Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme von verbrauchsunabhängigen Kosten und Schuldzinsen einer Wohnung als Unterhaltsleistungen, Realsplitting

 

Leitsatz (NV)

1. Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung zu Unterhaltszwecken ist eine typische Unterhaltsleistung und, wenn sie zu einer Minderung des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten führt, eine ‐ im Zahlungswege ‐ abgekürzte Sachunterhaltsleistung.

2. Die vom Unterhaltsverpflichteten übernommenen verbrauchsunabhängigen Kosten, einschließlich Schuldzinsen, der Wohnung seiner geschiedenen Ehefrau können bei gleichzeitigem Verzicht auf zustehende Ausgleichsansprüche dem Grunde nach als Unterhaltsleistungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG geltend gemacht werden, auch wenn die Wohnung im Eigentum der ehemaligen Ehefrau steht.

3. Der BFH kann die Würdigung einer Willenserklärung oder eines Vertrages durch das FG dahingehend überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat sowie, ob die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt wurden.

4. Im Zweifel ist eine Erklärung so auszulegen, dass dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Erklärenden entspricht. An die Feststellung eines Verzichtswillens sind strenge Anforderungen zu stellen.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 22 Nr. 1a, § 33a Abs. 1; BGB §§ 133, 157, 426, 1373, 1586 Abs. 1, § 1569

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Urteil vom 16.05.2002; Aktenzeichen 14 K 3935/00 E; EFG 2005, 942)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Streitig ist, ob Zins- und Tilgungsleistungen des Ehemanns Unterhaltsleistungen an seine geschiedene Ehefrau (Beigeladene) i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) darstellen.

Im Rahmen des Scheidungsverfahrens schlossen der Kläger und die Beigeladene am 2. März 1988 vor dem Amtsgericht einen Vergleich.

Nach Ziff. 1 erhielt die Beigeladene den gesamten Hausrat zum Alleineigentum.

Nach Ziff. 2 erhielt sie ferner die Eigentumswohnung; der Kläger übertrug ihr hierzu seinen hälftigen Miteigentumsanteil an der Wohnung. Außerdem stellte der Kläger die Beigeladene "von den Darlehnsverpflichtungen für die oben genannte Wohnung von zur Zeit wie folgt frei: … ergibt pro Quartal: 4 547, 35 DM".

Unter Ziff. 3 wurde vereinbart:

"Die vorgenannte Zahlung von monatlich 1 515,87 DM (pro Quartal 4 547,35 DM) für die Eigentumswohnung wird geleistet als Unterhaltszahlung bis zur Tilgung der gesamten Darlehnsverbindlichkeiten. Der Antragsteller ist berechtigt, mit den vorgenannten Kreditinstituten alleine darüber zu verhandeln, ob Sondertilgungen früher vorgenommenen werden und zu welchem Zeitpunkt.

Im Falle der Wiederverheiratung der Antragsgegnerin entfällt die Verpflichtung des Antragstellers die Darlehnsverbindlichkeiten zu erfüllen gem. § 1586 BGB. Die Verpflichtung des Antragstellers erlischt ebenfalls mit dem Tod der Berechtigten gem. § 1586 BGB."

Unter Ziff. 4 verpflichtete sich die Beigeladene, "jährlich dem Antragsteller die Anlage U zur Einkommensteuererklärung für Unterhaltsleistungen an den geschiedenen Ehegatten z.Zt. in Höhe von 18 000,- DM Barleistungen auf den Unterhalt zu unterzeichnen, solange die Zahlungen gemäß Ziffer 3) erfolgen. Eine Steuerausgleichszahlung ist ausgeschlossen."

Nach Ziff. 5 zahlte der Kläger zudem 70 000 DM zur Abgeltung aller Zugewinnausgleichsansprüche bis zum 31. März 1988. Ferner wurde in einem weiteren Absatz vereinbart: "Im übrigen verzichten die Parteien wechselseitig auf Unterhalt und Unterhaltsbeiträge auch für den Fall der Not und nehmen diesen Verzicht wechselseitig an."

Der Kläger hatte in den Folgejahren versucht, im Rechtswege eine Abänderung der übernommenen Zahlungspflichten zu erreichen. Das Oberlandesgericht (OLG) wies auf die Berufung der Beigeladenen die Klage ab.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erkannte die mit den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1995 bis 1998 geltend gemachten Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von jeweils 18 000 DM zunächst als Sonderausgaben (Unterhaltszahlungen) an. Nachdem dem FA im Oktober 1999 bekannt geworden war, dass die Beigeladene mit Schreiben vom 12. Dezember 1994 die Zustimmung zum Sonderausgabenabzug widerrufen hatte, erließ es am 2. November 1999 gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1995 bis 1998, in denen es die Sonderausgaben nicht mehr berücksichtigte. Den Einspruch der Kläger, dem eine erneute Zustimmungserklärung der Beigeladenen beilag, wies das FA zurück.

Die Klage blieb ohne Erfolg (die Entscheidung ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 942). Die unmittelbar an die Darlehensgeber geleisteten Zahlungen seien keine Unterhaltsleistung --auch nicht im abgekürzten Zahlungsweg-- weil kein entsprechender Unterhaltsanspruch der Beigeladenen bzw. keine entsprechende Unterhaltsverpflichtung des Klägers bestanden habe. Darin unterscheide sich der Streitfall von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. April 2000 XI R 127/96 (BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130), bei dem die Darlehenszinsen im Rahmen und in Anrechnung bestehender Unterhaltsansprüche übernommen worden seien.

Mit der Revision machen die Kläger Verletzung materiellen Rechts geltend. Das Finanzgericht (FG) sei von der Rechtsprechung abgewichen. Nach dem BFH-Urteil vom 22. Januar 1971 VI R 47/69 (BFHE 101, 384, BStBl II 1971, 325) seien Aufwendungen zur Ablösung künftiger Unterhaltsverpflichtungen als Unterhaltsleistungen zu betrachten; und aus dem BFH-Urteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130 ergebe sich, dass die Übernahme der gesamten verbrauchsunabhängigen Kosten unter Verzicht auf deshalb zustehende Ausgleichsansprüche Unterhaltszahlungen darstellten, die lediglich im abgekürzten Zahlungswege erbracht würden. Dem Kläger habe ein Ausgleichsanspruch in voller Höhe zugestanden, nachdem die Beigeladene Alleineigentümerin der Wohnung geworden sei. Die vermögensbezogene Auseinandersetzung habe sich insoweit auf die Übertragung des Miteigentumsanteils beschränkt. Die Übernahme der Darlehenskosten bezweckte dagegen eine Abgeltung von Unterhaltszahlungen, was sich auch aus der Wiederverheiratungs- und der Todesfallklausel ergebe.

Dem widerspreche auch nicht das OLG-Urteil. Das habe eine Abänderung der Zahlungsverpflichtung abgelehnt, weil die Regelung eine Abfindung der der Beigeladenen anderweitig zustehenden Unterhaltsansprüche beinhalte und nur für den Fall des Todes oder einer Wiederverheiratung einen Fortfall der Unterhaltszahlungen vorsehe. Das OLG habe nicht den unterhaltsrechtlichen Charakter der Zahlungen in Frage gestellt, denn sonst hätte es sich mit einer Änderung nach § 323 der Zivilprozessordnung (ZPO) gar nicht mehr befassen müssen, sondern allein deren Abänderbarkeit verneint. Das FG unterliege dem Trugschluss, eine Unterhaltsverpflichtung des Klägers sei deshalb nicht gegeben, weil in dem Vergleich auf Unterhalt verzichtet worden sei. Der Verzicht sei aber das Äquivalent der übernommenen Zahlungspflicht gewesen, die das OLG-Urteil als eine dauerhaft eingegangene Zahlungspflicht angesehen habe.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1995 vom 2. November 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Mai 2000 sowie die Einkommensteuerbescheide 1996 bis 1998 vom 19. Juli 2001 dahingehend abzuändern, dass zusätzlich Zahlungen in Höhe von jeweils 18 000 DM als Sonderausgaben berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der BFH habe in dem Urteil in BFHE 101, 384, BStBl II 1971, 325 unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 2. Dezember 1960 VI 148/59 U (BFHE 72, 200, BStBl III 1961, 76) letztlich offengelassen, ob Zahlungen eines geschiedenen Ehemanns an die frühere Ehefrau zur Ablösung der Unterhaltsverpflichtungen Ausgaben im Bereich des Vermögens seien, die bei der Einkommensteuer nicht berücksichtigt werden könnten. Da die bestehenden Gesamtschulden Bestandteil des Zugewinnausgleichs seien, seien die hierauf geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen auch kein Äquivalent für künftige Unterhaltsverpflichtungen, sondern dem Ausgleich auf Vermögensebene zuzurechnen, wie auch in dem BFH-Beschluss vom 8. März 1989 X B 203/88 (BFH/NV 1989, 779) ausgeführt werde.

Das BFH-Urteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130 unterscheide sich vom Streitfall darin, dass dort kein (Anteils-) Eigentum an der Wohnung übertragen wurde und nur verbrauchsunabhängige Kosten (Versicherungen u.ä.) übernommen wurden. Hier sollte die Beigeladene dagegen schuldenfreies Eigentum und damit eine entsprechende Vermögensposition erhalten; die Zahlungsverpflichtung sei als Annex zur Eigentumsübertragung zu sehen und stehe dementsprechend in der Ziff. 2 des Vergleichs. Eigentumsübertragung und Tilgung seien nicht zu trennen. Die Zahlungen seien objektgebunden und weder von der Leistungsfähigkeit bzw. Bedürftigkeit der Beteiligten noch davon abhängig gewesen, ob die Wohnung genutzt oder vermietet werde oder leer stünde.

Die Beigeladene weist zusätzlich darauf hin, man habe seinerzeit wechselseitig auf Unterhalt verzichtet. Die Abfindung der Unterhaltszahlungen sei wie die anderen Bestimmungen des Vergleichs der Vermögensebene zuzuordnen und kein Unterhalt; Ziff. 3 enthalte eine objektgebundene Zahlungspflicht. Wenn sie die Eigentumshälfte seinerzeit hätte kaufen müssen, so wären die Schulden dabei sicher abgezogen worden. Zumindest seit der Eigentumsübertragung liege keine Nutzungsüberlassung mehr vor und ihr sei damit kein solcher Unterhalt mehr zugewendet worden.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).Das FG hat die vom Kläger übernommenen Zahlungen in Höhe von monatlich 1 515,87 DM zu Unrecht nicht als Aufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG anerkannt.

1. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der für die Streitjahre gültigen Fassung kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten bis zur Höhe von 27 000 DM im Kalenderjahr von seinem Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen (vgl. § 2 Abs. 4 EStG), wenn er dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt (sog. begrenztes Realsplitting).

a) Der Begriff "Aufwendungen" wird im Allgemeinen im Sinn von Ausgaben verstanden; dabei handelt es sich um alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und beim Steuerpflichtigen abfließen. Der Begriff "Unterhaltsleistungen" ist in § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht definiert. Nach überwiegender Meinung entspricht er dem in § 33a Abs. 1 EStG verwendeten Begriff "Aufwendungen für den Unterhalt". Maßgeblich ist, dass die Aufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG für Zwecke des Unterhalts gemacht worden sind. Danach sind Unterhaltsleistungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG die typischen Aufwendungen zur Bestreitung der Lebensführung, z.B. für Ernährung, Kleidung, Wohnung. Der Unterhalt kann in Geld oder geldwerten Sachleistungen erbracht werden (BFH-Urteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130). Der Unterhaltsberechtigte hat den Wert der Sachleistung wie auch den Barunterhalt als sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1a EStG zu versteuern.

b) Wird eine Wohnung unentgeltlich zu Unterhaltszwecken überlassen und dadurch der Anspruch der Unterhaltsberechtigten auf Barunterhalt vermindert, so ist die Wohnungsüberlassung einer geldwerten Sachleistung (Ausgabe) gleichzusetzen, mit der lediglich der Zahlungsweg der Unterhaltsleistungen abgekürzt wird. Ebenso kann der Unterhaltsverpflichtete die von ihm übernommenen verbrauchsunabhängigen Kosten der Wohnung einschließlich Schuldzinsen seiner geschiedenen Ehefrau bei gleichzeitigem Verzicht auf ihm zustehende Ausgleichsansprüche dem Grunde nach als --im Zahlungswege abgekürzte-- Unterhaltsleistungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG geltend machen; und zwar auch insoweit, als sie auf einen im Eigentum der Ehefrau stehenden Wohnungsanteil entfallen. Maßgeblich hierfür ist, dass der Verpflichtete seiner Ehefrau auch einen entsprechend höheren Barunterhalt hätte bezahlen und im Gegenzug die Erstattung der von ihm übernommenen Kosten hätte fordern können (BFH-Urteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130, unter II.3. der Gründe).

Der Senat hat hierzu ausgeführt, dies gelte auch dann, wenn der aus der Wohnung ausgezogene Ehemann im Außenverhältnis auf Grund der abgeschlossenen Darlehensverträge weiterhin verpflichtet gewesen sei, die Zahlungen zu leisten (vgl. § 426 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--), ihm aber Ausgleichsansprüche gegen seine Ehefrau zugestanden hätten. Er hat zudem auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) verwiesen, wonach bei einer endgültigen Trennung der Ehegatten und dem Auszug eines der Ehepartner aus dem gemeinsamen Haus eine Neuregelung der Verwaltung und Benutzung gemäß § 745 Abs. 2 BGB in Betracht komme, die in der Regel darin bestehe, dass der Ehegatte, der das Haus allein nutzt, dessen Lasten sowie die Verzinsung und Tilgung der für das Haus aufgenommenen Darlehen übernimmt oder aber dem gewichenen Teilhaber eine angemessene Nutzungsentschädigung zahlt.

2. Von diesen Grundsätzen ausgehend sind die vom Kläger übernommenen Zahlungen als Aufwendungen für Unterhaltsleistungen anzuerkennen.

a) Die Würdigung des FG, die Zinszahlungen des Klägers auf die Darlehensverbindlichkeiten seien wegen des in dem Vergleich vereinbarten Unterhaltsverzichts der Beigeladenen nicht als Unterhaltsleistungen zu bewerten, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

aa) Willenserklärungen sind grundsätzlich Gegenstand der tatsächlichen Feststellungen. Das Tatsachengericht hat insbesondere zu ermitteln, was die Erklärenden geäußert haben und was sie bei der Erklärungshandlung subjektiv gewollt haben. Dagegen kann der BFH die Würdigung einer Willenserklärung oder eines Vertrages durch das FG dahingehend überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (§ 133 und § 157 BGB) beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 24, m.w.N.). Weiterhin kann das Revisionsgericht nachprüfen, ob die Vorinstanz die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Hat das FG eine (präzise) Auslegung eines entscheidungserheblichen Vertrages unterlassen, so kann sie das Revisionsgericht auf der Grundlage der dafür ausreichenden Tatsachenfeststellungen selbst vornehmen (BFH-Urteil vom 22. Januar 2004 IV R 32/03, BFH/NV 2004, 1092, m.w.N.).

Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Außerdem sind nach § 157 BGB Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Verboten ist damit eine Buchstabeninterpretation, geboten ist hingegen die Berücksichtigung des sprachlichen Zusammenhangs der abgegebenen Willenserklärungen, die Stellung der auslegungsbedürftigen Formulierungen im Zusammenhang des Textes und sämtlicher Begleitumstände (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 1092). Im Zweifel ist eine Erklärung so auszulegen, dass dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der Recht verstandenen Interessenlage der Erklärenden entspricht. Trotz des Verbots der Buchstabeninterpretation hat die Auslegung aber vom Wortlaut der Erklärung auszugehen (BFH-Urteil vom 7. November 2001 XI R 14/00,BFH/NV 2002, 745; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl., § 133 Rn. 14). An die Feststellung eines Verzichtswillens sind strenge Anforderungen zu stellen (Senatsurteil vom 4. Mai 2004 XI R 43/01, BFH/NV 2004, 1397, m.w.N.).

bb) Diesen Grundsätzen entspricht die Vorentscheidung nicht.

Zwar ist dem FG insoweit zuzustimmen, dass in Zweifelsfällen die bloße Bezeichnung "Unterhaltszahlungen" in einem Vertrag allein noch nicht ausreicht, um Unterhaltszahlungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu bejahen. Soweit in solchen Fällen allerdings gewichtige Gesichtspunkte für die Vereinbarung von Unterhaltszahlungen sprechen, kann der Bezeichnung als "Unterhaltszahlungen" durch die Parteien durchaus eine bestätigende Bedeutung beizumessen sein.

Ob derartige Gesichtspunkte vorliegen, ist dem Vertrag insgesamt unter Berücksichtigung der typischerweise Scheidungsvereinbarungen zugrunde liegenden Gesetzes- und Interessenlage zu entnehmen. Das FG durfte sich daher nicht darauf beschränken, zur Auslegung nur die Ziff. 2, 3 und 5 des Vergleichs und diese zudem nur teilweise heranzuziehen und den gesetzlichen Hintergrund, vor dem Scheidungsvereinbarungen getroffen werden, außer Acht zu lassen. Da seiner Begründung nicht zu entnehmen ist, aus welchen Gründen es die übrigen Vereinbarungen unberücksichtigt ließ, muss der Senat davon ausgehen, dass es --entgegen der o.g. gesetzlichen Auslegungsregel-- nicht den Gesamtinhalt des Vertrages gewürdigt hat. Dies gilt --neben der Ziff. 4 des Vergleichs, die sich ausdrücklich mit der Frage von Unterhaltszahlungen seitens des Klägers befasst --insbesondere für die Vereinbarung in Ziff. 5, wonach die Parteien "im übrigen" wechselseitig auf Unterhalt verzichten. Diese Formulierung spricht zumindest dem ersten Anschein nach dagegen, dass die Beigeladene auf "jeglichen" (so FG) Unterhalt verzichtete. Der Vorentscheidung lässt sich zudem nicht entnehmen, dass das FG insoweit den Grundsatz beachtet hat, dass an einen Verzicht auf gesetzliche Ansprüche strenge Anforderungen zu stellen sind (Senatsurteil in BFH/NV 2004, 1397, m.w.N.).

Das FG hat ferner nicht berücksichtigt, dass der die Vermögensauseinandersetzung betreffende Zugewinnausgleich anhand des § 1373 BGB zu ermitteln ist und erst künftig fällig werdende Schuldzinsen daher grundsätzlich nicht darunter fallen. Zudem sprechen laufende regelmäßige Zahlungen entsprechend § 1585 BGB typischerweise eher für Unterhaltszahlungen als für eine Auseinandersetzung des während der Ehe von den Ehegatten angesammelten Vermögens (vgl. § 1372 i.V.m. §§ 1363, 1378 BGB), sofern, wie im Streitfall, diese ein kostenfreies Wohnen, also eine typische Unterhaltsleistung, ermöglichen. Nicht beachtet hat es ferner, dass eine vermögensmäßige Ausgleichsforderung, anders als ein Unterhaltsanspruch (§ 1586 Abs. 1 BGB), bei Wiederheirat typischerweise bestehen bleiben würde (vgl. z.B. bei Zugewinngemeinschaft Palandt/Brudermühler, a.a.O., § 1378 Rn. 4).

b) Hat das FG eine (präzise) Auslegung eines entscheidungserheblichen Vertrages unterlassen, so kann sie das Revisionsgericht auf der Grundlage dafür ausreichender Tatsachenfeststellungen selbst vornehmen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 24, m.w.N.; BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 1092). Im Streitfall ist das auf der Grundlage des gerichtlichen Vergleichs möglich.

aa) Die Beigeladene hatte einen gesetzlichen Anspruch auf Unterhalt nach den §§ 1569 ff. BGB und nicht nur auf Vermögensausgleich. Das haben weder die Beteiligten noch das FG in Frage gestellt. Bestätigt wird dies durch das vom FG in Bezug genommene OLG-Urteil, wonach auf Grund des Einkommensgefälles zwischen dem Kläger und der Beigeladenen dieser selbst bei einem vollschichtigen Erwerb ein wahrscheinlich dauerhafter Anspruch auf Aufstockungsunterhalt zugestanden hätte.

bb) Auf diesen gesetzlichen Unterhaltsanspruch hat die Beigeladene in dem gerichtlichen Vergleich nicht vollumfänglich verzichtet. Auch dem OLG-Urteil lassen sich keine tatsächlichen Feststellungen dahingehend entnehmen.

Die Gewährleistung eines kostenfreien Wohnens ist eine typische Unterhaltsleistung (s.o.). Diesem Zweck diente die Abmachung in Ziff. 2 des Vergleichs, wonach der Kläger trotz Verlustes seines Miteigentumsanteils weiterhin die laufenden Darlehensverpflichtungen zu tragen hatte. Dem entspricht, dass die Parteien in der Vereinbarung diese in Ziff. 3 aufgeführten Zahlungen für die Eigentumswohnung als Unterhaltszahlungen bezeichnet und in Ziff. 5 nur "im übrigen" wechselseitig auf Unterhalt und Unterhaltsbeiträge verzichtet und diesen Verzicht wechselseitig angenommen haben. Schon die Formulierung "im übrigen" schließt die Auslegung aus, dass --so das FG-- auf "jeglichen" Unterhalt verzichtet werde. So hat der erkennende Senat auch im Urteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130 die Übernahme von Schuldzinsen für die von der früheren Ehefrau und Miteigentümerin genutzten Wohnung als Unterhaltsleistungen beurteilt und nicht dem Vermögensausgleich zugeordnet. Aus dem Urteil ist ferner zu entnehmen, dass das Eigentum der Ehefrau als solches nicht die Annahme einer Unterhaltsleistung in Gestalt der Zinszahlungen ausschließt.

Dass die vom Kläger zu erbringenden Leistungen auf Darlehen, die im Zusammenhang mit der nunmehr nur noch von der Beigeladenen genutzten Wohnung standen, als Unterhaltszahlungen anzusehen seien, war angesichts des seinerzeit zu vermutenden dauerhaften Einkommensgefälles zwischen den Vergleichsparteien nach den Maßstäben der Rechtsordnung (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zudem sachgerecht. Aus der Verpflichtung in Ziff. 4 zur Unterzeichnung der Anlage U ergibt sich, dass die Beigeladene die Interessenlage des Klägers, die vernünftigerweise auf die Erfüllung seiner sich aus §§ 1569 ff. BGB ergebenden gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gerichtet war, anerkannt und dem zugestimmt hat. Denn die Beigeladene hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich eine Steuerausgleichszahlung ausgeschlossen. Sie ist demnach davon ausgegangen, die Zahlungen seien von ihr als der Unterhaltsberechtigten als sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1a EStG zu versteuern, weil es sich um Unterhaltsleistungen des Klägers handele, die dieser in Abzug bringen werde.

Außerdem spricht für eine Beurteilung der Zahlungen als Unterhaltszahlungen, dass die Beteiligten den Wegfall der Verpflichtung im Falle einer Wiederverheiratung oder des Todes der Beigeladenen ausdrücklich unter Bezugnahme auf § 1586 BGB vereinbart haben. Nach § 1586 BGB erlischt nämlich der Unterhaltsanspruch mit der Wiederheirat oder dem Tode des Berechtigten, nicht aber ein Anspruch auf Vermögensausgleich.

Unerheblich ist, dass der Kläger die Beigeladene "von den Darlehnsverpflichtungen" freigestellt hat; er hat damit die zugrunde liegenden Darlehensschulden der Beigeladenen (noch) nicht übernommen. Dies ergibt sich auch daraus, dass die betreffende Verpflichtung im Falle der Wiederverheiratung der Beigeladenen sowie mit deren Tode erlöschen sollte. Ebenso macht die ausdrückliche Aufnahme der Klausel, der Kläger sei berechtigt, mit den Kreditinstituten allein darüber zu verhandeln, ob Sondertilgungen früher vorgenommen werden, nur dann einen Sinn, wenn es sich dabei nicht bereits um Verbindlichkeiten allein des Klägers handelte. Dass der Kläger über eine vorzeitige Tilgung "seiner" Verbindlichkeiten allein verhandeln darf, bedürfte keiner ausdrücklichen Regelung.

Der Unterhaltsverzicht "im übrigen" ist auch nicht etwa deswegen der in dem Vergleich ebenfalls enthaltenen Vermögensauseinandersetzung zuzuordnen, weil er in Ziff. 5 nach der Ausgleichszahlung von 70 000 DM aufgeführt ist. Ziff. 5 enthält vielmehr zwei Absätze, von denen der erste die vermögensrechtliche Auseinandersetzung betrifft und diesbezüglich eine die vorangehenden Ziff. 1 und 2 ergänzende und abschließende Ausgleichszahlung von 70 000 DM enthält, während im zweiten Absatz eine abschließende Regelung der gegenseitig bestehenden Unterhaltsansprüche "im übrigen" vereinbart wurde.

Einer Beurteilung als Unterhaltsleistung steht schließlich auch nicht entgegen, dass die Zahlungsverpflichtung des Klägers objektbezogen war und nicht von der Unterhaltsbedürftigkeit der Beigeladenen oder seiner Leistungsfähigkeit abhing. Die Leistungen bezogen sich auf einen Teil der Kosten der Wohnung und sind insoweit nicht anders zu behandeln als bspw. die Zuwendung einer unentgeltlichen Wohnung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130). Es stand den Parteien gemäß § 1585c BGB frei, über die Unterhaltspflicht und deren Erfüllung für die Zeit nach der Scheidung eine abschließende Vereinbarung zu treffen.

c) Zu den als Sonderausgaben abziehbaren verbrauchsunabhängigen Kosten gehören nach dem Senatsurteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130 die Schuldzinsen unabhängig davon, wer Eigentümer der zum Zwecke des Unterhalts überlassenen Wohnung ist; die Vorinstanz hierzu, das FG Köln, hatte in ihrem Urteil vom 18. Juni 1996  8 K 3245/95 (EFG 1997, 273) als Sonderausgaben u.a. auch die vom Unterhaltsverpflichteten übernommenen Darlehenszinsen zum Abzug zugelassen, soweit das Einfamilienhaus im Eigentum der Ehefrau stand, weil der Unterhaltsleistende jedenfalls insoweit nicht als Eigentümer verpflichtet sei, die Aufwendungen zu tragen. Der Senat hat dies bestätigt und ausgeführt, der Kläger habe durch die Übernahme verbrauchsunabhängiger Kosten unter Verzicht auf die ihm gegen seine Ehefrau zustehenden Ausgleichsansprüche den Zahlungsweg für die von ihm zu erbringenden Unterhaltsleistungen lediglich abgekürzt. Für die Frage, ob die vom Kläger übernommenen Kosten Unterhaltsleistungen darstellten, sei nicht entscheidend, dass der Kläger im Außenverhältnis verpflichtet war, die Zahlungen zu leisten (vgl. § 426 BGB).

Die Entscheidung des Senats steht nicht im Widerspruch zum BFH-Beschluss in BFH/NV 1989, 779. Der X. Senat hatte --summarisch-- ausschließlich über Tilgung von Schulden zu entscheiden, für die nicht festgestellt war, dass sie der Erfüllung bestehender gesetzlicher Unterhaltsansprüche dienten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1747325

BFH/NV 2007, 1283

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