan.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68147

BStBl II 1968, 698

BFHE 1968, 33

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