Leitsatz (amtlich)

Zum Abzug von Versicherungsbeiträgen als Sonderausgaben nach § 10 Abs.1 Nr.2 EStG ist grundsätzlich nur berechtigt, wer die Beiträge selbst schuldet und entrichtet. Zahlt daher --wie im Streitfall-- ein Vater Beiträge für die Unfall- und Sozialversicherung seines Sohnes durch Überweisung der entsprechenden Beträge an die Versicherungsgesellschaft, kann der Sohn diese Beiträge nicht bei der Ermittlung seines Einkommens als Sonderausgaben abziehen.

 

Orientierungssatz

1. Ausführungen und umfangreiche BFH-Rechtsprechung zur Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG nach Wortlaut, Normzweck und Gesetzeszusammenhang, zum Erfordernis der eigenen wirtschaftlichen Belastung des Steuerschuldners (Ausnahmen bei Ehegatten) und zur Nichtübertragbarkeit des zum Werbungskosten-/Betriebsausgabenabzug entwickelten Gedankens des Drittaufwands, außer bei konkreten Zuwendungsverhältnissen und Deckungsverhältnissen mit doppelter Wertbewegung.

2. Parallelentscheidung: BFH, 19.4.1989, X R 3/84, NV.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) machte in seinen Einkommensteuererklärungen für 1977 und 1979 Versicherungsbeiträge als Sonderausgaben geltend, und zwar für 1977 Unfall- und Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt 3 212 DM (1 719 DM und 1 493 DM) und für 1979 Unfallversicherungsbeiträge in Höhe von 1 718 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte in den Einkommensteuerbescheiden vom 19.November 1981 für beide Jahre jeweils nur die Vorsorgepauschalen (1977: 1 410 DM und 1979: 780 DM). Er meinte, nur solche Versicherungsbeiträge seien als Sonderausgaben abziehbar, mit denen der Steuerpflichtige selbst belastet sei. Daran fehle es hier; denn nicht der Kläger selbst, sondern sein Vater habe jeweils die Versicherungsbeiträge an die Versicherungsgesellschaft überwiesen.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es anerkannte die geltend gemachten Vorsorgeaufwendungen mit den zulässigen Höchstbeträgen (1977: 2 845 DM, 1979: 1 718 DM) und setzte die Einkommensteuerschuld für die Streitjahre entsprechend niedriger fest. Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, der Vater des Klägers habe die Leistungen an die Versicherungsgesellschaft "zuwendungshalber" für seinen Sohn erbracht. Derjenige, der solchen Aufwand als Sonderausgaben geltend mache, müsse ihn nicht unbedingt aus "von vornherein" eigenen Mitteln bestritten haben. Es sei unschädlich, wenn ihm diese zuvor geschenkt worden seien. Wirtschaftlich mache es keinen Unterschied, wenn in solchen Fällen statt des Zahlungswegs über den Steuerpflichtigen "zuwendungshalber" der unmittelbare Zahlungsweg gewählt werde.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Zur Begründung trägt es vor, der Sonderausgabenabzug setze eine Vermögensminderung beim Steuerpflichtigen voraus. Dazu sei es hier nicht gekommen.

Das FA beantragt, das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er ist weiterhin der Meinung, er sei zum Sonderausgabenabzug berechtigt. Die Versicherungsbeiträge seien deshalb von seinem Vater geleistet worden, weil seine, des Klägers, eigene Einkünfte dazu nicht ausgereicht hätten. Dieser Zahlungsweg sei im Hinblick auf die bestehende Unterhaltspflicht gewählt worden, um den Versicherungsschutz auch während des Studiums zu gewährleisten, d.h. sicherzustellen, daß die Zahlungsfristen eingehalten und die dafür bestimmten Beträge nicht für andere Zwecke verwendet würden. Gleichwohl seien diese Beträge ihm, dem Kläger, als Sonderausgaben zuzurechnen. Er habe nämlich aus den Gesamtzuwendungen seiner Eltern für das auswärtige Studium jeweils den für die Bezahlung der Kosten erforderlichen Teil auf den Vater übertragen. Insoweit sei sein Vermögen gemindert worden.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist begründet. Zu Unrecht hat das FG die geltend gemachten Beitragszahlungen als Sonderausgaben berücksichtigt.

Zu den nach § 10 Abs.1 Nr.2 EStG als Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen gehören u.a. Beiträge zu Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen sowie zu den gesetzlichen Rentenversicherungen.

Zum Abzug solcher Vorsorgeaufwendungen ist grundsätzlich nur berechtigt, wer die Tatbestandsvoraussetzungen in der Weise selbst verwirklicht, daß er die Versicherungsbeiträge als Versicherungsnehmer leistet und mit den Aufwendungen (tatsächlich) selbst belastet ist. Nur bei Ehegatten kommt es nicht darauf an, wer von ihnen zur Beitragsleistung verpflichtet und mit dieser wirtschaftlich belastet ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22.März 1967 VI R 300/66, BFHE 89, 69, BStBl III 1967, 596).

1. Der Wortlaut des § 10 Abs.1 EStG, der die zum Abzug zugelassenen Sonderausgaben als "Aufwendungen" umschreibt, spricht dafür, daß grundsätzlich nur solche Ausgaben zum Sonderausgabenabzug zugelassen sind, die beim Steuerpflichtigen selbst zu einer wirtschaftlichen Belastung geführt haben. Gesetzeszusammenhang und Normzweck bestätigen dieses Ergebnis (vgl. BFH-Urteile vom 27.September 1963 VI 123/62 U, BFHE 77, 592, BStBl III 1963, 536; vom 20.Februar 1970 VI R 11/68, BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314; vom 20.Februar 1976 VI R 131/74, BFHE 118, 331, Betriebs-Berater --BB-- 1976, 680; vom 22.November 1983 VIII R 37/79, BFHE 140, 63, 68, und vom 24.September 1985 IX R 2/80, BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284).

Vor allem der Zusammenhang zu dem in § 12 Satz 1 1.Halbsatz EStG enthaltenen Abzugsverbot mit Ausnahmevorbehalt (vgl. Söhn in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 10 Rdnr.A 18) gebietet eine besonders eng am jeweiligen Zweck des Vergünstigungstatbestands ausgerichtete Gesetzesauslegung. Die Rechtfertigung für den Abzug von Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben ist in der durch eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit hervorgerufenen wirtschaftlichen Belastung des Steuerpflichtigen zu sehen (vgl. BFH in BFHE 145, 507, 510, BStBl II 1986, 284, und Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 22.Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, 223, BStBl II 1984, 357, 359).

Mit der Abziehbarkeit der in § 10 Abs.1 Nr.2 EStG aufgezählten Versicherungsbeiträge trägt der Gesetzgeber dem Bedürfnis des einzelnen nach Absicherung vor bestimmten privaten Lebensrisiken und der damit verbundenen Beeinträchtigung der individuellen Leistungsfähigkeit Rechnung (vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, 12.Aufl. 1989, S.199 und 211). Dem Gesichtspunkt, daß "jedes Steuersubjekt seine eigene Leistungsfähigkeit" hat (Tipke/Lang, a.a.O., 196), kommt infolgedessen für die Auslegung dieser Vergünstigungsvorschrift besondere Bedeutung zu. Die Vorsorgeaufwendungen sind daher grundsätzlich nur dann abziehbar, wenn die Aufwendungen nicht nur auf einer eigenen Verpflichtung des Steuerschuldners beruhen (vgl. dazu u.a. BFH-Urteile vom 20.November 1952 IV 6/52 U, BFHE 57, 91, BStBl III 1953, 36 sowie vom 9.Mai 1974 VI R 233/71, BFHE 112, 371, BStBl II 1974, 546 und VI R 137/72, BFHE 112, 484, BStBl II 1974, 633), sondern diesen auch selbst belasten (vgl. BFH-Urteil vom 13.August 1971 VI R 171/68, BFHE 103, 350, BStBl II 1972, 57, und BFHE 77, 592, BStBl III 1963, 536; BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314; BFHE 118, 331, BB 1976, 680; BFHE 140, 63, 68; BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284).

Das Erfordernis der eigenen wirtschaftlichen Belastung des Steuerschuldners wird bestätigt durch die Sonderregelungen für die Ehegattenbesteuerung (§ 26a Abs.2 Sätze 1 und 2 sowie § 26b EStG): Diese rechtfertigen es, die Abzugsberechtigung beim Sonderausgabenabzug von Ehegatten ausnahmsweise anders zu beurteilen (vgl. BFH in BFHE 89, 69, BStBl III 1967, 596), verdeutlichen zugleich aber auch, daß es nur bei Ehegatten nicht darauf ankommt, wer von ihnen jeweils die Vorsorgeaufwendungen geschuldet und bestritten hat.

2. Diese Auslegung hat zur Folge, daß im Rahmen des § 10 Abs.1 Nr.2 EStG Drittaufwand grundsätzlich (d.h. vom Fall getrennt oder zusammen zu veranlagender Ehegatten abgesehen) nicht abziehbar ist.

a) Der zum Werbungskosten-/Betriebsausgabenabzug entwickelte Gedanke, unter bestimmten (im einzelnen streitigen) Voraussetzungen auch Zahlungen eines Dritten als Aufwendungen des Steuerpflichtigen anzusehen (vgl. vor allem BFH-Urteil vom 3.April 1987 VI R 91/85, BFHE 149, 572, BStBl II 1987, 623), ist auf den Bereich der Vorsorgeaufwendungen nicht übertragbar: Wenn es in diesen Fällen unbedenklich ist, den Gesichtspunkt der individuellen Belastung in gewissem Umfang zu vernachlässigen, so findet das seine Rechtfertigung letztlich in dem Zweck des Werbungskosten-/Betriebsausgabenabzugs, alle diejenigen Aufwendungen zu erfassen, die der Erzielung von Einkünften gedient haben (vgl. vor allem Jakob/Jüptner, Finanz-Rundschau --FR-- 1988, 141; Stadie, Die persönliche Zurechnung von Einkünften, 1983, S.33 ff.). In § 10 Abs.1 Nr.2 EStG geht es dagegen darum, nur den Steuerpflichtigen zu begünstigen, der tatsächlich wirtschaftlich belastet ist.

b) Im Rahmen des § 10 Abs.1 Nr.2 EStG können Leistungen Dritter daher nur dann berücksichtigt werden, wenn sie (wie z.B. bei der Anweisung nach den §§ 783 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) aufgrund konkreter Zuwendungs- und Deckungsverhältnisse eine doppelte Wertbewegung mit einer Vermögensminderung beim Steuerschuldner erkennen lassen (gegen eine generelle Berücksichtigung von Drittaufwand im Einkommensteuerrecht auch Jakob/Jüptner, a.a.O., S.152 a.E.).

Daran fehlt es hier: Es ist nur eine Wertbewegung und kein konkretes Zuwendungsverhältnis erkennbar. Die allgemeine Berufung des Klägers auf die Unterhaltspflicht seines Vaters reicht in diesem Zusammenhang nicht aus. Die Zahlungen des Vaters haben dem Kläger nur wirtschaftliche Vorteile gebracht (Befreiung von seinen Beitragspflichten), waren aber bei ihm mit keiner wirklichen, sondern allenfalls mit einer hypothetischen Wertabgabe verbunden. Die Vorstellung von der "Abkürzung des Zahlungswegs" paßt nicht: Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist weder rechtlich noch wirtschaftlich mit dem Fall gleichzusetzen, daß dem Kläger die Mittel für die Beitragsleistung von seinem Vater zuvor geschenkt wurden. Bei einer solchen Fallgestaltung käme es zu einer Vermögensminderung nach unmittelbar vorausgegangener Vermögensmehrung. Bei dem hier gegebenen Geschehensablauf dagegen haben die "Zuwendungen" des Vaters das Vermögen des Klägers und seine Dispositionsbefugnis tatsächlich nicht erreicht, was etwa bei einem Gläubigerzugriff offenkundig würde.

Die Vermeidung eines "Zahlungsumweges" lag im übrigen im erklärten Interesse des Leistenden: Der Vater des Klägers hat (wie in der Revisionsbegründung ausdrücklich hervorgehoben wird) den unmittelbaren Zahlungsweg beschritten, um den Versicherungsschutz seines Sohnes, des Klägers, sicherzustellen, vor allem um die Möglichkeit der Verwendung der Mittel durch den Kläger für andere Zwecke auszuschließen.

c) Auch die übrigen im Bereich des Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzugs für die Berücksichtigung von Drittaufwand angeführten Erwägungen greifen im Rahmen des § 10 Abs.1 Nr.2 EStG nicht durch:

aa) Der Hinweis auf § 12 Nr.2 EStG und § 22 Nr.1 Satz 2 EStG (vgl. z.B. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 7.Aufl. 1988, § 12 Anm.10c; Groh, Der Betrieb --DB-- 1988, 514, 518 Fußnote 42) überzeugt nicht. Abgesehen davon, daß das EStG ein Korrespondenzprinzip als allgemeingültigen Grundsatz nicht kennt (vgl. Kirchhof in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 2 Anm.A 189; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1988, S.80 ff.), geht es im Streitfall nicht darum, ob Schenkungen die Einkommensteuerschuld erhöhen dürfen oder nicht, sondern um die Frage, ob Zuwendungen --wenn es welche sind-- einkommensmindernd zu berücksichtigen sind.

bb) Weil § 10 Abs.1 Nr.2 EStG nicht dahin ausgelegt werden kann, die Vorsorgeaufwendungen müßten auch dann beim Steuerpflichtigen abgezogen werden, wenn er selbst sie tatsächlich nicht aufgebracht hat, fehlt es an einer dem Schadensersatzrecht vergleichbaren Ausgangslage. Schon deshalb kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Billigkeitserwägungen, die im Zivilrecht zur Anerkennung der Schadensliquidation im Drittinteresse ("Drittschadensliquidation") geführt haben, in das Einkommensteuerrecht übertragbar sind (zur "Drittaufwandsliquidation" vgl. vor allem Groh, BB 1982, 133, 141, und DB 1988, 514, 517/518).

cc) Auch für eine allein auf Unterhaltsberechtigte beschränkte Anerkennung des Drittaufwands im Rahmen der Vorsorgeaufwendungen gibt es keine Rechtsgrundlage (insoweit ebenso Groh, a.a.O., S.518). Die für Ehegatten geltende Sonderregelung folgt nicht aus § 10 Abs.1 Nr.2 EStG, sondern aus den Vorschriften für die Ehegattenbesteuerung. Für andere Unterhaltsberechtigte, vor allem für Kinder, fehlt eine entsprechende Regelung.

II. Die Vorentscheidung verstößt gegen diese Rechtsgrundsätze und war daher aufzuheben. Die Klage war abzuweisen (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

 

Fundstellen

Haufe-Index 62846

BStBl II 1989, 683

BFHE 157, 101

BB 1989, 1674-1675 (LT1)

DB 1989, 2053 (ST)

DStR 1989, 576 (KT)

HFR 1989, 540 (LT)

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